2015 kommt es in den USA wegen fehlerhafter Airbags des japanischen Zulieferers Takata zur bislang größten Rückrufaktion der Geschichte. Zu den bereits 17 Millionen reparierten Fahrzeugen werden nochmals über 33 Millionen Autos in die Werkstätten beordert. Bereits 2004 kam es zu einem Unfall mit dem Airbag. Die Ingenieure taten das Ereignis als Einzelfall ab und suchten nicht nach der Fehlerursache. Die Unfälle mit Toten und Verletzten häuften sich. Tatsächlich wurden in der Entwicklung und in der Fertigung Fehler im Qualitätsmanagement gemacht. In einer Fabrik in Mexiko kam es zu Abweichungen im Produktionsprozess, in einer US-Fabrik sortierte eine Maschine mangelhafte Teile nicht automatisch aus. Der Qualitätsleiter von Takata musste sich vor dem US-Senat verantworten.
Dieses Beispiel zeigt, wie bedeutend und umfassend Qualitätsmanagement heute ist. Es beginnt in der Entwicklung, geht über die Fertigung und Prüfvorschriften bis zur Fehleranalyse von Produkten im Markt. Gleichzeitig rücken die Aspekte Fehlerkultur, Kommunikation und Lieferantenbeziehung in das Blickfeld. Die Automobilhersteller sind von ihrem Lieferanten in gewissem Grade abhängig. Ein Zulieferwechsel dauert mindestens ein Jahr, da die Airbags speziell auf die Automodelle abgestimmt sind. Die jüngere Vergangenheit ist voll mit negativen Beispielen, und es betrifft nicht nur die Automobilindustrie. Nach dem Zerbersten eines Rolls-Royce-Triebwerks musste 2010 ein voll besetzter Airbus A380 in Singapur notlanden. Weil zusätzlich diverse Sicherheitssysteme versagten, wurde das gesamte Sicherheitskonzept des Riesen-Airbus hinterfragt.
Woran liegt es? Wird an der Qualität gespart, liegt es am schlechten Projektmanagement in der Entwicklung oder mangelt es an der Kommunikation zwischen dem Hersteller und den Zulieferern? Oder fehlt den Unternehmen häufig auch das erforderliche Wissen zur Lösung von Herausforderungen im Qualitätsbereich? Denn neben der Qualität der Produkte geht es auch um die Qualität der Fertigungs- und anderer Unternehmensprozesse. Das beginnt schon mit dem Prüfen der Tauglichkeit einer Idee. Gutes Qualitätsmanagement benötigt deshalb
technisches Wissen über Produktion, Statistik und Methoden,
betriebswirtschaftlichen Sachverstand und Organisationswissen,
professionelles Projektmanagement sowie
Kommunikationskompetenzen und interkulturelle Qualitätskompetenz.
Qualität ist ein wesentlicher Erfolgsfaktor für Unternehmen. Wer Mängel in der Produkt- oder Servicequalität aufweist, steht vor einem Verkaufsproblem. Spricht sich das Qualitätsproblem herum, wandelt sich das Verkaufsproblem zu einem Imageproblem. Es kann Jahre dauern, bis das Bild von der guten Qualität wieder zurechtgerückt ist. Das Management von Qualität ist damit ein wesentlicher Teil der Unternehmensstrategie.
1.1 | Die Entwicklungsgeschichte des Qualitätswesens |
Das Verständnis und die Aufgaben des Qualitätswesens haben sich über die Zeit entwickelt. Bild 1.1 zeigt die wichtigsten Entwicklungsstufen der jüngeren Geschichte im Überblick.
Bild 1.1 Entwicklungsgeschichte des Qualitätswesens
Qualitätskontrolle
Zu allen Zeiten haben sich Menschen mit Qualität beschäftigt. Keine Pyramide wäre entstanden, wenn die Ägypter nicht auf Qualität geachtet hätten. Bis in die 1960er-Jahre hinein beschränkte sich das Qualitätswesen allerdings zumeist auf die nachträgliche Kontrolle des fertigen Produkts. Mittels manueller, später automatisierter Methoden wurde eine Ausschussprüfung durchgeführt. Die guten Teile werden geliefert, die schlechten verworfen. Auch heute sind Qualitätsendkontrollen, zumindest an kritischen Stellen, in der Industrie üblich, aber nur als Teil des Maßnahmenbündels.
Qualitätssicherung
Ab circa 1960 setzte sich die Überlegung durch, dass das Endprodukt automatisch gut ist, wenn der Fertigungsprozess korrekt abläuft. Man hat sich deshalb auf die Qualitätssicherung des Fertigungsprozesses verlegt. Mit dem Einzug der computergestützten numerischen Maschinensteuerung (CNC-Steuerung) wurde mittels statistischer Methoden die Prozessregelung (kurz SPC: Statistical Process Control) eingeführt. Hierbei werden aus dem laufenden Fertigungsprozess stichprobenartig Werkstücke entnommen und gemessen. Aus den Messwerten lassen sich Rückschlüsse auf die Parameter des Fertigungsprozesses ziehen und diese entsprechend nachstellen. Hierdurch wird die Reaktionszeit auf Fehler verkürzt, Ausschuss und Nacharbeit werden reduziert.
