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Interkulturalität als Modell der Zukunft
Einführung
Es ist nicht von der Hand zu weisen, dass Interkulturalität an Bedeutung zunimmt. Die Internationalisierung des Arbeitsmarktes und die erweiterten Kommunikationsmöglichkeiten führen dazu, dass interkulturelle Begegnungen häufiger stattfinden und dass Informationen über andere Kulturen und Länder wie nie zuvor ausgetauscht werden. Diese Entwicklung bietet viele Vorteile, kann aber auch zu Konflikten führen. In Unternehmen kann kulturelle Vielfalt auf der einen Seite das Rekrutierungspotenzial erhöhen und somit Fachkräfteengpässen entgegenwirken. Außerdem kann sie die Erschließung von Märkten im Ausland begünstigen, Kreativität und Innovation fördern und die Reputation des Unternehmens stärken (Hammermann et al. 2016). Diese Vorteile können sich insgesamt positiv auf eine Gesellschaft und eine Volkswirtschaft auswirken. Auf der anderen Seite kann kulturelle Vielfalt auch mit erhöhter Komplexität, Kommunikationsschwierigkeiten und Konflikten verbunden sein (Gilson et al. 2013; Bassett-Jones 2005)1. An dieser Stelle sollte nicht unerwähnt bleiben, dass kulturelle Vielfalt nicht nur auf Staatsangehörigkeiten bezogen ist. Sie kann auch innerhalb einer kleinen Kommune beobachtet werden. Jeder Mensch wird mit bestimmten Werten, Erwartungen, Verhaltensmustern erzogen und gehört zu unterschiedlichen kulturellen Gruppen, wie zum Beispiel Familie, Ausbildung, Altersgruppe, Religion, Beruf etc. Diese Gruppen und die damit verbundenen sozialen Kontakte prägen die Werte und Verhaltensmuster eines Menschen (Spencer-Oatey 2008; Tannen 1996). Sie können somit unterschiedlichen Kulturen gleichzeitig angehören und diese Angehörigkeit jederzeit beenden. Die Kultur einer Person ist in diesem Sinne auch durch die Staatsangehörigkeit geprägt, aber nicht darauf begrenzt. Sie ist nicht statisch, sondern dynamisch und kann sich je nach Kontext ändern (Kotthoff u. Spencer-Oatey 2007).
Einen ersten Überblick zu möglichen kulturellen Aspekten, die bei der internationalen Zusammenarbeit entscheidend sind, gibt der folgende Abschnitt.
Kultur – Versuch einer Definition
Zunächst wird mit einigen ausgewählten Zitaten versucht, das Konstrukt »Kultur« näher zu beleuchten. So sieht der amerikanische Anthropologe und Ethnologe Edward T. Hall, der als Begründer der interkulturellen Kommunikation gilt, Kultur wie folgt: »Culture is man's medium; there is not one aspect of life that is not touched and altered by culture« (Hall 1989, S. 16). Dazu zählen seiner Auffassung nach beispielsweise die eigene Persönlichkeit, Ausdrucks- und Denkweisen, Problemlösungsstrategien, aber auch die Art und Weise, wie Städte und das öffentliche Personennahverkehrssystem gebaut werden (Hall 1989). Eine weitere anerkannte Definition von Kultur gibt die britische Professorin Spencer-Oatey (2008, S. 3): »Culture is a fuzzy set of basic assumptions and values, orientations to life, beliefs, policies, procedures and behavioural conventions that are shared by a group of people, and that influence (but do not determine) each member's behavior and his/her interpretations of the 'meaning' of other people's behaviour.« Die kulturellen Unterschiede sind somit größer, je weiter die Werte, Annahmen, Erwartungen, Verhaltensmuster zweier Kulturen voneinander entfernt sind. Demgegenüber umfasst Kultur beim emeritierten Professor Geert Hofstede, einem niederländischen Experten für Kulturwissenschaften »the collective programming of the mind that distinguishes the member of one group or category of people from others« (Hofstede 2011, S. 3).
Ein großer Teil der Kultur wird in einer frühen Lebensphase erworben, noch bevor man sich erinnern kann. Als Kind lernt man zum Beispiel, wie man sich zuhause und in der Öffentlichkeit benehmen sollte, welches Verhalten bestraft oder belohnt wird, wie man Gefühle und Gedanken ausdrückt sowie welche Wörter und Gesten in unterschiedlichen Situationen angebracht sind. Diese Regeln und Werte werden internalisiert, sodass man weiß oder fühlt, wie man sich in einer bestimmten Situation verhalten soll, ohne die Regeln und Werte explizit oder bewusst zu kennen (Hofstede et al. 2010). Diese manifestieren sich aber im Verhalten und in der Kommunikation. Deswegen werden die Kulturen oft durch Verhaltensmuster und Kommunikationsstile beschrieben und verglichen.
