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E-Book

Organisationsethische Experimente

125 Anregungen für Führung, Ausbildung & Beratung

AutorNorbert Schermann
VerlagBooks on Demand
Erscheinungsjahr2018
Seitenanzahl188 Seiten
ISBN9783746024035
FormatePUB
Kopierschutzkein Kopierschutz
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis12,99 EUR
Die Organisationsethischen Experimente wurden zur Unterstützung in der selbständigen oder angeleiteten Reflexion ethisch bedeutsamer Fragestellungen entwickelt und können von daher vielfältig eingesetzt werden wie etwa: -Zur Selbstreflexion als Mitarbeiterin, Mitarbeiter oder Führungskraft im Unternehmen, in der Organisation oder in der öffentlichen Verwaltung -Als Anregung für ein Gespräch oder eine Diskussion im Team oder im Freundeskreis -In Ausbildung und Beratung (Coaching oder Supervision) als Impuls am Beginn, während oder am Ende einer Sequenz.

Norbert Schermann ist als promovierter Organisationsethiker Geschäftsführer der ATELIER Unternehmensberatung in Wien sowie Autor diverser Fachpublikationen und Musiker.

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Leseprobe

(1) Organisationen, Ethik und Experimente


Modernes Leben spielt sich in Organisationen ab. Wir alle werden von der Wiege bis zur Bahre durchorganisiert und haben es permanent mit Organisationen zu tun. „Ich muss mir das noch schnell organisieren!“ ist ein Stehsatz aus unserer Alltagssprache, der so etwas wie Machbarkeit und Berechenbarkeit suggeriert. Organisation – darunter stellt man sich etwas Größeres, Geordnetes und ein Gebilde vor, das etwas verlässlich ermöglicht oder erzeugt. Wenn wir irgendwie davon betroffen sind, nehmen wir jeweils eine von zwei möglichen Positionen ein: Jene als Mitarbeiterinnen, Mitarbeiter, als Repräsentantin, Repräsentant der jeweiligen Organisation (des Unternehmens, des Vereins usw.) oder jene als Kundinnen, Kunden im weitesten Sinn. Diesen Positionen können wir nicht entgehen.

Je nachdem erzeugen und verkaufen wir etwas, stellen Waren oder Dienstleistungen bereit, sorgen für jemanden oder etwas oder wir erwerben etwas, bewerben uns um etwas, nehmen eine Dienstleistung in Anspruch, liefern etwas oder werden zu Zielgruppen gemacht. Der Prozess des Organisierens, wie der Sozialpsychologe und Organisationsforscher Karl Weick zu sagen pflegt, hat beinahe alle Bereiche des Lebens erfasst und reicht damit immer mehr ins Private hinein. Dies wird dann deutlich, wenn man sich vor Augen führt, dass die Versuche von Geheimdiensten eine weltweit möglichst lückenlose Datenerfassung zu betreiben, Kennzeichen klassischer Organisation aufweisen. Sich entziehen zu wollen gleicht dem Versuch, sich als schwarzer Schwan mitten unter den weißen Schwänen zu verstecken.

Organisationen sind Ausdruck der vielfältigen Arbeitseilung von Funktionen einer Gesellschaft, die zu ihrem Erhalt beitragen. Die Gesellschaft hat sich derart ausdifferenziert und tut das noch weiter, dass man durchaus behaupten kann, der Organisationsgrad einer Gesellschaft sei direkt an das Ausmaß ihrer Unüberschaubarkeit gebunden. Auf diese Weise entsteht eine Vielfalt von unterschiedlichen und teilweise gegensätzlichen Perspektiven, mit denen der Verlust von Eindeutigkeit (falls es so etwas jemals gegeben hat) einhergeht. Der Soziologe Armin Nassehi nennt das Perspektivendifferenz. Kurz gesagt: Gesellschaften werden nicht mehr über gemeinsam geteilte Grundsätze für das Handeln, über Moral, integriert. Im Zuge dieser Einsicht erodieren auch unsere klassischen Vorstellungen von Organisationen, wonach diese berechenbar seien, wie Maschinen funktionierten und in denen die „richtigen“ anstatt „falscher“ Entscheidungen getroffen würden, um die angepeilten Ziele zu erreichen.

Organisationsethik thematisiert diese Perspektivendifferenz im Kontext von Organisationen. Deshalb ist es entscheidend, wie wir Organisationen betrachten und wie wir in diesem Zusammenhang das betrachten, was gemeinhin unter Ethik verstanden wird. Denn die Funktionsweisen von Organisationen sind im Prinzip die gleichen, egal ob sie Prozesse des Tötens oder Kindergeburtstage organisieren. Organisationsethisches Denken wie es für dieses Buch die Grundlage bildet, nimmt daher drei Schlüsselbegriffe in den Blick, die zugleich die wesentlichen Aspekte des Buchtitels darstellen: Organisation, Ethik (kombiniert als Organisationsethik) und den Begriff des Experiments.

Wovon wir sprechen, wenn wir von Organisation
sprechen – oder: Das Organisieren organisieren


Die ursprünglich griechische und lateinische Bedeutung von Organon bzw. Organum bezeichnete allgemein ein Werkzeug. Daraus trat dann der Begriff Organ im Sinne eines Teiles eines lebendigen Ganzen, hervor und führte zum Begriff des Organismus als selbständiges Lebewesen oder als einheitlich gegliedertes Ganzes1.

Den modernen Begriff der Organisation verdanken wir indirekt der Französischen Revolution, in deren Kontext die Bedeutung vom körperlichen und seelischen Zustand des Menschen auf staatliche Einrichtungen, wirtschaftliche und politische Gebilde übertragen wurde. Später kam zum Organisationsbegriff noch die Bedeutung der systematischen Vorbereitung zusammenwirkender Abläufe bzw. Arbeitsprozesse hinzu, um schließlich im 20. Jahrhundert damit auch den einheitlichen Zusammenschluss von Personen als Verband oder als Partei als Organisationen zu bezeichnen.

