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Phantastik. Der literaturwissenschaftliche Multipluralismus des Genrebegriffs 'Phantastik'

Der literaturwissenschaftliche Multipluralismus des Genrebegriffs 'Phantastik'

AutorTina Hofmann
VerlagGRIN Verlag
Erscheinungsjahr2009
Seitenanzahl66 Seiten
ISBN9783640396009
FormatPDF/ePUB
Kopierschutzkein Kopierschutz
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis14,99 EUR
Studienarbeit aus dem Jahr 2008 im Fachbereich Romanistik - Spanische Sprache, Literatur, Landeskunde, Note: 1.0, Universität Leipzig (Romanistik), Veranstaltung: (Neo-)Phantastik in lateinamerikanischen Erzählungen, Sprache: Deutsch, Abstract: Phantastik. Man hört oft Aussagen wie 'Phantastik ist wieder in.' oder 'Die Phantastik hat eine lange Tradition in Lateinamerika.' sowie den Ausdruck 'Phantastisches Wesen'. Was bedeutet aber dieser Begriff in der Literatur eigentlich? Mit den folgenden Zeilen dieser Arbeit möchte ich sie, lieber Leser, dazu einladen sich mit mir auf die Suche nach der Antwort auf die Frage Was ist phantastische Literatur? zu begeben.

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Leseprobe

3. Die Angst und Verstörung als wirkungsästhetische Bestimmung phantastischer


    Literatur


 

Lovecraft beobachtete bei seinen Untersuchungen der Texte Hoffmanns vorrangig eine Reaktion der Verstörung und der Angst des Rezipienten als Wirkungskonstituenten und definierte diese als Merkmal für die Phantastik. Demnach sollten zunächst alle literarischen Texte, die dieses Phänomen aufwiesen, zum Genre phantastischer Erzählungen gezählt werden. Dieser Ansatz zieht sich, obwohl, wie oben schon erwähnt, ein Methodenpluralismus im Hinblick auf die Genreforschung existiert, durch die meisten, wenn nicht sogar alle Theorien der letzten Jahrzehnte. Das bedeutet, dass sich eine Unmenge von Wissenschaftlern mit dem Merkmal Angst und Verstörung auseinandergesetzt haben  und sich trotz spannenden Diskussionen über die richtige Phantastikdefinition in diesem Punkt einig zu sein scheinen. In diesem Sinne vermischen sich oftmals die Grenzen zwischen verschiedenen Ideen und Ansätzen. Es ergab sich jedoch die Frage, welche Instanz diese Angst und Verstörung auslöst und hier, in der Begründung der Angst und Verstörung, liegt der Unterschied zwischen den Ansätzen. Viele Theoretiker der Phantastikforschung haben sich mit diesem Phänomen auseinandergesetzt und sind bei Versuchen dieses zu ergründen auf verschiedene Antworten gekommen. Auf der Suche nach der Lösung des Rätsels der Angst sind dabei im Allgemeinen zwei übergeordnete Ansatztendenzen zu verzeichnen. So rekurriert zum einen ein Forschungsstrang auf Kriterien, die nicht primär selbst an die Immanenz der Darstellungsebene gebunden sind, ein andere auf denen, die primär an diese gebunden sind. Dabei hat man unter letzterem ein Verfahren zu verstehen, bei dem der Blickpunkt nicht zuerst auf Vertextungsverfahren gerichtet ist, diesbezüglich also nicht die Besonderheit phantastischer Texte über bestimmte Motive oder strukturelle Besonderheiten zu definieren versucht, wie dies beim ersteren der Fall ist, sondern sein Hauptaugenmerk auf textexterne Instanzen wie zum Beispiel den Autor oder den Leser lenkt.