- Verhaltensmuster sind einer der sichtbarsten Teile einer Kultur (Hofstede et al. 2010). Zum Beispiel sind sie häufig in Reise-Ratgebern zu finden: Ob man sich per Händedruck, Wangenkuss, Umarmung oder Verbeugung begrüßt, ob man mit Messer und Gabel, Stäbchen oder mit der Hand isst, ob man Beine, Schultern oder Haare in der Öffentlichkeit zeigen sollte etc. Durch diese Sichtbarkeit ist es relativ leicht, die unterschiedlichen Verhaltensweisen zu erkennen und sich gegebenenfalls anzupassen.
- Kommunikationsstile hingegen stellen einen abstrakteren Aspekt einer Kultur dar und sind somit schwieriger zu erkennen. Unterschiedliche Arten und Weisen zu kommunizieren führen häufig zu Missverständnissen und Konflikten, ohne dass bemerkt wird, dass diese einen kulturellen Hintergrund haben. In der Literatur werden viele Arten von Kommunikationsstilen definiert. Ein Beispiel sind die sogenannten Kommunikationsstile »direkt« oder »indirekt«. In den Kulturen, die durch direkte Kommunikation geprägt sind, kommunizieren Menschen klar ihre Gefühle, Gedanken und Wünsche, äußern offene Kritik und erwarten ein ähnliches Verhalten von ihrem Gesprächspartner bzw. ihrer Gesprächspartnerin. Andere Kulturen sind durch indirekte Kommunikation geprägt. Das heißt, die Menschen kommunizieren ihre Gefühle, Gedanken und Kritik durch Andeutungen und Hinweise, zum Beispiel mithilfe von nonverbaler Kommunikation wie Gestik, Mimik und Intonation (Taylor u. Osland 2003). Sie sind in der Lage, solche Andeutungen zu interpretieren und den eigentlichen Sinn eines Gespräches zu erschließen. Sie erwarten zudem, dass ihre Gesprächspartnerinnen und -partner ebenfalls solche Methoden verwenden, um sich auszudrücken. Die deutsche und die US-amerikanische Kultur werden häufig mit einem direkten Kommunikationsstil verbunden, während Menschen aus China, Lateinamerika oder dem arabischen Raum ein indirekter Kommunikationsstil zugeordnet wird (Merkin u. Ramadan 2010; Schröder 2010; Günthner 2008).
Kulturvergleichende Studien
Versucht man die obigen Definitionen auf einen gemeinsamen Nenner zu bringen, ist Kultur demnach allumfassend und kann ein wichtiges Differenzierungsmerkmal darstellen, wenn zwei Personen unterschiedlicher Nationalität aufeinandertreffen. Dieser Aspekt der Nationalkulturen soll im Folgenden eine nähere Betrachtung erfahren. Dabei werden die Ergebnisse einiger kulturvergleichender Managementstudien beschrieben, die das Ziel verfolgen, das Arbeitsverhalten unterschiedlicher Kulturen zu beschreiben und zu vergleichen (Festing et al. 2011). Durch »Kulturdimensionen« schaffen sie Differenzierungskriterien, die versuchen, eine Kultur von einer anderen abzugrenzen. Es gilt, sich bewusst zu machen, dass sie lediglich Hilfsmittel sind, um die zunehmend komplexe Realität unserer Gesellschaft abbilden zu können, und nicht real existieren müssen (Hofstede 2011). Zu den Dimensionen zählen nach Hofstede (2011)2:
- Machtdistanz (Power Distance)
- Unsicherheitsvermeidung (Uncertainty-Avoidance)
- Individualismus vs. Kollektivismus (Individualism vs. Collectivism)
- Maskulinität vs. Feminität (Masculinity vs. Feminity)
- lang- vs. kurzfristige Orientierung (Long-Term vs. Short-Term Orientation) sowie
- Genuss vs. Zurückhaltung (Indulgence vs. Restraint)
Sie werden in der Tabelle 1.1 näher erläutert.
Kulturdimension | Erläuterung |
Machtdistanz | Diese Dimension gibt an, inwieweit weniger mächtige Individuen einer Organisation bzw. Institution eine ungleiche Verteilung von Macht akzeptieren bzw. erwarten. Die Machtdistanz wird mit dem Power-Distance-Index gemessen, der 2010 in einer Studie von Hofstede et al. für 76 Länder erhoben wurde. Es zeigte sich, dass die Machtdistanz in Osteuropa, Lateinamerika, Asien und Afrika höher ist als in deutsch- oder englischsprachigen Ländern (Hofstede 2011). |
Unsicherheitsvermeidung | Diese Dimension beschreibt, wie tolerant eine Gesellschaft gegenüber Ambiguitäten ist. Kulturen, die eine hohe Unsicherheitsvermeidung aufweisen, neigen dazu, ungewohnte Situationen durch Regeln und Gesetze zu minimieren. In der 2010 durchgeführten Studie von Hofstede et al. für 76 Länder zeigte sich, dass der Index bei ost- und zentraleuropäischen sowie deutschsprachigen Ländern höher lag als in englischsprachigen Ländern (Hofstede 2011). |
Individualismus vs. Kollektivismus | Diese Dimension steht für das Ausmaß, in dem Personen in einer Gesellschaft beispielsweise Eigeninitiative gegenüber dem Konzept der Großfamilie bevorzugen (Festing et al. 2011).... |