Amicitiae und politische Ambitionen im Kontext der causa Deiotariana (45 v.Chr.) (S. 127-128)
ALTAY COŞKUN
Zeitlebens leistete der Tolistobogier Deiotaros Philorhomaios (reg. a. 100/94-41/40) seinen römischen Freunden schlagkräftige militärische Dienste und trat wirkungsvoll gegen die Expansionsbestrebungen eines Mithradates Eupator von Pontos oder eines Tigranes von Armenien ein. Dabei gelang es ihm, sein bescheidenes Erbterritorium in Westgalatien zum mächtigsten Reich auf dem anatolischen Subkontinent auszubauen. Den Weg zu diesem Ziel ebneten ihm nicht allein seine für den römischen Staat erbrachten Leistungen, sondern auch die vielfältigen Nahverhältnisse, die er zu den einflußreichsten Senatoren seiner Zeit, darunter Pompeius, Caesar und Cicero, unterhielt. Dieselben begünstigten nicht nur aktiv seine Ambitionen, sondern gewährten ihm in Zeiten bedrohlicher Anfechtung wirksamen Schutz.
Auf diesen war er besonders angewiesen, als er sich im Bürgerkrieg auf der Seite des Verlierers wiederfand. Zwar mußte er seine Parteinahme gegen Caesar mit dem Verlust nahezu der Hälfte seiner Territorien bezahlen (a. 48-47); jedoch sicherte das weitgespannte Netz seiner Kontakte auch damals sein politisches Überleben. Im Verlauf des Jahres 45 konnte er sich endlich Hoffnung auf die Rückgewinnung des ostgalatischen Trokmerlandes machen. Allerdings durchkreuzte sein Schwiegersohn Kastor, der Tetrarch der im Zentrum Galatiens siedelnden Tektosagen, seine Pläne. Der Gefahr, in eine größere Abhängigkeit von seinem Schwiegervater zu geraten, begegnete er mit der Entsendung seines gleichnamigen Sohnes nach Rom. Der jüngere Kastor beschuldigte nun Deiotaros vor Caesar, Attentate auf diesen geplant zu haben sowie mit Rebellen zu konspirieren.
Im November 45 kam es zu einer Anhörung vor dem Diktator. Cicero, den der König a. 51-50 im Krieg gegen die Parther unterstützt hatte, übernahm die Verteidigung. Der Redner versucht in seinem Plädoyer, einerseits die Absurdität und Verwerflichkeit der Verleumdung darzutun; andererseits beschwört er die großen Verdienste, die sich Deiotaros um ganz Rom, speziell aber um Caesar erworben habe. Cicero wirbt insbesondere um Verständnis für die damalige Position des Galaters. Denn als Deiotaros „hörte, daß unter Zustimmung und auf Geheiß des Senats zu den Waffen gegriffen und der Staat den Consuln, Praetoren, Volkstribunen und auch mir als einem militärischen Befehlshaber zur Verteidigung anvertraut worden war“, heißt es voller Pathos, da „erschütterte es ihn in seinem Herzen, und es ergriff den Mann, der diesem unserem Reich aufs engste befreundet ist, eine Furcht um das Heil des römischen Volkes, in welches (sc. Heil) er auch sein eigenes eingeschlossen sah.“
Kaum jemals zuvor dürfte die politische Inklusion eines Klientelherrschers in die res publica Romana so deutlich ausgesprochen worden sein wie hier. Ebensowenig wie dem römischen Politiker Cicero war selbst dem König einer extera natio die Neutralität im Bürgerkrieg gestattet gewesen, während ihm anschließend gleichermaßen die clementia Caesaris zuteil geworden war. Diese dürfe nun nicht mehr in Frage gestellt werden, gibt der Verteidiger zu verstehen, denn andernfalls werde nicht nur das Programm der Amnestie unterhöhlt, sondern auch konkret gegen die Interessen einflußreicher römischer Aristokraten verstoßen, ja darüber hinaus die Rechtsstaatlichkeit des neuen Regimes fundamental in Frage gestellt.
Die Rede des Staranwalts ist eine wahre Fundgrube freundschaftlicher Semantiken, der Streitfall selbst ein komplexes Beispiel dafür, wie interpersonale Nahverhältnisse die politischen Grenzen Roms überbrückten und wie tiefgreifend sie auf die Ereignisse in der Hauptstadt gleichwie an den Rändern des Mittelmeerraums einwirken konnten. In Frage gestellt ist diese Deutungsmöglichkeit allerdings durch eine neuere, nunmehr dominierende Forschungsrichtung: Das Plädoyer sei in Wirklichkeit ein Protestschrei des Republikaners Cicero gegen den ‘Tyrannen’ Caesar und nehme nicht nur konkrete Nachteile für den angeblich wenig geschätzten ‘barbarischen’ Deiotaros in Kauf, sondern bediene sich bei der Charakterisierung des Königs geradezu absurder Fiktionen. Diese Ansichten sind schwerlich mit den übrigen Zeugnissen zu den involvierten Personen in Einklang zu bringen. Im folgenden sollen sie durch eine Analyse der causa Deiotariana widerlegt werden. Zugleich lassen sich auf diese Weise wichtige Interaktionsformen zwischen römischen Senatoren und einem der bedeutendsten amici populi Romani beleuchten.
I. Der historische Kontext der Pro rege Deiotaro oratio
Selbst nach den große n Siegen von Pharsalos, Alexandreia und Zela blieb die Herrschaft Caesars angefochten. Im Frühjahr 46 geriet er auf dem afrikanischen Kriegsschauplatz in große Bedrängnis. Die Situation war um so gefährlicher, als sein vormaliger Statthalter in Kleinasien, Cn. Domitius Calvinus, bei der Heranführung von Nachschub Schiffbruch erlitt. Als nun das Gerede vom nahen Untergang des Diktators selbst die Runde machte, erhob sich ein gewisser Caecilius Bassus in Tyros.