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Raketenbedrohung 2.0

Technische und politische Grundlagen

AutorMarkus Schiller, Robert H. Schmucker
VerlagE.S. Mittler & Sohn
Erscheinungsjahr2015
Seitenanzahl408 Seiten
ISBN9783813210286
FormatePUB
Kopierschutzkein Kopierschutz
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis36,99 EUR
Waren Atomraketen während des Kalten Krieges ein Garant für Stabilität, so änderte sich seither die Bedrohung durch Raketen deutlich. Vor allem Länder in Krisenregionen bedienen sich weltweit 'neuer' Fernraketentypen als wichtiges Mittel zur Aufrüstung. Diese kaum abschätzbare Gefahr lässt sich als neue Generation der Raketenbedrohung bezeichnen: Raketenbedrohung 2.0. Die Autoren legen die technischen Grundlagen eines ernstzunehmendes Raketenwaffensystems dar und verknüpfen diese mit grundlegenden politischen Motiven zur Beschaffung. Das Werk räumt dabei mit gängigen Vorurteilen zur aktuellen Bedrohung durch Raketenwaffn auf. Zur Analyse von Bedrohungsszenarien wird ein konsistentes Instrumentarium erarbeitet, das zusammen mit einem geschichtlichen Rückblick ein klares Bild der heutigen Raketenbedrohung gibt. +++Achtung bei diesem Titel handelt es sich um eine Fixed Layout-Version. Bitte informieren Sie sich vor dem Kauf darüber, ob Ihr Gerät diese Datei öffnen und korrekt darstellen kann.+++

Die Autoren sind Kapazitäten in ihrem Fach und Lehrende u.a. an der TU München.

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Leseprobe
Tatsachen schafft man nicht dadurch aus der Welt, dass man sie ignoriert.

Aldous Huxley (1894-1963)

1.


Die Situation in den Ländern der Krisenregionen


Die Fernwaffensituation in den Ländern der Krisenregionen vom Nahen bis zum Fernen Osten stellt ein Thema mit vielen Fragezeichen dar. Wegen der strikten Geheimhaltung, die insbesondere Massenvernichtungswaffen (MVW/WMD – Weapons of Mass Destruction) sowie die dazu benötigten Transportsysteme – hauptsächlich Fernraketen – betrifft, sind von diesen Ländern kaum sinnvolle Informationen zu erwarten. Allerorten ist man mit Desinformation konfrontiert. Vielfach wird übertrieben, was Leistung und Charakteristik der Waffensysteme – Wurfleistung mit Reichweite und Nutzlast – sowie Genauigkeit anbelangt; aber auch die Angaben zu Eigenständigkeit, Status der Serienproduktion, Menge der verfügbaren Raketen und Aufstellung bei der Truppe müssen mit äußerster Vorsicht behandelt werden. Dem stehen auf der anderen Seite absichtliche Untertreibungen gegenüber, im Rahmen derer Arbeiten zur Nukleartechnik als "ausschließlich zivil" bezeichnet, Raumfahrtaktivitäten zur Tarnung in den Vordergrund gestellt werden oder auf bescheidene technische Fähigkeiten in Verbindung mit Abhängigkeit von fremder Unterstützung hingewiesen wird.

So gibt es einerseits erklärte "Habenichtse", die vollkommen vom Ausland abhängen, und andererseits Staaten, denen perfekte Fähigkeiten in jeder Hinsicht zugesprochen werden oder die sich solche selbst zusprechen. Daher kommen Regierungsstellen und andere Institutionen aufgrund verfügbarer Informationen zu regionalen und globalen Bedrohungseinschätzungen, die unterschiedlicher nicht sein könnten.

Natürlich unterliegt all dies einer hohen Dynamik, was nicht nur die innenpolitische Seite betrifft, sondern auch die Außenbeziehungen. Bedrohungen können sich rasch in nichts auflösen, aber genauso "über Nacht" neu entstehen.

