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E-Book

Mit psychisch kranken Menschen in Beziehung sein

AutorWilfried Veeser
VerlagSCM Hänssler im SCM-Verlag
Erscheinungsjahr2013
Seitenanzahl272 Seiten
ISBN9783775171762
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis15,99 EUR
Maria ist nur noch am Putzen, das nervt den Ehemann. Die ständige Selbstumkreisung Dieters macht manche im Hauskreis hilflos. Immer wieder steckt hinter seltsamem Verhalten ein psychisches Problem. Doch wie können Angehörige, Freunde, der Hauskreis, die Gemeinde sinnvoll damit umgehen? Wilfried Veeser schreibt mit vielen Beispielen aus seiner Praxis von den Herausforderungen unterschiedlicher psychischer Krankheiten für das Umfeld. Er gibt hilfreiche Tipps, doch macht auch Mut, die nötigen Grenzen zu ziehen und für das eigene Wohlergehen zu sorgen.

Pfarrer Wilfried Veeser, Trainer und Coach; verheiratet und Vater von vier erwachsenen Kindern. Er ist Fachlicher Leiter der Bildungsinitiative für Seelsorge und Lebensberatung (bildungsinitiative.net). Neben seiner Tätigkeit als Pfarrer in Dettingen unter Teck ist er Trainer für Führungspersönlichkeiten (inbus-institut.de) sowie Ehe- und Familienberater in eigener Praxis (veeser.net).

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Leseprobe

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3. Theologische und biblische Klärungen


In diesem Abschnitt sollen Angehörige von Menschen mit psychischen Störungen, wenn sie sich als Christen verstehen, theologische und biblische Orientierungshilfe finden. In der Regel wollen sich Eltern gegenüber ihren Kindern, Eheleute gegenüber ihren Partnern oder Kinder gegenüber ihren Eltern richtig verhalten. D. h, sie wollen das auffällige Verhalten der betroffenen Angehörigen verantwortlich einordnen und hilfreich damit umgehen. Dazu dienen die folgenden theologischen und biblischen Klärungen.

Zuerst geht es um die Frage, wie psychische Störungen geistlich zu verstehen sind. Sind sie dämonischen Ursprungs? Ist womöglich hier der Teufel im Spiel?

Im zweiten Teil wird die Frage behandelt, in welchem Zusammenhang Heil und Heilung von psychischen Störungen zu sehen sind. Müsste es nicht möglich sein, dass Gott auch bei so komplexen Situationen wie psychische Erkrankungen Heilung schenkt? Ihm sind doch alle Dinge möglich. Und wenn er nicht heilt? Wie ist dies einzuordnen? Das Klagegebet wird als Weg gezeigt, wie man Spannungen aushalten kann. Und schließlich kommt die Unterscheidung von Schuld und Schuldgefühlen zur Sprache, da für Angehörige diese Unterscheidung oft schwierig ist.

Im dritten Teil wird dargestellt, wie bei psychischen Störungen der Einsatz von psychiatrischer Hilfe und Formen der Psychotherapie als Hilfen aus Gottes Schöpfung verstanden werden können. Sie sind nicht weniger geistlich als ein Heilungswunder durch Gott, sondern eine andere Form der Hilfe, die Gott bereithält.

3.1 Problemanzeige: Sind psychische Störungen dämonisch?


Menschen, die in ihrem Verhalten »auffällig« sind, hatten es meist schwer. Im späten Mittelalter wurden sie teilweise dämonisiert.45 Man schrieb ihr unerklärliches, oft wenig nachvollziehbares Verhalten konkreten schlimmen Sünden, dämonischen Einflüssen und letztlich dem Teufel zu. Und wer mit dem Teufel im Bunde war, hatte u. a. die kirchliche Inquisition und den Mob zu fürchten.

Andererseits bot sich Betroffenen die Möglichkeit, im Verband ihrer Großfamilie einen Platz zu finden. Sie hatten dann eine Sonderstellung und wurden geduldet. Sobald jedoch geistliche oder weltliche Würden- und Meinungsträger Betroffene mit der dämonischen Hypothese deuteten, konnte es für psychisch kranke Menschen (lebens-)gefährlich werden. Verspottung, gesellschaftliche Ächtung und der Pranger waren dabei die einfachsten Varianten. Es ging bis zu exorzistischen Ritualen mit Peinigung oder Folter. Manche bezahlten ihre psychische Störung mit dem Tod auf dem Scheiterhaufen.

