2. ORGANISATIONEN UND IHRE MITARBEITENDEN
Die Kinder- und Jugendarbeit geschieht in einem Rahmen, der verschiedene Organisationsformen haben kann. Diese Organisationen werden durch ihre jeweiligen rechtlichen Vertreter (z. B. Geschäftsführer, Vorstand, Kirchenvorstand, Vorsitzender/ Vorsitzende des Kirchengemeinderats) vertreten. Weitere Handelnde der Organisationen sind die hauptamtlich angestellten Mitarbeitenden (Hauptamtlichen) und die Ehrenamtlichen, die auf freiwilliger und (i. d. R.) unentgeltlicher Basis mitarbeiten. Diese Ehren- und Hauptamtlichen (Mitarbeitenden) sind nach dem Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) – je nach Tätigkeit – Verrichtungs- und Erfüllungsgehilfen der Organisation. Das bedeutet, dass eine Organisation von ihren Mitarbeitenden „beeinflusst, bewegt und gesteuert“ wird. Das Engagement, das Umsetzen ihrer Ideen und insbesondere das Ziel, die Kinder und Jugendlichen mit ihren Fragen, Bedürfnissen und Unsicherheiten abzuholen, bestimmt das Image einer Organisation und zeichnet die Mitarbeitenden aus.
2.1 Die Mitarbeitenden in einer Organisation
Die ehren- und hauptamtlich Mitarbeitenden stehen zu ihrem Verein, Jugendverband, ihrer Kirchengemeinde usw. (im Folgenden: Organisation) in einem Vertrauensverhältnis. Zwischen der Organisation und den Mitarbeitenden gibt es ein „Geben und Nehmen“. Es besteht aber ein Unterschied, ob eine Person ehrenamtlich oder hauptamtlich tätig ist. Die Hauptamtlichen sind in der jeweiligen Organisation angestellt und daher ihrem Arbeitgeber gegenüber weisungsgebunden. Hauptamtliche müssen ihre mit dem Arbeitgeber vereinbarte Arbeit leisten und haben Nebenpflichten (Treuepflicht, Verschwiegenheitspflicht, pfleglicher Umgang mit Materialien, Geräten usw.). Zu den Ehrenamtlichen siehe Kapitel A 2.2. In der christlichen Kinder- und Jugendarbeit kommen noch der Verkündigungsauftrag und die Vorbildfunktion hinzu.
Das Arbeitnehmer-Arbeitgeber-Verhältnis und die damit verbundenen Rechte und Pflichten werden in diesem Buch nicht vertieft – mit einer Ausnahme: Die Problematik der Haftung von Hauptamtlichen wird ebenso betrachtet wie die von Ehrenamtlichen. Es geht um die Frage, wann und wie diese Mitarbeitenden in besonderen Haftungssituationen selbst finanziell einstehen müssen (siehe Kapitel A 2.2.6).
2.1.1 Die Mitarbeitenden und ihr Rechtsverhältnis zur Organisation: Erfüllungsgehilfen und/oder Verrichtungsgehilfen
Das BGB gebraucht im Schuldrecht an ganz verschiedenen Stellen und in rechtlich unterschiedlichen Zusammenhängen die Begriffe „Verrichtungsgehilfe“ und „Erfüllungsgehilfe“. Es ist nicht einfach, die Begriffe zu verstehen und auseinanderzuhalten, daher wird das an dieser Stelle etwas vertieft, denn es handelt sich um eine für die Kinder- und Jugendarbeit ganz zentrale Unterscheidung. Die begriffliche Problematik rührt daher, dass der Gesetzgeber von zwei Seiten her denkt, er sieht zwei verschiedene rechtliche Situationen, in der jeweils eine Hauptperson (Schuldner oder Geschäftsherr) und eine Hilfsperson im Spiel ist. Im einen Fall schuldet ein Mensch (Schuldner) einen Vertrag (eine Verbindlichkeit) zu „erfüllen“. Bedient er sich dabei einer Hilfsperson (ehren- oder hauptamtlich), ist sie automatisch „Erfüllungsgehilfe“. Im anderen Fall wird für einen Unternehmer, Arbeitgeber oder auch einen Verein (Geschäftsherr) eine Hilfsperson in irgendeiner Form tätig, wobei sie an die Weisungen des Geschäftsherrn gebunden ist. Es muss keine Weisungsgebundenheit im Sinne des Arbeitsrechts sein, auch wer freiwillig, ehrenamtlich tätig ist, kann sich z. B. im Rahmen eines Vereins den Weisungen des Vorstands (soweit satzungsmäßig begründet) unterwerfen. Diese Hilfsperson „verrichtet“ (erledigt) irgendetwas für den Geschäftsherrn, ist also sein „Verrichtungsgehilfe“.
Nehmen wir den ersten Fall, in dem eine schuldrechtliche Bindung eines Schuldners dessen Hilfsperson zum Erfüllungsgehilfen macht. Da es sich in der Kinder- und Jugendarbeit in aller Regel um die (vertragliche!) Übernahme der Aufsichtspflicht handelt, ist somit jeder/jede Mitarbeitende fast automatisch Erfüllungsgehilfe. Es geht um die Hilfe bei der Erfüllung eines Vertrages zwischen der Organisation und einem Dritten (z. B. den Sorgeberechtigten, einer Jugenderholungseinrichtung, einem Busunternehmer usw.). Begeht der Erfüllungsgehilfe hierbei eine Pflichtverletzung und kommt es zu einer schlechten Erfüllung des Vertrages (wenn z. B. durch eine schlechte Beaufsichtigung die Kleidung oder Brille eines Kindes beschädigt wird) oder die Erfüllung sogar völlig misslingt, gilt § 278 BGB: „Der Schuldner hat ein Verschulden seines gesetzlichen Vertreters und der Personen, deren er sich zur Erfüllung seiner Verbindlichkeit bedient, in gleichem Umfang zu vertreten wie eigenes Verschulden.“ Beim Erfüllungsgehilfen kann sich eine Organisation also nicht entlasten (zumindest eben, solange es nur um die Vertragserfüllung geht).
