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E-Book

Pompeji

Das Leben in einer römischen Stadt

AutorMary Beard
VerlagS. Fischer Verlag GmbH
Erscheinungsjahr2017
Seitenanzahl480 Seiten
ISBN9783104904702
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis4,99 EUR
Im Jahr 79 n. Chr. regnete glühende Asche auf Pompeji nieder. Lava überflutete Menschen, Tiere und Gebäude - und konservierte sie für die Ewigkeit. Jahrhunderte später ist Pompeji eine der wichtigsten Fundstätten der Archäologie. Die weltweit bekannte Historikerin Mary Beard nimmt uns mit auf einen faszinierenden Spaziergang durch die Geschichte Pompejis. Sie schildert, wie die Menschen dort gelebt und geliebt haben, beschreibt Häuser, Kneipen und Gärten, Kunstwerke und Dinge des Alltags. Zugleich entlarvt sie die Irrtümer, die Forschern immer wieder unterliefen, und zeigt, wie es wirklich war. Mit jedem faszinierenden Rätsel, das sie dabei präsentiert, wächst die Sehnsucht, diesen Ort mit eigenen Augen zu sehen. »Pompeji« wurde 2008 mit dem renommierten Wolfson History Prize ausgezeichnet. »Dieses fantastische Buch ... ist ein Vorbild für ebenso scharfsinniges wie spannendes Erzählen über die Vergangenheit.« The Guardian

Mary Beard lehrt an der Cambridge University Alte Geschichte. Sie gilt in der angelsächsischen Welt als die bekannteste lebende Althistorikerin und zugleich als eine der streitbarsten. Immer wieder schaltet sie sich in aktuelle Debatten ein. Sie ist Herausgeberin des Bereichs Altertumswissenschaften für das »Times Literary Supplement« sowie Autorin und Moderatorin der berühmten BBC-Serie ?Meet the Romans?. Für ihre große Geschichte Pompejis erhielt sie 2008 den Wolfson History Prize. Im Juli 2010 wurde Mary Beard zum Fellow of the British Academy gewählt. 2016 erschien bei S. Fischer ihr Welt-Bestseller »SPQR. Die tausendjährige Geschichte Roms«.

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Leseprobe

Einführung


Unterbrochenes Leben


In den frühen Morgenstunden des 25. August des Jahres 79 n.Chr. ließ der Bimssteinregen über Pompeji ein wenig nach. Anscheinend war dies ein günstiger Augenblick, um die Stadt zu verlassen und sich in Sicherheit zu bringen. Eine versprengte Gruppe von mehr als 20 Flüchtenden, die, als der entsetzliche Regen am heftigsten niederprasselte, innerhalb der Mauern Schutz gesucht hatten, strebte zu einem der östlichen Stadttore, weil sie hoffte, so dem Bombardement aus vulkanischen Gesteinsbrocken zu entkommen.

Ein paar andere hatten bereits einige Stunden zuvor versucht, diesen Weg einzuschlagen. Ein Paar hatte auf seiner Flucht nur einen kleinen Schlüssel bei sich (vermutlich in der Hoffnung, eines Tages zu dem zurückzukehren, was er verschloss – ein Haus, eine Wohnung, eine Truhe oder Kassette) sowie eine einzelne Bronzelampe (Abb. 1). Sie kann gegen die nächtliche Dunkelheit und die Schuttwolken kaum viel ausgerichtet haben, doch es handelte sich um ein teures und modisches Objekt in Gestalt des Kopfes eines Schwarzafrikaners – ein Hinweis auf die (uns) irritierenden einfallsreichen Formen, denen wir in Pompeji häufig begegnen werden. Das Paar hat es nicht geschafft. Vom Bimssteinregen überwältigt, wurden die beiden 1907 dort gefunden, wo sie zu Boden gestürzt waren, in der Nähe eines der großen Grabmäler, die diese wie andere Ausfallstraßen säumten. Sie brachen neben der aufwendigen Gedenkstätte einer Frau zusammen, die vermutlich 50 Jahre früher gestorben war, Aesquillia Polla, der Frau des Numerius Herennius Celsus. Mit ihren gerade einmal 22 Jahren (wie wir auf dem Stein noch lesen können) dürfte sie kaum halb so alt wie ihr reicher Ehemann gewesen sein, der als Angehöriger einer der prominentesten Familien Pompejis als Offizier in der römischen Armee gedient hatte und zweimal in das höchste Amt der Stadtregierung gewählt worden war.