Mit der Aufklärung setzte langsam ein neues Verständnis ein. In der Folge entstand die sogenannte Anstaltspsychiatrie, bei der Betroffene in Einrichtungen verwahrt wurden. Im Rahmen der sogenannten wissenschaftlichen Psychiatrie wurden verschiedene Erklärungsmodelle gebildet, die zu unterschiedlichen Behandlungsmethoden führten. Allerdings wurden viele Betroffene zu »Versuchsobjekten« für diverse »Behandlungsmaßnahmen« wie Stromstöße oder Medikamentenversuche. Die unterschiedlichen internationalen Bemühungen in der Klassifikation psychischer Störungen mündeten ein in das DSM (Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders) und später in das ICD (International Classification of Disorders).

Obwohl man heute weiß, dass bei vielen psychischen Störungen insbesondere das Gehirn beteiligt oder sogar Mitursache dafür ist, gibt es immer noch die Überzeugung, dass diese Auffälligkeiten im Verhalten und Erleben von Betroffenen dämonischen Ursprungs seien.

Im Hauskreis haben die Mitglieder schon seit Monaten für Jana gebetet. Immer wieder wurden ihr die Hände zum Segen aufgelegt. Aber es wurde nicht besser. Im Gegenteil. Inzwischen musste sie für 14 Tage in die psychiatrische Klinik, weil sie in ihrer Depression mehrfach glaubhaft mitgeteilt hat, sich umzubringen. Seit einer Woche ist Jana wieder daheim und sie wird von einer anderen Frau zum Hauskreis abgeholt. An diesem Abend hat der Leiter ein Seelsorgeehepaar eingeladen, die »die Gabe« haben. Gemeint ist, dass sie einen »vollmächtigen« Befreiungsdienst durchführen könnten. Nach Liedern und Gebet steigt die Spannung. Das Ehepaar erläutert seinen Ansatz. Bei jeder okkulten Belastung sei nach dem Namen des Dämons, der jetzt konkret in Jana sei, zu fragen. Bei der Frage, wie es denn sein könne, dass Jana einen solchen Dämon eingefangen habe, erzählt das Ehepaar, dass man hierzu ein vertieftes geistliches Wissen benötigt. Sie gehen davon aus, dass in den drei bis vier Generationen vor Jana über einem der Vorfahren gependelt oder eine Art von Besprechung durchgeführt wurde. Diese okkulte Belastung hätte sich dann von Generation zu Generation geistlich weitervererben und bei Jana einfallen können. So sei ein Dämon als Ursache für das auffällige Verhalten Janas anzunehmen. Allerdings könnte es sich auch um einen Fluch handeln. Um das genau herauszufinden, müssten sie mit Jana entsprechend reden. In einem Befreiungsgebet würden sie dann diesem Dämon im Namen von Jesus gebieten, aus Jana auszufahren, oder den Fluch brechen. Als man Jana auf diese Möglichkeit ansprach, erzählte sie unter Tränen, dass man das mit ihr vor drei Jahren in einem anderen Hauskreis ebenso versucht habe. Allerdings ohne Erfolg.

Ganz gewiss haben viele Hauskreise in den Landes- und Freikirchen hierzu eine andere Sicht. Dennoch kommt die dämonische Deutung vor und verunsichert auf bedrückende Art und Weise Betroffene und ihre Angehörigen. Vor allem, wenn Befreiungsdienste nicht fruchten und die Wirkung dieser Form der seelsorgerlichen Maßnahme nur von kurzer Dauer ist. Was steckt hinter dieser Sichtweise? Auf jeden Fall lässt sich feststellen, dass diese Vorstellungen teils schon uralt sind und zurückreichen bis in die Antike.

3.1.1 Okkulte Bindungen – eine biblische Sicht


Die wichtigste Botschaft zu diesem Thema formulierte Jesus selbst:

»Wenn euch nun der Sohn frei macht, so seid ihr wirklich frei« (Joh 8,36).

