In ihrer Arbeit über die Königinnen von Kusch dem altägyptischen Namen von Nubien und zugleich dem im Gebiet des heutigen Sudan gelegenen Königreich schreibt Angelika Lohwasser, dass die Frauen von Kusch sich wahrscheinlich einen Tierschwanz um ihre Hüfte oder Knie banden, um sich Fruchtbarkeit zu sichern. Dieser Schwanz wurde dann unter dem Gewand getragen, und Lohwasser vermutet, dass es sich bei dem Tier um einen Fuchs handelt, weil dieser mit Erotik und Fruchtbarkeit verwoben war.[81] Danach nimmt sie Bezug auf die Geburtsamulette und den damit verbundenen Hieroglyphenzeichen, von denen aus gutem Grund im nächsten Abschnitt ausführlich die Rede sein wird. Sie schließt weiter folgerichtig, dass der Fuchsschwanz das „weibliche“ Gegenstück zu dem „männlichen“ Stierschwanz des Königs war, der ebenfalls als Fruchtbarkeitssymbol angesehen wurde.[82] Dass sie damit richtig liegt, erweist sich dadurch, dass wir Formen besagter Kulte auch in Griechenland beziehungsweise Thrakien ausmachen können, Dionysos und Orpheus betreffend (mehr dazu dann im dortigen Kapitel).
Ebenfalls im Gebiet des heutigen Sudans, im Süden, lebt das Volk der Dinka. Dort gibt es eine „Fuchssippe“, deren Totemtier der Fuchs ist.[83] Totemismus bedeutet in aller Regel, dass das Tier, mit dem der Besitzer des Totems zu tun hat, in einem mystischen oder verwandtschaftlichen Sinn mit ihm verknüpft ist. Die Dinka unterlagen mit Sicherheit stark dem kulturellen Einfluss aus der Region von Kusch und Ägypten. Aus einer Webquelle[84] geht hervor, dass der Fuchs, der in der Dinka–Sprache auán heißt, im Mythos Kuaudit genannt wird, als schlau und gewandt, nicht aber als listig gilt. Er ist kein Dämon, sondern ein guter Geist und vor allem das Symbol einer positiven Lebenseinstellung. In einer Überlieferung singt er sein Lied und die Mädchen versammeln sich um ihn auf dem Tanzboden. Davon waren das Vieh, die Vögel und die Königskraniche nicht sehr angetan. Neidisch und besorgt geworden, schmiedeten sie einen Plan im Himmel. Doch Kuaudit bekam Wind davon, versteckte sich in der Tasche des Königskranichs und gelangte so mit den Vögeln in den Himmel, wo man tanzte und sang. Der Fuchs, versteckt in der Tasche, hörte sich dies eine Zeitlang an, dann sprang er auf und sang sein Lied, von dem besonders eine Zeile zu betonen ist: „Gut bekannt bei Kindern und Frauen!“ Die Vögel rufen darauf: „Das ist gottlos!“, und als sie wieder zur Erde zurückkehren, lassen sie den Fuchs im Himmel. Er beginnt zu weinen und die Mädchen lachen über ihn, der ausdrücklich „der Attraktive“ genannt wird. Er aber wendet sein Los zum Guten und erwidert: „Ich weine doch nicht, ich singe!“, und sein Lied erklingt. Nach einigem Hin und Her bringt er die Mädchen dazu, ihm eine Leine zu bringen, sodass er daran wieder unversehrt hinab auf die Erde steigen kann. Wenn es sich bei dem Fest, was wahrscheinlich ist, wie in den Legenden aus dem alten Peru[85] um ein Hochzeitsfest handelt, so spiegelt sich darin hier wie dort die Erinnerung an die einstige Rolle vom Fuchs als Bräutigam, was auch in der neckischen Plänkelei mit den Mädchen zum Ausdruck kommt. Hier aber geht die Geschichte gut aus, und der Fuchs stürzt nicht hinab, sondern rettet sich durch seine Schlauheit und Wortgewandtheit. Auf diese Weise wurde der beliebte Fuchs Kuaudit zum Freund der Frauen und Kinder. Er ist der wahre, der archaische Bräutigam, deshalb sind die anderen Tiere neidisch auf ihn. Darin, dass die Mädchen ihn retten, scheint eine uralte Verbindung auf, die auch zu den kultischen Spuren aus der ganzen Region passt, wie auch aus dem nächsten Abschnitt hervorgeht. Die positive Lebenseinstellung, für die der Fuchs steht, entspricht in etwa dem Renart oder Reineke in den europäischen Tierepen, der seinen Hals immer wieder aus der Schlinge ziehen kann.
