1 EINLEITUNG
Der Thematik Beschaffung kommt im Bereich der Wirtschaftsteilnehmer eine besondere Bedeutung zu. Deren Einkaufsabteilungen sorgen dafür, dass die Rohprodukte dem Herstellungsprozess in möglichst geringem Kostenumfang zur Verfügung gestellt werden, damit der Endpreis für den späteren Kunden1 möglichst niedrig ausfällt, um bei ihm eine für das Unternehmen positive Kaufentscheidung anzustoßen.
Die öffentliche Verwaltung verfügt im Gegensatz dazu im Regelfall über keine Anlässe, Produkte auf dem Markt zum Verkauf anzubieten. Das mag im Vergleich zur Wirtschaft einer der Gründe dafür sein, dass im behördlichen Ablauf die Thematik Beschaffung bislang nur eine untergeordnete Rolle spielt. Ein weiterer Grund könnte die „von Rechtswegen verordnete“2 Maßgabe zur sparsamen Haushaltsführung sein. Kritiker bemängeln, dass dies in der Vergangenheit bei den Bedarfsstellen die Auffassung erzeugte, nur wenig Haushaltsmittel ausgeben und sich nicht alles „leisten“ zu dürfen. In der Folge ist es demnach vorgekommen, dass Bedarfsstellen tatsächlich nicht diejenigen Materialien erhalten haben, die sie sich gewünscht hätten bzw. die sie für ihre Arbeit als notwendig erachtet haben. Mit Blick auf „die Wirtschaft“ mag seitens der Kritiker so manches Mal ehrfürchtig davon gesprochen worden sein, dass diese sich ja „alles leisten“ und deshalb auch "viel besser ihren Job“ machen könne. Die Kritik verkennt dabei, dass die Beschaffung der richtigen Produkte auch in der öffentlichen Verwaltung möglich ist.
Wie sich eine sparsame Haushaltführung und eine wirtschaftliche Beschaffung so durchführen lassen, dass die Bedarfsstellen letztlich auch das bekommen, was sie „wollen“ und benötigen, soll dieser Leitfaden für die Bedarfsstellen, Entscheidungsträger und Studenten der öffentlichen Verwaltung aufzeigen.
1.1 DAS FALSCHE GÜNSTIG ZU KAUFEN IST IMMER NOCH ZU TEUER!
Die Durchführung von Beschaffungsmaßnahmen stellt sich offensichtlich sowohl für Wirtschaftsteilnehmer als auch für öffentliche Auftraggeber als schwierige Angelegenheit dar. In der praktischen Arbeit fällt auf, dass oftmals die Zeit, bis ein Beschaffungsgegenstand die anfordernde Bedarfsstelle erreicht, als zu lange bemängelt wird. Vielfach werden die „Schuldigen“ im Vergaberecht identifiziert und bei denjenigen, die diesem Rechtzweig Geltung verschaffen wollen. Ihnen wird zuweilen vorgeworfen, sich bürokratisch verhalten zu haben und teilweise sogar die Beschaffungen und damit das Arbeiten der Bedarfsstellen zu behindern. Bei besonders großem Ärger wird durchaus auch davon gesprochen, dass die Behinderung bewusst vorgenommen worden sei.
Den so Angesprochenen fällt es regelmäßig schwer, die Vorwürfe nachvollziehen zu können, haben sie sich doch aus ihrer Perspektive an die geltenden Vorschriften gehalten und dabei sogar noch ein schnelles Verfahren ermöglicht. Aber anstatt eines Lobes für die geleistete Arbeit, erhalten sie eher Kritik bzw. wenig „Gegenliebe“.
Ebenso wird bei Betrachtung aktueller Veröffentlichungen die Thematik Nachhaltigkeit seitens der Beschaffungsspezialisten und Bedarfsstellen noch immer eher als kritisch bewertet. Die Berücksichtigung zusätzlicher Aspekte, die nicht unmittelbar mit der Bereitstellung des benötigten Beschaffungsgegenstands zu tun haben, seien mit „entbehrlichem“ Zusatzaufwand verbunden, den vielbeschäftigte Organisationen eher vermeiden möchten, um mehr Zeit für die „eigentliche“ Arbeit zu haben.
Der Autor war sowohl langjähriger Projektleiter in der Informationstechnik des öffentlichen Dienstes und damit Kunde von Beschaffungsorganisationen, als auch selbst Leiter einer der zentralen Beschaffungsstellen, die mit übergreifenden Befugnissen ausgestattet war und komplexe Verfahren durchgeführt hat. Mit dieser Erfahrung und den dabei gewonnenen Perspektiven versucht er sich in dieser Arbeit den Vorwürfen zu nähern, den Bedarfsstellen einen Einblick in die Strukturen der Beschaffung zu verschaffen und ihnen Ansätze für eine erfolgreiche Vorbereitung und Beteiligung am Verfahren zu vermitteln. Den Bedarfsstellen sollen Handlungsoptionen für die Praxis an die Hand gegeben werden, damit sie „Klippen erkennen und umschiffen“ können.
Dabei versucht der Autor herauszustellen, dass beide Seiten (sofern sie denn als solche zu bezeichnen wären), also die Beschaffungsstellen und deren „Umfeld“, eine erfolgreiche Beschaffung nur gemeinsam und arbeitsteilig durchführen können. Denn, selbst wenn das „Falsche“ günstig einzukaufen wäre, bleibt es in der Gesamtbetrachtung doch das „Falsche“. Um fehlerhafte Beschaffungen zu korrigieren, muss Aufwand erbracht werden und das "Richtige" muss ebenfalls beschafft werden.
Deshalb ist das „Falsche“ günstig zu kaufen immer noch zu teuer!
