Der Name Papst, papa, bedeutet »Vater«. Während in der kirchlichen Frühzeit auch Bischöfe und Äbte als papa angeredet wurden, engt sich der Gebrauch des Wortes im 5. Jahrhundert auf den römischen Bischof ein (H. Fuhrmann). Im 11. Jahrhundert wird schließlich dekretiert, daß sich nur dieser, jetzt als Papst betrachtet, mit dem Vater-Namen schmücken dürfe. Der Name wird Programm. Für andere machtpolitisch durchgesetzte Bezeichnungen wie servus servorum Dei (Diener der Diener Gottes) oder vicarius Petri (Christi), also »Stellvertreter des hl. Petrus oder gar Christi auf Erden«, gilt dasselbe. An den verwandten Namen läßt sich ablesen, wessen Geistes Kind diejenigen waren, die sich so ansprechen ließen. Und was diejenigen empfunden haben müssen, die solche Bezeichnungen devotest benutzten.
Die offiziellen Titel des Papstes zeugen nicht von Demut. Sie lauten: »Bischof von Rom, Statthalter Jesu Christi, Nachfolger des Apostelfürsten, Summus Pontifex der gesamten Kirche, Patriarch des Abendlandes, Primas von Italien, Erzbischof und Metropolit der römischen Kirchenprovinz, Souverän des Staates der Vatikanstadt, Diener der Diener Gottes«. Diese Titulatur enthält ältere und neuere Bestandteile: Alt ist die Bezeichnung »römischer Bischof«, relativ jung (von 1929) die des »Souveräns des Staates der Vatikanstadt«. Der Titel »Statthalter (Stellvertreter) Christi« verdrängte erst im 12. Jahrhundert, als er sich endlich durchsetzen ließ, die bis dahin gebräuchliche Bezeichnung »Statthalter des hl. Petrus«. Unbestritten oder gar biblisch ist kein einziger Papst-Titel.
Papst Johannes Paul II. verzichtete zwar auf den Gebrauch einiger vatikanischer Hoheitstitel von einst, nicht jedoch auf ihren Anspruch. So gebraucht er den früheren »Majestätsplural« nicht mehr. Er spricht wie andere Menschen auch inzwischen im Singular. Er sagt nicht mehr »Wir«, wenn er von sich spricht, sondern »Ich«. Er versucht damit, nicht nur der Vertreter einer Institution zu sein, sondern Mensch unter Menschen zu werden. Und doch ist da ein Haken: D.A. Seeber stellte fest, daß »bei einer so fordernden Sprache wie der Johannes Pauls II. das ›Ich‹ trotz liebenswürdiger Verbindlichkeit noch sehr viel autoritätsvoller erscheint als das distanzierte ›Wir‹«.
Eine internationale Kommission katholischer Theologen empfahl in den siebziger Jahren des 20. Jahrhunderts, der Papst möge Titel meiden, »welche die Gefahr eines Mißverständnisses in sich tragen« (Y. Congar). Unter diese fiel die Anrede »Heiliger Vater« nicht; sie blieb unbefragt und ist bis heute die gebräuchlichste geblieben.
Ganz ohne Mißverständnisse kann auch sie nicht bestehen. Da sich aber Theologen scheuen, sie zu hinterfragen, muß es erlaubt sein, sich ihrer anzunehmen. Beispielsweise ist nachzufragen, inwieweit Amtsinhaber Väter im Wortsinn waren – und das ihren Papsttitel schmückende Adjektiv »heilig« nicht wörtlich nahmen.
Der gängigen Theologie stellt sich trotz reicher Quellen das Problem nicht. Es liegt eine einzige Untersuchung vor (von A. Uhl), und das erst seit kurzem. Ansonsten wurde geschwiegen. Interessengelenkte Autoren, die vor allem im Dienst ihrer Kirche und weniger in dem der ganzen historischen Wahrheit stehen, schließen die Augen. Mein Seitenblick auf die Papstgeschichte gilt ihnen vor allem als ein Seitenhieb.
Solche und alle, die alles gut katholisch finden, wie es war und ist, werden mein Buch kaum schätzen. Ich bezweckte dies aber auch gar nicht und schrieb nicht für Leute, die im Pferch verblieben, im Gegenteil. Ich sehe keinen Anlaß, die auch in anderem Zusammenhang erhobene, verdächtige Forderung zu erfüllen, endlich einen Schlußstrich unter längst Bekanntes zu ziehen.
Abgesehen von der Tatsache, daß sich immer wieder Neues finden läßt oder Altes auf neue Weise dargestellt werden kann und muß (was anderes kann Wissenschaft, die ihren Namen verdient, denn leisten?): Jede neue Generation hat das Recht, über Personen und Taten der Vorväter informiert zu sein. Niemand kann ihr Recht und Pflicht bestreiten, sich ein eigenes Urteil zu bilden, gerade wenn das Recht auf umfassende Information in kirchlichen Kreisen, wo Quellen lieber zensiert als genutzt werden, noch so oft unterbunden wird.
Einer der am schwersten wiegenden Vorwürfe gegen die Catholica, deren Päpste weltweit die infantilste Religion hegen, bleibt die vieltausendfach belegte Tatsache, daß diese Kirche (Gottes-)Angst verbreitet und Menschen bewußt in Abhängigkeit hält, um eigene Macht zu beweisen und zu stabilisieren. Das biblische Bild vom Hirten und der Herde wird damit durch die Oberhirten der Kirche gründlich verwischt. Nicht der geringste, nicht der rarste, wohl aber der am seltensten aufgedeckte Fall von Mißbrauch.