Neben dem Schakalkult von Anubis, Duamutef, Upuaut und Chontamentiu, über die ich bereits in FGM geschrieben habe, fand ich noch weitere bemerkenswerte Indizien und Belege aus dem Reich der Pharaonen und seinen einstmals angegliederten Gebieten:
In seinen Untersuchungen zu dem meist unter die Vegetabilien der Zeichenliste der ägyptischen Reichsdruckerei gemalten Zeichen „mś“ behandelt Borchardt eine von Daressy nachgewiesene, sehr interessante Form aus späterer Zeit.[86] Dabei handelt es sich um eine Art Kultobjekt, das dem Zeichen „mś“ in frappierender Weise ähnelt. Es findet sich bereits auf dem Ramsesseum und auch im Alten Reich in gleicher Form. Für uns ist es deshalb von besonderer Bedeutung, da es aus Fuchsfellen gemacht ist und aus drei Strängen besteht, jeder aus einem einzelnen Fell gefertigt und einen Kopf mit langen Ohren, vier Beinen und den charakteristischen Fuchsschwanz darstellend. Die drei Felle sind oben mit einer dreiteiligen Halterung zusammengebunden, sodass man schon aus der bloßen Beschreibung die klare Ähnlichkeit mit mś erahnen kann. Hierbei andere Funde, die ältesten davon aus Abydos, hinzuziehend, kommt Borchardt zu dem Schluss, „dass das Zeichen mś in allen Zeiten drei oben zusammengehaltene Fuchsfelle darstellt“.[87]
Abb. 3:
So genannte Fuchswedel. Deutlich zu erkennen die drei Füchse aus der Sicht von oben.
Es gibt auch ein Wort für das als Wedel bezeichnete Kultobjekt selbst, es lautet „mś–t“.[88] Dieser „Fuchswedel“ nun findet sich oft in der rechten Hand.[89] Die Tatsache, dass sich daraus auch gleichartige Geräte, die nur ein Fuchsfell oder nur einen Griff enthielten, entwickelten,[90] spricht keineswegs gegen die originäre Übereinstimmung von Zeichen und Kultgerät. Ergänzend zu Borchardts Arbeit weisen auch Erman und Ranke auf bemerkenswerte Indizien zu dem Thema hin: Bei Erman[91] findet sich eine Abbildung, die von dem Antoniusobelisken stammt. Es sieht ganz so aus, als trügen drei aufgerichtete Schakale einen Korb, eine Darstellung, die wiederum dem mś als Zeichen und Kultobjekt gleicht. Ranke weist darauf hin, dass eine Abbildung von drei nacheinander gehenden Schakalen, die sich auch hinter dem Namen des Hohepriesters von Memphis befindet, als Schreibweise für mś (auch „mas“ gelesen) existiert.[92] Er meint, dass es sich dabei um eine Spielerei des Schreibers oder Steinmetzen handele, der drei Schakale anstatt der Schakalfelle hingezeichnet habe,[93] doch ist dies für uns sekundär.
Diesen Fragen nachgegangen ist auch Blackman, wobei er einige Nachweise für die kultischen Zusammenhänge liefern konnte: Die Fuchswedel gibt es auch als Sargmalereien im Mittleren Reich, und über ihnen steht geschrieben mś–t, in einem Fall sogar in der rechten Hand des Toten.[94] Die Bezeichnung für das Kultobjekt, den Wedel, als Wortzeichen mś–t geschrieben, ist feminin.[95] Bei seinem Aufenthalt in Nubien entdeckte Blackman auf der Strecke zwischen Shellâl und Bâb–el–Kalabsheh zwei Beispiele dafür, dass tote Füchse als eine Art Amulette in Gebrauch waren, was ein neues Licht darauf werfen mag, warum mśy „gebären“ bedeutet.[96] Das erste Beispiel stammt aus Godi, einem kleinen Dorf wenige Kilometer südlich von Shellâl, am Ostufer des Flusses. Dort, über der Tür eines Omdahs, ist ein kompletter Fuchs aufgehängt, und die Nachfrage dazu ergab, dass er als Schutzamulett für die Frauen des Hauses diente, wobei er insbesondere Missgeburten verhindern und die Frauen bei der täglichen Hausarbeit schützen sollte.[97] Er hat also eine ähnliche Funktion wie beispielsweise die Fuchsköpfe, die man in Schottland und England über die Tür nagelte, um Hexen und Dämonen abzuwehren. Das zweite Beispiel findet sich in einem kleinen Dorf nördlich von Bâb–el–Kalabsheh. Wenn man von dort auf den kleinen Tempel von Tâfeh blickt, erkennt man ein Haus mit drei Füchsen, die in voller Länge mit ausgestreckten Vorderläufen auf dem Flachdach über der Tür liegen.[98] Die Antwort auf die von dem Besucher den Bewohnern dann gestellten Fragen ergab praktisch dasselbe wie schon in Godi es sieht ganz so aus, als diente der Fuchs im nördlichen Nubien hauptsächlich als Amulett für schwangere und gebärende Frauen. Die Tatsache, dass der Fuchswedel zuweilen auch als eine Art Fliegenklatsche benutzt worden sein mag, spielt dabei keine große Rolle.[99]
Es ist wichtig, an dieser Stelle festzuhalten, dass der Fuchskult besonders mit den Frauen in Verbindung stand, was letztlich nur durch matriarchale Wurzeln erklärbar ist. Das Beispiel aus der Nähe von...