Eintauchen in die Natur
„Man müsse sich aber auf die Natur einstimmen. Man müsse das Geplapper der ach so klugen Gedanken in unserem Kopf zum Schweigen bringen und ganz still werden.“, so zitiert der bekannte Ethnobotaniker Wolf-Dieter Storl Bill Tallbull, den Medizinmann der Tsististas-Indianer 3 in seinem Buch über die Pflanzen der Kelten. Wenn man dies tut, alle Unruheverursacher wie Uhr und Handy ablegt und auch das Wissen aus den Schulbüchern mal für einen Moment vergisst, so Bill Tallbull weiter, dann kann man die Stimmen der Pflanzen, Steine und Tiere wieder hören. Ich finde er bringt es damit genau auf den Punkt, auch wenn es für das technisierte Europäerohr zunächst vielleicht etwas gewöhnungsbedürftig klingt.
Wie in die Stille lauschen? Was soll ich da denn hören? Pflanzen und Tiere können doch gar nicht sprechen, höre ich Sie bereits laut denken. Aber Geduld, Sie werden sehen, dass Bill Tallbull absolut recht hat, mit dem was er sagt, und ich meine das durchaus wortwörtlich. Schauen wir uns das einfach der Reihe nach an. Sich einstimmen auf die Natur klingt so einfach, aber was genau ist damit gemeint? Reicht es, wenn ich ein paar Schritte in den Wald gehe und mich irgendwo hinsetze. Bin ich dann schon auf die Natur eingestimmt in dem Sinne, dass ich nun einfach kurz die „Energie“, die mir die Natur bietet, konsumieren und auftanken kann? Ja und nein lautet meine Antwort auf diese Frage. Es ist zwar nicht zwingend notwendig, um die positiven „materiellen Benefits“ von Wald und Natur für sich nutzen zu können, jedoch fehlt noch etwas Entscheidendes, das die Sache erst ganz und vollständig macht.
Hierzu vielleicht eine kleine Geschichte, die vor ein paar Jahren ihren Lauf nahm. Die Protagonisten: Mein Bruder, ich und ein paar Bienen rund um eine Handvoll Bienenstöcke, die ein Imker direkt neben einem Forstweg positioniert hatte. Da ich den Wald, die Pflanzen und die darin lebenden Tiere wirklich lieben und schätzen gelernt habe, empfinde ich der Natur gegenüber Respekt und tiefe Dankbarkeit. Es ist keine Form der ehrfürchtigen Unterwerfung, sondern vielmehr das liebevolle Gefühl, selbst Teil dieser „Naturfamilie“ zu sein. Teil eines großzügigen und toleranten Systems, das mich als Mensch gerne aufnimmt, und zwar genau so, wie ich bin. Wie beim Besuch der eigenen Familie, ist es daher für mich selbstverständlich geworden, meine „Naturfamilie“ zu begrüßen, wenn ich den Wald betrete. Ich stürme nicht einfach achtlos in die Botanik, sondern bedanke mich innerlich für den freundlichen Einlass und erbitte gleichzeitig auch Schutz auf meinen Wegen durch die Natur. Durch diese innere Haltung der Dankbarkeit und des Respekts öffne ich für mich auch den Zugang zu den „energetischen Annehmlichkeiten“, die Mutter Natur für mich bereithält und strahle dies nach außen hin natürlich auch aus. Da weder mein Bruder, noch ich Angst vor Bienen oder deren Stichen haben, liefen wir vorsichtig zwischen den Bienenstöcken hindurch, um zur Lichtung dahinter abzukürzen. Während ich bereits ein paar Meter weiter auf der Lichtung stand, hörte ich meinen Bruder fluchen und sah ihn wild mit den Armen um sich wedeln. Wir waren beide ruhig zwischen den Bienenstöcken hindurch gegangen, doch während er von einigen Bienen attackiert wurde, waren sie bei mir einfach friedlich. Daran änderte sich auch nichts, als ich neugierig einfach nochmal zurücklief. Dieses kleine Beispiel macht deutlich, welch gewaltigen Unterschied alleine die „Gesinnung“ machen kann. Übrigens beschert mir dieser innere Respekt - und natürlich auch das damit verbundene äußere Auftreten - nicht nur Schutz vor nützlichen, aber aufgebrachten Bienen, sondern auch vor Plagegeistern, wie beispielsweise Zekken. Während ich früher bedeutend öfter von Ihnen heimgesucht wurde, kommt dies heute, obwohl ich öfter draußen bin, wesentlich seltener vor. Diese innere Haltung schafft so ohne viel Zutun auch die Möglichkeit, das eine oder andere Wildtier aus nächster Nähe betrachten zu können. Egal ob Eichhörnchen, Wildhase, Reh, Hirsch oder Fuchs, sie alle spüren instinktiv, ob Gefahr lauert oder ob der menschliche Besuch aus der Stadt ihren Anblick genießt und dafür dankbar ist.
Was Bill Tallbull mit „sich einstimmen“ sicherlich meint ist also die Erkenntnis, dass man selbst auch Teil der Natur um einen herum ist und sich auch entsprechend verhalten sollte. Ähnlich einer Kirche, die ich für Ruhe und innere Einkehr aufsuche, stürme ich für dieses Anliegen nicht einfach achtlos hinein. Speziell in diesem Hinblick darf man die alte Weisheit „Wie man in den Wald hineinschreit, so schallt es heraus“ durchaus wörtlich nehmen.
