3 Qualitätsmanagement in der öffentlichen Verwaltung
Obwohl Qualitätsmanagement seit vielen Jahren auch in der öffentlichen Verwaltung ein Thema ist, erfolgt die Einführung insgesamt eher zögerlich. Weltweit wurden bis heute über 1,1 Millionen ISO-9001-Zertifikate ausgegeben, davon 475 000 in Europa und 52 000 in Deutschland26. Wie viele davon auf die öffentliche Verwaltung fallen, ist nicht bekannt. Es liegen auch keine Informationen zur Anzahl der EFQM-Nutzer in Europa und in Deutschland vor. Nachdem das CAF-Modell 2000 für die öffentliche Verwaltung in Europa verabschiedet worden ist, sind derzeit etwa 3000 CAF-Anwender, überwiegend in der europäischen CAF Users Database registriert; 356 davon aus Deutschland.27 Insgesamt ist davon auszugehen, dass Qualitätsmanagement in öffentlichen Organisationen bei weitem nicht so verbreitet ist wie in der Privatwirtschaft. Die Gründe für die oftmals skeptische bis ablehnende Haltung der Führungskräfte in den Behörden sind u. a.:
- Gleichsetzung von QM und DIN EN ISO 9000 ff.,
- Zweifel, ob QM positive Wirkungen erzielt,
- Sparzwänge behindern die Investition in ein professionelles Management-System,
- fehlendes Know-how,
- fehlende Fortbildungsangebote, die auf die öffentliche Verwaltung zugeschnitten sind.
Zwar ist Qualitätsmanagement inzwischen vielerorts ein Ausbildungsmodul an den Verwaltungs-Fachhochschulen. Die Praxisrelevanz des Ansatzes wird den Studierenden allerdings oftmals nicht vermittelt. In den Fortbildungsangeboten, insbesondere für junge Führungskräfte, nimmt Qualitätsmanagement noch längst nicht den Stellenwert ein, der ihm für die Professionalisierung des Verwaltungsmanagements und die Kontinuität von Leistungsverbesserungen zukommt. So hat die Bundesakademie für öffentliche Verwaltung als zentrale Fortbildungseinrichtung des Bundes in den vergangenen Jahren nur vereinzelt einige Grundlagenseminare und ein Seminar zur Einführung von QM anhand des CAF-Modells für die öffentliche Verwaltung angeboten. Auch werden die Fortbildungsangebote zum Behördenmanagement noch nicht so miteinander vernetzt, das ein Gesamtansatz erkennbar würde. Dies gilt insbesondere für die dringend erforderliche Verknüpfung des Prozess- und Qualitätsmanagements.
3.1 Qualitätsmanagement und Verwaltungsmodernisierung
Die Modernisierungsbestrebungen der öffentlichen Verwaltung in Deutschland lassen sich unter dem Begriff des „Neuen Steuerungsmodells“ (NSM), dem deutschen Pendant zum New Public Management (NPM), zusammenfassen. Wesentliche Handlungsfelder dieses von der Kommunalen Gemeinschaftsstelle für Verwaltungsmanagement (KGSt) entwickelten Konzepts sind die Output- oder Ergebnissteuerung, Budgetierung, Zielvereinbarungen, die Wettbewerbs- und Kundenorientierung sowie die Einführung einer Kosten- und Leistungsrechnung.28 Qualitätsmanagement wird als Instrument der Verwaltungssteuerung betrachtet und gilt als Voraussetzung für eine gezielte Outputsteuerung (z. B. durch die Ermittlung der Erwartungen der Kunden bzw. Bürger an die Verwaltungsleistungen).29
Qualitätsmanagement stellt als integrativer Ansatz der bisherigen Modernisierungsprojekte und -aktivitäten eine wirkungsvolle Ergänzung dar. Vorhandene Instrumente wie die Kosten- und Leistungsrechnung (KLR), Controlling, Prozessmanagement und Mitarbeiterorientierung werden im QM aufeinander bezogen und damit in ihrer Wirksamkeit optimiert.
In der öffentlichen Verwaltung gibt es kein einheitliches oder gemeinsames Verständnis, was Qualitätsmanagement bedeutet und wie ein Qualitätsmanagementsystem funktioniert.30 Auch hat sich bisher kein QM-Modell in den Bundes-, Landes- und Kommunalbehörden als Standard durchgesetzt. Auf die Frage, welcher QM-Ansatz in der Behörde genutzt wird, werden nicht nur ISO 9000, EFQM oder CAF sondern auch Ansätze wie „KVP“ (Kontinuierlicher Verbesserungsprozess), ITIL, Audit Familie und Beruf, RAL Gütezeichen, COSO, BPM & O-Modell genannt. Nach den Beobachtungen des Bundesrechnungshofs fällt es Behörden und Einrichtungen leichter, sich auf Qualitätsmanagement einzulassen, die mit ihren Produkten in einem echten Wettbewerb stehen, z. B. mit ähnlichen Einrichtungen in anderen Staaten der EU. Dennoch ist der Bundesrechnungshof der Auffassung, dass QM grundsätzlich von jeder Behörde betrieben werden könne. Seine Effizienz hänge aber entscheidend davon ab, dass jede Behörde das QMS an ihren Bedürfnissen und Möglichkeiten ausrichte.31
Bürgerinnen und Bürger erwarten von behördlichen Leistungen die gleichen Qualitätsstandards, die sie von privaten Dienstleistern gewohnt sind. Dies betrifft sowohl die Produkt- und Dienstleistungsqualität als auch die Bearbeitungszeit, die digitale Prozessgestaltung und den Service. Angesichts der angespannten Haushaltssituation muss die Verwaltung diesen wachsenden und sich schnell ändernden Anforderungen mit immer knapperen Ressourcen gerecht werden. Dies kann nur gelingen, indem die Organisation alle verfügbaren Ressourcen mobilisiert, ihre Haushaltsmittel, Personal, Prozesse und Führung konsequent an klaren, übergeordneten Zielen ausrichtet und auf allen Ebenen umsetzt.
