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E-Book

Mein kompetentes Baby

Wie Kinder zeigen, was sie brauchen

AutorNora Imlau
VerlagKösel
Erscheinungsjahr2016
Seitenanzahl208 Seiten
ISBN9783641182359
FormatePUB
KopierschutzDRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis15,99 EUR
Babys gehören zu den meist unterschätzten Wesen auf diesem Planeten. Dabei ist es absolut erstaunlich, was Babys ab dem ersten Tag schon können: Sie erkennen die Eltern, reagieren auf Gesichter, nehmen Blickkontakt auf, können Stimmungen unterscheiden. Aus Sicht der modernen Entwicklungspsychologie tragen die Kleinen damit aktiv zum Aufbau der Eltern-Kind-Bindung bei.

Nora Imlaus fundierter und leicht lesbarer Ratgeber durch das erste Jahr zeigt anschaulich, dass Babys genau über die Kompetenzen verfügen, die sie in ihrem jeweiligen Lebensalter und in ihrer Erfahrungswelt brauchen. Sie entwickeln sich nicht vom Unfertigen zum Fertigen, sondern werden von kompetenten Neugeborenen zu kompetenten Babys zu kompetenten Kleinkindern. Dieser revolutionäre Blick auf Babys entlastet die Eltern, denn wer versteht, wie Babys 'ticken', erkennt schneller, was sie brauchen, um ausgeglichen und zufrieden zu sein.



Nora Imlau, 1983 geboren, gilt hierzulande als eine der wichtigsten Expertinnen für Familienthemen. Als Journalistin und Fachautorin schreibt sie unter anderem für die Zeitschrift ELTERN und hat bereits mehrere erfolgreiche Elternratgeber veröffentlicht, darunter die Bestseller »So viel Freude, so viel Wut« und »Du bist anders, du bist gut«. In Vorträgen und Workshops macht sie sich für ein bindungs- und beziehungsreiches Familienleben stark. Durch ihren konsequent bedürfnisorientierten Blick auf Kinder und Eltern hat sie eine große Fangemeinde. Nora Imlau hat selbst vier Kinder und lebt in Süddeutschland.

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Leseprobe

ERSTES KAPITEL
Kompetent von Anfang an

Gerade ein paar Stunden alt und gleichzeitig schon so viele Erfahrungen im Gepäck: Unsere Babys kommen perfekt aufs Leben vorbereitet auf die Welt, weil ihre Geburt für sie eben nicht die »Stunde null« ist, als die wir Eltern sie oft begreifen. Denn jedes Kind hat bei seiner Geburt bereits eine Vergangenheit – und das sogar im doppelten Sinne: eine individuelle und eine menschheitsgeschichtliche. Wie das? Nun: Zum einen wissen wir heute, dass unsere Kinder bereits als Ungeborene sehen, hören und fühlen können und dadurch vielfältige Sinneseindrücke erleben, mit denen sie sich bereits im Mutterleib ein erstes Bild von der Welt machen, in der sie einmal leben werden. Unmittelbar nach der Geburt sind Neugeborene deshalb bereits in der Lage, auf ihren individuellen Erfahrungsschatz aus der Zeit der Schwangerschaft zurückzugreifen, um sich in der Welt zurechtzufinden.

Über diese individuellen Eindrücke hinaus tragen alle Menschenbabys jedoch auch Erfahrungen in sich, die sich im Verlauf der Menschheitsgeschichte tief in die Gene unserer Art eingeschrieben haben. Diese Erfahrungen zeugen davon, welche Verhaltensweisen unseren Kindern seit vielen tausend Jahren dabei geholfen haben, ihre ersten Lebensjahre gesund zu überstehen und zu gesunden, lebenstüchtigen Erwachsenen heranzureifen. Dass diese Verhaltensmuster noch heute in unseren Kindern nachwirken, liegt am Grundprinzip der Evolution: Was sich als Überlebensvorteil bewährt, wird von Generation zu Generation weitergegeben, was sich im Überlebenskampf als hinderlich erweist, setzt sich auf Dauer nicht durch. Und weil die Mühlen der Evolution sehr langsam mahlen – 10 000 Jahre Menschheitsgeschichte sind da nicht mehr als ein Wimpernschlag –, basieren die »Werkeinstellungen« unserer Neugeborenen heute noch zu einem großen Teil auf den Erfahrungen unserer Vorfahren in der Jungsteinzeit.

