3 Leader 2.1 – Idealbild eines
Leaders von morgen
„Gib mir einen Hebel, der lang genug ist,
und ich bewege die Erde mit einer Hand.“
Archimedes (285–212 v. Chr.)
Wie sieht das Idealbild eines Leaders von morgen aus? Aus welchem Holz sollte er geschnitzt sein? Und was bedeuten diese Anforderungen für ihn? Welche Ansprüche werden an Leader von morgen gestellt und wie können die Kernkompetenzen eines Leaders erworben werden?
Wenn der Hebel nur lang genug ist, d. h., wenn die Kernelemente des Leaderships gut genug angeeignet werden, steht der Wirksamkeit von Führung nichts mehr entgegen. Leadership ist jedoch nicht im traditionellen Sinne durch reine Theorie vermittelbar, daher sprechen wir auch von der Aneignung, d. h. von einer Verinnerlichung von Inhalten, die wir uns zu eigen machen. Leadership kann erlernt werden, wie beispielsweise Musikinstrumente oder das Dirigieren erlernt werden können. Mit Interesse und Übung kann das nahezu jeder Mensch. Mit Ausdauer und Konsequenz kann sogar ein hohes Maß an Professionalität erreicht werden. Geborene Talente können dies bis zur Virtuosität steigern. Und so, wie unsere Musikschulen routinierte Musiker hervorbringen, werden durch die Ausbildung von Leadership-Fähigkeiten Grundzüge auf fundiertem Niveau erlangt. Diese Basis wird erweitert durch individuelle Einstellung, Persönlichkeit, die Art zu denken, Zugänge und Werthaltungen. Das Gesamtergebnis dieser Entwicklung ist gelebtes Leadership; herausgebildet aus Selbstführung und mit der Zielsetzung, für die Führung von Menschen verantwortlich zu zeichnen.
Leadership ist demzufolge keine Tätigkeit, wie das Erledigen einer Aufgabe, sondern eine Lebenshaltung im Sinne der Summe persönlicher Einstellungen und Werthaltungen. Daraus erwächst die Tätigkeit des Führens sowie der Blickwinkel auf die Welt, auf zu lösende Aufgaben und zu bewältigende Situationen.
Leadership – Lernen durch Handeln
Wie in Seminaren und Workshops seit Jahren gezeigt wird, ist das Aneignen von Grundkenntnissen und von fortgeschrittenem Know-how des Leaderships nicht nur den sogenannten Naturtalenten vorbehalten. Jeder und jede kann sich eine fundierten Basis an Leadership-Rüstzeug zu eigen machen; um mit entsprechenden Kenntnissen, mit Ausrüstung und Hilfsmitteln ausgestattet, in seiner Führungspraxis kontinuierlich sicherer, kompetenter und damit erfolgreicher zu werden. Der Weg des Erwerbs von Leadership-Qualitäten ist ein Prozess des Erfahrungslernens. Das sprichwörtliche Learning by Doing stellt dabei den Hauptpfad dar, die zu wählende Idealroute zum Gipfel. Das Learning by Doing, das Lernen durch Handeln, ist kein beliebiges Experimentieren im Sinne einer Methode von Versuch und Irrtum. Lernen durch Handeln ist mehr als bloßes Probieren, es basiert zunächst auf Grundkenntnissen. In bestimmten Situationen und beim Lösen konkreter Probleme werden diese Fähigkeiten in weiterer Folge erweitert und gleichzeitig verfeinert. Der Lerneffekt entsteht im Zuge des Tuns innerhalb realer Projekte und deren Abläufen.
Als plastisches Beispiel für das Learning by Doing seien die verschiedenen, bestens bekannten Handwerksberufe genannt. In den meisten dieser Berufe ist die Komponente des Tuns von der ersten Minute der Lehrlingstätigkeit an bereits wichtig, oftmals sogar dominant. Die Auszubildenden werden zumeist nur kurz mit der Theorie des bestimmten Faches konfrontiert und danach sogleich an die konkrete Tätigkeit herangeführt. Die Theorie führt demzufolge nur kurz in die Materie ein und tritt danach in die Rolle der Begleiterin zurück. Ein Beispiel: Das Handwerk des Kochens basiert auf dem Wissen hinsichtlich der Grundprodukte, Lebensmittel und technischen Zubereitungsweisen. Wirklich erlernt wird es jedoch nur durch eigenhändiges Kochen. Die begleitende Theorie verhilft dem Fortschritt des Lernens durch Handeln über das Erkennen von Zusammenhängen, zu rascheren Abläufen, zu höherer Präzision und zu mehr Vielfalt.
Was für das Erlernen der zahlreichen Handwerke gilt, ist ebenso für die erwähnte Musik gültig und auch für eine Vielzahl anderer Lebensbereiche, wie etwa die sportliche Betätigung. In allen diesen Sparten besteht – unter Berücksichtigung der jeweiligen Besonderheiten – der Mechanismus des Learning by Doing. Dass nämlich Instrumente durch Spielen, der Gesang durch Singen und der Sport durch tausendfach wiederholte Bewegungsabläufe erlernt werden. Leadership wird erlernt durch tätiges Bewältigen von Situationen, in denen Führung geschieht: Durch Situationen und Problemstellungen, in denen die Anforderungen Leadership-Eigenschaften zu zeigen und einzusetzen, plötzlich entstehen, d. h. auf einmal vor der betreffenden Person stehen.
Leadership ist auch nicht nur als Bezugnahme auf andere Menschen zu verstehen, es ist mehr als bloß nach außen orientiertes Führen. Leadership beginnt bereits beim jeweils eigenen Handeln, bei der Selbstführung und der Reflexion dieser Selbststeuerung. Erst aus dieser Selbstkompetenz und den im Rahmen der Selbstführung gemachten Erfahrungen können diese auch gerichtet auf ein Gegenüber angewendet werden. Leadership ohne jegliche Selbstführung wäre reduziert auf die bloße Verteilung von Befehlen. Der Leader hat jedoch auch sich selbst stets in Bezug zu den von ihm Geführten zu setzen. Dabei hat er sich auch darüber klar zu werden, worin seine Werthaltungen und Grundsätze bestehen, nach denen er sein Führungsverhalten gestaltet.
Abbildung 3: Leadership und Selbstführung7
Ebenso kann der Leader im Prozess der Selbstführung klare Aussagen darüber treffen, was er mit seiner Persönlichkeit und seinen Verhaltensweisen zu bewirken in der Lage ist; und auch, was er mit seiner Führung erreichen will. Erst ein Bewusstsein hinsichtlich der Selbstführung ermöglicht es dem Leader seine Führungsarbeit zu gestalten, die Aufgabenverteilung an seine Mitarbeiter zu planen und zielgerichtet umzusetzen. Im Prozess der Selbstführung erkennt er auch, welche Verhaltensweisen er selbst an den Tag legt und wie die Rolle des Leaderships mit seiner Persönlichkeitsstruktur in Einklang steht.7
7 Quelle: Eigene Darstellung
Leadership basiert auf einer freiwilligen Gefolgschaft der Geführten, wodurch automatisch sowohl die Vorbildwirkung als auch das Vorleben durch den Führenden nötig werden. Leader sind Kommunikatoren, die visionär sind und es verstehen, Unternehmensziele nicht nur zu entwickeln, sondern diese auch selbst mitzutragen und zu kommunizieren. Dabei bedeutet Kommunikation keine Einwegkommunikation der Mitteilung von zu erreichenden Unternehmens-, Bereichs- oder Abteilungszielen. Die Kommunikation eines Leaders besteht sowohl aus einer richtungsweisenden Mitteilung an seine Mitarbeiter als auch aus der Aufnahme von deren Feedback an ihn. Aus dieser Interaktivität entsteht jene positive Beziehung durch Leadership, welche optimale Ergebnisse möglich macht: 8
8 Quelle: Eigene Darstellung
Abbildung 4: Kommunikationsgegensatz: Manager und Leader8
Wie grafisch dargestellt, werden Visionen und Kernwerte des Unternehmens im ersten Fall durch den Manager von oben nach unten dekretiert, im zweiten Fall lebt der Leader diese Kernwerte und Visionen vor. Im Vorleben der Werte und Haltungen geht er nicht nur mit gutem Beispiel voran, sondern wirkt gegenüber seinen Mitarbeitern auch verantwortungsvoll und glaubwürdig. Er übernimmt Führungsverantwortung, pflegt und ermutigt offene Interaktion, d. h. emotional-intelligente Kommunikation in beide Richtungen. Viele hervorragende Ideen wurden in der jüngeren Wirtschaftsgeschichte bereits im Keim erstickt, nur weil sie nicht entsprechend kommuniziert wurden. Die glaubwürdige Vermittlung der Kernaufträge des Unternehmens durch den Leader hat demgegenüber die Funktion, die Mitarbeiter tatsächlich „an Bord“ zu holen und mit diesen nicht nur an einem Strang, sondern auch in dieselbe Richtung zu ziehen. Dies wird jedoch nur erreicht, wenn die Mitarbeiter sich vonseiten des Leaders tatsächlich „an Bord“ geholt fühlen. Letzteres ist ein Aspekt, der ganz besonders auf die Generationen Y und Z zutrifft, wie nachfolgend erläutert wird.
Ein kurzer Blick in eine mögliche Zukunft
Die Unterschiede zwischen Managern und Leadern von morgen lassen sich nicht bloß an zwei oder drei Punkten festmachen. Gestern, heute und morgen führten und führen Manager Unternehmen aller Größenordnungen. Manche dieser Organisationen werden jedoch ins Hintertreffen geraten und von jenen überholt werden, deren Führungspersönlichkeiten die Konzepte des Leaderships verstehen und dessen...