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Meine Wanderungen und Wandlungen

Vollständige Ausgabe

AutorErnst Moritz Arndt
VerlagJazzybee Verlag
Erscheinungsjahr2012
Seitenanzahl188 Seiten
ISBN9783849604004
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis0,99 EUR
Ein autobiografisches Werk eines der berühmtesten deutschen Schriftsteller.

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Leseprobe

Einleitung.


 

Dies Buch über seine Beziehungen zu dem Freiherrn vom Stein ist wohl eins der besten Bücher, die Arndts Feder entstammen. Es ist, sagen wir es getrost, ein Vermächtnis an die deutsche Nachwelt. Vieles, ja das meiste von der großen Arndtschen Produktion ist vom Strom der Zeit hinweggeschwemmt, aber dieses Denkmal, das er dem Freiherrn vom Stein setzte, ist geblieben. Der Mann, den Arndt hier mit feinfühlender Hand gezeichnet hat, war zu groß, als daß er nicht in der Geschichte des Vaterlandes eine bleibende Statt haben sollte. Plastisch tritt der rasche, feurige, mit dem jähen Geist stets seinen Entwürfen vorauseilende Mann vor uns hin. Wie er war, wie er lebte, wie er dachte, alles das gibt uns hier ein Meister der Feder, ein Mann von unbestechlicher Wahrheitsliebe; ein Erzieher des deutschen Volkes gibt das Bild des Erziehers der deutschen Nation, und wenn wir das letzte Blatt dieses würdigen Buches umgeschlagen haben, so mag es auf unsere Lippen kommen: Er war ein Mann, nehmt alles nur in allem!

 

T.R.

 

 

Meine Wanderungen und Wandlungen


 

 

Das Kometenjahr 1811, welches heute noch durch seinen Wein berühmt ist, leuchtete in dem Sinn der europäischen Menschen und auch in meinem Sinn mit der Erwartung und Hoffnung auf von gewaltigen Entscheidungen und Umwälzungen der Dinge, die da nächstens erfolgen würden. Das kleine und dumme Volk träumte und schwatzte sich mit Ungeheuerlichkeiten von Krieg und Pest müde; die Frommen und die Gescheiten schauten mit sehr verschiedenen Gedanken, Gelübden und Gebeten zum Himmel empor, nicht in ihren Anfängen, aber wohl in ihren Enden der Gebete und Gedanken miteinander einstimmig. Ich, damals ein kleiner Professor in Greifswald, hatte mit vielen Tapfern schon spanische und tirolische Gedanken. Ich empfand und wußte, daß ein sogenanntes allgemeines, alle Welt in Frieden und Faulheit zugleich begrabendes zweites römisches Imperatorenreich, wie der große Attila Europas es verkündigen und weissagen ließ, eine Unmöglichkeit war. Ich hatte zu vielen Zorn und Haß in der Brust; ich wußte, daß gottlob viele, ja die meisten davon noch genug im Herzen trugen: es mußten noch gewaltige Kämpfe kommen. Das große Gewitter im Osten über den polnischen und russischen Sümpfen, Wäldern und Wüsten dunkelte düster am Horizont auf. Ich nahm in diesem Kometensommer des Jahres 1811 Abschied von meiner Stelle in Greifswald, fuhr im Herbst jenes Jahres nach Berlin und holte mir von dem dortigen russischen Gesandten Pässe für Rußland, jenem Gesandten, einem Grafen Lieven, besonders empfohlen durch zwei alte schwedische Stockholmer Gönner und Freunde, durch den General Armfelt, damaligen Statthalter Finnlands, und durch den früheren schwedischen Oberhofmarschall Freiherrn Munck. Mit diesen Pässen hatte ich mich für allen Notfall versehen, und solcher Notfall trat bald ein. Im Winter 1812 ging ich nach Berlin und wartete dort ein paar Monate das näher heranziehende Gewitter ab. Dann ging es nach Schlesien, um von da beim Kriegsausbruche sogleich weiter gegen Osten fliehen zu können. Denn von meinem Napoleon durfte ich mich freilich nicht einholen lassen. Dieser Bruch und Ausbruch kam und fand mich gerüstet. Ich fuhr dann durch Böhmen und Polen gen Moskowien, noch besonders eingeladen von einem großen Vorausreisenden, dem Reichsfreiherrn vom Stein, der, gleich mir, von Napoleon geächtet, durch einzelne meiner Schriften auf mich aufmerksam geworden war. Ich zog nicht allein gegen den Osten, ich, ein armer antinapoleonischer Federheld, der gegen den Gewaltigen nur Gänsespulen wetzte, sondern es zogen viele tapfre Degen aus deutschen Landen, besonders manche preußische Offiziere dahin, um die Glut des gerechten deutschen Zorns gegen den großen Überlister und Dränger der Könige und Völker im welschen Blute abzukühlen. Da half es freilich nicht, es mußte dieser Zorn auch in deutschem Blute, das für Napoleon mitfließen sollte, abgekühlt werden. Napoleon war schon Attila, der die dick zusammengerollten Haufen bezwungener Völker und auch die Scharen deutscher Könige und Fürsten über Oder, Weichsel und Dnjestr mit sich und hinter sich hertreiben ließ. Gegen Ende Augusts des Jahres 1812 stand ich vor dem berühmten Minister Freiherrn vom Stein.

