2. Medien und Didaktik
2.1 Neue Medien und Hypertexte
„Neue Medien lassen sich nur schwer als abgegrenzte Teilmengen der allgemeinen Medien bestimmen, markieren aber technische, ökonomische, soziokulturelle oder bildungspolitische Innovationen.“ (Reitinger 2007,15). Der Begriff der ‚Neuen Medien‘ ist zwar nicht eindeutig definiert - so werden in einigen Kategorien auch das Faxgerät, der Anrufbeantworter oder das Funktelefon als neue Formen von Medien genannt - die Schnittmenge aller aufgezeigten Definitionsversuche zeigt jedoch, dass vielmehr der Computer und das Internet als die prototypischen, neuen Medien abgegrenzt werden können (vgl. Bertschi-Kaufmann/ Schneider 2004, 12). Das Lernen mit neuen Medien charakterisiert sich also durch die Zuhilfenahme elektronischer Medien, die den Lernprozess mittels computer- und netzgestützten Lernarrangements erleichtern sollen (vgl. Schiersmann 2007, 101).
Literatur am Computer oder im Netz weist scheinbar keine spezifische Charakteristik auf. Es handelt sich um Texte (ggf. mit Bildelementen), die ebenfalls in gedruckter Fassung gelesen und rezipiert werden können. Nicht wesentlich anders verhält es sich mit Literatur, die lediglich im Web als digitale Textform Gestaltung findet (vgl. Kepser 2010, 546f.). So erkennt Görlitzer aufgrund der Analogien beider Textsorten keine besonderen Anforderungen an den Gebrauch bzw. hinsichtlich der Charakteristik von Hypertexten und der jeweiligen Printform. „Mit literarischen Hypertexten muss man Kinder und Jugendliche in der Schule nicht bekannt machen. Man müsste ihnen aber zeigen, wie unterschiedlich Literatur in ihren Ausdrucksformen ist und immer gewesen ist und welche unterschiedlichen Lesehaltungen sie fordert (Hervorh. im Original)“ (Gölitzer 2003a, 22). Losgelöst von ihrer Multimedialität sollte dementsprechend bei jeder Form von Literatur, ob am Computer oder im Buch, im Hinblick auf den Einsatz im Unterricht untersucht werden, welche Ansprüche der Inhalt an seine Rezipienten/innen stellt.
Betrachtet man interaktive Hypertexte im Bereich der Kinder- und Jugendliteratur, so erkennen Bertschi-Kaufmann und Tresch (2003) einige Differenzen zum Printmedium: „Interactive Books bieten Dramaturgien und Spielvorlagen, die ganz anders strukturiert sind als das gedruckte Kinder- und Jugendbuch. Narrative Zusammenhänge müssen im Verlauf der Bildschirmlektüre erst hergestellt werden und geschriebene Textteile fehlen hier weitestgehend“ (Bertschi-Kaufmann/ Tresch 2003, 75). Bei dieser Art von (Online-) Büchern wird dem Leser nach jeder Passage die interaktive Wahlmöglichkeit bereitgestellt, die den Fortverlauf des Buches bestimmt. Die Geschichte kann also unterschiedliche Abfolgen produzieren, die je nach Erzählung auch wieder zusammenlaufen. Unter dem Schlagwort ‚Du entscheidest selbst!‘ wurde in Deutschland eine Serie von diesen interaktiven Büchern veröffentlicht, dazu die vielleicht berühmteste Reihe von Edward Packard ‚Insel der 1000 Gefahren‘ (eine Printmedienadaption) (vgl. Grünwald 2007, 90). Der Begriff ‚Interactive Book‘ umfasst verschiedene Genres, in denen unterschiedliche multimediale Versionen enthalten sein können. Diese Spielgeschichten fordern aufgrund ihrer labyrinthischen Ausrichtung spezielle kognitive Leistungen und ein Orientierungsvermögen vom Rezipienten. Die Hinweise zu den verschiedenen Lesewegen sollten erfolgreich für die Gestaltung einer persönlichen Geschichte verwendet werden – die Nutzerin und der Nutzer müssen demnach nicht nur die dargestellten Strategien erkennen, sondern zur erfolgreichen Rezeption auch eigene entwickeln können (vgl. Bertschi-Kaufmann/ Tretsch 2003, 77).
