Das Erscheinen von Windows 10 IoT erweitert die Zielgruppe des Raspberry Pi erheblich. Die Leistungsfähigkeit des Raspberry in Kombination mit Windows macht ihn zunehmend auch für den Einsatz in Unternehmen attraktiv. Der Raspberry entwächst somit seinem Nischendasein in der Maker-Szene und im Linux-Umfeld und wird die IT-Welt in den nächsten Jahre sicherlich stark verändern.
Daraus ergeben sich natürlich auch neue Anforderungen an den Entwickler und die IT-Infrastruktur. Dieses Kapitel beleuchtet die Chancen und Risiken des Raspberry Pi ? sowohl im privaten als auch im kommerziellen Umfeld.
In diesem Kapitel erfahren Sie, welche Chancen und Risiken das Internet der Dinge mit sich bringt, und warum es sich lohnt, in diesem Bereich einzusteigen.
3.1 | Chancen für Windows 10 IoT Core |
Der RasPi war bislang nahezu untrennbar mit Linux verbunden. Eine Unterstützung für Windows war lange Zeit nicht in Sicht. Microsoft hat sich nun der großen Verantwortung angenommen und setzt mit der Verfügbarkeit von Windows 10 IoT Core auf dem Raspberry einen weiteren Meilenstein in der Erfolgsgeschichte des Raspberry Pi. Endlich können auch Windows-Entwickler mitmischen. Die Einstiegshürden sind gering, da mit Visual Studio das gewohnte Entwicklungswerkzeug eingesetzt werden kann. Der Name Microsoft wird zusätzlich die bestehenden Zweifel am Internet der Dinge schmälern.
Windows 10 IoT Core ist zwar kein vollwertiges Desktop-Betriebssystem ? von daher ist es für den breiten Markt der Endanwender zunächst eher noch uninteressant, zumindest als Desktop-Ersatz. Dennoch gibt es zwei interessante Bereiche für Windows 10 IoT Core und den Raspberry Pi, in denen großes Potential steckt. Dabei handelt es sich einerseits um den Bereich der klassischen Maker-Projekte, wie es sie bereits seit Jahren im Linux-Umfeld gibt. Auf der anderen Seite sind es die Projekte im Bereich der Heimautomatisierung (Smart Home).
Während es bereits zahlreiche geschlossene Produkte im Bereich der Heimautomatisierung gibt, liefert Microsoft jetzt auch eine offene Plattform für Eigenentwicklungen aus der Windows-Welt. Alleinstellungsmerkmal ist aktuell die Kombination mit Microsofts Cloud-Dienst Azure. So eine Kombination findet man im Linux-Umfeld bis dato nicht. Microsoft sieht großes Potential in der Kombination aus Windows, IoT und der Cloud. Dieser Bereich liegt in der IT-Branche weitestgehend brach. Konkurrenten wie Google und Amazon liefern hier kein Konzept aus einer Hand so wie Microsoft es tut. Somit bekommt der aus Redmond stammende Slogan „One Platform“ eine ganz neue Bedeutung.
Das Internet der Dinge benötigt zwar auf den ersten Blick keine Cloud, aber spätestens mit den ersten größeren Projekten wird eine Anbindung unverzichtbar. Auf diese Weise können Daten von Sensoren ohne große Infrastrukturen zentral gespeichert und ausgewertet werden. Flexibler, einfacher und kostengünstiger geht es nicht.
Auf der Entwicklerkonferenz Build im April 2016 stellte Microsoft verschiedene Entwicklerboards vor. Diese Starterkits1 ermöglichen einen einfachen und kostengünstigen Einstieg in die Welt von IoT mit Azure. Diese Komplett-Sets bestehen aus einem Entwicklerboard (wie z.?B. dem RasPi) und den benötigten Bauteilen (LEDs, Steckverbindungen, Sensoren etc.), um verschiedenste Experimente zu ermöglichen. Preislich liegen diese Sets zwischen 50 und 100 Euro, waren zum Zeitpunkt der Drucklegung aber noch nicht in Deutschland erhältlich. Zusammen mit den bereitgestellten Tutorials2 bieten sie einen schnellen Einstieg in das Auslesen und Verwalten von Sensoren über die Azure-Cloud und ermöglichen die Umsetzung eigener IoT-Projekte innerhalb kürzester Zeit.
Bild 3.1 Ausschnitt der Microsoft IoT Starter Kits
Für Microsoft führt der Weg in den Markt offenkundig über die Entwickler. Es wird mit Hochdruck an Windows 10 IoT Core gearbeitet. Das Betriebssystem und die Entwickler-Tools gibt es kostenlos. Das Know-How im .NET-Umfeld ist auf dem Markt vorhanden und kann nun auf einfachste Weise auf IoT angewendet werden. Einsteiger entwickeln im ersten Schritt entweder für sich selbst oder andere Endkunden. Projekte aus der Linux-Welt werden nach und nach adaptiert. Die öffentlich zugängliche Code-Basis wächst und weitere Dokumentationen werden verfügbar. Diese kleinen Schritte machen für Microsoft den Weg frei, sich auch im Business-Umfeld langfristig als vertrauenswürdiger und zuverlässiger Partner für IoT zu etablieren.
Während Lösungen auf Basis von Linux meistens in die „Bastelecke“ gesteckt wurden, ebnet Windows 10 auch den Weg von IoT in die Unternehmenswelt. Überspitzt gesagt:
Windows ist etabliert und genießt im Gegensatz zu Linux einen gewissen Vertrauensbonus im Unternehmen.
