Kapitel 1
Meine Tochter und Bestellungen an Drive-in-Schaltern – beide passen irgendwie nicht zueinander. Für ihr Alter kann meine Tochter Brooke wirklich schon sehr viel. Sie ist ein großartiges Mädchen, aber an Drive-in-Schaltern gerät sie regelmäßig in Panik.
Selbst wenn wir schon im Voraus alles genau besprochen haben – dass sie sich überlegen soll, was sie bestellen will und dass sie sich ihre Bestellung gut merken soll –, geht immer irgendetwas schief. Sie braucht viel zu lange, um mir ihre Bestellung zu sagen, oder sie ändert in letzter Sekunde noch einen ihrer Wünsche, und zwar erst während ich bereits dabei bin, die Bestellung durchzugeben. Dadurch bringt sie mich total aus dem Konzept, sodass ich mit unserer Bestellung noch einmal von vorne anfangen muss. Ich bekomme dann immer ein schlechtes Gewissen, weil der Stundenlohn der Person, die meine Bestellung aufnimmt, einfach zu gering ist, um sich lange mit Menschen wie uns aufzuhalten.
Ich fühle mich dann immer furchtbar, weil ich das Gefühl habe, irgendwelche in Stein gemeißelten Drive-in-Regeln zu brechen. Außerdem ist mir qualvoll bewusst, dass wir die wartenden Kunden in der Schlange hinter uns verärgern. Sie hupen zwar nicht, aber ich spüre ihre wütenden Blicke im Rücken und höre förmlich, wie sie sagen, dass wir uns doch bitte beeilen sollen. Die Anspannung nimmt stetig zu bis zu dem Punkt, an dem ich weiß, dass jeden Moment doch jemand hupen wird. Ich weiß es einfach. Wenn ich könnte, würde ich dann aus der Schlange ausscheren und mich wieder hinten anstellen, aber das geht ja an einem Drive-in-Schalter nicht, weil rechts und links Begrenzungspfähle stehen, damit die Kundenabfertigung geregelt und zügig vonstattengeht.
Wenn man sich also einmal dazu entschlossen hat, an einem Drive-in-Schalter zu bestellen, dann muss man da durch – auch wenn sich die Tochter nicht entscheiden kann, auch wenn die Schlange hinter einem um das gesamte Gebäude geht, und auch, wenn man der Person am Bestellschalter ansieht, wie sehr sie sich wünscht, man möge doch endlich verschwinden. Man kann nicht weg.
Immer wieder drohe ich Brooke an, dass, wenn so etwas noch einmal passiert, ich ihr mit aller Liebe, derer eine Mutter dann noch fähig ist, sagen werde: „Entweder du sagst mir jetzt sofort, was du haben möchtest, oder wir fahren weiter.“ Ich drohe ihr an, der Person am Bestellschalter zu sagen, es täte uns leid, wir wollten doch nichts bestellen, und dann wegzufahren. Einfach wegzufahren, und zwar nach Hause, wo sie die gefürchteten Reste von gestern essen müsse oder Toast oder gar nichts, weil sie diese Lektion einfach lernen muss.
Und jetzt kommt das Verblüffendste an der Sache: Wissen Sie, bei welchem Restaurant wir am meisten am Drive-in-Schalter bestellen? Es ist das Restaurant, das von ihrem Vater geleitet wird, das Restaurant, das sie schon ihr Leben lang kennt. Seit Tag eins in Utero wird sie mit den hausgemachten Speisen dieses Lokals ernährt, aber wenn es darum geht, sich etwas davon auszusuchen …
Sie isst so gut wie alles, was auf der Speisekarte steht – und zwar mit Genuss – das habe ich mit eigenen Augen gesehen.
Und trotzdem ist sie wie gelähmt, wenn sie etwas bestellen soll.
Woran liegt das?
Es liegt daran, dass sie nicht ihre Bestellung bekommen und sich dann nach nur wenigen Bissen wünschen möchte, sie hätte sich etwas anderes ausgesucht. Dabei findet sie das, was sie da gerade isst, gar nicht schlecht, sondern ihr wird nur bewusst, dass sie mit ihrer Wahl eine andere – vielleicht bessere – Möglichkeit verpasst. Und dieses Gefühl, vielleicht etwas zu verpassen, das können wir Mädels ja bekanntlich so gar nicht leiden. Genau so wenig wie das Gefühl, etwas so richtig vermasselt zu haben. Oder das Gefühl, haarscharf danebengelangt zu haben in Bezug auf das, was eigentlich hätte sein können und auch sein sollen.
Wenn ich an diesen fast panischen Frust am Drive-in-Schalter denke, den meine Tochter so oft erlebt, weil sie sich nicht entscheiden kann, muss ich mich fairerweise auch selbst fragen, ob ich Schwierigkeiten mit Entscheidungen habe, und wenn ja, an welchen Stellen.
Es gibt ja so seltene Momente, in denen man sich selbst gegenüber absolut ehrlich sein kann, und in einem solchen Moment denke ich: Ja, auch ich habe Mühe mit Entscheidungen. Ich möchte keine Chance verpassen, möchte keine Beziehungen vermasseln, indem ich Menschen enttäusche oder nicht tue, was Gott von mir will. Es fällt mir sehr schwer, ein einigermaßen ausgewogenes Leben zu führen. Es macht mir zu schaffen, wenn ich merke, wie wichtig es mir ist, was andere wohl von meinen Entscheidungen halten. Es bedrückt mich, dass ich mich immer wieder frage, ob meine Unfähigkeit, alles unter einen Hut zu bekommen, vielleicht dazu führt, dass meine Kinder eines Tages auf der Couch eines Therapeuten landen. Und es setzt mir zu, dass ich keine Ahnung habe, wie andere Frauen scheinbar alles mit links schaffen.
