Warum macht das Leben auf dem Jakobsweg so glücklich?
Die Pilgerreise auf den Jakobswegen erfreut sich seit einigen Jahren einer, über alle Alters- und Landesgrenzen hinweg, erstaunlichen Beliebtheit. Auch heute noch gibt es Pilger, die den schweren Weg nach Santiago als Buße für begangene Sünden ansehen. Die meisten jedoch erleben den Weg ganz anders: als eine glückliche und bereichernde Erfahrung, von der man lange zehrt - so lange, bis man sich wieder auf den Weg macht. Es stellt sich die Frage, was das Leben auf dem Weg für Pilger so besonders macht, dass diese gerne bereit sind, oftmals Hunderte Kilometer zu Fuß zurückzulegen.
Für die meisten Pilger ist wohl die richtige Mischung entscheidend: Bei meist schönem Wetter geht es durch malerische südliche Landschaften, Dörfer und Städte. Das Fehlen eines Terminplaners, eines Fernsehers, des Internets und vieler anderer Dinge lädt dazu ein, das einfache Leben zu genießen und die Schönheit scheinbar unbedeutender Details zu entdecken.
Einmal richtig innerlich auf dem Weg angekommen, befindet man sich, so erleben es Viele, in einem idealen Gleichgewicht von Leistungsdruck und Langeweile. Das gemächliche Gehen erlaubt es dem Geher, sich im Hier und Jetzt ganz und gar und mit allen Sinnen zu Hause zu fühlen. Die Sorgen für den kommenden Tag verlieren an Bedeutung, das Gestern zählt nur als ein Schritt auf dem Weg in das Heute. Auf dem Weg stößt man auf beeindruckende Kulturgüter, begegnet aber vor allem auch interessanten Menschen, mit denen es sehr oft zu bereichernden menschlichen Begegnungen kommen kann. Die sportliche Betätigung des Gehens vermittelt ein gutes gesundes Körperbewusstsein und man fühlt sich so rundherum wohl in seiner Haut.
Die Übernachtung in den Unterkünften ist meist sehr günstig und das gute Essen, das wegen der vielen vorher abgelaufenen Kilometer endlich auch mit gutem Gewissen in reichlichem Maße genossen werden kann, scheint meist für jeden erschwinglich. Das Leben ist reich an Eindrücken und Erfahrungen, aber dafür umso günstiger an Ausgaben und ebenso arm an echten, überfordernden Problemen. Man geht gelassen in den Tag hinein und hat dort nur wenige Probleme zu bewältigen. Am Abend kommt man mit einer wohligen körperlichen Müdigkeit und reich an Eindrücken an. Jeden Tag macht man kleine „Fort-Schritte“, die sich aber mit jedem Tag in der Summe zu einer Leistung addieren, die dem Einzelnen das Gefühl gibt, etwas Unglaubliches zu vollbringen und in wunderbarer Weise über sich selbst hinauszuwachsen.
Genusspilger auf dem Camino Primitivo (we)
All das eben Beschriebene ist für viele Menschen schon genug Motivation, sich auf den Jakobsweg zu begeben und dort eine sehr glückliche und erfüllte Zeit zu verbringen. Für Viele stellt sich aber auch die Frage, was das Gehen auf dem Jakobsweg oder auf einem anderen Pilgerweg von dem Wandern auf einem normalen Fernwanderweg unterscheidet - was also Pilgern im engeren oder weiteren Sinne bedeutet. Eben dieser Unterschied ist aber für die meisten Pilger ein wesentlicher Grund für ihre Begeisterung für den Weg.
Was ist Pilgern?
Es gibt so viele Ansichten darüber, was Pilgern ist, wie es Pilger gibt. Traditionell versteht man unter Pilgern und Wallfahren das Unterwegssein als spirituelle Übung oder aber den Besuch eines bestimmten heiligen Ortes wie z.B. Santiago de Compostela oder Rom. Heute ist Pilgern oftmals nicht mehr, oder zumindest nicht mehr allein, von religiösen Motiven geprägt. Dennoch spielt bei den meisten Pilgern eine spirituelle Dimension oder der Wunsch nach Selbsterfahrung eine maßgebliche Rolle. Auch ich messe der spirituellen Dimension des Pilgerns eine zentrale Bedeutung zu. Weil es sich hier aber um ein rein praktisches Werk in einer praktischen Reihe handelt, wird auf diesen Aspekt der Pilgerreise nicht näher eingegangen. Interessierte verweise ich hier auf meinen spirituellen Ratgeber 9.
Pilgern ist ... letztendlich etwas unerklärlich Wunderbares, das Sie hoffentlich erleben werden, wenn Sie schließlich selbst auf einem Pilgerweg, wie z.B. dem Jakobsweg oder dem Weg nach Rom, unterwegs sind.
Ein klein wenig zur Geschichte des Pilgerns
Auch die Geschichte des Pilgerns auf dem Jakobsweg, kann in diesem praktischen Ratgeber nicht ausführlich dargestellt werden. Einiges sollten Sie aber auf jeden Fall von Anfang an wissen, um sich im Gespräch mit anderen Pilgern nicht durch Unwissen zu blamieren.
