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E-Book

Mit Pflanzen verbunden

Meine Erlebnisse mit Heilkräutern und Zauberpflanzen

AutorWolf-Dieter Storl
VerlagHerbig
Erscheinungsjahr2018
Seitenanzahl256 Seiten
ISBN9783485082716
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis19,99 EUR
Für Wolf-Dieter Storl sind Pflanzen Persönlichkeiten mit eigenem Wesen - sie sind seine pflanzlichen Verbündeten. Im Mittelpunkt dieses sehr persönlichen Buchs stehen die Pflanzen, die sein Leben geprägt haben. Ob Kanadische Goldrute, Weberkarde oder Schwarze Tollkirsche, jede hat eine ganz besondere Bedeutung und mit jeder verbinden ihn eigene Erlebnisse, von denen er fesselnd und lebendig erzählt. Ein Lesegenuss für alle, die es ihm gleichtun wollen.

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Leseprobe

Beinwell


Als Heilpflanze regt sie stark den Ätherleib zu

regenerativer Tätigkeit an, entsprechend ihrer

eigenen vital-plastischen Natur, hilft aber dabei,

diese Tätigkeit mit gesunden Formkräften zu

durchdringen, dank ihrer Kieselnatur.

Wilhelm Pelikan

Kein Zweifel, es kam so, wie es kommen musste: Der Hund rannte vors Rennrad, ich stürzte im hohen Bogen mit voller Wucht auf den Asphalt. Beim Aufprall der Schulter zersplitterte das Schlüsselbein wie eine Glasröhre. Da stand ich nun, unter Schock, neben der Straße und hielt meine linke Schulter. Beim Abtasten spürte ich die Knochensplitter unmittelbar unter der Hautoberfläche. Der Hund war nicht schuld. Nein, es war die ganze verflixte Situation. Nach sechs langen Jahren in Europa und Asien waren Ganga und ich zurückgekehrt, um endlich mal wieder meine Eltern in ihrer gutbürgerlichen deutschen Miniaturoase mitten im amerikanischen Mittelwesten zu besuchen.

Noch immer trugen wir indische Kleidung, Sari und Kurta-Pyjamas. Wir hatten uns einfach noch nicht wieder an die ungemütliche Enge westlicher Kleidermode gewöhnen können. Wie jede indische Landfrau hatte Ganga einen goldenen Ring im Nasenflügel, rote Glasreifen hingen an den Handgelenken und Silberringe schmückten die Zehen – dabei war sie gar keine Inderin, sondern ein waschechtes, amerikanisches Cowgirl. Mit meiner Haartracht und dem langen Rauschebart sprengte ich jede Regel amerikanischen Anstands, und ein OM, das Sanskritzeichen des Urtons der Schöpfung, hatte ich mir auf den Handrücken zwischen Daumen und Zeigefinger eintätowieren lassen. So standen wir vor der Haustür. Eine Mischung aus Wiedersehensfreude und Entsetzen stand meinen Eltern ins Gesicht geschrieben, als sie die Tür öffneten. Unseren Pontiac – ein junger Schweizer hatte ihn uns in San Francisco mangels gültigen Fahrzeugbriefes spottbillig verkauft – mussten wir sofort in der Garage verstecken. Die Nachbarn hätten sonst was zu reden gehabt, wenn sie den alten Straßenkreuzer vorm Haus hätten stehen sehen.

Nun war ich schon über vierzig und im Gegensatz zu meiner braven Schwester hatte ich weder eine Anstellung noch regelmäßiges Einkommen. Wie ein Narr hatte ich damals meine unkündbare Stelle als Anthropologiedozent gekündigt und war wie Hans im Glück auf Reisen gegangen.

„Wie soll das weitergehen? Wovon wollt ihr leben?“, wollte der besorgte Vater wissen. Dass wir, dank indischer Weisheitslehren, nun an geistige Führung und die Unabdingbarkeit des Karmas glaubten und uns keine Sorgen machten, konnte ich ihm nicht sagen. Das wäre für ihn ein weiterer Beweis gewesen, dass sein Sohn den Boden der Realität verlassen hatte.