Windows ist kommerziell, während Linux „kostenlos“ ist und keine professionelle Unterstützung bietet.
Diese Diskussion existiert schon seit Jahren zwischen den Lagern der Windows- und Linux-Anhänger und scheint sich im Bereich von IoT zu wiederholen. Egal, welche Meinung man dazu hat, kann Microsoft als weiterer Unterstützer dieser Bewegung sicher nicht schaden, um die Bekanntheit des Raspberry Pi und Projekte im Bereich von IoT weiter voranzubringen.
Bild 3.2 Azure-Codebeispiele für IoT
3.2 | Internet of Things (IoT) |
Die Cloud und das Internet der Dinge sind seit einigen Jahren beherrschende Themen in der IT-Branche und versprechen ein immenses Wachstum. Der Raspberry Pi steht als ein Sinnbild für das Internet der Dinge bzw. Internet of Things (IoT). Es handelt sich dabei jedoch um keine neue Erfindung. Bereits vor circa 20 Jahren wurde die Idee geboren, „Dinge“ zu vernetzen und so den Menschen unauffällig zu unterstützen. Diese Dinge können Geräte oder Sensoren sein und auch Daten untereinander austauschen. Ziel von IoT ist es, die reale und virtuelle Welt stärker zu verbinden. Somit ist es möglich, „Dinge“ über das Internet in vernetzte Prozesse und Entscheidungen einzubeziehen.
In ähnlicher Form wird diese Art der Informationsgewinnung bereits heute täglich genutzt. Die Wetterdaten werden ebenfalls durch Sensoren bereitgestellt und stehen für die Weiterverarbeitung zur Verfügung (Unwetterwarnungen, Veranstaltungstipps, gezielte Werbung an heißen Tagen etc.).
Das Internet der Dinge geht noch weiter und bietet die Möglichkeit, auch Daten enger definierter räumlicher Bereiche zu beziehen. Diese sogenannten Domänen können sich auch auf Personen beziehen. Somit kann die Datengrundlage für Prozesse besser lokal fokussiert und enger gefasst werden.
So kann zum Beispiel die gemessene Temperatur an einer Maschine in einer Werkshalle zur gemessenen Außentemperatur am Standort in Relation gesetzt werden. Das Ergebnis liefert deutlich spezifischere Ergebnisse, als wenn man z.?B. die Temperatur in der nächstgelegenen Stadt als Bezugsgröße verwendet hätte.
Bei automatisierten Prozessen ist zum Beispiel folgendes Szenario denkbar: Ein Sensor zur Erkennung eines Füllstands registriert, dass ein Mindestwert unterschritten ist. Damit ist klar, dass der Vorrat nicht mehr lange reichen wird. Daraufhin wird automatisch eine Bestellung beim Lieferanten generiert und elektronisch verschickt. Das beliebteste Beispiel ist der intelligente Kühlschrank, der erkennt, dass die Milch zu Neige geht und diese automatisch bestellt oder zumindest als Posten auf dem Einkaufszettel einträgt.
Im Bereich der Sensoren ist auch denkbar, dass sich diese „absprechen“ oder selbst Recherchen einleiten können: Ein mögliches Beispiel: Mehrere Sensoren werden in einem Raum, zum Beispiel einem Rechenzentrum, verteilt. Diese Geräte messen periodisch die Temperatur. Der Sensor auf der Südseite registriert zur Mittagszeit einen deutlichen Temperaturanstieg, der der direkten Sonneneinstrahlung geschuldet ist. Durch gezielte Kommunikation mit den anderen Sensoren wird die Gesamttemperatur ermittelt. Des Weiteren werden die aktuelle, amtliche Außentemperatur und die Wetterdaten über das Internet bezogen. Mithilfe dieser Werte kann geschlussfolgert werden, dass nur ein Temperatursensor eine Abweichung festgestellt hat, da draußen gerade die Sonne scheint. Dadurch kann ein Fehlalarm verhindert werden.
Die Umsetzung dieser Szenarien ist technisch sicher schon länger möglich. Jedoch ermöglicht der rapide Preisverfall der Bauteile und der technologische Fortschritt einen kostengünstigen und zuverlässigen Einsatz. Selbst komplexe Bauteile, wie z.?B. ein GPS-Modul, können für wenige Euro bezogen und in einem Projekt verbaut werden.
3.1.2 | IoT als wachsender Markt |
Der Bereich Internet of Things ist in der Informationstechnologie derzeit noch relativ dünn besiedelt. Entsprechend hoch schätzen Analysten die Umsatzchancen in diesem Bereich. Glaubt man den Analysten von McKinsey3, so soll bis zum Jahr 2025 ein Volumen von bis zu 11,1 Billionen US-Dollar in diesem Bereich umsetzbar sein.
Da die benötigten Bauteile und die Hardware für IoT-Projekte relativ günstig sind, ist ein Return-on-Investment in der Regel schnell erreicht. Die Kosten für die Infrastruktur sind relativ gering und damit ist auch das Risiko einer Investition kalkulierbar.
Im IoT-Bereich werden sich viele Lösungen für die Praxis herausbilden, die hinsichtlich Hard- und Software entwickelt werden müssen. Aber die Wertschöpfungskette liegt nicht primär in den...