Die allerersten Kompetenzen unserer Babys beruhen deshalb auf einer Kombination dieser beiden sehr unterschiedlichen Erfahrungswerte. Sie starten ins Leben, gerüstet mit ihren ganz eigenen Erkenntnissen aus den vergangenen Monaten im Bauch und gleichzeitig geprägt von den Survival-Strategien unserer Urahnen.

Mit allen Sinnen bereit für die Welt

Um die Welt um uns herum zu entdecken und zu erfassen, brauchen wir unsere Sinne – und die entwickeln sich bereits im Mutterleib. Als Erstes entsteht der Tastsinn: Das Baby im Bauch nimmt Berührungen wahr und reagiert auf sie. Am empfindlichsten sind dabei anfangs seine Lippen. Berührt es sie zufällig mit der Hand, nimmt es mit seinen nigelnagelneuen Nervenzellen wahr, dass da etwas ist – und öffnet den Mund, um dieses Etwas bereits genauer zu erkunden. So kommt es, dass Ungeborene bereits in der 12. Schwangerschaftswoche im Ultraschall beim Daumenlutschen beobachtet werden können – eine erste wichtige Vorbereitung auf das Leben nach der Geburt, in dem Babys von der Fähigkeit, ausdauernd und kräftig zu saugen, beim Stillen profitieren.

Je weiter die Schwangerschaft fortschreitet, desto weiter breitet sich die Berührungsempfindlichkeit Ungeborener dann vom Lippenbereich über den ganzen Körper aus, bis das Baby etwa in der Mitte der Schwangerschaft mit jeder Stelle seiner Haut spüren kann, was um es herum geschieht. Es beginnt, mit seinen Händen und Füßen zu spielen, die Nabelschnur und die Gebärmutterwände abzutasten, reagiert auf Temperaturunterschiede im Bauch und spürt, wenn Mama oder Papa die Hände auf die Bauchdecke legen. Je nach Tagesform und Temperament gibt es Ungeborene, die auf diese frühe Kontaktaufnahme von außen reagieren, indem sie sich ihrerseits von innen regelrecht in die auf dem Bauch liegende Handfläche hineinkuscheln, während andere Babys sich eher zurückziehen. In beiden Fällen nimmt das Baby den Reiz von außen jedoch wahr und reagiert bewusst darauf. Auch diese frühen Körperwahrnehmungen sind eine wichtige Vorbereitung auf das Leben außerhalb des Mutterleibs: Sie sorgen dafür, dass das Baby nicht zu Tode erschrickt, wenn es jemand nach der Geburt anfasst, und vermitteln bereits dem ungeborenen Kind ein erstes Gefühl für die Möglichkeiten und Grenzen seines eigenen Körpers. Dass sich das Baby auch nach der Geburt an sein Körpergefühl im Bauch zurückerinnert und sich teilweise sogar danach zurücksehnt, lässt sich dabei zwar nicht wissenschaftlich nachweisen, liegt aber nahe: Nicht umsonst entspannen sich viele Neugeborene besonders gut im Wasser sowie in der Enge eines Pucksacks oder Tragetuchs – also unter Bedingungen, die sehr an die vertraute Enge und Schwerelosigkeit aus der Schwangerschaft erinnern. Eng verknüpft mit der Fähigkeit, zu tasten und zu fühlen, ist die Fähigkeit zu schmecken, die Ungeborene ebenfalls bereits sehr früh entwickeln. Die ersten Geschmackszellen bilden sich in der 8. Schwangerschaftswoche, und mit der 15. Woche können Babys mit ihren Geschmacksknospen dann bereits auf unterschiedliche Aromen im Fruchtwasser reagieren, das sie in diesem Alter zu schlucken beginnen. Auch wenn das Kleine seine Nährstoffe noch durch die Nabelschnur erhält, wird es auf diese Weise schon früh in der Schwangerschaft darauf vorbereitet, wie sich Nahrungsaufnahme nach der Geburt anfühlt: nach verschiedenen Geschmacksrichtungen im Mund. Mütter geben also bereits während der Schwangerschaft ihre kulturellen, aber auch individuellen Essgewohnheiten an ihr Baby weiter und prägen so, was den Kleinen nachher schmeckt. Eine Vorliebe für Vanille oder Kümmel, für dies oder jenes lässt sich also tatsächlich bis zu einem gewissen Grad »heranziehen«. Gleichzeitig haben alle Ungeborenen rund um den Globus eine Vorliebe für Süßes: Nimmt eine Mutter werdende süße Lebensmittel zu sich und »zuckert« damit das Fruchtwasser, trinkt das Ungeborene mehr davon, als es normalerweise trinkt. Die evolutionsbiologische Erklärung dafür: In der natürlichen Umgebung, in der unsere Nomaden-Vorfahren nach Nahrung suchten, gehörten süße Früchte wie etwa Beeren zu den sichersten Lebensmitteln, die es überhaupt gab. Denn während etwa Säure oder Bitterstoffe darauf hinweisen können, dass ein Lebensmittel möglicherweise nicht genießbar ist, ist Süßes in der Natur niemals giftig. Sich bevorzugt an süße Lebensmittel zu halten, war unter diesen Umständen also ein ausgesprochen sinnvoller Trick, um das Überleben zu sichern. Die übervollen Süßigkeitenregale unserer heutigen Supermärkte, die ihre ganz eigenen Gefahren für die Gesundheit bergen, hatte die Evolution dabei verständlicherweise noch nicht im Blick. Dass Babys darauf gepolt sind, im Mutterleib besonders gerne süßes Fruchtwasser zu trinken, hat aber noch einen zweiten Grund. Auf diese Weise gewöhnen sie sich gleich schon mal an einen Geschmack, der in den ersten Lebensmonaten der Geschmack ihres Überlebens schlechthin sein wird: an den Geschmack von Muttermilch. Der ist nämlich ebenfalls wässrig-süßlich, und dass Babys ihn mögen, ist existenziell wichtig – schließlich sind sie in der Geschichte unserer Art stets darauf angewiesen gewesen, über mehrere Monate ihren gesamten Kalorienbedarf zum Wachsen und Gedeihen mit diesem einen Lebensmittel zu decken!