Die Hofgeschichtsschreibung der Päpste widmet sich lieber der Frage, was es mit dem Adjektiv »heilig« in der Bezeichnung »Heiliger Vater« auf sich habe: Unter den
270 offiziell anerkannten Päpsten finden sich an die 80 Heilige, vor allem aus den frühesten Jahren des Papsttums, als es selbstverständlich erschien, einem Amtsträger die persönliche Heiligkeit zuzusprechen. Im zweiten Jahrtausend der Papstgeschichte wurden nur sieben Päpste zur Ehre der Altäre erhoben, zuletzt der höchst umstrittene Pius IX. (1846–1878) und der menschlich integre Johannes XXIII. (1958–1963). Beide wurden im Jahr 2001 seliggesprochen – von Johannes Paul II. (1978ff.), der die eigene Öffentlichkeitswirkung sorgsam kalkuliert.
»Heilige Väter«? Gregor VII. (1073–1085), wahrscheinlich der Sproß eines Konkubinats, hatte den Weg gewiesen. Er behauptete, mit der vorschriftsmäßigen Amtseinführung würde jeder Papst persönlich heilig. Das Papstamt mache nämlich seinen Inhaber besser, wie er es selbst an sich gespürt habe. Im Gegensatz dazu stünde das Amt des Königs, das selbst gute Menschen schlechter mache.
Im 13. Jahrhundert, einer Zeit des blendenden Aufstiegs des Papsttums und dessen Stabilisierung durch Intrige, Bestechung, Parteiwechsel, Verrat und Krieg, wurde einmal mehr die Frage diskutiert, was Kirche sei. Eine häufige Antwort der zeitgenössischen, wie noch heute von der Gunst eines Papstes abhängigen, an Karriere interessierten Theologen lautete: »Der Papst, der die Kirche genannt werden kann« (papa qui potest dici ecclesia).
Unter dieser Voraussetzung kann Kirchengeschichte als Papstgeschichte verstanden werden und die »Kriminalgeschichte des Christentums« (K. Deschner) durchaus als Geschichte der Papstverbrechen.
Unter diese zähle ich nicht die Tatsache, daß auch Heilige Väter Kinder zeugten; das liegt in der Natur der Sache. Kriminelle Energie verrät vielmehr, daß Kinder skrupellos auf Kosten der (kirchlichen) Allgemeinheit versorgt wurden. Und besondere Unmoral liegt in dem Umstand, daß alles von denselben Personen besorgt wurde, die gleichzeitig lautstark von der Notwendigkeit einer priesterlichen – und damit doch wohl auch bischöflichen und päpstlichen – Ehelosigkeit faselten und sich zudem von Amts wegen gegen jede Form von Verwandtenbereicherung (Nepotismus) wandten. Solche Doppelzüngigkeiten wären jedem anderen schlecht bekommen, dem Papsttum galten sie nicht einmal als Widerspruch. Im Gegenteil, sie passen genau in das Bild, ein weiteres Indiz für die Legitimation, Kirchen- und Papstgeschichte auch als Geschichte öffentlicher Doppelmoral, Heuchelei, Kriminalität zu sehen.
Viele mögen einfach nicht glauben, daß die Historie des Heils so heillos sein soll, die Geschichte der Heiligen so ganz und gar unheilig (K. Deschner).
Das könnte sich ändern.
Ich beabsichtige zwar keine »Papsthistorie« im üblichen Sinn, kein Psychogramm einzelner, irrender Personen. Doch die knappe Diagnose einer Institution darf es schon sein, in der solche Personen, solche Taten möglich waren, ja erst möglich wurden.
Es ist problematisch, fast 2000 Jahre zurückzublicken und sich in die Lage der Menschen zu versetzen, die damals lebten. Wie verzwickt dies ist, wird einem jeden klar, der versucht, 2000 Jahre vorauszuschauen und Aussagen zu machen. Und was für den Zeitraum von 2000 Jahren gilt, gilt ähnlich für geringere Abstände: Auch 500 oder 100 Jahre zurückzuschauen bleibt schwierig. Alles muß Annäherung bleiben, alles steht unter diesem Vorbehalt.
Daher macht es sich die Kirche zu einfach: Sie erklärt die frühen römischen Bischöfe für heilig, unabhängig von dem, was wir überhaupt von ihnen wissen können. Alle sind heilig, im Dutzend sind sie heilig. Mit nicht weniger Recht könnte auch von unheiligen Vätern gesprochen werden, zumal deren Reihe ungleich länger ist.
Freilich fing alles anders an.
Die Legende ist alt: Petrus war Fischer, bevor er zum Apostel gewählt, und Apostel, bevor er zum Ersten der Zwölf ausersehen wurde. Und sie hat eine Fortsetzung. Sie nimmt im Lauf der Kirchengeschichte unterderhand an Fülle und Ausschmückung zu und wird noch immer offiziell beibehalten: Petrus kam eines Tages nach Rom, wurde dort Gründer einer Christengemeinde, stieg schließlich zum ersten Bischof Roms auf, blieb fünfundzwanzig Jahre am Ort, durfte sich mit Recht auch Papst heißen lassen, sah viele Nachfolger auf seinem Stuhl voraus, starb in einer Verfolgungszeit um 64/67 n.Chr. am Kreuz (mit dem Kopf nach unten), wurde an der Stelle begraben, wo heute der Petersdom steht, und unter Papst Pius XII. (1939–1958) ebendort wieder aufgefunden.
An alldem stimmt nichts. Es kann sogar angenommen werden, daß ein Mann, der den Namen Simon und später »Petrus« (der Felsartige) geführt haben soll, nicht einmal historisch ist. Vielleicht...