Phytopharmaka: ganz besondere Medikamente
In Südfrankreich wird Lavendel auf großen Flächen angebaut. Das daraus gewonnene Lavendelöl duftet intensiv und wirkt beruhigend.
Regeln für natürliche Rohstoffe
Phytopharmaka unterscheiden sich von chemisch-synthetischen Arzneimitteln, die fast immer aus einem Einzelwirkstoff bestehen (zum Beispiel 500 mg Acetylsalicylsäure), durch ein wesentliches Merkmal: Sie enthalten ein Vielstoffgemisch, das aus einer natürlichen Quelle stammt. Der Rohstoff für dieses Vielstoffgemisch ist stets eine Arzneipflanze.
Für Naturprodukte sind Schwankungen ein typisches Merkmal. Bei einer Flasche Wein ist uns das sehr bewusst: Es gibt gute Jahrgänge, und es gibt weniger gute. Durch die von Jahr zu Jahr wechselnden Umweltbedingungen, denen die Weinrebe ausgesetzt ist, schwankt die Qualität des Weins. Bei Arzneimitteln wäre eine große Variabilität allerdings fatal. Würde sich die Menge und die Zusammensetzung der Inhaltsstoffe stets verändern, wäre kein Verlass auf die Wirksamkeit und die Sicherheit des Präparats. Um eine gute Qualität eines pflanzlichen Arzneimittels zu erreichen, setzen die Produzenten bereits am Anfang des Herstellungsprozesses an, also beim Rohstoff Arzneipflanze.
Pflanzen, die zu Phytopharmaka verarbeitet werden, stammen entweder aus Wildsammlungen oder aus Kulturen, also landwirtschaftlichem Anbau. Durch die WHO-Richtlinie GACP (good agricultural and collection practice) werden für beide Gewinnungsarten klare und rechtsverbindliche Regeln aufgestellt, an die sich die Hersteller pflanzlicher Arzneimittel halten müssen.
Beim Anbau lassen sich viele Bedingungen steuern. Ausschlaggebend ist natürlich die Standortwahl, denn jede Arzneipflanze benötigt die für sie optimalen Klima- und Bodeneigenschaften. Aber auch die Anbau- und Erntebedingungen können kontrolliert und standardisiert werden, was sich natürlich sehr positiv auf die Qualität des Rohstoffs auswirkt. Zudem sinkt die Gefahr, die Pflanzen zu verwechseln oder gar absichtlich zu verfälschen, die bei der Wildsammlung grundsätzlich besteht. Stehen Arzneipflanzen unter Naturschutz, wie beispielsweise gelber Enzian oder Arnika, ist der Anbau die einzige Option.
Durch Züchtung besteht außerdem die altbewährte Möglichkeit, besonders qualitative Pflanzen auszuwählen, die die gewünschten Inhaltsstoffe in hohem Maße enthalten oder eventuell problematische Stoffe kaum noch oder gar nicht mehr produzieren. Einige pharmazeutische Hersteller haben in diesen Bereich stark investiert und über Jahrzehnte hinweg ein Spezialwissen aufgebaut, um durch bestimmte Zuchtsorten eine sehr hohe Qualität des Rohstoffs garantieren zu können.
Beispiele für Arzneipflanzen, die angebaut werden oder aus Wildsammlung stammen:
Manche Pflanzen lassen sich bisher nur schlecht anbauen, oder ihre Kultur wäre unwirtschaftlich, so dass auf Wildsammlungen zurückgegriffen werden muss. Die Grundlage hierfür bildet eine intensive Schulung und Überwachung der Sammler, damit sie die richtigen Pflanzen und Pflanzenteile in naturschonender, nachhaltiger Weise gewinnen. Auch hier greift die WHO-GACP-Richtlinie. Die zuständigen Arzneimittelbehörden überwachen, ob die Hersteller die Richtlinie einhalten.
Das Nagoya-Protokoll, das von insgesamt 96 Staaten sowie allen EU-Ländern völkerrechtlich anerkannt wurde, gilt seit 2014 und regelt den Zugang zu sogenannten genetischen Ressourcen und den damit verbundenen Vorteilsausgleich. Ziel des Abkommens ist die Unterbindung der Biopiraterie. Möchte ein pharmazeutisches Unternehmen eine Pflanze aus einem dieser Staaten näher untersuchen, zu einem Phytopharmakon entwickeln und damit Geld verdienen, muss es mit der zuständigen Landesorganisation einen Vorteilsausgleich vereinbaren. Ein Teil der erzielten Gewinne muss also wieder in das Ursprungsland zurückfließen.
