Aimée Bastian
„Selbstbestimmt seine Kreativität ausleben. Spaß haben an der Arbeit. Mich beständig weiterentwickeln. Immer wieder zu neuen Ufern aufbrechen. Dazu tolle Kollegen. Im Team arbeiten ohne dominieren zu müssen oder dominiert zu werden – so sieht für mich mein persönliches Arbeitsglück aus. Und wenn ich das Ganze dann möglichst noch mit Kindern unter einen Hut bringen kann, dann ist alles prima.“
Das waren in etwa meine Gedanken, als ich Mitte 20 war. Heute, mit Anfang 40, würde ich sagen: Perfekt habe ich das bisher vielleicht nicht hinbekommen. So realistisch bin ich schon. Aber ich liege inzwischen bei gut 90 Prozent. Bis dahin war es allerdings ein langer Weg mit vielen, vielen Umwegen ...
Beim Übergang von der Schule ins Berufsleben fing es bereits an, unbequem zu werden: Was sollte ich werden? Ich war gut in Sprachen und im kreativen Bereich. Mathe ging weniger. Ich wollte „auf alle Fälle studieren und später was mit Menschen machen.“
„Tja“, meinte damals der Berufsberater vom Arbeitsamt, „das wollen sie alle. Wie wäre es denn mit einer Lehre zur Bürokauffrau?“ Nun, das war indiskutabel und typisch Berufsberater. Schließlich schrieb ich mich für Informations- und Sprachwissenschaft sowie für Sozialpsychologie ein – Psychologie hätte mir auch gut gefallen, aber mir war schnell klar, dass ich den Statistikschein mit meiner naturwissenschaftlichen Begabung sicher nicht bekommen würde. Was ich eines Tages genau mit diesen Fächern anfangen sollte, blieb erst mal nebulös – nicht nur für meine Eltern. Doch alles fügte sich irgendwie ...
Mein damaliger Freund jobbte neben der Schule als freier Journalist: Er schrieb kleine Artikel, machte Fotos und entwickelte sie über Nacht, bevor er sie am nächsten Morgen in den Briefkasten unseres ortsansässigen Blättchens steckte. Nichts Großes. Aber ihm gefiel’s. Und weil ich selbst nichts neben dem Studium machte, überredete er mich zu einem Praktikum im journalistischen Bereich. Meine Wahl fiel – eher willkürlich – auf den Saarländischen Rundfunk. Mein Vorstellungsgespräch beim Leiter der Kultur werde ich nie vergessen: „Was möchten Sie denn bei uns machen?“, fragte er mich, während er von meinem Abiturzeugnis aufblickte.
„Och“, stammelte ich, „moderieren eher nicht. Das wäre nichts für mich. Vielleicht mehr Organisation? Also Programme zusammenstellen – das könnte ich mir ganz gut vorstellen!“
Sein Gesicht drückte große Ungläubigkeit aus, gepaart mit Neugier: „Aha“, erwiderte er nach einer gewichtigen Pause. „Sie möchten also in die Programmdirektion! Aber wissen Sie, das ist im Prinzip so, als würden Sie sich zu Weihnachten ein Paar Schlittschuhe wünschen und dann sogleich einen Doppelten Rittberger hinlegen wollen.“
Peinliche Schweigeminuten folgten.
„Nun ja“, fuhr er nach einer Weile fort, „welche unserer Sendungen gefallen Ihnen denn besonders gut?“
Damals war gerade das Privatradio im Saarland angekommen, mein Lieblingssender. Ich konnte mich insofern an keine Sendung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks erinnern, außer ... „Der Brummifunk. Also, ich meine ... das ist die einzige Sendung, die mir jetzt so einfällt!“
Der Herr lachte laut, kramte in seiner Schublade und schob mir dann einen dicken Packen mit Programmheften über den Tisch: „Wissen Sie, irgendwie gefallen Sie mir. Sie sind ehrlich, gerade heraus und mutig. Hören Sie sich unser Programm aufmerksam an, und dann unterhalten wir uns in drei Wochen noch einmal.“
So bekam ich schließlich doch die Chance, mir meine ersten Sporen als Praktikantin beim Radio zu verdienen – und es war genau das Richtige für mich! Ich fing an, als freie Mitarbeiterin für den Kinder- und Jugendfunk zu arbeiten und schlitterte bereits ein paar Monate später ins nächste Praktikum: beim Saarbrücker Privatradio. Auch dort wurde ich schnell in den Stamm der freien Mitarbeiter aufgenommen.
Von nun an eilte ich während meines kompletten Studiums zwischen Radio und Uni hin und her, verdiente für damalige Studi-Verhältnisse bestes Geld und hatte natürlich einen extrem coolen Nebenjob, der mir eine Menge Spaß machte. Ich führte Interviews, auch mit Künstlern, Politikern und Managern aus dem angrenzenden Frankreich, lernte viel, wuchs an meinen Aufgaben und durfte so einiges ausprobieren. Als sich mein Studium Mitte der 1990er dem Ende neigte – ich hatte inzwischen auch nebenbei als Springerin in eine Werbeagentur hineingeschnuppert, ein TV-Praktikum beim NDR sowie ein Praktikum beim Radio in Paris absolviert und ein Trimester in den USA studiert – dachte ich so für mich: „Fein. Die Basis steht. Jetzt geht’s erst richtig los!“
Ich sah eine große Karriere vor mir mit einem gefüllten Bankkonto, einem eleganten Erscheinungsbild, einem attraktiven Ehemann und vielen wunderbaren Kindern. Mit Leichtigkeit würde ich in meinem abwechslungsreichen Leben nach ausgiebigen Urlauben wichtige Geschäftstermine wahrnehmen und meinen Kindern die beste Ausbildung angedeihen lassen ... Doch die Realität sollte meine Traumwelt bald einholen ...
