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E-Book

Schilderungen aus Paris

Vollständige Ausgabe

AutorLudwig Börne
VerlagJazzybee Verlag
Erscheinungsjahr2012
Seitenanzahl192 Seiten
ISBN9783849606596
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis0,99 EUR
Zwischen 1822 und 1824 reiste Börne zwei Mal in die französische Hauptstadt. Seine Aufzeichungen wurden im 'Morgenblatt' veröffentlicht.

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Leseprobe

 XVIII. Gefrorenes


 

Wie schade, daß die heißen Tage vorüber sind, vielleicht hätte meine kleine Beschreibung von dem hiesigen künstlichen Winter der Einbildungskraft der deutschen Leser einige Kühlung gegeben, das ihnen erwünscht gewesen wäre. Denn wie man mir aus Deutschland geschrieben, hat es dort diesen Sommer sehr an Eis und Kälte gemangelt. In welchen Zeiten leben wir, was erlebt man nicht alles! Aber den Engländern ist es nicht besser gegangen; auch sie hatten Mangel an Eis. Zwar hatten sie Schiffsladungen davon aus Schottland herbeigeholt; während sie sich aber in den Häfen mit den Zöllnern herumgestritten, ob diese Ware zu verzollen sei oder nicht, war der Gegenstand des Rechtsstreites zu Wasser geworden – ein Umstand, der bei Prozessen nicht selten eintritt. Noch größeres Mißgeschick hatten andere britische Handelsleute erfahren, welche Schiffe auf den Eisfang nach Island ausgeschickt. Zwei der Schiffe gingen mit Mannschaft und Ladung zugrunde. Diese Gefahren hatte der deutsche antipiratische Verein wahrscheinlich vorher berechnet, sonst hätte er sicher bei dem ihm eigenen Unternehmungsgeiste seine, durch den Schrecken der Raubstaaten müßig gewordenen Flotten benützt, dem deutschen Bunde heilsame Abkühlung zu verschaffen! ... Aber ich bin von meinem Wege abgekommen. In Paris hat man Eis in Überfluß, von wo man es herbekommt, mag der Himmel wissen. Das beste Gefrorne findet man bei Tortoni auf dem Boulevard des Italiens. Man hat dort jeden Abend die süße Not, zwischen dreizehn Sorten zu wählen. Ich will sie nennen: Vanille, pistache, café blanc, fraise, groseille, framboise, citron, pèche, ananas, raisin, melon, pain d'Espagne, biscuit glacé à la fraise. Worin besteht das Wesen eines biscuit glacé? Ich habe es nicht herausgebracht, es ist eine Zuckerbäckerscharade. Ein Chemiker müßte ich sein, es nach seinen Bestandteilen, ein Dichter, es würdig, ein Stoiker, es mit Gleichmut zu beschreiben. Anfänglich dachte ich: das wird wohl wieder eine französische Windbeutelei, dieser sogenannte Biscuit glacé wird nichts als gewöhnliches Eis nur mit der Form und Farbe eines Biscuit sein! Ich genoß und schämte mich meiner Übereilung. Es war wirklich Biskuit, aber ein durchfrorner. So mag Ambrosia munden. Aber Ambrosia ist auch nur ein Wort – man komme und schmecke. Was kann ich von genannter Eisart Rühmlicheres erzählen als folgendes? Ich habe mit meinen eigenen Augen gesehen, daß eine wunderschöne junge Frau, die eifrig davon gegessen und ihr Glas schneller ausgeleert als ihr väterlicher Gatte das seinige, in dieses mit ihrem Löffel lächelnd Eingriffe getan, so daß der des Entzückens ungewohnte Ehemann sich triumphierend herumgesehen und allen anwesenden jungen Leuten zu verstehen gegeben, sie sollten daraus entnehmen, wie wenig für sie zu hoffen sei – so sehr liebte die junge Frau gefrornen Biskuit. – Diejenigen meiner Leserinnen, die je in Paris und währenddem schön oder jung oder reich gewesen (dem Reichtum verkauft man, der Schönheit bringt man, die Jugend nimmt sich dort alles), die lächelten gewiß voll seliger Erinnerung, da ich von Tortoni und den Boulevards des Italiens gesprochen. In schönen Sommernächten da sitzen ... säuselnde Bäume ... umgaukelnde Bewunderer ... von tausend Lichtern zauberisch umflossen ... eine herrliche Zither tönt herüber ... drollige Savoyarden mit ihren tanzenden Affen betteln um ein Lächeln und einen Kupferpfennig ... und dabei den süßen Schnee herabzuschlürfen, wie das köstlich ist! Ach, es denkt keiner daran, wie teuer sich oft die Natur ihre Schmeicheleien der menschlichen Lüsternheit bezahlen läßt!