Die Etymologie des Organisationsbegriffes zeigt, dass hier zwei Perspektiven verbunden wurden, nämlich die des einzelnen Menschen und die des Zusammenwirkens von Menschen. Diese doppelte Aufladung lässt unterschiedliche Blicke zu, worauf sich unsere Aufmerksamkeit richtet, wenn wir an Organisation denken: Auf die jeweils einzelnen oder auf den Zusammenschluss dieser Personen. Darin spiegeln sich auch die vielfältigen Ansätze in der organisationstheoretischen Diskussion wider.

Wir alle kennen Organisationen in Gestalt von produzierenden Unternehmen, Dienstleistungsunternehmen, Sozialen Organisationen, Krankenhäusern, Medienunternehmen, Universitäten, Schulen, dem Wiener Prater, Banken, der Katholischen Kirche, Bundesministerien und deren nachgelagerte Verwaltungen und so weiter. Viele von ihnen bestehen seit geraumer Zeit und das, obwohl die Menschen, die für diese Organisationen arbeiten, immer wieder ausgewechselt werden. Organisationen überdauern die Lebensspanne einzelner Menschen. Dennoch bleiben sie bestehen und brechen nicht zusammen, wenn manche sie verlassen und andere hinzukommen.

Eine wesentliche Betrachtungsweise sogenannter systemischer Annahmen nimmt daher im Zusammenhang mit Organisationen (oder Teilen von ihnen wie z.B. Teams) weniger die einzelnen Personen in den Blick, als vielmehr die Beziehungen, die zwischen ihnen dadurch entstehen, dass sie ihre jeweiligen Aufgaben verrichten. Damit rücken die funktions- und tätigkeitsbezogene Kommunikation bzw. die Tätigkeiten selbst in den Blickpunkt. Natürlich sind damit die Menschen nicht ausgeschlossen, sondern sie werden in dieser Betrachtungsweise zu denjenigen, die die Organisation gleichsam bedienen. So könnte man sie im engeren Sinn als Teil der Umgebung der Organisation und zugleich als Schnittstelle in alle anderen Bereiche der Gesellschaft betrachten. Denn niemand richtet – hoffentlich – 24 Stunden am Tag und 365 Tage im Jahr die eigene Aufmerksamkeit ausschließlich auf die Organisation, für die er oder sie tätig ist.

Einige typische Kennzeichen dieser besonderen Betrachtungsweise Sozialer Systeme beschreiben wir kurz etwas näher. Erstens verfolgen Organisationen einen bestimmten Hauptzweck, in dem sich deren Sinn erschließt (etwas herstellen, bestimmte Dienstleistungen anbieten, für ein wichtiges gesellschaftliches Anliegen eintreten…). Damit unterscheiden sie sich jedoch von allen anderen gleichartigen Organisationen, Unternehmen, Verwaltungen, die als Mitbewerber damit zu Teilen ihrer Umwelten werden, die für sie je nach Branche besonders bedeutsam sind (zu denen natürlich auch etwa Kundinnen, Kunden, Geldgeber, Lieferanten,…gehören). Vor dem Hauptzweck steht jedoch die Entscheidung für diesen, also die Entscheidung gegen alle anderen Optionen. Was so trivial klingt, macht jedoch einen weiteren zentral wichtigen Wesenszug einer Organisation aus, nämlich, dass sie über ihren jeweiligen Rahmen (Ausrichtung, Struktur, Mitteleinsatz…) autonom entscheiden kann und muss. So konnte der Begründer der modernen Systemtheorie, Niklas Luhmann, behaupten, dass Organisationen Entscheidungen sind, die aus Entscheidungen bestehen (die aus Entscheidungen bestehen).

Zweitens basieren Organisationen in hohem Maße darauf, als wiederkehrende Prozesse zu funktionieren. Sie weisen nach innen die Affinität auf, das meiste von dem, was getan wird, an Routinen, also an wiederholbaren Vorgehensweisen (Arbeitsprozessen) auszurichten. Denn nur so kann effizient und effektiv gearbeitet und daher als Organisation überlebt werden. Was einmal festgelegt wurde, ist zu stabilisieren, also möglichst unveränderbar zu halten. Denn die jeweils aktuelle Dienstleistung, die erbracht wird, die jeweils aktuellen Produkte, die auf dem Markt angeboten werden, müssen immer wieder in gleicher Weise erbracht werden, damit sie verkauft werden können. Informations-, Kommunikations-, Planungs- und Entscheidungsprozesse werden sinnvoller Weise standardisiert. Dazu haben Organisationen Funktionen zu vergeben, die (mehr oder weniger deutlich) schriftlich festgelegt sind und deren Zusammenwirken in mehr oder weniger genau geregelten, zumeist hierarchisierten Beziehungen stehen, weil alle Funktionen im Fall des Falles zu Steuerungszwecken schnell erreichbar sein müssen.

Drittens benötigen sie dafür einigermaßen berechenbare Personen, die diese Funktionen mit einer gewissen Verbindlichkeit (gegen Bezahlung und aus bestimmten weiteren Motiven heraus) ausüben. Diese Verbindlichkeit wird über Mitgliedschaft hergestellt. In der Regel durch Arbeitsverträge, in denen die wesentlichsten rechtlichen und organisatorischen Rahmenbedingungen (Funktion, Rechte, Pflichten, Bezahlung…) festgelegt sind. Ehrenamtlich wahrgenommene Funktionen werden...

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