Jetzt beeil dich „innerer Frieden“, ich hab nicht den ganzen Tag Zeit!
Diese ständigen Aufforderungen zu mehr Achtsamkeit und Innehalten überfordern mich. Ich hab keine Ahnung, was die von mir wollen. In jeder Frauenzeitschrift und Buchhandlung findet man Anleitungen dazu. Die Leute sind in den letzten Jahren sogar unentspannter geworden, das ist nicht nur meine Beobachtung. Nach Angaben der DAK haben sich Burn-out-Diagnosen seit 2006 nahezu verzwanzigfacht.1 Nicht so viele, die’s kapiert haben, wie das geht mit der Stille.
Ein riesiger Wirtschaftszweig hat sich dem Wohlfühlen verschrieben. Psychologische, esoterische und spirituelle Literatur verkauft sich wie eine Radler-Maß aufm Oktoberfest. Der Heidelberger Zukunftsforscher Eike Wenzel beziffert den jährlichen Umsatz, der in Deutschland mit Esoterik gemacht wird, mit etwa
25 Milliarden Euro, in zehn Jahren sollen 35 Milliarden damit gemacht werden.2 Eso ist „unstoppable“, wie die famose Conchita Wurst sagen würde.
Obwohl ich immer skeptischer gegenüber diesen Lehren geworden bin, möchte ich nicht behaupten, dass die Herrschaften aus der Esoterikbranche nur Schwachsinn verbreiten. Ein paar Dinge gehen auf, auch wenn mir dazu vielleicht die Logik fehlt. Nur ist es bei all den Schwingungsexperten, Aura-Soma-Therapeuten, Tarot-Kartenlegern, Lichtmeistern, Geistheilern, Kaffeesatzlesern, Energiearbeitern, Handdiagnostikern und was es sonst noch zum Deifl alles gibt, sauschwer herauszufinden, wer von denen ordentlich einen Hau weghat und wer seine 100 Euro die Stunde wert ist.
Seit fast 20 Jahren praktiziere ich Yoga und glaube fest daran, dass nicht jeder spirituell sein und meditieren muss, um klarzukommen. Ich kenne Leute, die gerne Rad fahren, joggen gehen oder auf Berge steigen und den gleichen physischen und psychischen Nutzen aus ihren Hobbys ziehen können wie ich aus Yoga. Ich kenne grundsolide Landwirte, die mehr in ihrer Mitte sind, als die Yoga-Susi aus der Trendy-Andy-Yoga-Lounge. Dennoch, ich bin sehr froh, dass ich dieses nette Hobby aus dem fernen Indien für mich entdeckt habe. Kann jeden nur dazu ermuntern, es mal auszuprobieren. Ich liebe das Gefühl, dass ich hinterher habe. Ich bin seither gelenkiger, meine Haltung hat sich verbessert, ich habe mehr Kraft und Ruhe davon bekommen. Kann’s fast überall machen, brauche kein Geld dafür auszugeben und muss mich dabei mit niemandem duellieren. Nur wäre ich heute genauso nah dran an einer Erleuchtung, wenn ich meine Zeit im Schützenverein verbracht hätte.
Für mich ist Meditation nichts anderes, als einmal am Tag für ein paar Minuten die Klappe zu halten, in Ruhe gelassen zu werden, sich nicht ablenken zu lassen und auf kein Display zu starren. Das Gedankenwirrwarr wird langsamer, der Kopf ist irgendwann auf Stand-by. Meine Großeltern nannten das auch „Mittagsschläfchen“. Prima Sache, sollte jeder mal ausprobieren, aber bitte ohne Allmachtserscheinungen danach.