Abb. 1. Kleine Lampen in Form menschlicher Köpfe (oder Füße) waren im 1. Jahrhundert n.Chr. in Mode. Bei dieser wurde das Öl in das Loch auf der Stirn gegossen, wobei die Flamme aus dem Mund kam. Mit den Blütenblättern, die den Griff bilden, misst die Lampe nicht mehr als zwölf Zentimeter.

Die Bimssteinschichten hatten schon eine Höhe von mehreren Fuß erreicht, als die andere Gruppe sich entschloss, denselben Fluchtweg zu wagen. Man kam nur langsam und unter großen Schwierigkeiten voran. Die meisten dieser Flüchtenden waren junge Männer, viele trugen nichts bei sich, entweder weil sie nichts hatten oder weil sie ihre Wertsachen nicht mehr an sich nehmen konnten. Ein Mann hatte sich vorsichtshalber mit einem in einer eleganten Scheide steckenden Dolch bewaffnet (er hatte auch noch eine zweite Scheide bei sich, die aber leer war, vielleicht weil er die zugehörige Waffe verloren oder verliehen hatte). Die wenigen Frauen in der Gruppe hatten schon etwas mehr. Eine führte eine kleine Silberstatuette der – auf einem Thron sitzenden – Glücksgöttin Fortuna mit sich, außerdem eine Handvoll goldener und silberner Ringe – an einem war, wohl als Talisman, ein winziger Phallus aus Silber (ein weiterer Gegenstand, dem wir im Laufe des Buches des öfteren begegnen werden) mit einer Kette befestigt. Andere hatten ihren eigenen kleinen Bestand an Kostbarkeiten mitgenommen: einen silbernen Medizinkasten, einen kleinen Sockel für eine (nicht erhaltene) Statuette und etliche Schlüssel, alles in einer Stofftasche verstaut; ein hölzernes Schmuckkästchen mit einer Halskette, mit Ohrringen und einem silbernen Löffel – und noch mehr Schlüsseln. Sie hatten auch alles Bargeld, das sie auftreiben konnten, mitgebracht. Die einen nur etwas Kleingeld, andere alles, was sie zu Hause versteckt hatten, oder auch die Einnahmen aus ihrem Laden. Es war jedoch nicht viel. Alles in allem verfugte die Gruppe über insgesamt knapp 500 Sesterze – nach pompejanischen Verhältnissen etwa der Gegenwert eines Maultieres.

Einige aus dieser Gruppe schafften eine etwas längere Strecke als die zuvor Geflüchteten. Ungefähr 15 hatten die nächste große Gedenkstätte, 20 Meter weiter stadtauswärts, erreicht, das Grabmal des Marcus Obellius Firmus, als sie von dem, was wir jetzt als den »pyroklastischen Strom« des Vesuvs kennen, dahingerafft wurden – einem tödlich brennenden Gemisch aus Gasen, Vulkanschutt und geschmolzenem Fels, das mit riesiger Geschwindigkeit dahinraste und dem nichts standhalten konnte. Ihre Leichname wurden teils in einem Gewirr von Ästen, die sie anscheinend noch immer umklammert hielten, gefunden. Vielleicht hatten die Agileren unter ihnen bei dem aussichtslosen Versuch, sich zu retten, unter den um die Grabmäler stehenden Bäumen Zuflucht gesucht. Es ist aber wahrscheinlicher, dass der Strom, der die Flüchtenden tötete, auch die Bäume auf sie niederkrachen ließ.

Dem Grabmal des Obellius Firmus selbst erging es um einiges besser. Obellius war ebenfalls ein pompejanischer Grande, der einige Jahrzehnte zuvor gestorben war und dessen Tod so lange zurücklag, dass die Wände seines Monumentes als lokales Anschlagbrett genutzt werden konnten. Hier können wir noch die Ankündigungen der einen oder anderen Gladiatorendarbietung entziffern sowie zahlreiche Kritzeleien von Leuten, die bei den Grabstätten herumstreunten: »Hallo Issa, von Habitus«, »Hallo Occasus, von Scepsinianus« usw. (Habitus’ Freunde antworteten offenbar mit einem großen Phallus samt Hoden und der Botschaft »Hallo Habitus, von deinen Kumpeln überall«). Weiter oben verkündete der Text des offiziellen Epitaphs von Obellius Firmus, dass seine Bestattung vom Rat der Stadt bezahlt worden sei und 5000 Sesterze gekostet habe – zusätzliche 1000 Sesterze hätten ein paar andere lokale Amtsträger für Weihrauch und »einen Schild« (wahrscheinlich ein Schild-Porträt, eine typisch römische Form des Gedenkens) ausgegeben. Diese Bestattungskosten überstiegen mit anderen Worten gut das Zehnfache dessen, was die gesamte Gruppe für ihre Flucht in die Sicherheit hatte aufbringen können. Pompeji war eine Stadt von Armen und Reichen.