1.1Länder im Brennpunkt


Im Spektrum der resultierenden Lagebewertungen stellen Länder mit unsicheren, instabilen oder demokratisch nicht legitimierten Regierungen ein nicht zu übersehendes Problem dar. Der Blick richtet sich auf diejenigen Krisenregionen, denen zwei charakterische Merkmale zu eigen sind:

Eine besorgniserregende Entwicklung hinsichtlich Art, Verfügbarkeit und Umfang von Waffensystemen:

nachgewiesener Nuklearwaffenbesitz außerhalb der Großmächte (Indien – "friedlicher Test 1974", Pakistan, Nordkorea),

nachgewiesene Raketen mit Reichweite von mehr als 1.000 km (Indien, Pakistan, Iran, Nordkorea),

Hinweise auf umfangreiche Hilfen durch unterschiedliche Institutionen oder Personen.

Die Aktivitäten dieser Länder bei Transportmitteln und Massenvernichtungswaffen – hier stehen nukleare Ladungen im Vordergrund – sind im Regelfall charakterisiert durch

Abhängigkeit von fremder Unterstützung (Produkte, Experten, …),

extrem langen Zeitbedarf für die Realisierung, wobei eigenständige Erfolge, insbesondere bei Transportsystemen, eher selten sind,

Verknüpfung und Verdeckung der Transportsystemaktivitäten durch Raumfahrtprogramme (Atmosphärenforschung, Trägersysteme – Argentinien, Pakistan, Indien, …).

Verdeckung von Arbeiten an Nuklearwaffen durch zivile Programme.

Erschwerend kommt hinzu, dass die Unterstützungsquellen nicht klar ersichtlich sind und fehlerhafte Deklarationen in die Irre führen, sodass sich die zu beurteilende Lage immer unübersichtlicher gestaltet und schwieriger zu durchschauen ist.

Diese Lage ist aber keinesfalls eine Folge des zu Ende gegangenen Ost-West-Konflikts. Denn neben den USA, der UdSSR und den anderen Siegern des Zweiten Weltkriegs waren bereits seit den 50er Jahren weitere Länder an solchen Programmen interessiert. Zu nennen sind unter anderem Ägypten, Argentinien, Brasilien, Indonesien, Indien, Israel und Südafrika, aber auch der Irak, Nordkorea und der Iran. Jedoch konnten nur wenige ihre Anstrengungen mit Erfolg krönen.

Seit dem Ende des Ost-West-Konflikts hat sich die Lage verkompliziert, da der kontrollierende Einfluss der Großmächte verschwunden ist und wirtschaftliche Aspekte in den Vordergrund gerückt sind. Ließ sich die damalige Situation auf die zwei Spieler USA und Sowjetunion eingrenzen, die sich durch Raketenbedrohung gegenseitig in Schach hielten, so wurde nun daraus ein unübersichtliches weites Feld zahlreicher Mitspieler – aus der Raketenbedrohung 1.0 wurde die Raketenbedrohung 2.0.

Die Motive dieser Länder, sich auf dem Markt mit Fernwaffentechnik zu versorgen, sind grundlegend andere als die entsprechenden Motive der Blöcke zuzeiten des Kalten Krieges. Diese neuen Interessen neuer Mitspieler im Kräftekonzert ließen nicht nur alte Konflikte wieder aufbrechen, sondern zusätzlich neue entstehen, was dann gegenseitige Waffen- und Vernichtungsdrohungen zur Folge hatte.

