GUTES BAUCHGEFÜHL
Der Darm hat sich in den vergangenen Jahren vom Tabuthema zum Superorgan entwickelt. Wöchentlich entdecken Wissenschaftler neue Fähigkeiten dieses bisher unterschätzen Körperteils. Die Darmflora entscheidet – da sind sich die Forscher inzwischen einig – häufig über schlank oder dick und oft auch über gesund oder krank. Doch was wäre, wenn der Verdauungstrakt nicht nur unsere Gesundheit beeinflusst, sondern auch Auswirkungen auf unsere Persönlichkeit hätte? Wenn uns die richtigen Keime schlauer, glücklicher und zufriedener machen könnten, die falschen Mikroorganismen aber Depressionen, Stress und Ängstlichkeit fördern? Aktuelle Untersuchungen scheinen genau das zu belegen.
Denn ob Sie es glauben oder nicht, die gute Laune steckt im Darm! Genauso wie die miese Stimmung, die Ängste und die schlechten Gefühle. Der Volksmund weiß das schon lange: Wenn wir uns freuen, haben wir „Schmetterlinge im Bauch“ und die „Liebe geht durch den Magen“. Sind wir ängstlich, haben wir „Schiss“. Wir hören auf unser „Bauchgefühl“, aber manche Entscheidungen „bereiten uns Bauchschmerzen“. Bei Stress und Ärger bekommen wir einen „nervösen Magen“ und müssen schlechte Nachrichten „erst einmal verdauen“. Sind wir sauer, haben wir eine ordentliche „Wut im Bauch“ und manchmal ist alles einfach nur „zum Kotzen“. Dass unsere Eingeweide sich mit uns freuen, wenn wir unsere Liebsten sehen, bei Prüfungen mitzittern oder sich vor Angst und Furcht zusammenziehen, weiß wahrscheinlich jeder aus eigener Erfahrung. Tagtäglich nutzen wir diese „Kompetenz“ unseres Bauchhirns und nennen das Ergebnis Intuition oder Bauchentscheidung. Wer öfter auf sein Bauchgefühl hört, der trifft vielleicht manchmal einsame Entscheidungen, doch er ist dabei nicht alleine, denn Billionen Bakterien reden da ein Wörtchen mit.
Gut gelaunt? Vielleicht liegt es an den richtigen Darmkeimen.
Doch dass unser Gedärm auch verantwortlich sein könnte, wenn wir unter Depressionen leiden, uns über unsere Ängstlichkeit und Zurückhaltung ärgern oder dem Stress einfach nicht mehr so gut gewachsen sind wie früher, das ist neu. Über die Ursachen von Aufmerksamkeitsstörungen (ADHS) und Autismus bei Kindern herrschte lange Zeit Unsicherheit. Inzwischen hat man jedoch herausgefunden, dass auch hier ein Teil des Problems im Darm zu finden ist. Für eine enge Verbindung zwischen Emotionen und Verdauung spricht auch, dass eine Magen-Darm-Erkrankung nicht selten aufs Gemüt schlägt. Jeder zweite Reizdarmpatient leidet gleichzeitig unter Depressionen oder Angststörungen. Ebenso scheinen Erkrankungen, die wir bisher ausschließlich dem Gehirn im Kopf zugeordnet haben wie Alzheimer, Parkinson oder multiple Sklerose zumindest teilweise durch das Gehirn im Bauch begünstigt oder verhindert zu werden. Diese Erkenntnisse lassen uns den Darm und seine Bewohner mit neuen Augen sehen und es eröffnen sich ganz unerwartete Perspektiven zur Behandlung verschiedener Erkrankungen.
EIN FLUGHAFEN IN UNSEREM BAUCH
Der Darm scheint für unseren Körper das zu sein, was der Frankfurter Flughafen für den Luftverkehr in Europa ist: ein wichtiger Dreh- und Angelpunkt, an dem Informationen sowohl eingehen als auch in den ganzen Körper versendet werden. Eine besonders wichtige Zieldestination für Mitteilungen aus dem Gedärm ist das Gehirn. Immer wieder schickt der Darm Informationen auf die Reise zu den grauen Zellen. Unser Oberstübchen wird von den Keimen und den Zellen des Magen-Darm-Trakts also immer gut darüber informiert, wie es dem Körper geht.
Doch wie können Darmbakterien, die am anderen Ende des Körpers agieren, Einfluss auf unser Gehirn, auf unsere Psyche, unser Empfinden und Wohlbefinden nehmen? Bauch und Hirn stehen nach neuesten Erkenntnissen in einem engen Dialog, den wir für unsere Zwecke nutzen können. Es existieren mindestens drei Wege, über die sich Darm und Hirn austauschen können. Zum einen gibt es eine direkte Verbindung zwischen dem Darm und dem Gehirn, den Nervus vagus, über den Sie später noch mehr erfahren. Daneben zirkulieren spezielle Immunzellen im gesamten Körper, die im Darm „ausgebildet“ wurden und dann auf dem Blutweg durch den Organismus strömen und so auch bis zu den grauen Zellen gelangen. Sie vermitteln zwischen Gehirn und Darmflora. Und schließlich kommuniziert der Darm über Botenstoffe mit dem Gehirn und kann dadurch unser Befinden beeinflussen. Beispielsweise gibt es Stoffe, die von Darmbakterien produziert werden und die in der Lage sind, Ängste hervorzurufen. Injiziert man diese Substanzen ansonsten gesunden Mäusen, werden die Nager plötzlich scheu und ängstlich. Offensichtlich stellen auch die Mikroben-Moleküle eine Möglichkeit dar, um eine Brücke zwischen Bauch und Hirn zu schlagen.