 

 

XIX. Die Schwefelbäder bei Montmorency


 

Ach, wäre ich nur schon der Rührung frei, wie munter wollte ich herumhüpfen auf dem Papier! Aber Tränen umdämmern meine Augen – und sie haben weit zu sehen, über Frankreich weg, bis hinüber in das Vaterland; aber meine Hand zittert – und sie soll doch Kranken einen Heilbrief schreiben. Tausend frische Zweige säuseln mich vom dürren Pulte weg, tausend Vögel zwitschern mich hinaus; denn sie säuseln, denn sie zwitschern: Rousseau! Rousseau! Die Kastanienbäume dort, ernste Greise jetzt, sie haben in schöneren Jahren Rousseau gekannt und mit Schatten bewirtet seine glühende Seele. Das Häuschen gegenüber – ich sehe in die Fenster – darin ist Rousseaus Stübchen; aber er ist nicht daheim. Dort ist der kleine Tisch, an dem er die Heloïse gedichtet; da steht das Bett, in dem er ausgeruht von seinem Wachen. O heiliges Tal von Montmorency! Kein Pfad, den er nicht gegangen, kein Hügel, den er nicht hinaufgestiegen, kein Gebüsch, das er nicht durchträumt! Der helle See, der dunkle Wald, die blauen Berge, die Felder, die Dörfchen, die Mühlen – sie sind ihm alle begegnet, und er hat sie alle gegrüßt und geliebt! Hier der Schatten vor meinen Augen – so, ganz so hat ihn die Frühlingssonne um diese Stunde auch seinen Blicken vorgezeichnet! Die Natur ringsumher – die treulose, buhlerische Natur! In Liebestränen lag er zu ihren Füßen, und sie sah ihn lächelnd an, und jetzt, da er fern ist, lächelt sie an gleicher Stelle auch mir und lächelt jeden an, der seufzend vorübergeht! – – – Drei Stunden von Paris und eine halbe Stunde von Montmorency entfernt, liegt, zwischen den Dörfern Enghien und St. Gratien ein See, welchen die Franzosen den Teich nennen, l'étang. Darüber mag man sich billig wundern! Sie, die alles vergrößern, die inländischen Tugenden und die ausländischen Fehler, müßten den See – sollte man meinen – das stille Meer von Montmorency heißen, so groß und stattlich ist er. Wahrlich, als ich ihn gestern vormittag sah – das Wetter war etwas stürmisch – schlug er hohe Shakespeareswellen und war unklassisch bis zur Frechheit. Ich brauchte, bei freiem Herzen, zwanzig Minuten, ihn zu umreiten; Liebende zu Fuß können ihn eine ganze schöne Stunde umschleichen.