 

3.1.  Das Erklärungsmodell zur Wirkungskonstituente Angst, welches sich auf Kriterien


        bezieht, die nicht primär an die Immanenz der Darstellungsebene selbst gebunden


        sind  – die Angst vor dem fremden Ich


 

Einer der ersten Versuche, die Wirkungskonstituente Angst näher zu beleuchten, bediente sich des Wissenschaftsbereich der Psychologie. Man hatte bei den Untersuchungen einen realen Leser im Auge und war deshalb der Überzeugung eine solche Gefühlsregung nur mit Hilfe der Psychologie fundiert beschreiben zu können. Siegmund Freud gilt dabei als Initiator dieser Tendenz. Vor allem am Beispiel der Hoffmannschen Erzählung Der Sandmann formulierte der Psychoanalytiker seine erste Angsttheorie, wobei er nicht nur mit dem Begriff der Angst operiert, sondern auch den Begriff des Unheimlichen verwendet, welcher in diesem Kontext jene Instanz darstellt, die die Angst beim Rezipienten auslöst. Dabei ging er davon aus, dass

 

„Jeder Affekt einer verdrängten Gefühlsregung […] durch die Verdrängung in Angst verwandelt werden [kann]. Das Unheimliche, das Freud bei Hoffmann entdeckt, resultiert, ja ist Freud zufolge eben die aus der Verdrängung entstandenen Angst, die bei der Wiederkehr des Verdrängten erneut frei wird. Dies sei die geheime Natur des Unheimlichen. […] Das Unheimliche ist [also] das von früher her Vertraute, schon Bekannte, das als Verdrängtes oder Überwundenes im Inneren des Individuums fortlebt und scheinbar plötzlich in der Außenwelt wieder auftaucht oder eine Bestätigung erfährt.“

 

(Hartwich, Kai- Ulrich: Elemente der Kritik Psychoanalytischer Literaturinterpretation.

 

In: Schenkel, Elmar; Schwarz, Wolfgang F.; Stockinger, Ludwig; De Toro, Alfonso. 1998:

 

Die magische Schreibmaschine. Aufsätze zur Tradition des Phantastischen in der Literatur.

 

Vervuert Verlag: Frankfurt/Main.)

 

Bei diesem Ansatz kommt dem Psychoanalytiker die Etymologie des Wortes unheimlich entgegen und so stellt er seinen psychologischen Überlegungen die sprachliche Herkunft des Begriffes zur Seite. Der Ausgangspunkt der Sprachentwicklung von unheimlich stellt das Wort heim dar, welches neben der Bedeutung von ´Haus, Wohnort, Heimat´ eine weitere Bedeutung im Sinne ´des zum Haus Gehörigen und Vertrauten´ aufweist. Davon ausgehend weist das Wort heimlich auf ´einen sich verbergenden Rückzug in das Haus´ und somit auf ein ´Geheimnis´ hin. Nun betrachte man das Wort unheimlich. Während es im alltagsprachlichen Gebrauch nur die Bedeutung von heim verneint und somit für etwas ´Unvertrautes´ und ´Befremdliches´ steht, das in seiner Erscheinung das Gefühl der Verunsicherung hervorrufen kann, ist nach Freud zufolge das Unheimliche jedoch das einst Vertraute, was verdrängt wurde, im Unbewussten verborgen liegt und affektiv abgewehrt und verleugnet wird. Im unheimlichen Erlebnis kehrt das Verdrängte dann in entfremdeter Form zurück. Das Unheimliche wird also als etwas dem Seelenleben eigentlich Vertrautes beschrieben, das aber durch den Prozess der Verdrängung entfremdet worden ist.

 

