Die Funktion des Gewissens
Am Anfang unseres Lebens ist das Gewissen – das uns unsere Umwelt lehrt – durchaus sinnvoll. Die gesellschaftlichen Normen und Werte sowie die Erfahrungen und Bewertungen unserer Familie brauchen wir unter anderem, um lernen zu können, uns in der Kultur, in die wir hineingeboren wurden, zu bewegen und von dieser akzeptiert zu werden. Von Ihrer Geburt an, bis jetzt, da Sie diese Zeilen lesen, ist das ein aktiver Prozess. Das ist schön und macht Sinn, denn es ermöglicht uns das Aufwachsen in unserer Umgebung durch die Anpassung daran und hält gleichzeitig auch die Möglichkeit einer späteren Veränderung bereit. Einen aktiven Prozess kann ich als aktiver Gestalter bewusst verändern.
Das Gewissen setzt sich – wie oben ausgeführt – zusammen aus gesellschaftlichen Normen und Werten, aus den Stimmen der Eltern und der Gesellschaft, aus eigenen Erfahrungen und deren Bewertungen. Es ist wie eine eigenständige verinnerlicht gedachte Person, die sagt, was der Mensch tun soll und was nicht, und wie er denken soll. In aller Regel fühlt man sich gut, wenn man im Sinne der inneren Person handelt und denkt. Man fühlt sich schlecht, wenn man anders denkt, fühlt und handelt. Denn die unser Gewissen ausbildenden Stimmen sind oft bereits über einen sehr langen Zeitraum unseres Lebens präsent, oft seit der besonders prägenden Zeit der ersten Lebensjahre bis weit ins Erwachsenenalter hinein – bis heute.
Nach Sigmund Freud gibt es in jedem Menschen eine eigene und unabhängige Instanz, das Über-Ich, das sich ganz eigenständig gegen die bewusste emotionale (Wunsch-)Entscheidung eines Menschen durchsetzen kann. Nach Carl Gustav Jung nährt sich diese Instanz (innere Person) von vererbten Glaubenssätzen, also den Inhalten von Gedanken und Haltungen anderer, dem Raunen unserer Vorfahren. Verkürzt gesprochen leisten wir dieser Person oder diesen inneren Personen quasi instinktiv Folge beziehungsweise bemühen uns, das zu tun.
Die Arbeit mit den sogenannten Glaubenssätzen ist eine der wichtigsten in meiner Tätigkeit als Coach, Therapeutin und Sportpsychologin. Immer wieder melden sich diese Stimmen unserer Vorfahren zu Wort, spuken ungeprüft in unseren Sinnen und halten uns an unsichtbaren Ketten. Bei ihnen gilt es anzusetzen, wenn wir uns von schlechtem Gewissen befreien wollen. Eine Überprüfung des instinktiv Gedachten und des Raunens der warnenden inneren Stimmen in Bezug auf die Frage nach einer real und konkret heute vorhandenen Gefahr oder nach der zwingenden Notwendigkeit für eine bestimmte Denk- oder Verhaltensweise hält oft der aktuellen Situation nicht stand. Wir können jedoch heute einen neuen Dialog mit diesen Stimmen beginnen.
Das schlechte Gewissen kann auch als eine bestimmte innere Stimme aufgefasst werden, die uns leise einflüstert, dass uns gerade jemand bei unserem Tun oder Denken beobachten könnte, eine höhere Instanz, der Vater oder die Mutter, so als sei man noch immer das kleine Kind, oder auch ein richtender Gott. Auch diese Sicht birgt eine Möglichkeit, sich aus dem Dilemma zu befreien: Man kann sich überlegen und selbst entscheiden, wen man wirklich »zusehen, zuhören und mitwissen« lassen möchte. Freundliche, wohlwollende unterstützende Geister und Personen sind bestimmt die bessere Alternative.
Von der negativen zur positiven Sicht
Oft trete ich als Psychologin in die Fußstapfen der Pfarrer: Ich höre mir an, was die Menschen auf dem Herzen haben, ohne sie zu verurteilen, und das Mitwissen allein, tut vielen schon sehr gut, es entlastet.
Dann gehe ich zwei Schritte weiter. Ich werte mit meinen Klienten aus, ob Gewissensbisse sinnvoll sind oder nicht, und stelle Positives Denken und die Frage nach der Sinnhaftigkeit des Geschehens in den Vordergrund. Denn der Fokus auf das Schlechte im Menschen macht auf Dauer unglücklich und krank, den einzelnen Menschen, aber auch die Gesellschaft. Stellen wir uns Generationen unserer Vorfahren vor, die zum Beispiel in der Kirche aufgefordert worden wären: »Nun, erzähle mir, was hast du gut gemacht, wo hast du Schönes erfahren, welche glücklichen Momente hattest du im Gestern und Heute? Und wo und wie wirst du darauf achten, dass es dir morgen gut geht?«
Es ist leichter, mit gutem Gewissen zu leben. Noch leichter und beschwingender ist ein Leben mit freiem Gewissen, ohne polarisierendes Hin und Her. Die Sinne auf die bunten Dinge des Lebens einzunorden und die Gewissensfrage zu löschen. Wie eingangs gesagt: Ich spreche hier nicht von Straftaten. Diese sollen geahndet werden.
