Ein System wie Scientology kann nur dann Erfolg haben, wenn die Gesellschaft die Grundlage dafür bietet. Die Gesellschaft ist geprägt von Hoffnungen und Ängsten.[143] Die Menschen wollen Erfolg haben, jugendlich sein, viel Geld verdienen, Ansehen haben und fürchten sich vor Armut, Arbeitslosigkeit und Misserfolg. Geprägt sind diese Vorstellungen in einer Zeit der Isolierung des Einzelnen, Verstädterung, mehr Singles, Alleinerziehende und Scheidungskinder. Es ist nicht verwunderlich, wenn Menschen Neues ausprobieren wollen und Anfälligkeiten für Heilsversprechen entwickeln. Scientology wird als Weg zum alltäglichen Erfolg und zum ewigen Heil angeboten.
Für alle Schichten und Ebenen unserer Gesellschaft hat Scientology bereits Methoden und Taktiken entwickelt, um sie mit der Scientology Ideologie zu unterwandern und dies nicht nur mit Hilfe von Tarn- und Unterorganisationen.
Im Jahr 1997 wurde ein Text von Scientology herausgegeben in dem es heißt: „Falls sich in der Zivilisation des Menschen, wie sie heute vorwärtsstrauchelt, keine grundlegenden Veränderungen einstellen, wird es den Menschen nicht mehr all zu lange geben, und keiner von uns wird überleben.“[144] Weiter im Text heißt es: „Die Zeiten müssen sich ändern. Und wir, die Scientologen, sind diejenigen, die sie verändern.“[145] In einer weiteren Ausgabe der Zeitschrift „Freiheit“ von Scientology aus dem Jahr 1997 wird die Vorstellung der heutigen Gesellschaft in den Augen von Scientology deutlich. Darin heißt es: „Sowohl innerhalb wie außerhalb von Scientology befindet man sich in der Schusslinie. Dieses heillose Durcheinander da draußen, dieses von Verbrechen geplagte, mit Drogen zum Durchdrehen gebrachte, in die Irre geleitete Etwas, das als Zivilisation bezeichnet wird, ist ganz und gar kein Zufluchtsort. Sich darin zu flüchten, kommt einer Kapitulation gleich.“[146]
Aus diesen Texten wird deutlich, dass Scientology die heutige vorherrschende Gesellschaftsform ablehnt und stattdessen eine neue anstrebt.
Scientology strebt eine Drei-Klassen-Gesellschaft[147] an. Die unterste Klasse sind diejenigen, die keinen Zugang zu Scientology haben, weil sie über keinerlei Geld verfügen. Die mittlere Stufe sind die Scientology Mitglieder, die sich in endlosen Kursen an die Ebene „Clear“ heranarbeiten und dafür bezahlen. Die dritte Stufe ist die Oberklasse. Die Oberklasse sind jene Personen, die den Zustand „Clear“ erreicht haben und zu den OTs gehören. Diese Klasse ist die herrschende Klasse.
Als Sozialstaat ist die Gesellschaft, die Scientology anstrebt, nicht geplant. Scientology sieht Anstalten und Kliniken für jene vor, die unfähig sind, das Kursprogramm zu absolvieren, sprich für Behinderte und Kranke.
Im Bereich der Gesellschaft hat Scientology die meisten Unter- und Tarnorganisationen und wird durch diese tätig. Hier wären insbesondere Narconon, ZIEL und KVPM zu nennen, auf die die Autorin folgend eingehen wird. Ziel der Tarnorganisationen ist die Errichtung einer neuen Regierung, die direkt der Zentrale von Scientology in Los Angeles unterstehen soll. Mit diesen Organisationen will sich Scientology als humanitär, karitativ und sozial verantwortlich zeigen.[148]
Narconon[149], was soviel bedeutet wie „keine Drogen“, tritt in Fußgängerpassagen auf und verteilt Broschüren und Flyer, um neue Kunden anzuwerben. Die Verbindung zu Scientology wird dabei nicht erwähnt.
Narconon ist eine sich auf Drogentherapie ausgebende Organisation und wurde 1966 gegründet. Laut Scientology ist Narconon das weltweit größte Drogenpräventionsprogramm.[150] Die internationale Sprecherin von Narconon ist die Schauspielerin Kirstie Alley.[151] Nach Angaben von Scientology existieren 190 Narconon Zentren in über 40 Ländern.[152] Es bietet ein Ausbildungsprogramm für andere Drogenexperten und Einrichtungen an. Narconon stützt sich auf die entwickelten Rehabilitationsverfahren von L. Ron Hubbard und ist ein Anti-Drogenprogramm, das völlig ohne Substitutionsstoffe arbeitet. Dieses Programm wird auch das 9-Punkte-Drogenentzugsprogramm[153] genannt und ist identisch mit dem Kursprogramm von Scientology.