Das Einstimmen auf die Natur hat im Falle des Natur-Coachings aber auch noch andere Hintergründe. Durch das „ritualisierte“ Eintauchen in eine auf wohlige Weise vertraute, Ruhe und Kraft spendende Umgebung entsteht ein gewisser Abbremseffekt. Ähnlich wie auf einer Autobahnausfahrt, wird das Tempo bewusst reduziert und im wahrsten Sinne des Wortes schrittweise gedrosselt, so dass sich Körper und Geist ganz leicht auf einen Zustand der Entspannung einstellen können. Sie werden sicherlich auch selbst schon oft diese Erfahrung gemacht haben, wenn Sie aus Ihrem hektischen Alltag zu einem Waldspaziergang aufgebrochen sind. Je tiefer und weiter Sie in den Wald eintauchten, desto ruhiger und klarer wurde auch Ihr Geist. Die Sorgen aus dem Privat- oder Berufsleben rückten nach und nach in den Hintergrund und Ihr Körper konnte auftanken. Indem ich mich auf diesen Vorgang bewusst fokussiere, lässt sich der Effekt des Auftankens übrigens ganz einfach weiter intensivieren. Wie das im Einzelnen funktioniert und welche Auswirkungen dies auch direkt auf die Zellen des Körpers und damit auf unsere Gesundheit hat, dazu später mehr.
Der zweite Punkt, von dem Bill Tallbull sprach, ist das „Geplapper“ in unserem Kopf. Dieses loszuwerden ist dank der Reiz- und Informationsüberflutung unserer modernen Gesellschaft gar nicht so einfach, aber wichtig. Während das Handy in der Anfangszeit nur die telefonische Erreichbarkeit rund um die Uhr und an fast allen Orten garantierte, bieten die aktuellen Smartphones meist eine Überdosis an Informationen, die unser Gehirn langsam schon gar nicht mehr verarbeiten kann. Während wichtige Mitteilungen früher einmal am Tag aus Zeitung oder der abendlichen Nachrichtensendung abgerufen wurden, saugen sie die meisten Menschen heute unablässig aus ihren mobilen Begleitern. Dieses Verhalten fordert seinen Tribut. Und zwar in der Form, dass dieses Informationsbombardement und die Angst irgendetwas „Wichtiges“ zu verpassen Sie psychisch und physisch oft gar nicht mehr zur Ruhe kommen lässt. Machen Sie den Versuch und setzen Sie sich nach einem anstrengenden Tag alleine zuhause aufs Sofa. Schalten Sie Ihr Handy, Rundfunkempfänger und alle anderen Geräuschquellen aus, sodass es möglichst still im Raum ist. Schließen Sie die Augen und beobachten Sie Ihre Gedanken. Wie fühlt sich das an? Wie empfinden Sie die Abwesenheit von Lärm und den kurzzeitigen Informationsentzug? Unangenehm? „Willkommen im Club“ könnte man da sagen, denn so geht es mittlerweile leider vielen Menschen. Das Gehirn ist ständig auf der Jagd nach neuem Input. Zudem verarbeitet es noch das bisher am Tag oder den Vortagen Erlebte. Die Gedanken schweifen wild umher. Zusätzlich ist es in unserer Gesellschaft fast schon hip geworden, sich um alles und jeden Sorgen machen zu müssen. Wir sorgen uns um unsere Kinder, um unsere finanzielle Sicherheit, um Gott und alle Welt. Die Autorin Sue Benton beschreibt in Ihrem Buch über „Die Entdeckung der Sorglosigkeit“ 4 eine ältere Dame, die sich über vieles Sorgen machte. Danach gefragt, ob sich ihre Probleme denn lösen würden alleine dadurch, dass sie sich sorgte, stellte sie fest, dass sie sich eigentlich nur Sorgen machte, um anderen zu zeigen, dass sie sich kümmerte und aktiv war. Mal ehrlich, geht es Ihnen nicht oft genauso? Machen wir uns nicht alle ständig über irgendetwas Sorgen ohne, dass das wirklich Sinn macht und uns in der Lösung des eigentlichen Problems auch nur einen kleinen Schritt weiterbrächte? Das Schlimme daran ist, dass diese Denkhaltung uns nicht nur psychisch Energie kostet, sondern über einen längeren Zeitraum hin zu Verspannungen und psychosomatischen Symptomen führen kann. Das Abtauchen in die Natur und das gezielte Ausschalten dieses Geplappers hilft uns aktiv dabei, negativen gesundheitlichen Folgen entgegenzuwirken. Also folgen wir einfach Bill Tallbulls Rat und suchen in der Natur nach Wegen, das Geplapper in unserem Kopf zum Schweigen zu bringen. Schalten wir das Radio aus, welches uns ständig ablenkt und minütlich mit einem satten Nachschub an Möglichkeiten zur Sorge und fremden Ängsten versorgt. Und vielleicht legen wir – zumindest für kurze Zeit - auch die Uhr ab, die uns unablässig antreibt. Tauchen wir ein und laden in der Natur unseren Akku wieder vollständig auf.
Wenn wir nun in diesem ersten Schritt unsere inneren...