Dem Alten auf der Tasche zu liegen, kam uns gar nicht in den Sinn. Für unsere täglichen Mahlzeiten sammelten wir essbare Wildpflanzen: Kressearten, Seidenpflanzenschoten (von Asclepias syriaca), Wegeriche, Taglilien (Hemerocallis), Malven, Portulak (Portulaca sativa) und viele andere, von denen es im Mittelwesten im Sommer eine reichliche Auswahl gibt. Auf den Feldern gab es außerdem milchreifen Mais. Wir kochten Wildkräuteraufläufe, -suppen und -gemüse, dazu gab es Salate und Nachtisch aus frischen Maulbeeren, Fußblattfrüchten (Podophyllum peltatum), die wie reife Erdbeeren schmecken, Papaus (Asimina triloba), Brombeeren und dergleichen. Sie kosteten nichts außer der Zeit, die man sich nehmen musste, um sie zu sammeln. Und Zeit hatten wir. Der Abfallcontainer hinter dem lokalen Supermarkt war voller Gemüse und Salate, die sich nicht verkauft hatten, altem Brot, und für den Hund gab es da, fein in Zellophan verpackt, pfundweise Hackfleisch, Steaks oder Würste, deren Verfallsdatum überschritten war. Die arme Mutter wusste nicht, was sie von unserer unkonventionellen Kochkunst halten sollte, und der Supermarktangestellte, der uns zufällig beim Ausplündern des Containers entdeckte, war offensichtlich schockiert. So was würden doch nur Schwarze machen.

Was die Ernährung betraf, ging es uns also recht gut. Auch geistig ging es uns gut. Mit Ritualen, die wir in Indien gelernt hatten, stimmten wir uns auf die Natur ein. Jeden Tag zündeten wir am Fuß einer uralten Eiche Räucherstäbchen an und begrüßten die Sonne und alle Geschöpfe mit Gesang und Andacht. Oft kreiste ein großer Raubvogel überm Baum, als wüsste er um unser Tun. Als einmal eine Copperhead-Schlange 4 an uns vorbeischoss und ihre Haube wie eine Kobra ausbreitete, sahen wir das als kraftvolles Zeichen an. Ein Gruß von Mahadeva-Shiva! Ja, es ging uns gut; wir waren im Einklang mit dem Universum und mit göttlicher Energie gefüllt. Nur eben was das gesellschaftliche Umfeld betraf, da gab es Spannungen – Spannung mit der Familie wie auch mit der Nachbarschaft.

Eine Nachbarin, eine Lehrerin, lud uns ein, einen Vortrag in der Schule zu halten, nachdem sie erfahren hatte, dass wir gerade aus Indien zurückgekommen waren. Voller Begeisterung schilderten wir eine faszinierende alte Kultur und ihre geistigen Schätze, sprachen von heiligen Kühen, Tempeln, Wanderheiligen und ayurvedischer Heilkunst. Was die Zuhörer jedoch erwartet hatten, war ein Bericht über ein überbevölkertes, bedürftiges Drittweltland, voller Armut, Aberglauben und Krankheit, und zuletzt die Schlussfolgerung, dass es im fortschrittlichen Amerika, in God's own Country, viel besser sei als irgendwo anders auf der Welt. Nur: Diese patriotische Schlussfolgerung kam nicht, und so hörte das freundliche Smiling uns gegenüber plötzlich auf. Eigentlich hätten wir meinen Eltern zuliebe vorsichtiger sein sollen. Wie wir uns verhielten, fiel schließlich auf sie zurück. Immerhin hatten sie hier ein Haus gebaut und mussten in dieser äußerst patriotischen und eng konventionellen Kleinstadt leben.

© National Council: „Handbook for Boys“, Boy Scouts of Amerika, New Brunswick, N.J.