Als ich mit Yoga angefangen habe, lagen vorwiegend Birkenstock-Träger und Sozialpädagogen auf der Matte. Keiner hip, keiner extraschön. Keine Yogahosen von Tchibo, keine neonfarbenen Sport-BHs, keine Sanskrit-Tattoos im Nacken und keine coolen Gebetsketten um den Arm. Yoga galt als verstaubtes Getue von ein paar übrig geblieben Alt-68ern. Hatte so viel Lifestylefaktor wie Achselhaare und Batikklamotten. Man konnte Yoga machen oder es auch sein lassen, und angeben brauchte man damit erst recht nicht. Das hat sich geändert, wie sogar die aufmerksame Freizeit-Revue-Leserin mitbekommen hat. Heute hat man das Gefühl, dass Frau es machen muss.
Ach Kinners, damals nach dem Krieg war’s anders … Okay , so alt bin ich dann doch noch nicht, aber den derben Hype der letzten Jahre sollte man ruhig mal auseinandernehmen. Mach ich jetzt!
Die größten Freaks und Narzissten habe ich überraschenderweise nicht beim Fernsehen getroffen, sondern auf den Yogamatten. Vor allem die, die in diesem Bereich etwas zu melden haben. Selbst ernannte Meister und Alpha-Yogis. Soll nicht heißen, dass jeder ein Rad abhat, der Yoga lehrt, da wären wir nämlich ganz schön im Eimer in diesem Land. In Deutschland gibt es ca. drei Millionen Menschen, die Yoga üben und 100.000 Lehrer. Da sind großartige Leute dabei, darunter einige der besten Yogalehrer! Aber ein paar von denen möchte ich nachts nicht allein übern Weg laufen.
Es gibt eine ganz einfache Erklärung dafür, warum „verhaltenskreative“ Zeitgenossen sich zu diesen spirituellen Lehren hingezogen fühlen. Sie wirken anziehend auf Menschen in schwierigen Lebenssituationen oder mit einer angeknacksten Psyche. Sie suchen Unterstützung und klammern sich oft an jeden Strohhalm. Der mögliche andere Weg über eine Psychotherapie erfordert viel Durchhaltevermögen, Selbstreflexion und kann auch mal anstrengend werden. Manche können und wollen diesen Weg nicht gehen und erhoffen sich die schnelle Hilfe durch Engelkarten, ein bisschen Reiki, Heilsteine oder eben Yoga.
Warum hat’s mich so angezogen? Damals unter anderem auch aus den eben genannten Gründen. Dazu kam, dass mich schon von klein auf fremde Kulturen interessiert haben. Das erste Lebensjahr verbrachte ich zunächst im Tragetuch meiner südafrikanischen Nanny, danach im Buggy neben Boule spielenden Franzosen an der Côte d’Azur und später bei einem Teller Sarma bei meiner viel geliebten jugoslawisch-deutschen Oma. Indien war unerforscht und aufregend. Nichts war mir fremder als der Hinduismus mit seinen bunten Göttern und den tollen Verrenkungen. Ich habe damals zudem dringend etwas zum Festhalten gesucht. Der Haltegriff, den ich von zu Hause mitbekommen habe, wackelte. Yoga hingegen gab mir ein klares Regelwerk, das konform ging mit meiner damaligen Einstellung zum Leben. Ich bin schon Jahre davor Vegetarierin geworden, wollte in Ruhe gelassen werden, konnte mir mit der Karma-Philosophie ein bisschen die Welt erklären und fand Spaß an den Übungen. Ich hatte Glück, dass ich damals an Lehrer geraten war, die mir nur zeigen wollten, wie’s ging, mich aber sonst in Ruhe ließen. Bis zum heutigen Tag liege ich regelmäßig bei denen auf der Matte und werde es mein Leben lang tun.
Schlimm finde ich aber, wie viele semi-erleuchtete Yogalehrer in ihren Stunden den Schülern die Welt erklären möchten.
Nochmals der Vermerk, dass es großartige Lehrer gibt. Nur manche sind eben völlig Banane. Ich darf das sagen, ich bin nämlich selbst ausgebildete Yogalehrerin. Ich kenne mich und die anderen.