Ich möchte nicht immer wieder das Gefühl haben, Gott vielleicht zu enttäuschen, und ich überlege, wie ich mich gerade fühle. Dazu fallen mir Aussagen ein wie: Ich bin müde. Ich bin abgelenkt. Ich bin enttäuscht von mir selbst. Ich fühle mich ein wenig ausgenutzt und fertig. Ich bin etwas überfordert und ziemlich ausgepowert.
Aber das sind Gedanken, die ich nur mir selbst eingestehe, unter anderem weil ich eigentlich ein sehr positiver und optimistisch eingestellter Mensch bin und sich solche Eingeständnisse für meinen Geschmack zu negativ anfühlen. Ich mag einfach viel lieber fröhliches Gelb als düsteres Grau. Zum Teil zögere ich aber auch deshalb, derartige Gedanken anderen Menschen mitzuteilen, weil ich keinen blassen Schimmer habe, wie ich daran etwas ändern könnte. Wieso soll ich sie dann überhaupt zum Thema machen?
Ich muss gestehen, dass ich mit der schieren Masse täglicher Anforderungen und wichtiger Entscheidungen nicht wirklich zurechtkomme. Deshalb greife ich jetzt zu Stift und Papier und beschäftige mich intensiv mit diesem Thema als eine Autorin, die hier selbst dringend Hilfe und Orientierung nötig hat.
Das ist gar nicht so leicht für mich, denn jetzt heißt es, mich zu outen, statt einfach den Mund zu halten.
Mir fällt es schwer, so einfach einzugestehen, dass ich ein Thema neu überdenken und einordnen muss. Aber zum Glück ist immer genug Zeit, kurz ein Gebet zu flüstern: „Ich möchte wirklich so leben, wie du es willst, Gott. Deshalb gebe und diene und liebe ich, bringe mich ein und bin auch bereit, dafür Opfer zu bringen. Ich tue das alles mit einem fröhlichen Herzen, einem offenen Geldbeutel und einem Terminkalender, der das Ziel verfolgen soll, eine Frau nach deinem Herzen zu sein. Ich beschäftige mich mit deinem Wort, nehme deine Wahrheit ganz tief in mich auf, und als eine Frau, die mit Zittern und Zagen mutig ist, bin ich entschlossen, jeden Tag Schritte zu tun und mich weiterzuentwickeln.“
Und trotzdem ist da dieses nagende Gefühl, dass in meinem Innern irgendetwas nicht im Lot ist. Da bittet mich beispielsweise jemand um etwas, von dem ich eigentlich von vornherein weiß, dass ich es nicht schaffen kann. Mein Kopf sagt Nein, mein Terminkalender sagt Nein, meine Alltagsrealität sagt Nein, aber mein Herz sagt Ja. Und dann vereitelt mein Mund meine Absicht, Nein zu sagen, und er lächelt und sagt: „Ja, natürlich.“
Ich will eigentlich nicht Ja sagen, bin aber nicht in der Lage, Nein zu sagen. Ich zögere nicht deshalb Ja zu sagen, weil ich die fragende Person nicht leiden kann. Ich habe sie sogar sehr gern, aber ich habe Angst vor dem, was durch dieses Ja mit mir passiert, denn ich habe auch so schon das Gefühl, auf Reserve zu laufen.
Und so marschiere ich einfach weiter, als ob Christinnen so leben müssten, als ob das völlig normal und in Ordnung sei, als ob das meine Berufung sei, und als ob für mich mehr nicht drin sei.
Ich missbrauche die beiden machtvollsten Worte, die es gibt: Ja und Nein. Ich verpasse meinem Ziel und Zweck eine schallende Ohrfeige und stampfe meine Berufung in den Boden, wenn ich mich auf Gedeih und Verderb den Bitten und Anforderungen anderer ausliefere, mit denen ich tagtäglich konfrontiert werde. Denn jede Aufgabe fühlt sich an wie meine Aufgabe.
Du brauchst mich? Du kriegst mich, weil ich zu viel Angst habe oder zu feige bin oder zu beschäftigt oder was auch immer, um einfach ehrlich zu sein und zu sagen: „Im Moment geht es leider nicht.“
Es ist zum Glück mittlerweile möglich, dass wir Frauen ehrlich und aufrichtig sein können, wenn es um unsere Vergangenheit geht, aber im Hinblick auf unsere Gegenwart ist das offenbar noch nicht der Fall. Wir können über unsere Verletzungen aus der Vergangenheit sprechen, aber über das, was uns heute einschränkt und behindert, decken wir lieber den Mantel des Schweigens.
Und währenddessen frisst die Säure der Überaktivität Löcher in unsere Seele, aus denen der Schrei der unerfüllten Berufung dringt. Wir haben zu so vielem Ja gesagt, dass wir leider die Aufgaben, für die ein Ja wirklich wichtig gewesen wäre, verpasst oder gar nicht bemerkt haben – und zwar einfach, weil wir nicht auf die besagten leisen Warnungen aus unserem Inneren gehört haben, diese Warnungen, die da lauten:
Ich bin müde. Ich bin abgelenkt. Ich bin von mir selbst enttäuscht. Ich fühle mich ein wenig ausgenutzt und fertig. Ich bin überfordert und ziemlich...