Copperhead-Schlange (Agkistrodon piscivorus)

Auch unsere Fahrradausflüge, zwecks Wildpflanzensammeln oder einfach nur zum Spaß, wurden zum Stein des Anstoßes, ebenso wie die Tatsache, dass man uns nackt im Fluss baden gesehen hatte. Letzteres galt als unanständig – ein aufgebrachter Farmer hätte uns fast erschossen. Und was das Radfahren betraf: Im ländlichen Ohio radelten nur Kinder oder entmündigte Behinderte, niemals aber Erwach­sene – die fuhren Auto, nicht aber auf Kinderspielzeugen. Die örtliche Polizei, der das verdächtig vorkam, folgte uns gelegentlich, langsam fahrend, mit dem Streifenwagen. Einmal hielten sie an und fragten, warum ich da durch die Gegend fuhr, beantworteten aber ihre Frage selbst: „Du trainierst wohl deinen Hund für Hundewettrennen?“

„Stimmt genau“, antwortete ich, wissend, dass jede andere Erklärung nicht verstanden worden wäre.

Flucht aus dem Krankenhaus


Die Spannungen im Verhältnis zur Bevölkerung der kleinen Ortschaft und innerhalb der Familie nahmen also von Tag zu Tag zu. Wir spürten, dass sich die negative Energie wie ein kollektiver Abwehrzauber auf uns konzentrierte. Von wegen, Voodoo-Zauber ist ein afrikanisches Phänomen längst vergangener, dunkler, abergläubischer Zeitalter! Er wirkt, er trifft sein Ziel, und zwar gerade dann, wenn die Zielperson, die persona non grata, für einen Bruchteil eines Augenblicks nicht ganz geistesgegenwärtig ist. Dann passiert es, wie ein Blitz aus heiterem Himmel. Und so war es: Mit dem Fahrradsturz entlud sich die Negativenergie, die geballte Spannung.

Jemand rief die Notfallambulanz. In der Notfallklinik wurde ich sechsmal geröntgt. Die sechsmalige Durchleuchtung kam mir übertrieben vor. Dann erschien ein Arzt, die Röntgenbilder in der Hand, und zeigte mit fleischigem Finger auf die multiplen Frakturen der Clavicula. Das Schlüsselbein müsse unbedingt operiert und ein Metallstab eingesetzt werden, denn sonst werde die Schulter zeitlebens krumm bleiben. „Wenn wir das nicht machen“, fügte er hinzu, „dann können Sie nie wieder einen Rucksack tragen, und ein Naturbursche wie Sie geht doch gern in den Bergen wandern, nicht wahr?“

Zögernd fragte ich ihn, was das Ganze kosten würde, denn seit ich mich von der Universität verabschiedet hatte, hatten wir keine Unfallversicherung mehr. Mit rund 2000 Dollar lasse sich das bewerkstelligen, antwortete er.

Er ließ ein Elektrokardiogramm erstellen, Blutgruppe, Blutdruck und weitere Biodaten ermitteln, dann ordnete er die Krankenschwester an, mir einen Notverband anzulegen, drückte mir starke Schmerzpillen in die Hand und bestellte mich für den nächsten Morgen um halb sieben ins Krankenhaus.

Der Schmerz hielt mich die ganze Nacht wach. Die Schmerztabletten habe ich dennoch nicht eingenommen. Wenn es geht, sollte man Schmerz nicht unterdrücken, und schon gar nicht bei Knochenbrüchen. Der Schmerz ist ein wichtiges Körpersignal, er ist der Anfang des Heilprozesses; er verhindert die unnötige Bewegung der ruhebedürftigen, verletzten Gewebe.

Es war noch dunkel, als wir uns um halb sechs auf den Weg machten. Der Vater fuhr, Ganga und der Hund kamen auch mit. Da unser vierbeiniger Gefährte wegen möglicher Verschmutzung des Teppichs nicht im Haus geduldet wurde, hätten wir ihn die ganze Zeit an der Kette angebunden lassen müssen. Das wollten wir aber nicht.

Kein Wort wurde während der Fahrt gesprochen. Auf halbem Weg schaute der Vater auf die Armbanduhr und schaltete das Autoradio an. „Sechs Uhr“, sagte er kurz, „Nachrichten!“

„ ... Präsident Reagan veranlasste den US-Kongress, einen Ausschuss zur Untersuchung...

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