Einleitung: Krieg in der Antike
Für viele antike und moderne Beobachter ist das Altertum eine von Krieg und Militär in vielerlei Hinsicht geprägte Epoche. Die Geschichte der Antike von homerischer Zeit (8./7.Jh. v.Chr.) bis zum Tode Kaiser Constantins (337 n. Chr.) kann einem Beobachter durchaus als eine fast ununterbrochene Abfolge von militärischen Konflikten erscheinen. Die Anfänge der europäischen Geistesgeschichte fallen zusammen mit der Ilias des Homer und mithin mit der Schilderung eines langen und blutigen Feldzuges; die antike Historiographie ist über weite Strecken Kriegsberichterstattung, und es lässt sich auch nicht leugnen, dass insgesamt viele Werke der Literatur und der bildenden Kunst in Griechenland und Rom Mord und Totschlag, Kampf und Krieg zum Gegenstand haben. Manche der heute bekanntesten Figuren des griechischen Mythos und der antiken Geschichte wie Odysseus, Alexander der Große, Hannibal und Caesar sind Kriegshelden oder Militärführer gewesen und haben ihre düstere Prominenz auf dem Schlachtfeld gewonnen. In der griechischen und römischen Welt gehörten Krieg und Militärwesen mit verstörender Selbstverständlichkeit zum Dasein, während der Frieden eher ein Ausnahmezustand war. Diesem Gedanken verleiht der Philosoph Platon Ausdruck, wenn er Frieden ein bloßes Wort nennt und das Verhältnis zwischen Staaten von Natur aus als einen unerklärten Krieg bezeichnet.
Die moderne Forschung nimmt dieses Bild der Antike vielfach auf: Sie spricht von der Omnipräsenz des Kriegs, und viele Gelehrte sehen in den antiken Gemeinwesen militarisierte Gesellschaften, in denen militärische Auseinandersetzungen zur Normalität gehörten und die Einstellungen und Lebensweise der Menschen stark beeinflussten. Zahllose wissenschaftliche Untersuchungen befassen sich mit den verschiedenen Facetten des Krieges: Nicht nur militärtechnische, strategische und taktische Fragen werden erforscht oder Schlachten beschrieben, sondern auch der Stellenwert des Kriegs in Gesellschaft und Kultur und die mannigfaltige Beteiligung oder Betroffenheit verschiedener Schichten und Gruppen am Krieg werden zum Thema. Dieser wird als ein Phänomen verstanden, dem sich in der griechisch-römischen Welt niemand entziehen konnte.
Auch in manchen besonders verbreiteten modernen Medien figuriert die Antike, wenn sie überhaupt vorkommt, als eine kriegerische Zeit; Filme wie Gladiator, Caesar und Kleopatra, Spartacus oder jüngst 300 und Comics wie Asterix führen in eine von Soldatentum und Kampf geprägte Welt.
Diese Wahrnehmung findet durchaus ihre Basis in der historischen Wirklichkeit, wie einige wenige Sachverhalte exemplarisch zu zeigen vermögen: In der Tat ist die homerische Welt, soweit wir sie zu erschließen vermögen, von den kriegerischen Idealen des herrschenden Adels geprägt, die nachhaltig auf die folgenden Epochen der griechischen Geschichte einwirkten. Das bedeutendste Gemeinwesen des klassischen Griechenland, die Polis (der Stadtstaat) Athen, soll während der Zeit von 490 bis 322 v.Chr. rund einhundert Jahre Krieg geführt haben; sein Kontrahent Sparta gilt nach wie vor als Inbegriff eines rein auf den militärischen Erfolg ausgerichteten Gemeinwesens. Alexanders Reich und die nachfolgenden hellenistischen Mächte beruhten jeweils auf der militärischen Kapazität ihres Herrschers. Die Römer waren Eroberer und Beherrscher eines riesigen Imperiums, und Roms Gesellschaft gilt deswegen ohnehin als stark militarisiert. So wenig anheimelnd diese Vorstellung auch ist, so müssen wir doch akzeptieren, dass in diesen Staaten jedenfalls der Krieg zum unausweichlichen Alltag der Zeitgenossen gehörte.
Gleichwohl gilt es, diese Feststellung zu relativieren: Dem antiken Krieg waren vielerlei Schranken gesetzt – natürliche, kulturelle, technische, wirtschaftliche, religiöse, politische. Intensität, geographische Reichweite und Dauer von Kriegen waren je nach gesellschaftlichen Voraussetzungen und Situation sehr verschieden; ihre Auswirkungen waren, wenn auch im Einzelfall furchtbar, keineswegs immer von langer Dauer oder für die betroffenen Gemeinschaften besonders tief greifend. Die Chiffre ‹Krieg› deckt zudem ein breites Spektrum von Phänomenen ab, das sich indes eigentlich kaum unter einem einheitlichen Begriff erfassen lässt. Der folgende kurze, chronologisch gegliederte Überblick soll dies näher illustrieren.