Ähnlich ist auch die Textform der ‚Hyperfiction‘ aufgebaut: Bei ihr „vernetzt der Autor (z.T. multimedial gestaltete) Textbausteine mittels Hyperlinks, sodass ein Geflecht entsteht, welches der Leser am Computer in beliebiger Reihenfolge erkunden kann“ (Kepser 2010, 551). Die ‚Hyperfiction‘, also die Flexibilisierung eines Textes mithilfe differenzierter Kombinationsmöglichkeiten, birgt jedoch die Gefahr, dass der Leser/ die Leserin sich im Textnetz verliert, ohne die Segmente in eine vernünftige Schlüssigkeit gebracht zu haben. Ein transparenter Aufbau ist demnach für eine medienadäquate Umsetzung essentiell (vgl. Heibach 2003, 57). Da mit der Verbreitung der digitalen Medien die Grenzen zwischen informativen und literarischen Texten verfließen, stellen Hypertexte auch in diesem Punkt veränderte Ansprüche an ihre Rezipienten, d.h. diese müssen eine höhere kognitive Aktivität aufweisen, um den Hypertext zu rezipieren, als es für literarische Texte üblich ist (vgl. Schreier/ Rupp 2006, 268). „Das Lesen in den neuen Medien ist anspruchsvoll, müssen doch sowohl Bild, Ton und Schrift gleichzeitig verarbeitet, gedeutet und verknüpft werden. Der sogenannte «Hypertext» verlangt schnelles, selektives Lesen“ (Bertschi-Kaufmann 2000, 13). Der Einsatz der neuen Medien bietet also im Unterricht die Chance, Lesen multimedial zu gestalten. Der reine Text wird dann mit weiteren Gestaltungselementen angereichert. „Beim Multimediasystem kommen drei Zeichensysteme zusammen, die Buchstabenschrift, die Bildsymbolik und der Ton. Das bedingt eine neue Lesefähigkeit“ (ebd., 11). Bild und Ton zum Inhalt können das Lesen attraktiver als in seiner ursprünglichen Printfassung gestalten. „Wenn mithilfe von Hyperlinks nicht nur Printtexte, sondern auch Bilder, Tondokumente, Videos, Animationen etc. miteinander verwoben werden, d.h. wenn die Hypertext-Einheiten nicht nur textueller Art sind, spricht man auch von Hypermedia bzw. Hypermedialität“ (Hervorh. im Original) (Frederking et. al. 2008, 218). Festzuhalten bleibt, dass Hypertexte nicht automatisch in eine Lernumgebung eingebettet sind, vielmehr sind dazu gezielte didaktische Arrangements zu treffen (vgl. Kepser 2010, 559). Der Einsatz von Hypermedialität und Hypertexten kann aber auch, wenn er die Anforderungen an seine Rezipienten mitberücksichtigt, aufgrund seiner Attraktivität in Bezug auf die visuellen Effekte lesemotivierende Erfolge erwirken und die Jungen gezielter mit dem Einsatz neuer Medien in ihrer Lesemotivation fördern.
2.2 Medienkompetenz
Der Begriff der Medienkompetenz ist seit Jahren im Fokus der Öffentlichkeit; synonym werden häufig die englischen Bezeichnungen ‚media education‘ oder ‚media literacy‘ genannt. In den 1990er Jahren gelangte der Begriff zunehmend in einen medienpädagogischen Diskurs – seine Definitionen waren sehr unterschiedlich geprägt und umstritten, vor allem hinsichtlich seiner Reduktion auf die berufliche Verwertbarkeit oder seiner technischen Ausrichtung (vgl. Hoppe/ Josting 2006, 13). Während in den 1980er Jahren die klassischen Massenmedien im Fokus der Begriffsbestimmung standen, kristallisierten sich nach und nach auch immer mehr die Informations- und Kommunikationstechnologien heraus – dabei spielt die reine Nutzungstätigkeit am Computer bzw. der Umgang mit dem technischen Gerät nur eine nebensächliche Rolle, vielmehr ist heute der Umgang und die Verarbeitung von Informationen zentral (vgl. Moser 2006, 53). Die rasante Entwicklung in Bezug auf die Medien macht es in diesem Kontext jedoch schwierig, eine eindeutige Konzeption von Medienkompetenz zu bestimmen (vgl. Groeben 2002, 13). „Sowohl in der Telefonie als auch im Bereich der Computer sind rasante Entwicklungen im Gange, die von den Nutzerinnen und Nutzern ständige Anpassungen an den neuesten technischen Stand verlangen […]“ (Bertschi-Kaufmann/ Schneider 2004, 16). Hinsichtlich der Zielperspektive dieser Arbeit eignet sich diesbezüglich die definitorische Begriffserklärung nach Baacke, der den Begriff der Medienkompetenz nachhaltig prägte und ihn gemäß einer didaktischen Dimension näher umriss:
(Abb.5: Entnommen aus: Rosebrock/ Zitzelsberger 2002 nach Baacke 1997, 153)
Eine Einbindung der neuen Medien in den Deutschunterricht der Grundschule benötigt nach Baacke die Differenzierung in die Kategorien Vermittlung und Zielorientierung: Die klassische Medienkunde ist dann erfüllt, wenn die SuS in der Lage sind, Informationen über das Programm eigenständig zu erarbeiten und im Allgemeinen die Bedienung der Geräte (also den instrumentell-qualifikatorische Charakter) beherrschen. Die Medienkritik soll einen reflexiven Umgang mit gesellschaftlichen Prozessen einleiten und dazu anhalten, das eigene Handeln im Zusammenhang mit einem ethischen Hintergrund und einem verantwortungsbewussten Umgang zu überdenken. Die Zielorientierung unterteilt sich in eine (elementare) Nutzungstätigkeit sowie eine innovative und kreative Gestaltung (vgl. Rosebrock/ Zitzelsberger 2002, 153). Baacke begreift Medienkompetenz vor allem in Hinblick auf die Kategorie Medienkritik in einem gesamtgesellschaftlichen Zusammenhang, der nicht auf die reine Nutzungstätigkeit beschränkt bleibt und für Grundschulkinder wichtige reflexive Prozesse miteinbezieht sowie einen Grundstein für einen kritischen Umgang mit Informationen legt. „Medienkompetenz umfasst mehr als technisches Know-How und motorische Fertigkeit zur Bedienung von Medienapparaturen. Medienkompetenz bezieht sich vielmehr auf die sinnvolle Koordination der Medien in alltäglichen, beruflichen und pädagogischen Prozessen“ (Reitinger 2007, 17).
Auch der gendergerechte Einsatz von neuen Medien im Deutschunterricht zur Lesemotivationssteigerung...