Mich hat es immer wieder schockiert, wenn nach einer Stunde Leute zu mir kamen und sich eine Lebensberatung von mir abholen wollten. Ich bin froh, wenn ich beim Schuheanziehen meine Schnürsenkel richtig binden kann, und daher völlig überfordert, wenn man sich so etwas von mir erhofft und sich mir blind anvertraut. Es hat mir aber gezeigt, wie beeinflussbar Menschen sind und wie gefährlich dieses Verhältnis sein kann. Mit ein paar Hundert Stunden Yogaunterricht, die man für die Ausbildung braucht, kann und sollte sich keiner rausnehmen, anderen Leuten sagen zu dürfen, wie sie ihr Leben zu optimieren haben. Dafür gibt’s Profis, Therapeuten, die freiwillig ihr Leben den Problemen anderer verschrieben haben und die mehr Hirnschmalz in das Thema gesteckt haben als der Dude, der auf Goa seinen Yogaschein gemacht hat.
In Sachen Yoga bin ich rund um die Welt gereist. Mitgebracht habe ich tolle Freundschaften und viele Geschichten von lustigen Vögeln. Manche Vögel waren aber auch gefährlich. So nahm ich vor Jahren in Südostasien an einem mehrtägigen Yogaworkshop teil. Stattgefunden hat er in der Hölle. Geleitet wurde er von einem Guru-Pärchen, die so etwas wie eine Sekte um sich gegründet hatten. Nennen wir sie mal Guru-Horst und Guru-Gabi. Mit von der Partie waren viele sinnsuchende Anhänger, die den beiden an den Lippen hingen, als würde Siddharta Gautama persönlich sprechen. Der Kennenlernabend gestaltete sich wie ein Morgenkreis im Kindergarten, wir machten Spiele, die darin gipfelten, dass man der wildfremden Nachbarin die Kopfhaut kraulte. Ich weiß Gott sei Dank nicht mehr, ob ich beim letzteren Teil recht aktiv war, ich hab nämlich die wunderbare Gabe, traumatisierende Erlebnisse auszublenden. Der Abend wurde immer persönlicher. Der Guru-Horst erklärte mir dann irgendwann vor den 50 Teilnehmern, dass meine Aura seit der Geburt meiner Tochter Zacken und Löcher hätte. WTF?! Diese ausgefranste Aura hätte der Horst mit einer Aura-Soma-Behandlung ganz schnell fixen können. Für ca. 75 Euro cash auf Täsch. Nachdem ich dankend abgelehnt hatte, war ich unten durch beim Horsti. Denn wenn Narzissten eins nicht mögen, dann sind das Leute, die sich ihnen nicht unterwerfen und durch die ihnen dann auch noch Geld durch die Lappen geht. Hinzu kam, dass die beiden erst seit wenigen Jahren Yoga praktizierten und auffallend wenig Ahnung von der Materie hatten. Das konnten sie aber kompensieren: mit Dominanz, irgendwelchen esoterischen Durchgeknalltheiten und einem fabelhaften Geschäftssinn. So konnte man bei ihnen unter anderem zusätzlich eine Aura-Soma-Ausbildung machen, die nur einen ganzen Nachmittag lang ging und für die man einen stattlichen Betrag lockermachen musste. Danach war man Experte. Für mich klang das eher nach dem schnellen Geld für die beiden. Irgendwas mit Ölen und Engeln haben sie auch noch angeboten, ich bin bei den Extras ausgestiegen und blieb beim Basicprogramm, nämlich Yoga, zog den Kopf ein und war froh, als alles vorbei war.
Solche Leute sind gefährlich, denn die beiden waren so weit von einer Erleuchtung entfernt wie mein Wäschetrockner, ließ einen aber glauben, dass sie eine Standleitung ins Nirwana hätten. Wie man aus der Psychologie weiß, sind Narzissten...