 

Er empfing mich freundlich mit den Worten: »Gut, daß Sie da sind. Wir müssen hoffen, daß wir hier Arbeit bekommen.« Ich sah einen Mann vor mir gedrungenen mittleren Wuchses, schon mit ergrauendem Haar und etwas vornübergeneigt, mit leuchtendsten Augen und freundlichster Gebärde. In bester, getreuester Meinung hatte er mich zu sich gewünscht und gerufen, und ich, wie ich vor ihm stand, schien einem Bilde solches Wohlwollens zu entsprechen. Er empfing mich wirklich mit solcher fröhlichen Zärtlichkeit, als hätten wir uns schon Jahre gekannt, und ich, mit welcher hohen Verehrung ich auch vor den berühmten Mann getreten war, deuchte mir fast wie vor einem alten Bekannten vor ihm zu stehen. Die Jugendblödigkeit des geborenen Plebejers, die auch nie sehr demütig gewesen war, war in dem dreiundvierzigjährigen Mann, der vor dem fünfundfünfzigjährigen Freiherrn stand, schon vor einem Vierteljahrhundert abgerieben und abgeklopft. Ich hatte in großen Hauptstädten schon genug Welttreiben gesehen und war unter Grafen und Baronen und weiland Staatsministern und Fürsten kein Fremdling mehr. Kurz, ich ward auf das allerfreundlichste empfangen und für den nächsten Morgen wieder berufen, um gleichsam meine Anweisung und Einweisung in meine Petersburger Stellung aus seinen Händen überliefert zu erhalten. Ich mußte sogleich mit ihm zu Mittag essen; dann beschied er mich auf den morgenden Vormittag. Ich war im Hotel Demuth abgestiegen, wo er wohnte; wenige Wochen darauf bezog er ein stolzeres, ministerlicheres Palais.

 

Ich ging gerührt und bewegt durch die Haltung, Art und Rede des ritterlichen Mannes in mein eignes Kämmerlein und mußte grübeln über eine Anwandlung von Erinnerungen, wo mir eben die Menschen und Dinge der Erinnerungen nicht kommen wollten. Diese Anwandlung von Erinnerungen und Ähnlichkeiten und meine Grübelei nahm die folgenden Tage noch zu, bis ich es einmal plötzlich hatte und rufen mußte: Fichte! Ja, mein Fichte, mein alter Fichte war es fast leibhaftig: dieselbe gedrungene Gestalt, dieselbe Stirn, die auch bei Fichte zuweilen recht hell und freundlich glänzen konten, dieselbe mächtige Nase bei beiden, nur mit dem Unterschiede, daß dieser mächtige Schnabel bei Fichte in die Welt hineinstieß, als die da noch suchte, bei Stein aber wie bei einem, der sein Festes, worauf er stoßen sollte, schon gefunden hatte. Beide konnten freundlich sein, Stein noch viel freundlicher als Fichte; in beiden ein tiefer Ernst und zuweilen auch eine schreckliche Furchtbarkeit des Blickes, der bei dem Sohn des deutschen Ritters gelegentlich doch viel schrecklicher war als bei dem Sohn des armen Lausitzer Webers.

 

Stein wies mir nun ungefähr die Stellung an, welche ich mit und an und unter ihm haben sollte. Das »Unter« aber hat er niemals gegen mich gebraucht. Über seine Stellung zu dem hohen Zaren sprach er nimmer ein Wort, sondern schloß das kurz mit den Worten ab: »Sie wissen ja, warum und wozu ich hier bin, so gut Sie es wissen, warum Sie so weit nach Osten ziehen gewollt haben. Unsre kleinen Geschäfte werden sich finden.« Und dann nannte er mir das Nächste und die nächsten Personen, welche ich sehen müsse, und bei welchen ich schon angemeldet sei. Ich habe nur hinzugehen und meinen Namen zu nennen. Ihre Namen hießen: der alte Herzog von Holstein-Oldenburg, Graf Lieven, jüngst noch russischer Gesandter in Berlin, Graf Kotschubey, Oberst Arentschild und einige Etcaetera. Hier die Erklärung über dieses Nächste:

 

Wie gesagt, über sein Verhältnis zum Kaiser Alexander, also noch weniger über etwaige Gespräche und Verhandlungen mit ihm hat er außer freundlichem Lobe, welches er dem Selbstherrscher reichlich spendete, fast nie ein Wort mit mir gesprochen. Diese seine Wirksamkeit und Arbeit ist begreiflich immer unter vier Augen geblieben, und von eigenen Taten und Werken erzählte er überhaupt fast nie; in der äußerlichen sichtlichen Stellung aber stand er hier in Petersburg gleichsam als Stellvertreter Deutschlands und der möglichen Entwickelungen und Erfolge und der Vorbereitungen und Rüstungen der Dinge, die sich auf Deutschland beziehen und für Deutschland ergeben könnten, gleichsam ein noch sehr in der Luft oder vielmehr in dem Lichte des Gedankens schwebender deutscher Diktator. In der Ferne schwebte allen uns Deutschen, die noch ein heißes, zorniges Herz für unser Vaterland hatten, die Wiederaufrichtung desselben aus dem Jammer und der Schande, die Vernichtung des scheußlichen Rheinbundes und die Zertrümmerung der französischen Macht vor. In der Nähe, hier in Rußland, fochten unter Napoleons Fahnen wenigstens 150000 Deutsche, seine Soldaten, aus eroberten deutschen Landen ausgehoben, die heranbefohlenen Rheinbundstruppen, endlich die Hilfsscharen Österreichs und Preußens. Es war die Meinung und Hoffnung, wenn das Kriegsglück des gewaltigen Attila etwa wanke, die Herzen dieser über alle Ströme und Wüsten so weit gegen Osten aus der Heimat fortgetriebenen Jünglinge zu erschüttern und sie zu erinnern, daß sie jenseits ein großes Vaterland haben, für dessen Glück und Ehre sie lieber in den Streit gehen sollten, als...

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