Der erste Kurs ist ein Drogenfreier Entzug. Dabei erhält die Person Anweisungen für eine korrekte Ernährung mit Vitaminen und Pflege von Mitarbeitern um körperliche Beschwerden loszuwerden. Der zweite Kurs ist ein therapeutischer Trainings-Routine Kurs. Dieser wird vorgenommen, wenn der Entzug abgeschlossen ist. In diesem Kurs werden eine Reihe von Kommunikationsübungen durchgeführt, um die Aufmerksamkeit einer Person nach außen zu lenken. Der dritte Kurs ist das Narconon Entgiftungsprogramm. Hier wird ein Programm aus Saunagängen, Sport und Nahrungsergänzungen zusammengestellt, um angeblich die letzten Drogenrückstände aus dem Körper zu entfernen. Der vierte Kurs stellt ein Kurs zum Verbessern des Lernens dar. Bei diesem Kurs wird der Person beigebracht zu lernen und zu studieren und Hindernisse beim Lernen zu überwinden. Dieser Kurs soll ihn darauf vorbereiten ein produktives und ethisches Leben zu führen. Der fünfte Kurs ist ein Kommunikations- und Wahrnehmungskurs. Hier werden die Trainings-Routinen wiederholt und neue Übungen eingeführt. Der sechste Kurs handelt über die Höhen und Tiefen des Lebens. Die Person lernt, die Einflüsse in seiner Umgebung zu erkennen und diejenigen zu bewältigen, die ihn die Gewinne wieder verlieren lassen würden. Der siebente Kurs stellt ein Kurs für persönliche Werte und Integrität dar. In diesem Kurs lernt die Person die acht Dynamiken, Ethik, Ehre und Integrität kennen. Der achte Kurs heißt: „Wie man Zustände im Leben verbessert“. In diesem Kurs wird die Ethik Technologie von L. Ron Hubbard erlernt. Der neunte Kurs ist „Der weg zum Glücklichsein“ und zeigt den Personen Wege auf, wie man angeblich sein Leben führen kann, indem wirkliches Glück erreichbar ist.[154]
Da es wegen der hohen Kosten eines Drogenentzugsprogramms viel zu wenig seriöse freie Therapieplätze gibt, macht Narconon durch sofort verfügbare Therapieplätze Werbung. Narconon verspricht ein Therapieerfolg von 80%[155].
Abbildung 9 Erfolgsquote von Narconon[156]
Narconon fordert in der Regel von den Angehörigen der Drogenabhängigen Tagessätze von 70 Euro. Im Jahre 1977 bezahlte der Berliner Senat zu Lasten der Sozialhilfe die Therapieplätze bei Narconon in Höhe von 1,5 Millionen DM (ca. 770.000 Euro).[157] Nachdem die Verbindung zu Scientology in der Öffentlichkeit bekannt wurde, und dass die Methoden von L. Ron Hubbard angewendet werden, ließ der Senat eine umfangreiche Untersuchung durch Sachverständige vornehmen. Ergebnis der Studie war, dass die hohe Erfolgsquote von 80% nichts als Lüge war. Lediglich 10% der Behandelten waren nach der Therapie drogenfrei. Die 10% wurden jedoch zu Mitarbeiter von Narconon und lebten im Narconon Haus und wurden somit abhängig von der Organisation. Nach der Veröffentlichung der Studie wurden weder durch die öffentliche Hand noch durch Krankenkassen diese Therapieplätze weiterhin bezahlt.
Es ist auch nichts darüber bekannt, ob Narconon geschulte Fachkräfte einsetzt. Viel mehr ist die Rede von einer so genannten Selbsthilfe, d.h. dass die Absolvierung von Scientology Kursen wird vorgenommen.[158] In Deutschland befand sich ein Therapiezentrum in Itzehoe in Schleswig Holstein. Dem Verein wurde die Eintragung ins Vereinsregister gerichtlich untersagt, mit der Begründung, dass es ein wirtschaftlicher Geschäftsbetrieb sei und Therapieplätze gegen Entgelt anbiete. Der ehemalige Präsident mit Sitz in Schliersee wurde im Jahr 1995 wegen Ausübung der Heilkunde ohne Erlaubnis in 200 Einzelfällen vom Amtsgericht Miesbach rechtskräftig verurteilt.[159] Im Jahr 2003 wurde ein neues Narconon Zentrum in München gegründet. Der eingetragene Verein versuchte ein Rehabilitationszentrum im Landkreis Cham zu errichten. Proteste aus der Bevölkerung verhinderten dieses Vorhaben.
In einem Gutachten des Drogenbeauftragten vom Land Berlin wird dargestellt, dass durch die Anwendung der Methoden von Narconon eine sehr große Zahl von Risiken für die weitere Entwicklung eines Drogenabhängigen entstehen.[160] Durch die Anwendung eines scientologischen Entgiftungsprogramms kann einerseits die bei Drogenabhängigen ohnehin vorhandene Tendenz zur Flucht...