A4 AUFGABEN DES DIALOGS
Jeder Dialog, jede Szene ist Teil eines ganzen Werkes, das aus einem erzählerischen Bogen besteht. Darum ist der Dialog nie als etwas Eigenständiges zu betrachten: Er unterliegt der Aufgabe, die ihm dieser erzählerische Bogen stellt.
Die Aufgabe unterscheidet sich von Szene zu Szene, und selbst innerhalb einer Szene erfüllt der Dialog sehr verschiedene Anforderungen. Es macht z.B. einen großen Unterschied, ob ein Dialogsatz am Anfang einer Szene steht oder am Schluss. Grundsätzlich erfüllt jeder Dialogsatz mindestens eine der drei folgenden Funktionen; gelungene Dialoge an der richtigen Stelle erfüllen sicherlich alle drei Kriterien.
» Dialog gibt Informationen.
» Dialog offenbart die Emotionen der Figur.
» Die Form (Diktion) sagt etwas über den Sprechenden aus.
Informationen
Dialog kommuniziert Fakten an den Zuschauer. Dabei kann der Dialog sehr viele verschiedene Informationen vermitteln. Eine der wichtigsten Aufgaben ist es, Figuren, Handlungen und Orte zu exponieren.
Exposition der Figuren
Für das Publikum sind die Figuren eines Films anfangs Fremde. Die ersten Szenen und Dialoge einer Figur sind die Wichtigsten für ihre Exposition*. Die amerikanische Lebensweisheit „You never have a second chance to make a first impression”9 trifft dies sehr genau. Darum ist es für einen Drehbuchautor besonders wichtig, sich die ersten Dialoge seiner Hauptfiguren genauestens anzuschauen. Im Dialog werden meist wichtige Informationen über die Figur gegeben:
» Was erfahren die Zuschauer aus den ersten Sätzen einer Figur?
» Was offenbart sich über deren psychische und soziale Dimensionen?
» Was für einen Beruf übt sie aus?
» Hat sie eine Vorgeschichte?
Dabei geht es darum, diese Informationen möglichst „unauffällig” zu vermitteln und den expositorischen Charakter zu verstecken. Dies kann auf sehr unterschiedliche Art und Weise geschehen. Eine Möglichkeit besteht darin, die Figur innerhalb eines Konflikts quasi zu zwingen, diese Information auszusprechen. Eine weitere Technik besteht darin, sie als Teil einer anderen Information „einzuschmuggeln”. Wie in folgendem fiktiven Beispiel:
THOMAS
Solange ich keine Rolle angeboten bekomme, werde ich mir keine neue Wohnung leisten können.
Die Information über den Beruf der Figur versteckt sich hinter einer vollkommen anderen Aussage und zwar über die neue Wohnung. Für die Hauptfiguren, aber auch für die wichtigsten Nebenfiguren (insbesondere für die Antagonisten) ist es unbedingt notwendig, eine Szene zu schaffen, in der sie definiert werden. In diesen Charakterszenen* offenbaren die Figuren dem Zuschauer, wer sie wirklich sind. Hier kann z.B. die Vorgeschichte der Figur eine Rolle spielen. Meist wird der Dialog wie erwähnt durch einen Konflikt geprägt, der aber noch nicht unbedingt etwas mit dem eigentlichen Hauptkonflikt zu tun hat.
Diese Szenen der „Figurendefinition” sind in der Regel nicht die ersten Szenen, in denen die Figur zu sehen ist. Dies wäre noch zu früh, weil die Zuschauer die Figur erst einmal kennen lernen müssen. Nach der Charakterszene sollten die Zuschauer die Figuren verstanden haben. Erst jetzt wird die eigentliche Geschichte beginnen, darum liegt die definierende Charakterszene meist vor dem Anstoß*.
In Milk von Dustin Lance Black lernen die Zuschauer die Hauptfigur Harvey Milk in einer Rückblende kennen, die innerhalb einer Rahmenhandlung erzählt wird.
INT. NEW YORK SUBWAY PLATFORM NIGHT
TITLE: “New York City. 1970.”
HARVEY, 40, is HEADING UP THE STAIRS from the subway platform. He is wearing a SUIT, but he’s less than clean cut. His hair is brushing past his ears.