Im Darm werden zudem wichtige Weichen für unsere geistige Entwicklung gestellt und die Darmflora macht wahrscheinlich einen bedeutenden Teil unserer geistigen Erfahrungen aus. Wir Menschen treffen unsere Entscheidungen demnach nie ganz unabhängig von den Helfern im Gedärm. Dieser Einfluss kann sich sowohl positiv als auch negativ auswirken, je nachdem, aus welchen Zutaten unser individueller Bakteriencocktail gemixt ist. Inzwischen ist es wissenschaftlich gut belegt: Unsere Gemütslage ist viel stärker von der Darmflora und der Gesundheit des Magen-Darm-Traktes abhängig, als wir es uns bisher vorstellen konnten. Aktuelle Studien zeigen, dass enge Verbindungen existieren zwischen unserem Mikrobiom, also der Gesamtheit der Keime, die auf unserer Haut, den Schleimhäuten und vor allem im Darm leben, und unseren Emotionen.
Auch bei unserer geistigen Leistungsfähigkeit, der Durchlässigkeit der Blut-Hirn-Schranke und Entzündungen der Nervenzellen reden die Kerle im Darm gerne das eine oder andere Wort mit. Der kalifornische Gastroenterologe Emeran Mayer, Leiter des Zentrums zur Erforschung der Neurobiologie von Stress und Resilienz in Los Angeles, hält es, angesichts der vielen neuen Erkenntnisse für „undenkbar, dass der Darm keine entscheidende Rolle für unsere geistige Verfassung spielt.“
DAS BAUCHHIRN
Der Darm ist in der Hierarchie der Organe in den letzten Jahren ganz weit nach oben gestiegen. Hat man ihn jahrelang nur als Schlauch, der Abfälle durch unseren Körper leitet, betrachtet, spricht man von ihm inzwischen ehrfurchtsvoll als „zweites Hirn“ oder „Steuerzentrale im Bauch“.
Bauch und Kopf kommunizieren pausenlos miteinander und diese Konversation sorgt offensichtlich für einen unterschwelligen Stimmungsteppich, der sich oft unbewusst, aber dennoch spürbar auf unser Befinden auswirkt. Die Verständigung ist nicht einseitig. Der Darm macht mithilfe von Nervenverbindungen und Botenstoffen Meldung ans Oberstübchen und der Kopf teilt bei Stress, Aufregung und Freude seine Emotionen mit den Eingeweiden. Noch sind nicht alle Details dieser Unterhaltung bekannt, wahrscheinlich, weil die NSA noch kein Ohr an die Telefonleitung zwischen Kopf und Bauch, den Nervus vagus gelegt hat. Doch inzwischen ist gut belegt, dass sich mentale Probleme wie Stress und Ängste auf das Verdauungsorgan auswirken können und umgekehrt Aufruhr im Gedärm auch zu Chaos im Kopf führen kann.
Das Ganze funktioniert aber nicht nur im negativen, sondern auch im positiven Sinne. Ist der Darm zufrieden, verschafft uns das ein wohliges Gefühl. Wenn wir gerade gut gegessen haben, gemütlich beim Griechen um die Ecke sitzen und noch auf den Ouzo warten, ist auch für unser Gehirn alles im grünen Bereich. Dann kann es sich beruhigt anderen Aufgaben zuwenden, gibt Entwarnung und uns angenehme Empfindungen. Läuft alles gut, fühlt sich das für uns auch gut an. Kein anderes Organ im Körper reagiert so empfindlich auf Signale aus der Körpermitte und auf Veränderungen der Darmflora wie unser Gehirn.
Unsere Gefühle und Empfindungen werden demnach nicht alleine von unseren Lebensumständen bestimmt. Vielmehr hängt unsere Stimmung oft davon ab, ob die Darmbakterien die richtigen Hormone ausschütten und der Verdauungstrakt im entscheidenden Moment den richtigen Nervenimpuls an unser Gehirn sendet. Das Schöne daran ist: Wie zufrieden unser Bauch und wie optimistisch unsere Gedanken sind, können wir zu einem guten Teil selbst beeinflussen. Denn wenn der Darm okay ist, entspannt sich häufig auch der Kopf.
DER PAPST DES RUMPFES
Fragen Sie einen Chirurgen nach dem Bauchhirn und er wird Ihnen antworten, er habe noch nie eines gesehen. Natürlich haben wir im Bauchraum keine gefurchte, walnussartige Struktur wie im Kopf. Doch mit rund 100 Millionen Nervenzellen befindet sich dort die zweitgrößte Ansammlung dieser Leitungsbahnen in unserem Körper. Die 100 Millionen Nervenzellen umspinnen unsere Darmwände in einem dichten Netz. Sie sind wichtig für die Bewegung der Darmmuskulatur und für eine geregelte...