Die Mehrzahl der gesammelten oder angebauten Arzneipflanzen wird durch schonende Trocknung haltbar gemacht, bevor eine Weiterverarbeitung stattfindet. In einigen Fällen werden die Pflanzen auch direkt frisch verarbeitet, zum Beispiel im Fall der Artischocke oder des Purpursonnenhuts.
Was Arzneipflanzen mit Drogen zu tun haben
Pharmazeuten bezeichnen getrocknete Pflanzen oder Pflanzenteile als „Droge“. Das leitet sich schlicht von dem mittelniederdeutschen Wort dröge für trocken ab. Mit dem, was man heute allgemein unter dem Begriff Droge versteht, also den Rauschdrogen, hat das nur am Rande zu tun. Ein großer Teil der Suchtdrogen wird mittlerweile chemisch hergestellt.
Verbraucher kommen mit Drogen hauptsächlich dann in Berührung, wenn sie sich einen Arzneitee, zum Beispiel aus Pfefferminzblättern oder Kamillenblüten, zubereiten. Nicht alle Drogen eignen sich jedoch als Ausgangsstoffe für einen Tee. Die Apothekerin oder der Apotheker Ihres Vertrauens berät Sie hierzu gerne. Die überwiegende Zahl der gehandelten Drogen bekommt der Verbraucher nie zu Gesicht, denn sie dienen ausschließlich der Herstellung von Phytopharmaka.
Beispiele für pflanzliche Drogen
verwendeter Pflanzenteil | Beispiel |
Früchte | Mariendistelfrüchte |
Wurzelstock | Ingwerwurzelstock |
Der Qualitätsanspruch an pflanzliche Drogen, die der Herstellung von Arzneimitteln dienen, ist sehr hoch und wird im Europäischen Arzneibuch gesetzlich geregelt. Dort finden sich detaillierte Anforderungen an die Identität, die Reinheit und den Gehalt der jeweiligen Droge. Worum es hierbei geht, möchte ich Ihnen im Folgenden erläutern.
Die Identitätsprüfung weist nach, ob es sich um die gewünschte Droge, sprich die richtige Pflanze und den richtigen Pflanzenteil, handelt. Diese erfolgt sowohl mit dem bloßen Auge als auch mit einem Mikroskop. Typische Merkmale, auf die der Prüfer achten muss, sind im Arzneibuch mit Worten beschrieben und in Form von Zeichnungen wiedergegeben. Auch der Geruch und der Geschmack spielen dabei eine Rolle. Zur Identitätsprüfung gehören außerdem chemische Methoden, mit denen die charakteristischen Inhaltsstoffe analysiert und mit Referenzsubstanzen verglichen werden. Das stellt sicher, dass zweifelsfrei die gewünschte Droge vorliegt.
Einen ebenso hohen Aufwand erfordern die verschiedenen Reinheitsprüfungen. Zum Beispiel wird auf „fremde Bestandteile“ getestet, also auf andere Pflanzenteile oder gar fremde Pflanzen, auf tierische Verunreinigungen (Insekten) oder auf mineralische Stoffe (Erde). Sehr wichtig sind die Tests auf Pestizidrückstände, auf mikrobielle Kontaminationen durch Bakterien und Pilze, auf Schimmelpilzgifte, auf Schwermetalle und auf pflanzliche Giftstoffe. Diese Testverfahren garantieren, dass die Drogen rein sind und ohne Gefahr verwendet werden können.
Neben Identität und Reinheit muss eine Droge den hohen Ansprüchen an den Gehalt genügen: Das Arzneibuch schreibt bei jeder Droge vor, welche Menge an einem bestimmten Inhaltsstoff oder einer Inhaltsstoffgruppe enthalten sein muss, um als arzneibuchkonform zu gelten. Nur wenn der Gehalt stimmt, darf die Droge zu einem Arzneimittel verarbeitet werden. Das gewährleistet, dass eine geeignete Menge der wichtigen Inhaltsstoffe tatsächlich vorhanden ist.
Jede Droge, die als Grundstoff für Arzneimittel dient, wird genau geprüft.
Beispiel für eine...