Die Modernisierung der Bundesverwaltung zielt u. a. auf mehr Effektivität, größere Effizienz, einen stärkeren Adressatenbezug, schlankere und digitalisierte Prozesse. In den vergangenen 20 Jahren hat die öffentliche Verwaltung bereits große Anstrengungen zur Modernisierung, Digitalisierung und Entbürokratisierung unternommen. Prozesse werden identifiziert, dokumentiert und elektronisch bearbeitet, Information und Kommunikation sind ohne IT nicht mehr denkbar, flexible Arbeitszeiten und moderne Arbeitszeitmodelle entwickeln sich zum Standard. Allerdings werden dabei oftmals die begonnenen Aktivitäten nicht konsequent weiter geführt, z. B. wurden:
- Leitbilder entwickelt, aber nicht umgesetzt,
- Kennzahlen entwickelt und erhoben, aber nicht für die Steuerung aufbereitet und genutzt;
- Vision und Strategie fehlen größtenteils;
- es gibt keinen übergeordneten Steuerungsmechanismus, mit dem Ziele entwickelt, konsequent verfolgt, regelmäßig überprüft und bei Bedarf angepasst werden.
Qualitätsmanagement kann der öffentlichen Verwaltung helfen, ihre Modernisierungsaktivitäten weiter zu systematisieren, zu strukturieren und unter einem Gesamtansatz zu bündeln. Indem die Steuerungsinstrumente und -methoden konsequent aufeinander bezogen und systematisiert, die zugehörigen Prozesse implementiert und gesteuert werden, ihre Wirksamkeit auf den Prüfstand gestellt wird und fehlende Instrumente ergänzt werden, kann ein behördenspezifisches Qualitätsmanagementsystem entstehen, mit dessen Hilfe sich die Organisation fit für die Zukunft macht und frühzeitig sich abzeichnende Entwicklungen antizipiert. Die Einführung von QM ist vor diesem Hintergrund kein weiteres oder zusätzliches Projekt unter vielen anderen. Es ist das richtungweisende Projekt, das die Weichen für die Zukunft stellt. Idealerweise entwickelt sich das QM-System zu einem übergeordneten integrierten Managementsystem der Organisation.
3.2 Qualitätsmanagement in Regierungsprogrammen
Die steigende Anzahl und Komplexität der öffentlichen Aufgaben, der gleichzeitige finanzielle Druck, der demografische Wandel und die Digitalisierung haben in der öffentlichen Verwaltung seit Beginn der 1990er Jahre zu einer Fülle von Modernisierungsaktivitäten geführt. Neue Steuerungsinstrumente wie die Kosten- und Leistungsrechnung, Controlling, Zielvereinbarungen, Budgetierung, Prozessmanagement und Benchmarking werden seit vielen Jahren – mehr oder weniger konsequent – eingeführt. Ein integrierender Management-Ansatz, der die Aktivitäten in ein Gesamtsystem integriert und seine Komponenten sorgfältig aufeinander bezieht, steht vielerorts noch aus. So scheint es sehr folgerichtig, dass die Bundesregierung mit ihrem Programm vom 13. September 2006 „Zukunftsorientierte Verwaltung durch Innovation“ die Einführung und Förderung des Qualitätsmanagements in den Bundesbehörden durch geeignete Maßnahmen forderte, denn „…ohne diese neuen Steuerungsinstrumente und ein umfassendes Qualitätsmanagement ist ein professionelles, ziel- und ergebnisorientiertes Management nicht mehr vorstellbar.“32
Allerdings war diese Erkenntnis bereits damals nicht neu. So konnte man beispielsweise schon 1999 lesen, dass Qualitätsmanagement und eine lernende Organisation wichtige Bausteine der Modernisierung der Landesverwaltung Baden-Württemberg sind und dass fast jedes Modernisierungsprogramm einer öffentlichen Verwaltung diese Begriffe enthalte.33
Auch im Programm „Vernetzte und Transparente Verwaltung“ der Bundesregierung von September 2010 ist Qualitätsmanagement ein wichtiges Thema:
„Für eine nachhaltige Optimierung der Organisation benötigt die Verwaltung nicht zuletzt ein umfassendes Qualitätsmanagement. Es muss die gesamte Organisation einbeziehen, bürger- und mitarbeiterorientiert sein, darüber hinaus neben den Kernprozessen auch Führungs- und weitere Unterstützungsprozesse betrachten und letztlich auf eine kontinuierliche Verbesserung der Leistungsfähigkeit...