Zwar war die frühe griechische Welt, von der Homers Epen erzählen, von Krieg geprägt. Für die Helden, die in dessen Zentrum stehen, war der bewaffnete Kampf ihr wichtigstes Bewährungsfeld im Bemühen, ihre Leistungsfähigkeit (Aristie) unter Beweis zu stellen. Meistens hat es sich bei diesen Aktivitäten allerdings nicht um veritable Kriege unter gefestigten Gemeinwesen gehandelt, sondern um Raubzüge und Nachbarschaftsstreitigkeiten nur schwach und spontan organisierter Gruppen. Man stritt um Vieh, Ernteerträge und Äcker, es ging um Ehre, Prestige und Abenteuerlust, man wollte die eigenen Ansprüche und Vorstellungen von Gerechtigkeit durchsetzen. Wehrhaft zu sein bedeutete, sich der Bewohner des Nachbartals erwehren zu können; Krieg blieb eine lokale oder allenfalls regionale Angelegenheit. Sein Träger waren private Banden, die sich unter der Führung eines charismatischen, zumindest aber energischen Adligen zusammenfanden. Die demographischen, wirtschaftlichen und organisatorischen Ressourcen reichten für größere Feldzüge nicht aus. Der sogenannte Troianische Krieg, der im Zentrum der Ilias steht, scheint eine mythische Reminiszenz an die mykenische Zeit (16.–12. Jh. v. Chr.) gewesen zu sein, als in Griechenland und auf Kreta größere, wohl monarchisch beherrschte Gemeinschaften existierten, die die Kapazität besaßen, tatsächlich weiter ausgreifende Kriege zu führen. Erst als sich in Griechenland die poleis als Bürger-, Wehr- und Kultgemeinschaften mit städtischem Charakter entwickelten, wuchs auch die Dimension der gewalttätigen Auseinandersetzungen, und es entstanden öffentliche militärische Strukturen, die eine gewisse Dauerhaftigkeit aufwiesen.
Im Vergleich zu späteren Epochen blieb die archaische Zeit (7. u. 6. Jh. v. Chr.) dennoch vergleichsweise friedlich, jedenfalls ist von weitreichenden und lang andauernden Kriegen wenig bekannt, und die Domestizierung der adligen Privatkriege gelang zwar nicht vollkommen, aber sie machte Fortschritte. Selten ging es um die völlige Unterwerfung oder gar um die Vernichtung eines Gegners. Eine folgenreiche Ausnahme waren die messenischen Kriege (8./7. Jh. v. Chr.), an deren Ende die Eroberung der südwestpeloponnesischen Landschaft Messene durch die Spartaner stand. Sie erstreckten sich über mehrere Jahrzehnte und ihr Ergebnis gab dem Sieger die Mittel an die Hand, sich zur stärksten Militärmacht Griechenlands zu entwickeln. Im Übrigen war der Preis des Sieges eher Beute, Ehre und Prestige. Übernahme des Gebietes des Gegners oder gar dessen Vernichtung waren – anders als im spartanisch-messenischen Konflikt – höchst selten. Eine gut befestigte Stadt zu erobern überforderte die meisten Armeen, da sie kaum über wirksame mauerbrechende Waffen verfügten und die Belagerungstaktik nicht zum üblichen militärischen Repertoire gehörte.
Lange Zeit blieben Kriege zudem nicht nur in ihrer Dimension, sondern auch in ihrer Dauer durch die Natur, konkret durch die Jahreszeiten beschränkt. Es gehörte zu den Usancen, dass nur während einer bestimmten Saison Krieg geführt wurde, und zwar im Allgemeinen im Spätfrühjahr und im Sommer, oft in der Zeit zwischen Aussaat und Ernte, oder aber im Herbst in der Zeit nach der Ernte. Krieg war also selten eine Ganzjahreserscheinung; insbesondere in der schlechten Jahreszeit – im Winter also – führte man nur höchst ungern Krieg. Das galt sowohl für den Land- wie für den Seekrieg. In letzterem Falle liegt der Grund für die Zurückhaltung auf der Hand: Wind und Wetter, die im Winter im Ägäisgebiet sehr rau werden können, machten ein sicheres Navigieren – zumal mit den beschränkten nautischen Möglichkeiten in der Antike – sehr schwierig bis unmöglich. Das legte dann auch das Kriegsgeschehen auf dem Meer lahm. Die grundsätzlich saisonale Kriegführung zu Lande hingegen war nicht nur von der jahreszeitlichen Unbill abhängig, sondern wurde viel eher von der Zusammensetzung der griechischen Heere bestimmt. Mit der Ausnahme von Sparta bestanden die griechischen Landarmeen vorwiegend aus Milizsoldaten und mithin aus Bauern. Diese Bauern konnten es sich in den wenigsten Fällen erlauben, ein ganzes Jahr ihre Höfe zu verlassen, und selbst nur den ganzen Sommer dranzugeben, war nicht opportun, weil in dieser Jahreszeit der Bauer als Landwirt besonders gefordert war. Hinzu kommt, dass die Logistik griechischer Heere, also die Organisation der Versorgung, nicht sehr hoch entwickelt war. Besonders im Winter, wenn nichts mehr geerntet werden konnte und die Nahrungsmittel knapper wurden, bereitete der Nachschub einige Schwierigkeiten. Eine Kampagne dauerte folglich selten länger als ein paar Wochen, und sie gipfelte im Allgemeinen in einer Schlacht, die den Krieg entschied. Die bevorzugte Kriegstaktik war gewiss nicht der Kampf von Mann gegen Mann, wie er sich in einer...