Freud begründete mit diesem Phänomen auch den in der Psychologie verwendeten Begriff der Neurose. Er ging davon aus, dass sich Kinder in einem Alter, in dem sich das Bewusstsein stark entwickelt, im Normalfall für alles, was sie umgibt, interessieren, so auch für das Sexualleben und die Frage woher man denn komme. Der Umgang mit Sexualität war aber vor einiger Zeit, insbesondere gegenüber Kindern, ein Tabuthema. Vor dem Hintergrund des kulturellen Kontexts hatte man es vermieden seine Kinder aufzuklären, da man befürchtete, dass durch eine Aufklärung ein Reiz gegenüber den Trieben seitens der Kinder hervorgerufen werden könnte und so ihre „Bravheit“ in Gefahr sah. In diesem Sinne wollte man das Kind, welches als Triebwesen auf die Welt kommt, nicht nur im Hinblick auf die Sexualität, sondern auf alle Triebe, die ein Mensch besitzt, in seinen ersten fünf oder sechs Jahren zu einem annähernd zivilisierten Mitglied der Gesellschaft erziehen. In unserer heutigen Zeit nehmen sich die Erzieher in der Regel viel Zeit für die Trieberziehung, welche sie mit den Mitteln der Liebe durchzusetzen versuchen, denn im Austausch für die Liebe der Eltern ist das Kind bereit den Preis dieser Erziehung zu zahlen. Damals arbeitete man jedoch vermehrt mit unbefriedigenden Mitteln, vor allem Drohungen, Drill, Liebesentzug und Strafe. Solche Methoden wirkten schnell, direkt und dauerhaft. Es wurde als pädagogischer Erfolg betrachtet, wenn Kinder eine verbotene Handlung, für die sie einmal bestraft wurden sind, nicht wiederholten und wenn sie sich ihren primitiven Wünschen so weit entfremdeten, dass sie deren Existenz aus ihrer inneren Wahrnehmung verbannten. Doch es scheint nur so, als ob eine solche Erziehung dazu führt, dass das Kind seine Triebimpulse meistert, in Wirklichkeit hat es sie aber nur verdrängt und ist nur ungenügend im Stande seine Triebe vernünftig zu steuern. Eine „angemessene“ Steuerung der Triebe wird dagegen durch eine allmähliche Transformation und Umleitung der infantilen Triebimpulse erreicht. Ebenso wie es in der körperlichen Entwicklung keine diskontinuierlichen Sprünge gibt, gibt es auch keine schlagartige Wandlung eines „unzivilisierten“ Kindes in ein „zivilisiertes“. Im Sinne einer Trieberziehung durch den Drill kommt es zum Konflikt zwischen den verspürten Trieben und ihrer gesellschaftlichen Verachtung, das bedeutet, dass das Individuum seine Triebe nicht steuern kann, da es dies nie wirklich gelernt hat. Durch diese ungelöste Konfliktlage entsteht eine seelische beispielsweise psychosoziale Gesundheitsstörung. Um ein Gleichgewicht gegenüber dem Triebverhalten zu erreichen, entwickelt der Mensch Abwehrmechanismen, die vor gefürchteten oder verpönten Triebimpulsen schützen sollen. An dieser Stelle sei erneut der Begriff der Verdrängung erwähnt. In diesem Sinne versucht das Individuum die Impulse nicht in das Bewusstsein vorzulassen und gleichsam in das Unbewusste zurückzudrängen. Doch aus dem Bewusstsein verdrängt, bedeutet nicht automatisch neutralisiert. So bleibt das Verdrängte auch aus dem Unbewusstsein heraus wirksam. Ein wichtiges Charakteristikum für solche Neurosen stellen unter anderem Angstzustände dar. Bei dieser Krankheit sind gleichzeitig verschiedene Reaktionsmöglichkeiten gegeben um den Konflikt zu entladen, so zum Beispiel die Sublimierung, also die unbewusste Umwandlung der Triebenergie in eine Aktivität mit psychisch verwandten künstlerischen, literarischen unter anderem kreativen Zielen.

 

Zusammenfassend liegt die Angst also nach Freud im Konflikt mit dem Verdrängten begründet. Ich habe mir allerdings die Frage gestellt, warum man Angst vor der Wiederkehr des Verdrängten verspürt und in diesem Sinne nach einem tieferen Zusammenhang zwischen Neurose und Angst gesucht. Dabei bin ich zu dem Schluss gekommen, dass jede Neurose mit einer Angst vor Verlusten einhergeht. An dieser Stelle ergibt sich die Angst vor dem persönlichen Kontrollverlust des Ichs. Dies kann aber nur im Zusammenhang mit sozialen...

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