Anders beim Verrichtungsgehilfen. Dieser kann natürlich ebenso eine vertragliche Pflicht (oder eine sonstige interne Pflicht) erfüllen, entscheidend ist jedenfalls, dass er von seiner Organisation beauftragt wird, bestimmte Aufgaben auszuführen oder zu erledigen. Wenn diesem Verrichtungsgehilfen nun beim Ausführen seiner Pflichten ein Fehler unterläuft und dabei ein unbeteiligter Dritter (nicht der Vertragspartner!) einen Schaden erleidet (weil er z. B. den Hammer fallen lässt und dieser einem Passanten auf den Kopf fällt), dann hat er in Ausführung irgendeiner Verrichtung einen Dritten widerrechtlich geschädigt und es gilt § 831 Abs. 1 S. 1 BGB: „Wer einen anderen zu einer Verrichtung bestellt, ist zum Ersatz des Schadens verpflichtet, den der andere in Ausführung der Verrichtung einem Dritten widerrechtlich zufügt.“ Auch hier muss also grundsätzlich die Organisation haften und den Schaden ersetzen. Das BGB sieht in diesem Fall aber keine Ersatzpflicht der Organisation vor, wenn der Verrichtungsgehilfe fachlich qualifiziert ist und „... die im Verkehr erforderliche Sorgfalt beobachtet [hat] oder wenn der Schaden auch bei Anwendung dieser Sorgfalt entstanden sein würde“ (§ 831 Abs. 1 S. 2 BGB). In diesem Fall haftet nicht die Organisation, sondern der Verrichtungsgehilfe. Die Organisation haftet nur für einen Verrichtungsgehilfen, wenn sie nicht nachweisen kann, dass sie ihn sorgfältig ausgewählt und überwacht hat. In diesem Fall haften gemäß § 840 Abs. 1 BGB Verrichtungsgehilfe und Geschäftsherr als Gesamtschuldner (§ 421 BGB), d. h. der Gläubiger kann sich wahlweise an den einen oder anderen halten.
Grundsätzlich gilt im Schuldrecht: Der Schuldner einer Forderung (sei sie nun aus Vertrag oder aus unerlaubter Handlung) haftet nur bei „Vorsatz“ oder „Fahrlässigkeit“ (das sog. „allgemeine Verschuldensprinzip“ des § 276 BGB). Das gilt natürlich auch im Falle der Haftung für die Hilfspersonen (diese muss schuldhaft im Sinne des § 276 BGB gehandelt haben).
Beispiel 1: Der Mitarbeiter eines CVJM unternimmt mit der Jugendgruppe ein Fußballspiel vor der Kirche, ohne die Hausordnung der Kirchengemeinde gelesen zu haben, in der steht, dass Fußballspielen auf dem Kirchplatz wegen der unter Denkmalschutz stehenden Fenster nicht erlaubt ist. Beim Fußballspiel wird die Glasscheibe des Schaukastens der Kirchengemeinde zerstört. Wer aus der Gruppe den Ball geschossen hat, lässt sich nicht mehr ermitteln. In diesem Fall handelt der Mitarbeiter fahrlässig. Er ist nicht nur vertraglicher Erfüllungsgehilfe des CVJM, sondern haftet auch deliktisch, weil er bei einer Tätigkeit als Verrichtungsgehilfe eine Eigentumsverletzung eines Dritten (Kirchengemeinde) begangen hat (durch mangelhafte Aufsicht und Organisation). Sofern der CVJM sich nicht entlasten kann, haftet er gemeinsam mit dem Mitarbeiter für den entstandenen Schaden.
Beispiel 2: Eine Jugendgruppe fährt auf einem Fluss Kajak. Die Kajaks gehören einem Bootsverleih. Die Gruppe wird von einer im Kajakfahren erfahrenen Mitarbeiterin der Organisation angeleitet. Ein Jugendlicher, der sich nicht an die Anweisungen hält, kentert, fällt aus dem Kajak und schwimmt an Land, ohne sich um das Kajak zu kümmern. Die Mitarbeiterin fährt voraus und bemerkt zu spät, dass das Kajak untergeht, weil die Auftriebskörper vergessen wurden. In diesem Fall haftet die Organisation für den Schaden nicht, weil die Mitarbeiterin entsprechend qualifiziert ist. Die Mitarbeiterin haftet als Verrichtungsgehilfe für den entstandenen Schaden. Wäre es aufgrund einer Aufsichtspflichtverletzung (z. B. mangelhafte Einweisung und Überwachung) zu einem (finanziellen) Schaden beim Jugendlichen selbst gekommen, käme ggf. noch die Haftung durch die Qualifizierung als Erfüllungsgehilfe hinsichtlich der Pflichten des Trägers der Jugendgruppe gegenüber den Eltern hinzu.
Zu diesen Beispielen: Bei beiden Veranstaltungen bestehen Verträge (zwischen Organisation und...