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Rechtsanspruch und Rechtswirklichkeit im chinesischen Arbeitsrecht: Konfuzianische Abneigung gegen Rechtsprozesse?

AutorBjörn Burg
VerlagBachelor + Master Publishing
Erscheinungsjahr2015
Seitenanzahl61 Seiten
ISBN9783955495121
FormatPDF
KopierschutzWasserzeichen/DRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis14,99 EUR
Das chinesische Rechtssystem und die damit verbundene Rechtskultur befinden sich seit rund einem Jahrhundert in einem andauernden Reform- und Modernisierungsprozess, auf dem Wege von einer 'traditionellen' Ordnung hin zu einer 'modernen' Existenz. Das 'spezifisch chinesisch sozialistische Rechtssystem' weist eine ganz eigene Prägung auf. Der Transformationsprozess seit Ende der 70er Jahre, von einer sozialistischen Planwirtschaft hin zu einer sozialistischen Marktwirtschaft und die damit einhergehende ökonomische Entwicklung, resultierten jedoch in westlichen und innerstaatlichen Impulsen. Diese erzeugten einen Veränderungsdruck auf die rechtliche Ordnung des Landes. Reaktionen auf diesen sozioökonomischen Wandel äußern sich unter anderem in einem kontinuierlichen Reformprozess des chinesischen Rechts und der Verabschiedung neuer sozialer Gesetze. Im Kontrast zu den vielfältigen Sanktionen des chinesischen Arbeitsrechts stehen Berichte von Arbeitern aus chinesischen Manufakturen. Wanderarbeiter beklagen schwerste arbeitsrechtliche Verstöße sowie rabiate Menschenrechtsverletzungen. Diese geben Anlass eine nicht unbeträchtliche Diskrepanz zwischen Rechtsanspruch und Rechtswirklichkeit zu vermuten.

Der Autor Björn Burg, I.B.A., wurde in Flensburg geboren. Sein Studium der Sinologie an der Universität Hamburg schloss er im Jahre 2012 mit dem akademischen Grad eines Bachelor of Arts erfolgreich ab. Bereits während des Bachelor Studiums verbrachte der