Viele Ansichten zum Thema »okkulte Belastung« widersprechen dieser Grundbotschaft. Zwar seien Christen von Jesus erlöst, aber um die wirkliche Freiheit zu erlangen, müssten auch jene Dämonen vertrieben werden, die man als ursächlich für auffälliges Verhalten oder psychische Erkrankungen sieht. Damit wird Gottes gnädiges Heilshandeln im Evangelium relativiert und durch sogenannte »Befreiungsdienste« als ergänzungswürdig eingestuft. Der Mensch ergänzt Gottes radikale Befreiungstat, wie Jesus sie jedem zuspricht, der sich in ihm birgt.

Exkurs: Historische Rückblende


»Okkulte Belastung« ist ein Begriff, der in der Bibel nicht vorkommt. Diese Vorstellung darf nicht verwechselt werden mit dem Begriff der »Besessenheit«, von dem die Bibel berichtet. Oft werden beide Begriffe jedoch undifferenziert gleichgesetzt, allenfalls mit einer unterschiedlichen Intensität. Beides wird stets als direkte Folge des Umgangs mit okkulten Praktiken gesehen.

In der Bibel wird von bösen Geistern gesprochen und von besessenen Menschen, sogenannten daimonizomenoi, »Dämonisierten«. Kommt der Begriff des »bösen Geistes«, der »bösen Geister« oder des »unreinen Geistes« relativ häufig vor (z. B. Mt 10,1; Mk 1,23.26; 5,2; Apg 5,16), so der des Dämonisierten in den Evangelien nur 12 Mal (z. B. Mt 12,22; Mk 5,15ff; Lk 8,36; Joh 10,21; Paulus benutzt ihn nie). Diese »Dämonisierten« werden als Menschen beschrieben, an und in denen sich dämonische Mächte in besonderer Weise austoben. Sie werden von dieser Macht in Beschlag genommen und können kaum noch Kontrolle über ihr Leben ausüben. Interessanterweise finden sich gerade bei dieser Gefangenschaft durch dämonische Mächte keine Hinweise darauf, weshalb es zur Besessenheit gekommen ist. Es wird nur gesagt, dass es das Werk Satans sei (vgl. Lk 13,16). Besessene kommen oder werden zu Jesus gebracht und er spricht sie durch ein Machtwort frei. Dieser recht »nüchterne« Umgang mit dem Dämonischen steht im Widerspruch zu der zur Zeit des Neuen Testamentes weit verbreiteten pharisäischen Dämonenlehre und dem damit einhergehenden Exorzismus.

In seinem Exkurs zur altjüdischen Dämonologie gibt P. Billerbeck46 einen hilfreichen Einblick in die Vorstellungen spätjüdischer Gedanken zu dem Reich Satans und seiner Dämonen. Allein schon die Namen der verschiedenen Dämonen ließen auf die unterschiedlichen Klassen schließen, in die man sie einteilte. So stellte man sich z. B. einige bocksgestaltig vor. Die freie Ausgestaltung dieser Dämonenlehre trieb mitunter seltsame Blüten. So wird der Mensch davor gewarnt, in der Nacht zum Mittwoch oder zum Sabbat Wasser zu trinken, weil dadurch Gefahr drohe: der böse Geist der Blindheit. Das Übernachten an Stätten der Unreinheit führe in den Besitz eines Geistes der Unreinheit. Wer z. B. auf einer Begräbnisstätte übernachte, ziehe zwangsläufig den entsprechenden Geist der Unreinheit auf sich.47

Jede Sünde und Leidenschaft wurde auf einen Dämon als Urheber zurückgeführt. Demnach musste es so viele Dämonen geben, wie man Untugenden kannte. Da die bösen Geister auch als Urheber leiblicher Krankheiten galten, bezeichnete man sie auch als Geister der einzelnen Krankheiten (Geist der Verwirrung oder Tobsucht, des Hämorrhoidalleidens, des Asthmas, des Herzwehs usw.).

Auch über den Ursprung der Dämonen waren verschiedene Erklärungsvarianten im Umlauf. Eine der ältesten Vorstellungen war die Überzeugung,...

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