Ab der 23. Schwangerschaftswoche kommt für das Ungeborene zum Fühlen und Schmecken auch die Fähigkeit zu hören hinzu: Das Baby nimmt nun alle Geräusche um sich herum wahr und reagiert auf sie. Der Herzschlag seiner Mutter, das Rumoren ihres Magens sowie das Vorbeiströmen ihres Blutes werden zum vertrauten Hintergrundrauschen seines weiteren Heranwachsens, ihre Stimme zum stetigen Wegbegleiter. Je weiter die Schwangerschaft fortschreitet, desto differenzierter hört das Baby. Nach und nach lernt es, auch die Stimmen des Vaters oder älterer Geschwister aus dem Grundrauschen herauszufiltern und von fremden Stimmen zu unterscheiden. In den letzten Schwangerschaftswochen vor der Geburt entwickelt das Kleine dann sogar bereits die Fähigkeit, vertraute Musikstücke von unbekannten zu unterscheiden, verschiedene Tonhöhen auseinanderzuhalten und seine zukünftige Muttersprache anhand der Sprachmelodie wiederzuerkennen. Ein lauter Knall kann es nun ebenso erschrecken, wie es die vertraute Spieluhrmelodie beruhigen kann; es hat also bereits Erfahrung damit, dass unterschiedliche Geräusche unterschiedliche Gefühle auslösen können. All dieses »erhörte« Wissen bringt das Neugeborene schon mit, wenn es auf die Welt kommt. Und das ist enorm hilfreich. Dass das Kleine die vertraute Stimme seiner Mutter unter allen anderen Stimmen erkennt, zeigt ihm: Hier bin ich richtig, hier gehöre ich hin! Dieser Wiedererkennungseffekt erleichtert nicht nur den Aufbau der Mutter-Kind-Bindung, sondern stärkt auch die Mutter in ihrer eigenen Kompetenz, weil sie spürt: Es ist meinem Baby eben nicht egal, wer seine Bedürfnisse befriedigt – es macht bereits einen Unterschied zwischen mir und allen anderen Menschen auf der Welt. Auch das Erkennen anderer vertrauter Geräusche macht das gemeinsame Einfinden im Familienalltag leichter. Neugeborene, die Geschwisterlärm bereits aus dem Bauch kennen, lassen sich davon nicht so leicht aus der Ruhe bringen. Babys, die bereits aus der Schwangerschaft wissen, dass ihr Papa eine tiefe, dunkle Stimme hat, lassen sich davon auch nach der Geburt nicht erschrecken. Darüber hinaus können vertraute Lieder und Melodien aus der Zeit im Bauch Babys ein Gefühl von Vertrautheit und Kontinuität geben – ein wertvolles Geschenk in einer Phase ihres Lebens, in der auf einmal so vieles radikal neu und anders ist, als sie es bisher kannten. Und das klappt nicht nur, wenn die werdenden Eltern ihr Ungeborenes schon ganz bewusst...

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