Trotz der weitgehenden thematischen Enttabuisierung in der heutigen Gesellschaft, der Vielfalt an Kinder- und Jugendbüchern, die diese Tabus thematisieren und der Vielzahl entwicklungspsychologischer Abhandlungen und pädagogischer Ratgeber, die auf dem Literaturmarkt zu finden sind, fühlen sich viele Eltern, Erzieher und andere Bezugspersonen überfordert, mit Kindern über Krankheit, Sterben und Tod zu sprechen.
Diese immer noch weitreichende Tabuisierung des Themas „Tod“ begründet sich in der modernen westlichen Welt, in der Alter und Krankheit allzu oft aus dem Alltag ausgeklammert werden. Vor allem der familiäre Wandel von dem Zusammenleben als generationsüberschreitende Großfamilie zur Kern- bzw. Teilfamilie hat zur Folge, dass Kinder in der heutigen Zeit nicht selbstverständlich mit dem natürlichen Prozess des Alterns und Sterbens konfrontiert werden (Spölgen /Eichinger 1996, 17).
Das Miterleben des Sterbens eines nahen Menschen ist weitgehend aus dem Leben eines Kindes ausgeschlossen. Dennoch erleben Kinder die Vergänglichkeit in der Natur und das Gefühl der Trennung auf vielfache Weise kennen. Schon bei der Geburt erlebt der Säugling zum ersten Mal das Gefühl des Verlustes durch die körperliche Trennung von seiner Mutter. Der Verlust der vertrauten Umgebung, also des Mutterleibs verunsichert das Kind. Wird diese Kluft zwischen Außenwelt und Mutterleib nicht direkt geschlossen, so wird aus dem ersten Gefühl des Verlustes eine erste Erfahrung des Verlassenseins. Somit wird bereits in den ersten Minuten eines Menschen festgelegt, mit welchem Urvertrauen er der Umwelt begegnen kann. Gerade im Leben kleiner Kinder sind Erfahrungen von Trennung und Verlust mit ihren Konsequenzen nicht unabkömmlich. Hierbei handelt es sich vor allem um geringe Verluste, die nötig sind, „um neue Schritte auf dem Weg der Entwicklung zu gehen.“ (Specht-Tomann/ Tropper 2000, 54). Es gilt nicht, diese Verlusterfahrungen von einem Kind fernzuhalten, sondern diese Erfahrung so positiv wie möglich zu gestalten. Ziel ist es, in dem Kind ein Gefühl von Vertrauen zu wecken, sodass es sicher sein kann, „daß es bei aller Verlassenheit nicht verlassen wird, daß es bei aller Einsamkeit nicht einsam bleibt, daß es bei aller Trostlosigkeit doch Trost finden kann.“ (Specht-Tomann/ Tropper 2000, 55). Das Kind lernt ferner durch diese ersten Verlusterfahrungen, wie wichtig es ist, Altes loszulassen, um Neues zu entdecken (Specht-Tomann/ Tropper 2000, 54 f.).
Den Aspekt der Vergänglichkeit des Lebens können Kinder bereits in der Natur feststellen. Sie können zum Beispiel verfolgen, wenn im Frühling die Bäume Blätter bekommen und immer grüner werden, diese sich dann im Herbst in verschiedene Brauntöne verwandeln und schließlich abfallen. Auch die Verwandlung einer Knospe in eine Blüte oder einer Raupe in einen Schmetterling verdeutlichen die Veränderungen der Natur, die immer ein Verschwinden mit sich bringen. (Spölgen/ Eichinger 1996, 28). Eine erste realere Begegnung mit dem Tod erfahren Kinder meist durch den Anblick eines toten Tieres. Häufig sind diese Tiere fremde Tiere, die sie auf der Straße liegen sehen. Das Kind lernt, dass „Tod Leblosigkeit, Starre und Kälte bedeutet“ (Finger 1998, 106). Diese Erfahrung assoziieren die Kinder nicht mit Verlust und Trauer, da sie keine Beziehung zu diesem Tier haben. Anders verhält es sich dabei, wenn Kinder den Tod eines Haustiers erleben. Das Kind zeigt in diesem Fall Reaktionen der Trauer und lernt den Tod als Verlust kennen. Um Kindern diesen Lernprozess der „Bewältigung schmerzvoller Ereignisse“ (Finger 1998, 107) nicht zu unterbinden ist es ratsam, das verstorbene Tier nicht unmittelbar durch ein neues Tier zu ersetzen. Dem Kind würde dadurch das Gefühl gegeben, dass jeder Verlust ersetzbar sei. (Finger 1998, 106 f.).
Durch die oben beschriebenen, vielfältigen Begegnungen mit der Vergänglichkeit und ihrer sich weiterentwickelnden Psyche durchlaufen Kinder verschiedene entwicklungsbedingte Phasen von Todesvorstellungen.
Die Vorstellung die Kinder von der Welt und ihren Zusammenhängen haben, hängt im Wesentlichen von ihrem Erfahrungs- und Entwicklungsstand ab (Finger 1998, 38). Kinder sind von Natur aus neugierig und sensibel wenn es darum geht Gefühle ihrer Eltern wahrzunehmen. Hinzu kommt, dass Kinder darauf eingestellt sind, zu lernen. So haben Untersuchungen gezeigt, dass Kinder in jedem Entwicklungsstadium neu über den Tod und seine Zusammenhänge nachdenken (Kroen 1998, 34). Die inneren Bilder der Kinder und Jugendlichen und ihre Reaktionen auf den Tod eines Menschen werden somit stark von ihrem Alter beeinflusst. Die folgenden Altersbegrenzungen sind nur als Anhaltspunkte zu verstehen. Denn selbst Kinder gleichen Alters zeigen große Unterschiede in Entwicklung und Verhalten (Tausch-Flammer/ Biekel 1994, 77).
