High-Five der persönlichen Entfaltung – Das Modell
Wie finden wir uns selbst? Und wie erfinden wir uns neu? Welche Dynamiken sind bei einem persönlichen Veränderungsprozess zugange? Welcher Dramaturgie folgt ein solcher Prozess? Wie kann ich sein Gelingen fördern? Wie wird es gut?
Die fünf Schichten, die ich für einen idealtypischen Prozess der bewussten persönlichen Neufindung sehe, sind folgende: Wir bewegen uns idealerweise vom
(1)BEWUSST-WERDEN über das
(2)LOSLASSEN in die
(3)VERBINDUNG mit der persönlichen BERUFUNG, sodann in das
(4)FORM-GEBEN und schließlich in das
(5)VERKÖRPERN, das füllige Sein und Tun. Nun sind wir voll und ganz „neu“ präsent.
Ich habe das Modell mit „High-Five der persönlichen Entfaltung“ benannt, weil es um das Evolvieren persönlicher Potenziale, um das Reifen, um Entfaltung geht. Eine graphische Darstellung der High-Five findet sich auf der übernächsten Seite. Im Folgenden präzisiere ich, wie sich die einzelnen fünf Schichtungen äußern:
(1)Das BEWUSST-WERDEN ist ein Innehalten, Wahrnehmen und Erkennen.
(2)Das LOSLASSEN schafft Freiraum. Es ist eine unbedingte Vorleistung, damit überhaupt Neues Raum greifen kann.
(3)Beim VERBINDEN mit meiner BERUFUNG horche ich auf die Stimme meines Herzens. Ich nehme Einkehr an einem Inneren Ort. Ich begegne der Essenz, meinem Wesenskern.
(4)Das FORM-GEBEN ist ein Begreifen und Hervorbringen. Die innere Klarheit emergiert nach außen. Sie kristallisiert in Prototypen äußerer Formen.
(5)Das VERKÖRPERN repräsentiert das vollumfängliche Sein und Tun. Ich bin es. Und ich bin in der fülligen Performanz.
WIR ERSCHAFFEN DIE ZUKUNFT MIT
Nach der Vorstellung des Modells hier im kompakten Überblick werde ich jede Schichtung detailliert als eigenes Kapitel ausrollen. So will ich ihr jeweiliges Wesen und die damit verbundenen Dynamiken greifbar machen. Ein Modell ist natürlich immer eine Vereinfachung der komplexen Wirklichkeit. Es ist eine Art Krücke, eine „Bewegungshilfe“, idealerweise eine Unterstützung in unserem Denken, Sein und Tun. In diesem Sinne hoffe ich, dass dir die „High-Five“ gute Dienste leisten.
Natürlich ist das Modell der „High-Five der persönlichen Entfaltung“ ein idealtypisches, das Leben ist etwas komplizierter. So etwas wie Vollkommenheit werden wir Menschen nur schwer erreichen, wenn dann wohl immer nur für Augenblicke. Ich hoffe jedoch, dass all die Vertiefungen hier jenen Gedanken auch in deinem Leben befördern, der diesem Buch Pate steht: Die Zukunft ist kein Raum, den wir willenlos betreten. Sie ist ein Raum, den wir selbst mit erschaffen. Frei nach Nelson Mandela: „I am the master of my fate, I am the captain of my soul.” Ich bin der Meister meines Schicksals, ich bin der Kapitän meiner Seele.
Bevor wir in die einzelnen Schichtungen eintauchen, möchte ich nochmals das Verständnis dafür schärfen, dass es sich um ein integrales Entfalten handelt. Jede Schichtung nährt sich in den Vorschichtungen und stülpt sich über diese. Es ist vergleichbar dem Wachsen der Jahresringe bei einem Baum. Jeder Ring inkorporiert alles Bisherige.
5
VERKÖRPERN
4
FORM-GEBEN
3
MIT BERUFUNG VERBINDEN
2
LOSLASSEN
1
BEWUSST WERDEN
High-Five der persönlichen Entfaltung
Die Schichtungen bauen aufeinander auf und sind miteinander verwoben.
In der Regel befinden wir uns dominant in einer Schichtung, und zwar in jener, auf die wir aktuell vorranging fokussieren oder – so es unbewusst läuft – in der wir aktuell prioritär funktionieren. Ich nenne diesen Zustand daher Primärschichtung. Sie bezeichnet jene Phase, in der wir als „Veränderungsreisende“ gerade hauptsächlich unterwegs sind.