Die Frage ist nun aber: Wonach richten wir uns? Reicht die goldene Regel »Was du nicht willst, das man dir tu, das füg auch keinem andren zu« als Orientierung? Denn wer bestimmt, wer was und wie will, und woher wissen wir, ob dies für unser Gegenüber gut ist?
Zumindest haben wir in diesem Satz ein kleines Maß der Orientierung. Beleuchten wir zudem mit unserem Verstand und unserem Herzen unsere Fragen, sortieren wir aus, was für unser Leben unnötig ist. Überprüfen wir, wo wir die Gedanken anderer ungeprüft als Glaubenssatz übernommen haben und die Bedürfnisse unserer Umwelt leben. Und treffen wir dann eine neue, unsere eigene, freie Entscheidung.
Kräftemessen: Die Erfahrung negativer und positiver Gedanken
Für unseren Körper und Geist bedeutet ein besorgter, angstvoller Gedanke, dass Gefahr besteht. Negative Gedanken schwächen uns. Dazu können Sie eine unmittelbare Erfahrung machen – durch den aus der Kinesiologie stammenden Muskeltest (zum Weiterlesen: John Diamond, »Der Körper lügt nicht«). Er ist zu zweit durchzuführen; laden Sie also eine andere Person ein zum Mitmachen:
Überlegen Sie sich bitte beide einige positive Gedanken, wie »Ich war schon immer gut im Sprachenlernen« oder »Ich bin eine Sportskanone«. Denken Sie sich auch ein paar negative aus, wie »Mathematik liegt mir nicht« oder »Kochen kann ich gar nicht, alles, was ich anfasse, verdirbt«.
Diese Gedanken behalten Sie für sich. Geben Sie sich nur ein Zeichen, wenn Sie mit der Vorbereitung Ihrer Sätze in Ihrem Kopf fertig sind. Ihr Gegenüber hebt dann – im nächsten Schritt – einen Arm auf Schulterhöhe an. Mit geradem, im rechten Winkel zum Körper nach vorne ausgestrecktem Arm, so als wollte die andere Person Ihnen (bei angenommener gleicher Körpergröße) auf die Schulter klopfen, steht sie vor Ihnen.
Nun versuchen Sie bitte, den Arm nach unten zu ziehen. Bitte nicht mit aller Kraft, aber doch mit Kraft. Dies dient nur dazu, herauszufinden, wie stark der andere ist.
Dann geben Sie der anderen Person den Auftrag, einen der vorher überlegten Sätze zu denken. Entweder positiv oder negativ. Ab jetzt funktioniert die Übung stumm. Sie wissen jeweils nicht voneinander, in welche Richtung der andere denkt. Sie bekommen lediglich jeweils dann, wenn der Satz »eingestellt« ist, von der anderen Person ein Zeichen. Daraufhin versuchen Sie, dessen Arm nach unten zu ziehen, der andere hält dagegen. Dann nehmen Sie den nächsten Satz. Sie geben sich nur Kommandos wie »Weiter« oder »Nächster Satz«.
Nach einer Weile wechseln Sie die Rollen und erst danach tauschen Sie sich über die Erfahrungen, die sie dabei gemacht haben, aus.
Führen Sie diesen Versuch ruhig mit verschiedenen Personen durch, denn sonst könnte das Ergebnis Ihnen auch zufällig erscheinen.
Die Lösung möchte ich hier nicht vorweg nehmen, da Sie sonst die Erfahrung nicht machen können. Sie können Sie im Abschnitt »Positiver Umgang mit negativen Glaubenssätzen« nachlesen.
Durch negative Gedankeninhalte, die Ihnen durch den Kopf schießen oder auch länger dort verweilen, empfangen Sie das Signal einer imaginären Gefahr: Ihr Herz schlägt stärker, die muskuläre Anspannung erhöht sich, die Atemfrequenz steigt. Energie wird zur Verfügung gestellt, kann aber oft nicht abgebaut werden. Das führt zu weiteren Verkrampfungen.
Ihre inneren Stimmen flüstern Ihnen Selbstverurteilungen ein und Ihr Körper empfindet diese als unangenehm. Er reagiert darauf, indem er versucht, möglichst schnell wieder einen behaglichen Zustand herzustellen. Das führt dazu, dass Sie, um sich zu entspannen, im Dienste Ihres Gegenübers denken und handeln. So sagen Sie oft Ja zu Fragen, die im Hinblick auf Ihre eigene Gesundheit eine Abgrenzung erfordern würden. So versuchen Sie, Gewissensbisse in hintere Gehirnwinkel zu verbannen und sich abzulenken. Ihre Gedanken finden aber doch kein Ventil und drehen sich also im Kreis. Und Sie springen schnell in Verhaltensweisen, die Sie antrainiert haben und von denen Sie wissen, dass sie Ihnen ganz kurzfristig eine Entlastung bieten. Fernsehen, sich an den Computer setzten, um zu spielen oder E-Mails zu schreiben oder im Internet zu surfen, Schokolade essen, sich über etwas anderes ärgern, sich in Arbeit stürzen oder eine Zigarette rauchen oder auch telefonieren gehören dazu. Ihre Anspannung baut sich langfristig aber dennoch nicht ab. Damit wirklich Entspannung eintreten kann, braucht es andere Wege der Auseinandersetzung mit den belastenden Gedanken und Gefühlen.