Die Arbeit versucht darzulegen, was als „falsch“ zu bezeichnen wäre, woraus sich die „Erkenntnis“ des „Falschen“ ableiten lässt und welche Gegen- bzw. Verhinderungsstrategien denkbar und umsetzbar sind.
1.2 SIND RECHTSVORSCHRIFTEN EIN DILEMMA?
Der Begriff „Bürokratie“ hat seit seiner Entstehung damit „zu kämpfen“ Akzeptanz zu finden. Geprägt hat ihn Vincent de Gournay, der die Regelungen des Staates als Belastung anprangern wollte und dazu den Begriff „bureaucratie“ bzw. die „Macht der Schreibtische“ erfand. Diesen Ruf konnte die Bürokratie nicht ablegen, denn viele „Nachfolger“ von Vincent de Gournay hatten ebenfalls Schwierigkeiten in der Bewertung der hierarchischen Regelwerke des Staates, so dass sich diese Sichtweise bis zur Neubewertung durch Max Weber gehalten hatte.
Der Soziologe Max Weber brachte eine neue Sichtweise ein, indem er die Bürokratie als treibenden Faktor des Staates beschrieb. Er zeigte auf, dass die Trennung von Amt und Person zur Objektivität führen wird und die Dokumentation von staatlichem Handeln sowie verbindliche Regeln die „Ausführenden“ des Staates überprüfbar macht. Weber sah aber bereits voraus, dass sich gerade die Regeln als Schwachpunkt herausstellen könnten. Immerhin entzieht sich der Erfolg verbindlicher Regeln naturgemäß der Voraussicht ihrer Schöpfer, denn nicht alle Lebenssachverhalte sind vorhersehbar. Der beabsichtigte Zweck einer Vorschrift kann sich bei ungünstigen Bedingungen sogar ins Gegenteil umkehren3.
Abbildung 1: Die Problematik unbestimmter Rechtsbegriffe (Laux, 2011)
Um diese Problematik zu berücksichtigen, werden in Rechtsnormen sogenannte „unbestimmte Rechtsbegriffe“ eingefügt. Sie sollen Flexibilität für künftige Entwicklungen geben, bis die Rechtsvorschrift angepasst werden konnte. Die rechtssichere Auslegung dieser Rechtsbegriffe erfolgt durch die Rechtsprechung (siehe Abbildung 1).
Dies führt allerdings wieder zur nächsten Problematik. Denn bis es zur Rechtsprechung gekommen ist, müssen die Rechtsanwender die Rechtsbegriffe selbst auslegen. Ist die Rechtsprechung dann verfügbar, lässt sich die Auslegung von allen Beteiligten danach ausrichten.
Die mangelnde Flexibilität der Rechtsvorschriften geht vor allem zu Lasten der Verwaltungsmitarbeiter. Sie befinden sich in einem Dilemma, denn sie haben dem bestehenden Recht Geltung zu verschaffen und nicht zu interpretieren, ob eine Vorschrift möglicherweise zu einem unwirtschaftlichen Ergebnis führen kann. Insofern orientiert sich das in der Verwaltung praktizierte Wissensmanagement eher an juristischen als an betriebswirtschaftlichen Aspekten.
Die öffentliche Verwaltung prüft den anstehenden Sachverhalt und sucht nach der vorgeschriebenen Vorgehensweise in der anzuwendenden Rechtsnorm. Und gerade hier hat die Bürokratie ihre Vorteile, denn in einer bürokratisch handelnden Verwaltung kommen Aspekte „nur dann“ zur Beachtung, wenn es dafür eine anzuwendende Rechtsnorm gibt. Flexibilität bedeutet aber letztlich das Abweichen von den vorgegebenen Normen, was mit einer Reduzierung von Nachvollziehbarkeit und Berechenbarkeit einhergeht. Wer aber eine „überzogene“ Flexibilität in einer Bürokratie fordert, der akzeptiert gleichzeitig, dass Sachverhalte nicht mehr gleichartig sachorientiert betrachtet werden und lässt somit eine Ungleichbehandlung zu. Aber gerade die Gleichbehandlung ist ein wesentliches Grundprinzip, dessen Durchsetzung vom Staat erwartet werden kann und muss. Darauf ist die Rechtsanwendung ausgerichtet.
Weiterhin erfordert es Zeit Bürokratie zu betreiben. Wer ein rechtlich umfassend beleuchtetes Ergebnis erzielen möchte, muss alle in Frage kommenden Rechtsnormen prüfen und analoges Verhalten in vergangenen Fällen analysieren. Je mehr Rechtsnormen zur Verfügung stehen, desto mehr Zeit ist einzuplanen. Eine Reduzierung des Prüfaufwands führt zur Beschleunigung, aber auch zum Qualitätsverlust.
Insoweit sollten die Berücksichtigung von Rechtsnormen und der dafür erforderliche Zeitaufwand nur bei deren Unkenntnis oder mangelnder Beherrschung als Dilemma zu sehen sein.
Das Vergaberecht stellt einen zentralen Bestandteil der öffentlichen Beschaffung dar. Es zu beherrschen ist zweifelsohne ambitioniert, aber es ist unumgänglich, sich mit der Thematik zu befassen. Empfehlenswert ist es vor allem, im Recht eine Hilfe für die Qualität der eigenen Arbeit zu sehen. Es dagegen als Hinderung zur erfolgreichen Umsetzung der öffentlichen Beschaffung wahrzunehmen, sollte weder von Bedarfsstellen noch von den anderen Beteiligten am Beschaffungsprozess als ernsthafte „Option“ betrachtet werden.
Die hier vorgestellte Arbeit soll helfen, einen positiven...