Qualitätsmanagement
Durch die fortschreitende Reduzierung der Fertigungstiefe ? einer der Treiber war und ist die Automobilindustrie ? entstanden komplexe Kunden-Lieferanten-Beziehungen. Von jetzt an bestimmte die Qualität der zugelieferten Güter maßgeblich die Qualität des Endprodukts, d. h., der Hersteller ist erheblich von der Qualitätsfähigkeit seiner Lieferanten abhängig. Deshalb war es wichtig, Mindeststandards und Vertrauen zu schaffen. So wurden die Qualitätsnormen eingeführt und weiterentwickelt.
Eine Norm ist ein Dokument zur regelmäßigen Anwendung, welches Regeln und Forderungen für Geschäfts- und Arbeitsprozesse, Tätigkeiten, Produkte und Merkmale festlegt. Eine Norm wird von nationalen oder internationalen Gremien und Verbänden erarbeitet und verabschiedet.
| HINWEIS Eine Norm ist ein Dokument zur regelmäßigen Anwendung, welches Regeln und Forderungen für Geschäfts- und Arbeitsprozesse, Tätigkeiten, Produkte und Merkmale festlegt. Eine Norm wird von nationalen oder internationalen Gremien und Verbänden erarbeitet und verabschiedet. |
Eine externe Partei muss prüfen, ob ein Unternehmen die Anforderungen einer Norm erfüllt. Durch eine schriftliche Bestätigung oder eine offizielle Zertifizierung wird dies dokumentiert. Das Zertifikat gilt als Nachweis, dass Qualität organisatorisch beherrscht wird. Zertifiziert wird hier das Qualitätsmanagementsystem. 1992 wurde in der weltweit gültigen Norm 8402 der Begriff des Qualitätsmanagements geprägt. Hierin muss sich das Management des Unternehmens zum Qualitätsmanagement verpflichten. Der Gedanke der kontinuierlichen Verbesserung der Fertigungsprozesse hält Einzug.
| HINWEIS Unter einem Qualitätsmanagementsystem wird sowohl die Gestaltung der Aufbauorganisation und der Ablauforganisation als auch die Verknüpfung der qualitätsbezogenen Aktivitäten untereinander verstanden. Es entsteht ein System vernetzter Regelkreise auf allen betrieblichen Ebenen, welches die Ziele, die Verantwortlichkeiten, die Prozesse, die Dokumentation und die zur Durchführung erforderlichen Mittel festlegt. Maßgeblich für den Aufbau und den Umfang eines Qualitätsmanagementsystems sind die internen und externen Randbedingungen, die Produkte und Leistungen, organisatorische Abläufe sowie die Größe des Unternehmens. |
Total Quality Management
Das Qualitätsmanagement entwickelte sich zu einem unternehmensweiten Ansatz weiter, der heute unter dem Begriff Total Quality Management (kurz TQM) bekannt ist. Der Name soll betonen, dass es sich um einen totalen, d. h. ganzheitlichen Ansatz handelt, der alle Mitarbeiter und alle Geschäftsprozesse einbezieht. Die Fertigungsprozesse sind also nur eine Untermenge. Diese Betrachtung erfordert ein hohes Maß an Prozessorientierung. Das vorrangige Ziel sind vorbeugende ? also präventive ? Maßnahmen in den Prozessen, wie dem Entwicklungs- und dem Fertigungsprozess.
Die Ganzheitlichkeit des modernen Qualitätsverständnisses verdeutlicht der Qualitätskreis in Bild 1.2. Entlang des Produktlebenszyklus muss in allen Phasen eine hohe Qualität erzielt werden. Dazu müssen Vorgaben definiert und deren Umsetzung bzw. Erreichung verfolgt werden. Es beginnt bei der Marktanalyse, geht über die Produktentwicklung und die Fertigungsprozessplanung zur Fertigung und Prüfung bis zum Versand sowie der Servicebetreuung und endet bei der Entsorgung des Produkts.
Bild 1.2 Der Qualitätskreis
In diesem umfassenden Qualitätsverständnis sind die Prozesse auf den Kunden ausgerichtet. Die Größen Zeit, Kosten und Qualität werden gemeinsam optimiert. Die Konzentration auf absolute Qualität verhindert Nacharbeit, Doppelarbeit und Verschwendung. Damit hat Total Quality Management eine große Überschneidung zum populären Ansatz des Lean Management, dessen Ziel ebenfalls die Organisation von schlanken, d. h. verschwendungsfreien Geschäftsprozessen ist.
TQM ist als Unternehmensphilosophie zu verstehen, die durch Strategien und Maßnahmen umgesetzt werden muss. Vertreter des TQM-Ansatzes sind unter anderem die ISO 9004, das Excellence-Modell der European Foundation for Quality Management (EFQM) und Six Sigma. Six Sigma ist im Grunde eine Rückbesinnung auf die Fülle vorhandener Werte, Methoden, Techniken und Möglichkeiten des Total Quality Management, die aber jetzt intensiver, tiefgreifender geschult und genutzt werden. Damit hilft Six Sigma dem Unternehmen, seine Prozesse zu durchleuchten, Verschwendung zu vermeiden und die Produktivität zu treiben. Six Sigma verlangt TQM-Vollnutzung. Die unbestechliche statistische Messung der Prozessleistung aller kundenrelevanten Unternehmensprozesse steht im Vordergrund. Relevanz haben vorrangig die messbaren Verbesserungen und Einsparungen.