Anschließend an das bis hierher erlangte definitorische und theoretische Grundlagenwissen, rückt nun der dt. Lebensmittelmarkt – als die für die Untersuchung relevante Branche – in den Fokus. Im Rückgriff auf aktuelle Zahlen wird Aufschluss darüber gegeben, welche gesamtwirtschaftliche Bedeutung der LEH in Deutschland hat. Ferner wird der Stellenwert von Lebensmittel bei den Verbrauchern hinsichtlich privater Konsumausgaben dargelegt sowie eine prägnante Entwicklung der Wettbewerbssituation skizziert.
Eine Aufschlüsselung der Wirtschaftsbereiche nach Bruttowertschöpfung im vergangenen Jahr 2014 macht deutlich, dass der Handel nach den Berechnungen der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung (VGR) eine Bruttowertschöpfung von 244,8 Mrd. Euro hatte (s. Abb. 1). Mit einem Anteil von 9,4 Prozent leistete er demnach einen nennenswerten Beitrag zum dt. Bruttoinlandsprodukt (BIP), also der gesamtwirtschaftlichen Wertschöpfung.
Abb. 1: Bruttowertschöpfung des Handels als Wirtschaftsbereich 2014 (in Mrd. Euro)
Von großer Bedeutung ist hierbei auch der dt. LEH, welcher seit 2005 ein kontinuierliches Umsatzwachstum nachweisen kann (vgl. Abb. 2). Ein prognostizierter Wert von 165,9 Mrd. Euro für das laufende Jahr 2015 stellt zwar ein Fortwähren des Wachstumskurses des letzten Jahrzehnts dar, jedoch mit relativ kleiner Zuwachsrate (plus 0,8 Mrd. Euro).
Abb. 2: Umsatz im LEH in Deutschland in den Jahren 1998 bis 2015 (in Mrd. Euro)
Für eine umfassendere Betrachtung soll auch das derzeitig positive Konsumklima hierzulande Berücksichtigung finden. Dieses basiert auf realen Einkommenssteigerungen sowie einer außergewöhnlich niedrigen Arbeitslosenquote (4,7 Prozent im Juni 2015). Laut (lt.) Ergebnissen der GfK ist das Konsumklima zurzeit sogar auf dem höchsten Stand seit 13 Jahren. Ferner erreichte die Kauflaune der Deutschen – gemeint ist die Anschaffungseignung – zum Ende des letzten Jahres ein Acht-Jahres-Hoch bei gleichzeitigem historischem Tiefstand der Sparneigung. Wird diese Situation bedacht, so erscheint die zu erwartende Umsatzsteigerung im dt. LEH umso geringer.
Demgegenüber steht gleichzeitig ein – langfristig betrachtet – anhaltender Rückgang der finanziellen Aufwendungen für Lebensmittel in Relation zu den gesamten Konsumausgaben der Privathaushalte in Deutschland. Letztere beliefen sich im Jahr 2014 auf ungefähr 1.559 Mrd. Euro (s. Abb. 3).
Abb. 3: Höhe der Konsumausgaben privater Haushalte in Deutschland in den Jahren 1991 bis 2014 (in Mrd. Euro)
Wie der Abb. 4 zu entnehmen ist, wurden lediglich 13,8 Prozent davon in Nahrungs- und Genussmittel investiert; etwas über zehn Prozent beträgt der äquivalente Wert bei Ausklammerung von Tabakwaren und Alkohol. In einer durch die BVE publizierten Rechnung entspricht das einem monatlichen Durchschnitts-Bonwert von 444 Euro je Vier-Personen-Haushalt.
Abb. 4: Anteil der Ausgaben der privaten Haushalte in Deutschland für Nahrungsmittel, Getränke und Tabakwaren an den Konsumausgaben in den Jahren 1850 bis 2014 (in Prozent)
Damit liegt Deutschland im EU-Vergleich im unteren Drittel, sprich auf niedrigem Niveau. Grund hierfür sind die weitaus höheren Ausgaben für „Wohnung, Wasser, Energie“ sowie „Gesundheit, Bildung und Finanzdienstleistungen“ (s. Abb. 5). Beide Posten zusammen liegen deutlich über 40 Prozent der gesamten Konsumausgaben und gehen daher zu Lasten anderer Konsumbereiche; so auch zu jenem der Nahrungsmittel.
Abb. 5: Verteilung der Konsumausgaben der privaten Haushalte in Deutschland 2004 bis 2014 (in Prozent, nominal)
Weitere Gründe für die offensichtlichen Einsparungen der Deutschen beim Essen sind dessen, verglichen mit v.a. südlicheren Ländern, geringerer Stellenwert sowie die in der Bundesrepublik Deutschland (BRD) vorherrschende Handelsstruktur: Lebensmittel sind unvergleichlich günstig, Discounter spielen eine wichtige Rolle. Trotz des Marktanteilverlusts von beinahe einem Prozent am LEH-Umsatz, in einer Gegenüberstellung der Jahre 2013 und 2014, ist Deutschland mit 43 Prozent Vertriebsschienenanteil immer noch Spitzenreiter bei Discountermärkten in Europa (vgl. Abb. 6).