Bei den Jakobswegen handelt es sich nicht, wie vielleicht fälschlicherweise angenommen um die zurückgelegten Wegstrecken eines wander- und missionsfreudigen Jüngers Jesu namens Jakobus mit Wohnsitz in Santiago de Compostella, der der dort schließlich, zurück von einer langen Missionsreise, entkräftet zusammenbrach und seine letzte Ruhe fand. Selbiger Apostel mit dem Namen Jakobus der Ältere zeichnete sich zwar zu Lebzeiten durchaus durch eine rege Reisetätigkeit aus und liegt auch der frommen Überlieferung folgend in Santiago begraben, er hatte aber vermutlich nur wenig oder überhaupt nicht in Spanien missioniert bzw. seine dahingehenden Bemühungen waren nur von wenig Erfolg gekrönt. So entstand die Legende, dass nur ein Hund hätte ihm zu Lebzeiten in dem heute so katholischen Spanien Gefolgschaft geleistet.
Die Geschichte des Pilgerns und des Jakobsweges beginnt viel früher. Pilgern ist ein religions- und kulturübergreifendes Phänomen und christliche Pilgerwege wie z.B. der Jakobsweg sind im Vergleich zu Pilgerwegen anderer Weltreligionen eher ein neuere Erscheinung. Schon in vorchristlicher Zeit gab es vermutlich Kultwege auf denen Schamanen dem Verlauf der Sonne folgend nach Westen bis zum Kap Finisterre, dem damaligen vermeintlichen Ende der Welt zogen. Ab der Zeit der Römer, wurden hierzu teilweise auch Römerstraßen betreten.
Die christliche Tradition bzw. Geschichte des heutigen Jakobsweges beginnt im Jahre 44 n.Chr. mit dem Märtyrertod des oben genannten Apostels Jakobus dessen Leichnam dann der Legende folgend, nach einer langen Odyssee auf der Flucht seiner Verfolger letztendlich im heutigen Santiago de Compostela seine letzte Ruhe fand. Nachdem am Anfang des 8. Jh. weite Teile Spaniens von den Mauren erobert waren, wurde im 9. Jh. vom damals amtierenden Papst die Wiederentdeckung des Jakobusgrabes in Auftrag gegeben. Die vermeintliche Existenz des Jakobusgrabes in Santiago diente dann als Rechtfertigung für den Rückeroberungskrieg Spaniens gegen die Mauren. Der Apostel Jakobus wurde im Sinne der christlichen Kriegspropaganda als wiederauferstandener Gotteskrieger hochstilisiert, welcher als Schutzpatron Spaniens mit seinem blutigen Schwert den Maurenkriegern die Köpfe abschlug. Die mit wachem Auge betrachtet schändlich-diskriminierenden Darstellungen des „Maurenschlächters“ Santiago in Aktion werden noch bis heute unter Begründung einer zweifelhaften Traditionspflege in verschiedenen Kirchen der in weiten Teilen rückständigen Katholischen Kirche Spaniens ausgestellt und verehrt.
Seit Entstehung der Tradition der Pilgerreise nach Santiago wurden zunächst die nördlichen Wege also der Camino Primitivo und der Küstenweg begangen. Später, mit Rückeroberung der südlicheren Regionen Spaniens wurden auch der Camino Francés und die südlichen Wege wie die Vía de la Plata und der Caminho Português genutzt.
Im 15 Jh. erreichte die Pilgerreise nach Santiago ihre Blütezeit. Auf diese Zeit gehen viele Pilgertraditionen, Legenden und z.B. auch die Entstehung des Pilgerausweises zurück. Bis zum 19. Jh. wurde die Pilgerreise zeitweise durch verschiedene politische Ereignisse wie Kriege und Seuchen gelegentlich behindert und kam zeitweise fast ganz zum Erliegen.
Erst um 1937 erfuhr der Weg, leider erneut im weiteren Sinne einer Kriegspropaganda, durch ein Dekret des spanischen Diktators Franco wieder eine größere politische Förderung. Nach dem Zusammenbruch der Diktatur lebte ab 1971 die europäische Dimension des Weges wieder auf. In den letzten 10 Jahren haben sich die Pilgerzahlen nahezu verdreifacht. Im Jahre 2002 meldeten sich 69.039 Pilger in dem katholischen Pilgerbüro in Santiago, im Jahre 2012 waren es bereits 192.488 Pilger.
Soweit zu den allerwichtigsten Hintergründen. Weitere knappe Ausführungen zur Geschichte des Jakobsweges finden Sie gewöhnlich auch im einleitenden Teil von Pilgerführern zu den einzelnen Wegen. Als ausführlichere aber zugleich kurzweilige Lektüre zur Geschichte der Pilgereise auf dem Jakobsweg empfehle ich z.B. das im Anhang näher beschriebene Buch von Patrick Windisch ( 21).
Wer kann pilgern?
Auf dem Jakobsweg trifft man nicht nur Menschen aller Erdteile, Weltanschauungen und Altersklassen, selbst Menschen mit schweren körperlichen Einschränkungen und Behinderungen sind pilgernd unterwegs. Im Prinzip kann also jeder pilgern - natürlich mit individuell unterschiedlichen Maßstäben, was die Tagesetappen angeht. Wer körperlich nicht so fit ist, dem ist anzuraten, nicht mit schwierigen...