 

Herrliche Baumgänge umschatten seine Ufer, zierliche Gondeln hüpfen über seine Wellen. Diesem See nahe sind die Badehäuser angebaut, alle auf das Schönste und Bequemste eingerichtet. Die Bestandteile des Wassers kenne ich nicht genau; die chemische Analyse, die der berühmte Fourcroy davon gegeben, habe ich nicht gelesen; nur so viel weiß ich, daß Schwefel darin ist – dieses herrliche Mittel, das, in Schießpulver verwandelt, kranke Völker, zu Arzneipulver gestoßen, kranke Menschen heilt. Wahrscheinlich hat das Badwasser von Montmorency die größte Ähnlichkeit mit dem von Wiesbaden, welches, nach dem Konversationslexikon – diesem sächsischen Reichsvikar nach Ableben des deutschen Kaisers, der den deutschen Völkern geistige Einheit gibt und dessen zehn Bände das Andenken der ehemaligen zehn Reichskreise mnemonisch bewahren – kohlensaure Kalkerde, Bittererde, salzsaures Natrum, salzsaure Kalkerde und Bittererde, schwefelsaures Natrum und schwefelsaure Kalkerde, Tonerde und etwas mit kohlensaurem Natrum aufgelöstes Eisen enthält. Aber Montmorency ist ungleich wirksamer als Wiesbaden und alle sonstigen Schwefelbäder Deutschlands und der Schweiz. Die notwendigste Bedingung zur Heilung einer Krankheit durch Schwefelbäder ist, wie die Erfahrung lehrt – die Krankheit; weswegen auch gute Ärzte, da, wo sie keine Krankheit vorfinden, ihr Heilverfahren damit beginnen, eine zu schaffen. Paris liegt aber so nahe bei Montmorency, daß die erforderliche Krankheit auf das Leichteste zu haben ist. Aus dieser vorteilhaften Lokalität entspringt für deutsche Kurgäste noch ein anderer ganz unschätzbarer Nutzen: daß sie nämlich gar nicht nötig haben, sich auf der großen Reise von Deutschland nach Paris mit einer Krankheit zu beschleppen, welches besonders bei Gichtübeln beschwerlich ist, sondern daß sie sich gesund auf den Weg machen und sich erst in Paris mit den nötigen Gebrechen versehen, von wo aus sie gemächlich in zwei Stunden nach Montmorency fahren, um dort Heilung zu suchen.

 

Sollten sie diese nicht finden oder gar unglücklicherweise in Paris sterben – denn es versteht sich von selbst, daß man dort alle seine Zeit zubringt und nur Sonntags zuweilen nach Montmorency fährt, um unter den Kastanienbäumen hinter der Eremitage die feine Welt tanzen zu sehen, so hat man die Reise doch nicht vergebens gemacht. Es gibt nichts Angenehmeres auf der Welt, als in Paris zu sterben; denn kann man dort sterben, ohne auch dort gelebt zu haben? Der Vorzüge, welche das Schwefelbad von Montmorency vor allen übrigen Schwefelbädern hat, sind noch gar viele, und ich werde ein anderes Mal darauf zurückkommen. Jetzt aber habe ich von etwas Wichtigerem zu sprechen, nämlich von der zweimonatlichen Vorbereitungskur, welcher sich besonders die deutsche weibliche Welt zu unterwerfen hat, ehe sie die Reise nach Montmorency antreten darf. Ich weiß freilich nicht, ob auch junge Frauenzimmer von Stand zuweilen die Gicht bekommen und ob ich nicht gegen die Pathologie und Courtoisie verstoße, wenn ich dieses als möglich annehme. Sollte ich aber fehlen, so entschuldigt mich meine gute Absicht gewiß. Wäre ich nun ein halbes Dutzend Dinge, die ich nicht bin: jung, reich, schön, verheiratet, gesund und ein Frauenzimmer, würde ich, sobald ich im Morgenblatte die Anpreisung des Montmorencybades gelesen, wie folgt, verfahren. Ich nehme an, ich lebte seit fünf Jahren in kinderloser, aber zufriedener Ehe. Mein Mann wäre ein Graf und reich. Er wäre nicht geizig, verwendete aber mehr auf seine landwirtschaftlichen Baue, Parkanlagen und Merinoschafe als auf meine Launen und Luftschlösser. Er liebte...

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