Mein damaliger Freund steckte noch in der Endphase seines Studiums, sodass ich mich entschied, bis zu seinem Abschluss mit ihm gemeinsam im Saarland zu bleiben. Aber eine karriereträchtige Festanstellung in den Medien war dort leider weit und breit nicht in Sicht. So war ich froh, als eines Tages ein Journalistenmagazin in meinem Briefkasten landete, in dem zumindest ein TV-Volontariat in Saarbrücken ausgeschrieben wurde. Ich bewarb mich, ging dieses Mal gut vorbereitet ins Vorstellungsgespräch, bekam den Zuschlag – und baute in einem kleinen Team Saar TV mit auf, den privaten TV-Sender im Saarland.
Einer Vision Leben einhauchen – daran entwickelte ich schnell Freude. Ohne Frage eine der spannendsten Phasen in meinem bisherigen Berufsleben. Doch finanziell stand ich plötzlich mit meinem Volontärsgehalt recht bescheiden da, und auch sonst schien die „große weite Welt“ nicht unbedingt auf mich gewartet zu haben. Ich zog Bilanz und realisierte für mich folgende Punkte: Was Spaß macht, bringt nicht immer viel Geld. Was viel Geld bringt, macht nicht zwangsläufig Spaß. Ich bin nicht gerne fest angestellt, weil ich so nicht frei über meine Zeit verfügen kann. Ich liebe es, etwas grundlegend aufzubauen. Ich bin eine Frau. Und manche Frauen machen keine schnelle Karriere. Schon gar nicht, wenn sie Kinder haben. Ergo: Ich werde mich selbstständig machen, Sicherheit gegen Flexibilität tauschen und viel Geld gegen Kinder. Soweit der Plan ...
Meine erste Idee war, mit meinem Mann, den ich inzwischen bei Saar TV kennengelernt hatte, eine TV-Produktion in Düsseldorf zu gründen. Aber so ganz ohne Kontakte? Ganz ohne ein festes Einkommen? Schwierig. Also machte er sich selbstständig, und ich arbeitete und hetzte durchs Düsseldorfer Agenturleben, um Kontakte für uns zu knüpfen. Schön war diese Zeit nicht: Endlich verstand ich das in Frauenzeitschriften oft beschriebene Phänomen der Großstadt-Neurotiker, die bis tief in die Nacht arbeiten, weil sie keine Freunde haben – und natürlich keine Freunde finden, weil sie bis tief in die Nacht in der Agentur abhängen. Für mich war das nichts: Ich wollte früh zur Arbeit gehen, vollen Einsatz zeigen, abends aber Freunde treffen – statt erst gegen elf Uhr morgens mit Augenringen zu erscheinen, zehn Gauloises gleichzeitig rauchend und mit einem Café Latte von Büro zu Büro zu schlurfen, um mich dem „Wer-war-am-längsten-anwesend-Wettbewerb“ zu stellen.
Nie werde ich vergessen, wie ich nach zwei Wochen Weihnachtsferien inklusive Skiurlaub in die Event-Agentur zurückkehrte, in der ich erst seit wenigen Monaten arbeitete: Eine Kollegin begrüßte mich fröhlich mit einem „Na, alles gut?“ – und ich brach in Tränen aus! Am selben Tag habe ich gekündigt. Ohne neuen Job in der Tasche.
Einen Job später, im Jahr 2001, war es dann aber soweit: Da sich mein Kinderwunsch leider nicht erfüllen wollte, machte ich mich endlich selbstständig! Mit einer Partnerin zusammen produzierte ich Mitarbeiter- und Kundenzeitschriften. Alles lief sehr gut an: Schnell hatten wir tolle Referenzen und volle Terminkalender – es schien, als wäre mein persönliches Arbeitsglück fast perfekt. Und dann setzte das Schicksal noch eins drauf: Plötzlich war ich doch schwanger, und zwar mit Zwillingen!
Meine Partnerin fand das leider nicht sehr lustig. Sie verabschiedete sich aus unserer Agentur, und nun kam es zwölf Monate lang Schlag auf Schlag: Die TV-Produktion meines Mannes knickte vorübergehend ein, mein Hauptkunde wurde feindlich übernommen, das Kindermädchen kündigte. Und ich musste 2003 noch einmal ganz von vorne anfangen ...
Heute blicke ich zurück auf diese turbulente Zeit, die leider auch meine Ehe gekostet hat – und weiß nicht mehr, wie ich da durchgegangen bin. Aber ich habe nie den Mut verloren. Jeden Rückschlag als Herausforderung genommen und weitergekämpft. Versucht, den Humor zu bewahren. Mit Erfolg: Inzwischen läuft die Firma recht stabil, wir sind ein eingespieltes vierköpfiges Team mit einem festen Kundenstamm. Dazu kommen einige freie Mitarbeiter. Und genau so kann es die nächsten Jahre bleiben. Ein größeres Wachstum steht nicht in unserem Fokus. Dafür arbeiten wir immer wieder an neuen crossmedialen Projekten – mit meinem Exmann, der mein bester Freund geworden ist. Mit ihm und seinen Kollegen der public vision TV & Video teilen wir uns auch die Büroräume im...