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Leseprobe
Textprobe: Kapitel 3., Die Durchsetzung der Arbeitsgesetze (Makroperspektive): Die oben genannten Berichte geben Anlass zu der Vermutung, dass im chinesischen Arbeitsrecht eine nicht unbeträchtliche Diskrepanz zwischen Rechtsanspruch und Rechtswirklichkeit bestehen könnte. Die folgenden Ausführungen sollen anhand von Statistiken, empirischen Untersuchungen von Menschen- und Arbeitsrechtsorganisationen sowie Xinhua Berichten aufzeigen, ob es sich hierbei um Einzelfälle handelt oder sich derartige Rechtsverletzungen in einem beträchtlichen Anteil der Arbeitsverhältnisse ausfindig machen lassen. 'Inhaltlich unterliegt das chinesische Arbeitsrecht vielfältigen Sanktionen'. Dabei ist jedoch zu erörtern, auf welche Art und Weise diese Sanktionen in der Realität auch tatsächlich greifen. Bereits 1994 zitierte Harro von Senger in seiner 'Einführung in das chinesische Recht' eine Einschätzung der Pekinger Volkszeitung, wonach nur etwa 20% des chinesischen Gesetzesrechts 'tatsächlich durchgesetzt' werden. 3.1, Arbeitsvertrag: Wie im Kapitel 1 festgestellt, bilden schriftliche Arbeitsverträge die Grundlage zur Errichtung eines Arbeitsverhältnisses und der damit verbunden Sicherheit durch das Arbeitsgesetz. In den meisten ausländischen Unternehmen und auch in vielen Staatsbetrieben sind Verträge in Schriftform durchaus verbreitet. Im Kontrast dazu stehen arbeitsintensive Manufakturen. Hier werden meist Wanderarbeiter beschäftigt, mit denen häufig keine oder aber gesetzeswidrige Verträge abgeschlossen werden. Eine in der Zhongguo qingnian bao ????? veröffentlichte Untersuchung stellte fest, dass von rund 6.500 befragten weiblichen Migranten lediglich 40 % einen Vertrag in Schriftform abgeschlossen haben. Claudia Wüllner kommt in ihrer empirischen Untersuchung sogar auf den erschreckend geringen Anteil von 21,1 %. Auch eine Untersuchungskommission der Arbeitsverwaltung in Zhejiang stellte heraus, dass von drei Millionen Wanderarbeitern lediglich 1,2 Millionen schriftliche Arbeitsverträge abgeschlossen haben. Die Mehrzahl der Arbeiter wurde somit illegal beschäftigt. Hinzu kommt, dass viele der abgeschlossenen Verträge eher einem 'Regelbuch' glichen als einem Vertrag zwischen zwei Parteien. Besonders häufig war die rechtswidrige Klausel der Kautionszahlung anzufinden. Das Internetportal Zhilian Zhaopin ???? hat in Zusammenarbeit mit Sina ?? Arbeitssuchende über potentielle Risiken auf dem Arbeitsmarkt befragt. 28,16 % nannten hier die Praxis der Kautionszahlungen, wobei 27,89 % diese Erfahrung in ihrer eigenen Arbeitgebereinheit gemacht haben. Interessant ist der Umgang mit dieser illegalen Praxis: Nur 15,26 % der Befragten würden jene melden oder zur Anzeige bringen, wohingegen 32,63 % diese Praxis akzeptieren würden. Diese Kautionszahlungen sollen den Arbeitnehmer in der Praxis von einer möglichen Flucht oder zumindest von einer Kündigung abhalten. In direktem Zusammenhang verboten andere illegale Klauseln das Verlassen des Fabrikgeländes, auch außerhalb der Arbeitszeit. In entsprechenden Klauseln der Verträge werden Kautionen rechtswidriger Weise als 'freiwillige Bürgschaften' (?????) zum angeblichen Vorteil der Arbeitnehmer festgehalten. Hinzu kommt die Tatsache, dass Arbeitsverträge in vielen Fällen nicht dem Arbeitnehmer ausgehändigt werden und im alleinigen Besitz des Arbeitgebers bleiben. In solchen Fällen darf der Arbeiter teilweise nicht einmal einen Blick auf das von ihm unterzeichnete Dokument werfen. Ergänzende 'Regeln' werden in Betriebsordnungen festgehalten. Für die Nichtverbreitung von Arbeitsverträgen gibt es vielfältige Gründe. Wang Gensheng ???, ehemaliger Chef der Arbeitsverwaltung in Zhejiang, verweist hier zunächst auf Kostengründe. Ohne einen gültigen Arbeitsvertrag müssen die Firmen keine Sozialversicherungsbeiträge leisten. Hinzu kommt die Tatsache, dass viele Arbeiter auch ohne Arbeitsvertrag bereit sind zu arbeiten. Ein Wanderarbeiter formuliert dies wie folgt: 'Falls wir einen schriftlichen Arbeitsvertrag fordern, wird der Chef uns gehen lassen, da es viele andere gibt, die diesen Job gerne machen würden und dabei keinen Ärger mit der Frage nach Verträgen machen.' Auf der anderen Seite ist ein Vertrag gerade aus Arbeitnehmersicht eine mögliche Einschränkung, um den Arbeitsplatz aus oben genannten Gründen schnellstmöglich zu verlassen. Aus Arbeitnehmersicht ist die Nichtverbreitung von Arbeitsverträgen ein zweischneidiges Schwert. Zum einen erleichtert es den Unternehmen Gesetze zu missachten, und Rechtsansprüche seitens der Arbeitnehmer können kaum durchgesetzt werden. Umgekehrt wird es den Arbeitern in vielen Fällen so schwer wie möglich gemacht, einen Arbeitsvertrag zu beenden. Es werden Restriktionen vorgenommen, die ein Verlassen der Firma nahezu unmöglich erscheinen lassen. Abschließend ist festzustellen, dass Soll- und Istzustand in Bezug auf Arbeitsverträge nicht übereinstimmen. Ein Arbeitsvertrag soll, wie im Kapitel 1 dargestellt, eine Sicherung der Arbeitnehmerrechte gewährleisten. Betrachtet man die Situation von Migranten in arbeitsintensiven Manufakturen, so scheint der gesetzlich vorgeschriebene, schriftliche Arbeitsvertrag nicht weit genug verbreitet. Zudem ist auch ein vorhandener Vertrag kein Garant für Rechtssicherheit, da Vertragsabsprachen häufig rechtswidrig sind. 3.2, Löhne: Laut Zeitungsberichten und eigenen Aussagen der Arbeiter (siehe Kapitel 2) ist eine häufige Rechtsverletzung, trotz des Verbots in § 48 ArbG, die Unterschreitung des gesetzlichen Mindestlohns. Laut einer Untersuchung der Guangdonger Gewerkschaft lagen die Löhne von 32 % der befragten Arbeiter z.T. weit unter dem Mindestlohn. Des Weiteren beklagen viele Arbeiter das Zurückhalten von Löhnen seitens des Arbeitgebers. Die ehemalige Vizepräsidentin der Aufsichtsbehörde für soziale Sicherheit, He Luli ???, kam zu dem Ergebnis, dass 41 % der Arbeitsrechtsverstöße in die Kategorie der Zurückhaltung oder Nichtzahlung von Löhnen fielen. Die Arbeitsverwaltung der Provinz Guangdong meldete, dass im Jahre 2005 1,27 Mio. schriftliche Beschwerden über nicht ausgezahlte Löhne vorlagen. Nachfolgende Untersuchungen bei 16.900 Unternehmen haben zu Nachzahlungen von 1,2 Mrd. Yuan geführt. Es ist zu beachten, dass es sich hierbei nur um gemeldete Fälle handelt; die tatsächliche Summe der Fälle kann weitaus höher vermutet werden. Die Zhongguo qingnian bao ????? befragte 2006 in einer Untersuchung 80 Wanderarbeiter in Bezug auf die Zahlung ihrer Löhne. Hier sagten 72,5 % von ihnen, dass sie ihre Löhne in der Regel nicht pünktlich erhielten. Auch bei der Betrachtung der Zahlung von Löhnen gelangt man zu dem Ergebnis, dass Rechtansprüche, die sich aus den Arbeitsgesetzen ergeben, in der Praxis nicht ausreichend durchgesetzt werden.
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