Kinder unter 3 Jahren
Eine Todesvorstellung ist bei Kindern unter drei Jahren noch nicht vorhanden. Sie können den Tod nicht begreifen. Für sie bedeutet Totsein Abwesenheit für kurze Zeit. Allerdings erleben sie Verluste und können darüber trauern (Höhn/ Höhn 1996, 61). Da Kinder in diesem Alter noch keine Zeitvorstellungen haben und stark von ihren Bezugspersonen abhängig sind, kann auch eine vorübergehende Trennung sie verstören oder in Panik versetzen. Sie haben große Angst vor dem Verlassenwerden (Finger 1998, 38). Besonders den Verlust der Mutter empfinden die Kinder als schwerwiegenden Verlust, da sie gewöhnlich die vertrauteste Person des Kindes ist (Kroen 1998, 37). Dies zeigt sich nach anfänglichem „Sichwehren“ gegen die Trennung in einer stillen Verzweiflung und Traurigkeit, später sogar in Gleichgültigkeit. Innerlich beginnt zu diesem Zeitpunkt der Lösungsprozess von den entsprechenden Personen (Finger 1998, 39 f.).
Kinder von 3 – 6 Jahren
Kinder im Vorschulalter kennen zwar den Begriff „tot“, assoziieren mit ihm aber - ähnlich wie jüngere Kinder - eher ein vorübergehendes Fortsein, da auch diese Kinder noch keine Zeitvorstellung haben. Totsein bedeutet für sie „weniger lebendig sein“ (Höhn/ Höhn 1996, 62). Die Toten können einfach nicht die Dinge tun, die die Kinder den ganzen Tag machen, wie z.B. rennen und schaukeln. Der Tod wird oftmals in das Spiel übertragen, indem Freunde erschossen oder überfahren werden (Finger 1998, 41). Doch hier wird deutlich, dass die Kinder den Tod wirklich als vorübergehend ansehen, da die Freunde ja wieder aufstehen. Die Kinder zeigen so aber auch, dass sie etwas über das Sterben und den Tod erfahren wollen, denn naturgemäß ist dieses Alter eine Zeit, in der viele Fragen gestellt werden (Tausch-Flammer/ Biekel 1994, 78). Sie begreifen, dass alte Leute sterben müssen und glauben, dass ansonsten höchstens böse Menschen sterben, der Tod an ihnen selbst aber vorbeigeht, da sie ja jung sind. (Finger 1998, 44). Kinder dieser Altersstufe sehen sich selbst im Mittelpunkt der Welt und glauben auch, diese beeinflussen zu können. Sie denken, dass ihre Wünsche Wirklichkeit werden, wenn sie nur intensiv genug wünschen. So meinen Kinder oft, dass sie durch das Bewältigen schwieriger Aufgaben, die sich selbst stellen, einen Toten wieder zurückholen zu können. Des Weiteren ist dieses magische Denken auch eine Erklärung dafür, dass Kinder oftmals Schuldgefühle bei dem Tod eines nahen Verwandten oder Bekannten empfinden. Sie glauben einfach es sei ihre Schuld, dass dieser Mensch gestorben ist, da sie böse auf ihn waren (Finger 1998, 43).
Kinder von 6 – 9 Jahren
Zwischen dem sechsten und dem neunten Lebensjahr begreifen die Kinder in der Regel die Endgültigkeit des Todes. Sie akzeptieren, dass jeder Mensch zu jeder Zeit sterben kann, wenngleich sie oft hoffen, dass sie selbst eine Ausnahme sein könnten. Eine entscheidende Entwicklung in dieser Stufe ist die Unterscheidungssicherheit zwischen Realität und Fantasie. Auch wenn sich einige Kinder an ihre Fantasievorstellungen klammern, ist ihnen der Unterschied zur Realität durchaus bewusst (Kroen 1998, 44). Die Kinder zeigen ein nüchternes und sachliches Interesse am Tod. Neben sachlichen Fragen, wie z.B. nach Gräbern, Beerdigungen und das Aussehen eines Toten, stellen sie jetzt Fragen, die die Erwachsenen als unbequem und schwierig zu beantworten empfinden (Finger 1998, 44). Die Kinder haben eine Vorstellung von dem Verfall des Körpers, glauben aber gleichzeitig an eine Unsterblichkeit, da dieser Gedanke der Verwesung ihnen unheimlich ist (Höhn/ Höhn 1996, 62). Die Angst vor unverstanden Dingen nimmt zu. So fragt sich das Kind, was mit dem Körper des Toten passiert, ob er noch fühlen kann und so weiter. Häufig überkommt Kinder die Angst, dass der Tote in seinem Sarg keine Luft mehr bekommen könnte. Die Enge des Sarges macht ihnen Angst (Finger 1998, 45). Zu der Erkenntnis der Endgültigkeit und Gewissheit des Todes entwickeln sich meist auch Ängste und Besorgnis um nahe Verwandte und Bekannte. Diese sind, ähnlich wie bei kleineren Kindern, Ängste um das Verlassenwerden. Doch auch das Wissen um die eigene Sterblichkeit erzeugen negative Gefühle. So fürchten...