Die Garantie der guten Gründe
Ohne Moral und Religion bleiben also nur noch Objekte, rationale Entscheidungskriterien, wenn Sie so wollen, gute Gründe. Beispiel: Sie müssen sich zwischen Schwarz und Weiß entscheiden:
Ihre Entscheidung richtet sich nur danach, ob nun schwarz oder weiß Ihnen mehr Vorteile sichert (oder, wenn Sie ein Masochist sind, Nachteile). Ihre Entscheidung richtet sich nicht danach, ob schwarz oder weiß Ihren Mitmenschen nützt (christliche Nächstenliebe, es sei denn, Sie sichern sich Vorteile durch Ihre Hilfe, z.B. Anerkennung, Befriedigung etc.) oder von Ihren
Mitmenschen für gut oder schlecht bewertet werden (Moral). Sie treffen Ihre Entscheidung auf der Basis von guten Gründen, die Ihnen Vorteile sichern.
Woher wissen Sie, dass ein Grund besser (für Sie) ist als ein anderer? - Sie können nur annehmen/glauben, einen guten Grund zu haben und entsprechend handeln. Sie können Ihr Leben also auch nur an "guten Gründen" orientieren, diesen aber nicht immer blind folgen, da es keinen wirklich objektiven Wertmaßstab gibt und Sie auch nicht wissen können, ob Sie alle Gründe kennen. Natürlich heißt das nicht, dass Sie nicht wissen, es regnet, wenn Wasser vom Himmel fällt und die richtige Entscheidung ist es, Ihren Regenschirm zu öffnen. Aber Sie haben keine 100tige Garantie. Sie können nicht 100% sicher sein: Das Wasser könnte auch von einem Feuerlöschflugzeug kommen...vielleicht ist es auch eine Halluzination.
Sie haben Ihre Gründe für eine Entscheidung. Sie wägen das "für" und "wieder" ab. Vielleicht gibt es sehr gute Gründe für eine andere Entscheidung... Sie wissen eigentlich nicht, ob Ihr Grund wirklich gut ist, oder ob Sie nur annehmen/denken, Ihr Grund sei gut. Vielleicht irren Sie oder der Grund ist nur das Ergebnis einer Manipulation, die irgendwo tief im Gehirn noch festsitzt.
Oder, um es im Sinne von Michel Foucault auszudrücken: Du kannst Dich nicht unbedingt auf Dein Wissen verlassen, da auch Wissen (wie Religion und Moral) nur Kontrollinstrument sein kann. Allgemein wird nur das als Wissen akzeptiert, was sich auch politisch (als
Machtinstrument) verwerten lässt. Dein Wissen ist also unvollständig und manipuliert. Also sind auch Entscheidungen, die Du auf Grund Deines Wissens triffst, nicht unbedingt "richtig", sondern nur Folge der Manipulation.
Trotzdem müssen wir Entscheidungen treffen und für die Entscheidungen die volle Verantwortung übernehmen. Diese Entscheidungen formen unser Leben.
In der Praxis werden - glauben wir den Psychologen - 95% aller Entscheidungen emotional getroffen (d.h. unter unseren objektiven Entscheidungskriterien mixen sich subjektive Interessen, Zielsetzungen). Die "guten Gründe" werden nachträglich gefunden, um unsere emotionale Entscheidung zu unterstützen und in unserer scheinbar "rationalen" Welt zu rechtfertigen. Aber selbst unsere "guten Gründe" sind oft nur zweite Wahl:
Unsere "guten Gründe" sind von unserem Wissen abhängig. Nur was wir wissen, kann auch in unseren Entscheidungsprozess einfließen. Unser Wissen basiert auf uns zugänglichen Informationen. Diese Informationen lassen sich nicht nur interpretieren, sondern auch kontrollieren. Zwar sind z.B. Millionen von Daten im Internet frei zugänglich, wir kennen aber in den meisten Fällen nicht die Qualität der Daten, können also nicht wissen, ob eine Information 100% zutrifft oder teilweise oder nur Falschinformation ist. Wir müssen glauben / vertrauen oder wieder entscheiden. Diese Entscheidung wird wieder auf Grund anderer Informationen (unserem Wissen) getroffen, von denen wir "glauben", es handelt sich nicht um Falschinformationen. Selbst, wenn wir uns die Zeit nehmen, alle zugänglichen Millionen von Informationen zu sichten, zu prüfen und zu werten, erfolgt diese Prüfung und Wertung mit Hilfe von anderen Informationen /Daten/Wissen, deren Qualität nicht bewiesen ist (Ausnahme sind hier objektive Wissenschaften, wie z.B. Mathematik). Das Ergebnis ist also immer nur eine Interpretation, von der wir bestenfalls "glauben" können, sie entspricht den Tatsachen. Die Millionen von Daten im Internet nützen uns also nicht viel auf der Suche nach "guten Gründen".
Unser Wissen basiert daher auf einer kleinen Auswahl von Informationen, von denen wir "glauben" (oft mit religiöser Intensität), dass es sich um wahre, echte Daten handelt. Wir können unser Wissen zwar durch Erfahrungswerte und Logik testen, aber auch hier gibt es keine Garantie.