HARVEY’S VERY INTERESTED POV: SCOTT SMITH, 22, a sexy curly haired hippie in tight jeans and boots, is HEADING DOWN THE THE STAIRS. Harvey tries to make eye contact.
HARVEY MILK
Hey. I’m Harvey.
SCOTT SMITH
(so what?) Okay, Harvey...
HARVEY MILK
Today’s my birthday. (Scott laughs) No, today is actually my birthday. Well, tonight. At midnight.
SCOTT SMITH
Really?
HARVEY MILK
And, believe it or not, I don’t have any plans. People took me out after work...
SCOTT SMITH
(looking him over) Work?
So, that would be... Let me guess.
Ma Bell or AT&T.
HARVEY MILK
The Great American Insurance Company. I’m part of the big, evil, corporate establishment that, let me guess, you think is the cause of every evil thing in the world from Vietnam to diaper rash.
SCOTT SMITH
You left out bad breath.
Falling for it, Harvey covers his mouth. Scott laughs. They both smile, realizing they share a wry sense of humor. A TRAIN IS COMING, Harvey has to work fast.
HARVEY MILK
So... You’re not going to let me celebrate my birthday all by myself are you?
SCOTT SMITH
(gently teasing)
Listen, Harvey, you’re kind of cute for a suit... But I don’t do guys over forty.
HARVEY MILK
Well then, I’m in luck.
SCOTT SMITH
How’s that?
HARVEY MILK
Because I’m still thirty-nine... (showing Scott his watch) And it’s only eleven-fifteen.
Diese Szene offenbart einige Informationen über die Figur:
» Milk ist homosexuell.
» Er arbeitet als Angestellter in einem Büro einer Versicherung.
» Er ist 39 Jahre alt.
» Er lebt in New York.
» Die Zuschauer lernen aber auch sehr viele Charaktereigenschaften von Milk kennen:
» Er ist selbstsicher.
» Er hat Humor.
» Er ist selbstironisch.
» Er ist ein schneller Denker.
Die Szene ist von dem Ziel Harvey Milks definiert, den jungen Hippie abzuschleppen. Die Gegenkraft stellt dabei der junge Scott dar. In den nächsten Szenen erfahren die Zuschauer, dass Milk erfolgreich war.
In Django Unchained von Quentin Tarantino ist die Charakterszene der Augenblick, in dem Dr. Schultz mit dem dunkelhäutigen ehemaligen Sklaven Django zusammen in einer kleinen Westernstadt vor dem Saloon steht, und er den Sheriff erschießen will.
DJANGO
I can’t be walkin’ in no saloon.
I can’t be sittin’ my ass on no chair, at no table. I can’t be drinkin’ no drink. And I definetly can’t be sharin’ no drink, with no white man, in public.
DR. SCHULTZ
So if you and I did those things, that would be considered enough of a infraction to make the saloon keeper go get the sheriff?
DJANGO
You bet your sweet ass they get the sheriff.
The good doctor extends his hand towards the saloon entrance.
DR. SCHULTZ
Well in that case Django, after you.
DJANGO
Whoa – I ain’t funning, I can’t go in there.
DR. SCHULTZ
Django you’re going to have to learn to trust me, and as the man said; “There’s no time like the present.”
He takes Django by the arm and leads him into the entryway of the establishment
INT – SALOON MORNING
The nervous black slave and the confident German dentist walk into the saloon.
The SALOON KEEPER (PETE) is high up on a chair placed high up on a table, to change a candle in the saloons chandelier. His back is turned away from the two patrons.
DR. SCHULTZ
Good morning inn keeper, two beers for two weary travellers.
SALOON KEEPER
It’s still pretty early, we won’t be open for about a hour. But by then we’ll be servin’ breakfast –
He turns around and sees them.
SALOON KEEPER
Whoa! What the hell you think you doin’ boy, get that nigger outta here.
TIME CUT
EXT – SALOON MORNING
It’s about five minutes later, and the Saloon Keeper comes running out of the bar to get the Sheriff. When Dr. Schultz, sitting at a table with the young Django, calls;
DR. SCHULTZ
It looks like we must act as our own bartender.
The German stands up, and walks behind the bar, and pours two beer’s from the tap into mugs. Django remains seated, and after a beat, asks;
DJANGO
What kinda dentist are you?
This makes the doctor laugh, as he pours the beer’s
DR. SCHULTZ
I...