Abb. 2. Die Gipsabgüsse der Körper der Opfer sind eine bleibende Erinnerung an ihre Menschlichkeit – sie waren genauso wie wir. Dieser eindrucksvolle Abguss eines sterbenden Mannes, der die Hände vors Gesicht hält, befindet sich aus Sicherheits- und Konservierungsgründen in einem Lagerraum der Ausgrabungsstätte. Jetzt scheint er seine eigene Gefangenschaft zu beklagen.

Viele andere Geschichten von Fluchtversuchen lassen sich nachzeichnen. Fast 400 Leichname wurden in den Bimssteinschichten entdeckt und an die 700 in den jetzt festen Überresten der pyroklastischen Flut – viele von ihnen konnten dank einer im 19. Jahrhundert ersonnenen Technik so anschaulich dargestellt werden, dass sie wie zum Zeitpunkt ihres Todes aussehen: Bei dieser raffinierten Technik wird der Hohlraum, der sich infolge des Zerfalls von Körper und Kleidung gebildet hat, mit Gips aufgefüllt. So kann man die hochgezogenen Tuniken, die zum Schutz verhüllten Gesichter und den trostlosen Gesichtsausdruck der Opfer erkennen (Abb. 2). Eine auf einer Straße beim Forum aufgefundene Vierergruppe deutet darauf hin, dass hier eine ganze Familie zu entkommen versuchte. An der Spitze ging der Vater, ein kräftiger Mann mit großen buschigen Augenbrauen (wie der Gipsabguss zeigt). Er hatte den Mantel über den Kopf gezogen, um sich vor den herabfallenden Asche- und Schuttmassen zu schützen, und trug etwas Goldschmuck (einen schlichten Fingerring und einige Ohrringe) bei sich sowie eine Reihe von Schlüsseln und, anders als oben, eine ordentliche Summe Bargeld, fast 400 Sesterze. Seine beiden kleinen Töchter folgten ihm, während die Mutter den Schluss bildete. Sie hatte ihr Kleid hochgezogen, um sich das Gehen zu erleichtern, und führte in einer kleinen Tasche wertvolle Haushaltsgegenstände mit sich: das Familiensilber (etliche Löffel, zwei Becher, ein Medaillon mit der Gestalt der Fortuna, einen Spiegel) und die gedrungene Figurine eines kleinen Jungen, der in einen Mantel gehüllt ist, unter dem seine nackten Füße hervorschauen (Abb. 3). Es ist ein plumpes Werkstück, gefertigt allerdings aus Bernstein, der von der nächstgelegenen Bezugsquelle im Baltikum eine Reise von vielen Hunderten von Kilometern zurückgelegt haben muss; das machte ihn so wertvoll.

Abb. 3. Ein wertvolles Besitztum? Diese gedrungene kleine Figurine aus rotem baltischem Bernstein wurde bei einem der gescheiterten Flüchtlinge gefunden. Sie ist acht Zentimeter hoch und sollte vielleicht einen der Standardcharaktere des römischen Mimus darstellen, einer populären Form der Unterhaltung in Pompeji (vgl. S. 351f.).

Andere Funde erzählen von anderen Leben. Da gab es den Arzt, der, seinen Instrumentenkasten umklammernd, die Flucht ergriff, um dann doch nur von dem tödlichen Strom erfasst zu werden, als er auf dem Weg zu einem der südlichen Stadttore die beim Amphitheater gelegene palaestra (großer freier Platz oder Trainingsgelände) überquerte; es gab den Sklaven, gefunden im Garten eines großen Hauses in der Stadtmitte, dessen Bewegungsfreiheit durch die Eisenketten an seinen Fußgelenken gewiss eingeschränkt war; da war der Priester der...

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