Hier ein vereinfachtes Beispiel, um die Kontrolle von Informationen zu verdeutlichen: Die Medienkonzerne publizieren Informationen (z.B. Bücher, Magazine, Zeitungen, Filme, Fernsehen, Musik), die die derzeitig gewünschte Denkweise (der Medien) repräsentieren, was natürlich auch deren gutes Recht ist. Es gibt zwar diverse Denkansätze und Kontroversen zwischen schwarz und weiß, aber blau wird ignoriert. Der gewünschte Denkansatz sei z.B. "schwarz". Wenn Sie ein Buch schreiben würden, das Denkansatz "blau" als Tatsache beweist (und "schwarz" nur als Hokuspokus), wird das Buch ganz sicher nicht von einem Groß-Verlag publiziert. Sie können sich einen Alternativverlag suchen, werden vielleicht in einer oder zwei Talkshows gehört, Ihre Informationen verbreiten sich aber ganz sicher nicht so stark wie das Buch "schwarz", das die "offizielle" Denkweise wiedergibt. Millionen lesen die Großverlag-Version. Millionen übernehmen das im Großverlag-Buch propagierte Image "schwarz" als "eigenes Wissen", insbesondere, wenn dieses durch Experten in Zeitungen und Fernsehen, und dann auch einen Kinofilm (auf Grundlage des Buches) bestätigt wird. Die
Großverlag/Medienversion wird als Tatsache akzeptiert. Sie aber werden als radikaler Spinnerautor abgestempelt, verkaufen ein paar Hundert Bücher und sind schnell vergessen, obwohl Ihre Information den Tatsachen entspricht und die Großverlag-Biographie nur Hokuspokus ist. Informationen können erst mit gutem Marketing zu "Wissen" werden.
Nicht die "Wahrheit" von Informationen ist relevant, sondern nur die Intensität der Verbreitung.
Die beste Manipulation gewinnt. Durch intensive Verbreitung werden die Informationen "wahr" ("das weiß doch jeder."), zu mindestens in den Köpfen der Masse, also der Mehrheit im demokratischen Prozess. Dieses "Wissen" wird Tatsachen gleichgesetzt, jedenfalls solange bis eine "bessere" Wahrheit (hier die Alternative "weiß") verbreitet wird. Trotz möglicher Kontroverse schwarz/weiß, die auch die demokratische "Freiheit" zur "Entscheidung" unterstreicht, wird blau ignoriert.
Wir erhalten so eine Sammlung von "Wissen", das bestenfalls in sich schlüssig ist (sich nicht widerspricht), aber nicht notwendigerweise immer den Tatsachen entsprechen muss. Stark vereinfachtes Beispiel: Wir "wissen", der Ozean ist blau. Salzwasser ist Bestandteil des Ozeans. Also ist Salzwasser blau. Nun, unsere Deduktion ist zwar in sich schlüssig, stimmt aber trotzdem nicht, ganz einfach, weil der Ozean nicht blau ist, sondern nur blau erscheint. Um zu ermitteln, wo und wann unser Wissen den Tatsachen entspricht und wo es nur Mythus ist, scheinbar Tatsachen reflektiert, müssten wir theoretisch jede Erkenntnis der Menschheit (von 50.000 v.Chr. bis heute) neu prüfen. Und welche Kriterien setzen wir für diese Prüfung ein? - Schließlich basieren unsere Kriterien, oder der Entscheidungsprozess, welche Kriterien uns zu den Tatsachen führen, wieder auf unseren Informationen, die wiederum nicht 100% den Tatsachen entsprechen müssen. Ein Teufelskreis, aus dem es keinen Ausweg zu geben scheint.
Wir müssen daher, um überhaupt etwas entscheiden zu können, Informationen und Wissen "vertrauen". Dieses Wissen ist abhängig von den Informationen, die uns zur Verfügung stehen. Und diese Informationen lassen sich selektieren und kontrollieren.
Der Selektionsprozess von Informationen und ultimativ auch Wissen findet sich z.B. täglich in jeder Tageszeitung, a.) durch Auswahl, was publiziert wird (und was nicht) und b.) wie (pro oder contra, Emotionen freisetzen mit Bildern etc.) und c.) wo es publiziert wird (Schlagzeile oder ferner liefen). Wer die Macht hat, Informationen zu selektieren, hat die Macht "Wissen" zu beeinflussen. Die Macht, Informationen zu selektieren, lässt sich kaufen, z.B. durch Investment in einen Medienkonzern. Werden die Medien kontrolliert, lässt sich "Wissen" kontrollieren, insbesondere das "Wissen" der Masse, und damit der Mehrheit in jedem demokratischen Entscheidungsprozess.
Während Aussagen in objektiven Wissenschaften wie Mathematik immer, überall und ohne Gott, Moral oder Interpretation gültig sind (z.B. 1 + 1 = 2), sind Informationen, Wissen, Aussagen, Erkenntnisse der nicht objektiven Wissenschaften (z.B. Geschichte, Soziologie, Philosophie,
Psychologie, Wirtschaftspolitik etc) immer abhängig von Interpretation und Selektion. Bleiben wir bei der Philosophie können wir nicht ignorieren, dass die Philosophien von Beamten wie Kant und später auch Heidegger (als Rektor der Freiburger Uni in der Nazizeit) nicht unbedingt frei von den bewussten oder unterbewussten Einflüssen der Geldgeber (=Staat) sind, im Gegensatz zu z.B. Nietzsche, dem eine Erbschaft ein finanziell bescheidenes, aber unabhängiges
Leben garantierte. Nietzsche war also auf keinen Geldgeber angewiesen, um...