ALLES GLEICHZEITIG UND DOCH DOMINANT
Natürlich läuft im echten Leben nichts so schematisch ab wie in der Theorie. Es kommt mitunter zu Rückwärtsschleifen, einer vorübergehenden Rückkehr in früher dominante Schichtungen. Es gibt auch Paralleletappen, in denen zwei Primärschichtungen gleichzeitig laufen. All das hat auch seine Berechtigung und Funktionalität.
So kam ich beispielsweise nach Kerala in der Annahme, dass ich mich hier nochmals voll und ganz dem Loslassen widmen würde. Rückwirkend betrachtet hatte ich für diese Reise also die Überschrift „Primärschichtung (2)“ im Kopf. Tatsächlich war das Loslassen ein großes Thema. Wie geschildert sehr konkret körperlich – von Kräuterwasser-Brechen über Abführmittel bis hin zu Einläufen. Aber im digitalen Offline-Modus und im Bruch aller Alltagsroutinen auch geistig, emotional und psychisch. All das wurde durch die Einbettung in eine ruhige, naturnahe Umgebung befördert. Ich wurde umsorgt, bekocht und mit Massagen bearbeitet. Dennoch war ich überrascht, als ich mir an den ersten Abenden selbst zuhörte. Was war passiert?
Wir alle, die wir auf Individualreisen unterwegs sind und uns gelegentlich in Jugendherbergen oder anderen touristischen Hotspots aufhalten, kennen das Ritual. Die freundlichen Begegnungen folgen einer gewissen Routine. Dabei scheinen die ersten zwei Fragen weltweit standardisiert zu sein. Es startet mit: „Where do you come from?“ Ist die Herkunftsfrage geklärt und die Begegnung noch nicht zu Ende, so folgt in der Regel: „What field are you working in?“ Das Gespräch kommt auf den Beruf oder die Ausbildung.
So geschah es auch in Indien. Bei den ersten drei gemeinsamen Abendessen in Athreya kam ich stets mit unterschiedlichen Leuten zusammen und es entwickelten sich angeregte Gespräche. Meine Antwort auf die erste Frage war immer dieselbe: „Vienna, Austria.“ Allerdings war ich über die Auskünfte auf die zweite Frage selbst überrascht. Beim ersten Abendessen antwortete ich auf „Was machst du?“ mit: „Ich bin in Veränderung, in einer Übergangsphase.“ Ich erzählte von meiner Vergangenheit und was ich alles gerade hinter mir gelassen hatte. Ich fühlte mich also augenscheinlich der Primärschichtung (2) verbunden: Loslassen. So wie ich mir das gewissermaßen auch als Gesamtrahmen für diese Reise zurechtgerückt hatte.
Offensichtlich arbeitete das Gespräch nach. Bewusst und unbewusst. Jedenfalls kam ich beim zweiten gemeinsamen Abendessen auf dieselbe Frage mit einer anderen Antwort daher: Ich sei ein „Portfolio-Entrepreneur“ und als Unternehmer auf mehreren Feldern aktiv – im Bereich der Organisationsentwicklung, als Leadership-Coach, als freier Publizist und Autor sowie in TV-Projekten. Zudem sei ich stark ehrenamtlich engagiert: für politische, soziale und humanitäre Anliegen.
AUSPROBIEREN UND HINSPÜREN
Das war etwas umfangreich, schon beim Erzählen. Offenbar hatte ich auch das Gegenüber mehr verwirrt als informiert. „Wow, das ist ziemlich viel“, lautete der kurze Kommentar. Ich hörte dasselbe, was mir auch Freunde und Bekannte rückgemeldet hatten, als ich rund acht Wochen zuvor dieses Portfolio an Aktivitäten in den sozialen Medien und in einigen Interviews vorgestellt hatte. Aber mir war es ganz offensichtlich wichtig, in der Öffentlichkeit klarzumachen, dass ich dabei war, Form zu geben.
Nicht zuletzt durch diese kritischen Rückmeldungen nährte sich in mir die Vermutung, dass sich das alles wohl zeitlich nicht ausgehen würde. Doch noch war das meine stimmige Ansage. Wenn ich dann voll ins Sein und Tun kommen würde – sprich Primärschichtung (5) –, würden sich die Dinge schon ordnen. Wie viele von den angefangenen Projekten ich schließlich abwerfen würde müssen, um in ein überschaubares und fülliges Verkörpern zu kommen, war mir damals noch nicht bewusst. Ich war eben ganz begeistert in der Primärschichtung (4), im Form-Geben, unterwegs: Es ist ein Ausprobieren, ein Lernen durch Versuch und Irrtum.
Man baut Prototypen und hält sie mitunter schon für „das Wahre“. