WER EINMAL ALS DER GRÖSSTE Schleimer aller Zeiten in die Weltgeschichte eingehen wird, kann ich nicht beurteilen, da müsste man einen gelernten Historiker befragen, aber ein würdiger Anwärter ist auf jeden Fall der John F. Kennedy, der sich in Berlin allen Ernstes hingestellt und gesagt hat: »Ich bin ein Berliner!« Großer Jubel natürlich, eh klar, weil so etwas fährt den Eingeborenen auf der ganzen Welt ein wie ein Fieberzapferl. Dabei hat der gute Mann in Summe vielleicht fünf Tage von seinem Leben in Berlin verbracht. So etwas finde ich unehrlich. Wenn ich selber dagegen sage, dass ich ein Münchner bin, dann ist das keine Schleimerei, sondern das ist via Zweitwohnsitznachweis behördlich einwandfrei belegt: Ja, tatsächlich, ich bin ein (Teil- bzw. Gleitzeit-)Münchner!
Wieso, ist easy erklärt: Bekannterweise bin ich ein großer Freund des Bieres sowie der Geselligkeit und also des Oktoberfestes, der sogenannten Wiesn, und so verbringe ich schon seit vielen Jahren ganze drei Wochen im Jahr (plus ein bisschen Regenerationszeit) an der schönen Isar. Irgendwann bin ich dann draufgekommen, dass ich mir um das, was drei Wochen im Hotel Bayerischer Hof kosten, locker auch schon eine schöne Junggesellenwohnung im Glockenbachviertel leisten kann – genauso eine, wie sie der von mir so bewunderte Freddie Mercury über etliche Jahre besessen hat. Und gleichzeitig habe ich damit meine künstlerischen Einnahmen gut angelegt, weil so eine Münchner Immobilie ist sehr wertbeständig. Im Bayerischen Hof kannst du außerdem das Pech haben, dass du die Thomas-Gottschalk-Suite erwischst, eine rein baulich sehr hübsche Zimmerflucht, die der gleichnamige Showmaster allerdings ganz nach seinem Geschmack eingerichtet hat. Und obwohl ich sagen muss, dass ich die Outfits vom Gottschalk bei Wetten, dass …? immer sehr anregend gefunden habe, aber ein Hotelzimmer im selbigen Design, da speibst du dich an. Und das meine ich jetzt nicht im übertragenen Sinn, sondern ich erinnere mich da ganz konkret an Situationen, wo mir, zusätzlich zu einer Überdosis Weißbier, der Gottschalk-Style einfach ein bisschen viel geworden ist.
Das ganz spezielle, ich sage einmal: Seelenleben des Münchners spiegelt sich gut in dem Spruch Mia san mia wider, den sich mittlerweile sogar die Spieler vom FC Bayern auf ihre Leiberl draufgestickt haben. Das drückt doch eine gewisse Selbstsicherheit aus. Und mit Selbstsicherheit meine ich nicht einfach ein stolzes und souveränes Auftreten, sondern dass man sich – quasi ganz wörtlich – sicher ist, dass man man selbst ist. Weil das kann man nicht einfach so voraussetzen. Mir selber passiert es zum Beispiel manchmal, dass ich auf der Bühne stehe und mir denke, öha, was treibe ich da überhaupt? Was ist das für ein komischer Beruf, den ich da ausübe?! Wieso jubeln diese vielen Leute mir zu und nicht vielleicht dem Kellner da hinten? Nur weil ich gut singen kann? Klar, das ist eine super Leistung, die ich da bringe, keine Frage, aber ist es nicht auch eine herausragende Leistung, wenn einer ein Weißbier gut einschenkt? (Ich kenne genug Leute, die daran schon gescheitert sind! Menschen mit Universitätsabschluss!) Und so zweifle ich dann dahin. Das ist, wie wenn du ein Wort ganz oft hintereinander sagst – dieses Phänomen kennt ja ein jeder –, und auf einmal weißt du nicht mehr, was es eigentlich heißt. Wenn du dagegen zu jedem Zeitpunkt weißt, dass mia auf jeden Fall mia sind, dann brauchst du da nicht lang sinnieren.
Möglicherweise hängt es auch mit dieser Selbstsicherheit zusammen, dass das Münchner Publikum europaweit das Anstrengendste ist. Keine Übertreibung: Du hast in München immer ein paar undisziplinierte Hansln dabei. Die Hälfte aller Konzertabbrüche, die ich meiner Karriere tätigen habe müssen, habe ich in München getätigt. Klar: Das von der Wiesn geschulte Publikum scheißt nicht lang herum. Wenn du da einmal nicht aufpasst, dann segelt dir schon ein Bier entgegen, das ist direkt lebensgefährlich. Wobei natürlich schon auch einmal Gegenstände in die entgegengesetzte Richtung fliegen können. Logisch, ich stelle mich ja nicht auf die Bühne, damit ich mich pflanzen lasse. Wenn wer einen Wickel will, dann kriegt er seinen Wickel.
Meiner qualifizierten Schätzung nach hat sich der Freddie Mercury seinen Bayern-Gusto geholt, wie er mit den Queen ein paar Platten in den Münchner Musicland Studios aufgenommen hat, mit dem Reinhold Mack als Producer: die Game (1980) und die Hot Space (1982) komplett, plus Teile von der Works (1984) und von der Kind of Magic (1986). Außerdem seine Solo-Scheibe Mr Bad Guy (1985). Das hat ihm so getaugt, dass er sich gleich eine kleine Wohnung gecheckt hat. In der Hans-Sachs-Straße, wer’s kennt.
Übrigens haben in den Musicland Studios nicht nur die Queen ein paar von ihren größten Hits eingespielt, sondern auch noch viele andere Größen aus dieser goldenen Ära der Rockgeschichte: die Stones, die Zeppelin, der Meat Loaf. Lauter Welt-Produktionen Made in Bavaria, wo man sich als Österreicher direkt leid sieht, weil in Wien haben gerade einmal die U2 eine B-Seite aufgenommen, im Jahre Schnee. Und ganz ehrlich: Was ist denn bitte schon der U2-Bono im Vergleich zu einem Mercury! Ich meine, es gibt ja Leute, die die Queen nicht mögen, weil das ist ihnen zu künstlerisch, und am Bono (oder auch am Bruce Springsteen) schätzen sie das ernsthafte, das erdige Element. Geh bitte! Wenn ich etwas Erdiges will, dann setze ich mich auf einen Bagger und hebe eine Künette aus! Ich meine, bitte nicht falsch verstehen, an meinem Installateur schätze ich diese Art sehr, aber auf einer Bühne brauche ich das echt nicht.
Eine andere Band, die etliche geniale Alben in München, genauer: in Bogenhausen, aufgenommen hat, ist das Electric Light Orchestra. Dazu hat mir der Doktor Summer vom Bayerischen Rundfunk eine interessante Geschichte erzählt. Weil ihr kennts ja sicher vom ELO das Don’t bring me down, ihren größten Hit, wo sie im Refrain singen, »Don’t bring me doooo-owwwn …« – und dann kommt ein Wort, von dem keiner weiß, was es heißt. Und da hat irgendein Engineer = Kabelzieher von den Musicland Studios, der damals dabei war, dem Doktor Summer erzählt, dass der Jeff Lynne da einfach ein Wort eingebaut hat, das er in München dauernd auf der Straße gehört hat, und wo er den Klang so witzig gefunden hat, nämlich das Wort Griass – wie in Griass Gott!
Leider leider leider gibt es das Musicland heute nicht mehr, sonst wäre ich natürlich eh längst schon einmal hingepilgert, zum Ahnenforschen, oder gleich zum Recorden. Aber, Vollschas, das geht nicht mehr. Gut zwanzig Jahre, nachdem es der Schorschi Moroder aufgesperrt hat, haben sie das Studio abgerissen und das Sheraton Hotel Munich Arabellapark hingestellt stattdem. Gut, wenn sie meinen. Ich sage, schade drum.
Ein bisschen leichter tut sich der Historiker, wenn er nachempfinden will, wie der Freddie Mercury in München so Party gemacht hat. Weil der Freddie war ja bekannterweise ein sehr »sozialer« Mensch, von dem her gibt es da einiges. Das Old Mrs Henderson in der Rumfordstraße zum Beispiel, wo er legendär seinen 39. Geburtstag gefeiert hat, mit den Frankie goes to Hollywood als Partyband – nachzusehen im Video zu Living on my own. Leider heißt das Mrs Henderson mittlerweile Paradiso und ist eine eher gespritzte Hütte. Was dort ein Bier kostet, das wollt ihr gar nicht wissen. Man man kann aber immer noch ins Pimpernel oder in den Ochsengarten schauen, zwei vom Freddie ebenfalls hoch geschätzte und quasi im Originalzustand erhaltene Lokale, dort ist immer eine leistbare Gaudi. Aber Achtung: Im Ochsengarten gibt es einen strengen Leder-Dresscode, da lassen sie dich nicht einmal mit einer engen Stonewashed-Jean hinein! Ist aber kein Problem, weil in München kann man eh an jeder Ecke Lederhosen kaufen.
Einmal war ich mit ein paar Vertretern von der Allianz-Versicherung unterwegs – die trinkfreudigste Menschengattung überhaupt –, die haben zu fortgeschrittener Stunde zu mir gesagt: »Du, Fred, das wird dich interessieren: In der Nähe vom Viktualienmarkt gibt es eine Boazn« – so sagt der Bayer kurioserweise zu einem Tschecherl – »wo der Freddie oft drinnen war, regelmäßigst sogar, und das Beste ist: Die Kellnerin ist immer noch dieselbe wie damals.« Na, eine solche Zeitzeugin interessiert mich natürlich hochgradig, das lasse ich mir nicht entgehen. Und Durst habe ich eh auch noch gehabt.
Beim Hineingehen stechen mir sofort ein paar Fotos vom Freddie ins Auge, mit der Barbara Valentin am Schoß, was mich recherchemäßig natürlich voll motiviert. Wie mir die Kellnerin mein Weißbier bringt, frage ich sie gleich, ob denn der Freddie öfter da war, was der Freddie so für ein Mensch war, ob der Freddie gerne Bier getrunken hat, wie viel der Freddie vertragen hat, ob der Freddie Soletti gekiefelt hat oder Erdnüsse, ob er zu Fuß oder mit dem Taxi gekommen...