Abb. 6: Vertriebsschienenanteile am Umsatz im LEH (in Prozent)
Infolgedessen lässt sich der – nach einem länderübergreifenden Vergleich – schwache Nahrungsmittelkonsum hierzulande auch auf die ungleichen Lebensbedingungen der versch. Staaten zurückführen. In Ländern mit hohen Einkommen und relativ niedrigen Lebensmittelpreisen (z.B. Deutschland und Österreich) fließt ein weitaus kleinerer Teil des verfügbaren Familienbudgets in Nahrung als in solchen, die ärmer sind (z.B. Rumänien und Polen). Dort wird aufgrund kleinerer Gehälter und höherer Preise verhältnismäßig mehr für die lebenswichtigen Produkte, sprich die Ernährung, ausgelegt [gemäß (gem.) dem Engelschen Gesetz]. Dementsprechend wird im Verhältnis weniger Geld wird für Bildung, Freizeit etc. aufgebracht. Abb. 7 dient als Beleg dafür, dass sich Lebensmitteln in der Europäischen Union (EU) deutlich stärker verteuern als in der Bundesrepublik. Eine Entwicklung, die seit 1996 Bestand hat und sich in einem Unterschied von mehr als 50 Prozentpunkten bemerkbar macht.
Abb. 7: Vergleich der Verbraucherpreise für Nahrungsmittel und alkoholfreie Getränke in der EU
Zusätzlich spricht die landesinterne Verbraucherpreisentwicklung der letzten beinahe 25 Jahre dafür, dass dt. Verbraucher in der Kategorie Nahrungsmittel [inklusive (inkl.) alkoholfreier Getränke] vergleichsweise günstig einkaufen (Abb. 8). Langfristig gesehen liegt der Preisanstieg bei Essen und Trinken deutlich unter der allgemeinen Teuerung; die Differenz beträgt zwölf Prozentpunkte.
Abb. 8: Verbraucherpreise in Deutschland 1991 bis 2014
Wird diese Situation bedacht, so mag die zu erwartende Umsatzsteigerung im dt. LEH, auch wenn diese voraussichtlich eher gering ausfallen wird, vielleicht suspekt erscheinen. Sie kann u.a. aber damit begründet werden, dass die prozentualen Werte der Abb. 4 einerseits zwar abnehmend sind, ihre Bezugsgrößen der Abb. 3 andererseits jedoch zunehmend. Es ist daher schlüssig festzustellen, dass absolut wohl gesteigerte Ausgaben für Lebensmittel zu konstatieren sind (vgl. Anh. Abb. 2), die Einzelhändler in Anbetracht der guten Konsumstimmung dennoch nicht zu den größten Profiteuren gehören; diese kommt im LEH weniger an.
Bei Einnahme einer eingeschränkteren Sichtweise, werden nun ausschließlich die in Abb. 9 und 10 aufgeführten Konsumgüterbereiche [d.h. exklusive (exkl.) Kosten für Gesundheit, Bildung, Wohnung und so weiter (usw.)] gewürdigt. So stellen Nahrungs- und Genussmittel 2014 mit einem fast 40-prozentigen Anteil der privaten Konsumgüternachfrage eindeutig das größte Segment dar; etwa neun Prozent beträgt allein der entsprechende Nachfrageanstieg seit 2011.
Abb. 9: Private Nachfrage nach Konsumgüterbereichen 2014 (in Prozent)
In der interessanten Produktgruppe belegen ebenso die kumulierten Ausgaben einen Zuwachs der Nachfrage von 23 Prozent über die zurückliegenden zehn Jahre.
Abb. 10: Private Nachfrage nach Konsumgüterbereichen 2014 (in Mrd. Euro)
Um ein weitergehendes Verständnis für die aktuelle Lage rund um den dt. LEH zu erlangen, darf Folgendes nicht unbeachtet bleiben:
Zwar liegt nachweislich ein umsatzbezogener Positivtrend im Einzelhandel mit Lebensmitteln vor, allein nicht jeder Marktteilnehmer kann einen solchen für sein Geschäft vorweisen. Zurückzuführen ist diese Tatsache auf eine hohe Konzentration innerhalb der Branche. Die Edeka-, Rewe- und Schwarz-Gruppe (Lidl, Kaufland) sowie Aldi, in eben dieser Reihenfolge, vereinten im Jahr 2014 lt. Branchenschätzungen etwa 85 Prozent der Umsätze ihres Marktes auf sich; mit weit mehr als einem Viertel ist Edeka klarer Marktführer. Vervollständigt wird das Quintett der Top Fünf im dt. LEH durch die Metro-Group (vgl. Anh. Abb. 3). Im Vergleich dazu kommt Kaiser’s Tengelmann trotz – oder gerade aufgrund – der (lediglich) regional starken Marktstellung (u.a. in Berlin, Bonn und München) nicht einmal über einen Marktanteil von einem Prozent hinaus. Der LEH wird folglich von wenigen, großen Händlern dominiert. Aus genau diesem Grund wurde unlängst die geplante Übernahme von Kaiser’s Tengelmann durch Edeka vom Bundeskartellamt untersagt. Begründung im April diesen Jahres war, dass das Vorhaben nach Auffassung des Amtes „zu einer erheblichen Verschlechterung der Wettbewerbsbedingungen (…)“ geführt hätte. Insgesamt herrscht also eine hohe Wettbewerbsintensität, deren Ausfluss u.a. der weiter oben angedeutete, in erster Linie durch Discounter ausgelöste, Preiskampf ist.
Wie soeben herausgearbeitet, spricht der aktuelle konjunkturelle Rahmen für ein...