Derzeit stehen drei Hauptregionen im Brennpunkt, die sich in einem Gürtel nördlich des Äquators vom Nahen bis zum Fernen Osten erstrecken; daneben gibt es andere Regionen von derzeit geringerer Bedeutung sowie neben der VR China und Russland einige Länder der früheren Sowjetunion:

MENA – Middle East and North Africa (Mittlerer/Naher Osten und Nordafrika) – Ägypten, Irak (erzwungene Beendigung der Aktivitäten), Iran, Jemen, Libyen (freiwillige Beendigung der Aktivitäten), Saudi Arabien, Sudan, Syrien,

Ferner Osten – Nordkorea,

Indischer Subkontinent – Indien, Pakistan,

Verschiedene ehemalige Sowjetrepubliken – Ukraine, Weißrussland, …

Im Mittelpunkt des Interesses stehen derzeit zwei Länder – Iran und Nordkorea. Dies hat zwei Gründe: Beide haben Nuklearambitionen – im letzteren Fall erklärte, im ersteren vermutete – und beide scheinen über die Voraussetzungen zu verfügen, bald geeignete, operativ effektiv nutzbare Trägersysteme in ihren Arsenalen zu haben. Zwar ist die reale, aktuelle Lage unklar, dessen ungeachtet dreht sich aber die Diskussion nur noch um den Zeitrahmen und die daraus abzuleitenden Konsequenzen. Diese Fragen sind im Fall des Iran auch deshalb so dringend, weil hier wegen der vielen daran beteiligten und davon betroffenen Länder die Gefahr eines sich ausweitenden Konfliktherds besteht, der sich auf die ganze Region ausweiten könnte.

Als angehende Großmacht auf demokratischer Grundlage befindet sich Indien, im Gegensatz zu Pakistan, auf dem Weg zum anerkannten Nuklearstaat, kann also in Ruhe weiterarbeiten. Aber es gibt noch weitere Länder, die derzeit keine wesentliche Rolle spielen, die aber nicht aus den Augen verloren werden dürfen.

– Kritische Krisenregionsländer –

1.2Bisheriger Einsatz ballistischer Raketenwaffen größerer Leistung


Der massive Einsatz von ballistischen Fernraketen begann im Zweiten Weltkrieg mit der deutschen A4, besser bekannt unter der Propagandabezeichnung V2 (Vergeltungswaffe Nr. 2). Erst drei Jahrzehnte später wurde wieder auf ballistische Raketen zurückgegriffen, als Ägypten im Jom-Kippur-Krieg einige Flugkörper gegen Israel verschoss, die aber wirkungslos verpufften. Ab den 80er Jahren begann dann der beinahe routinemäßige Einsatz dieses Waffentyps auf unterschiedlichen Kriegsschauplätzen. Den Raketeneinsätzen des Irak und Iran im Golfkrieg folgten sowjetische und russische Streitkräfte mit den Abschüssen von Flugkörpern in Afghanistan, Tsche-tschenien und Georgien. Militärisch resultierte daraus jedoch kein Vorteil. Dies gilt auch für die kürzlich erfolgten vereinzelten Einsätze in den Bürgerkriegen in Libyen, Syrien und der Ukraine, die keine Veränderung des Kriegsglücks brachten. All diese Einsätze erfolgten überwiegend gegen zivile Ziele.

Die Geschichte hat also gezeigt, dass sich durch Raketen mit konventionellen Gefechtsköpfen keine militärischen Vorteile gewinnen lassen, die politischstrategischen Auswirkungen hingegen beträchtlich sein können, insbesondere bei Angriffen auf zivile Ziele. Zusammen mit der Veränderung der globalen politischen Situation führte diese Erkenntnis zu einer wachsenden Bedeutung der Raketenwaffen, sodass immer mehr Länder der Krisenregionen begannen, sich mit solchen Systemen auszurüsten.

Die in diesen Kriegen eingesetzten Raketen hatten durchweg nur kürzere Reichweiten und waren – lässt man einfache Terror- und Artillerieraketen beiseite – in keinem Fall mit Massenvernichtungswaffen bestückt. Trotz der vielen Kriegseinsätze ist die Liste der verwendeten Raketenmodelle extrem kurz, und man kann eigentlich nur zwei Typen identifizieren, die in...

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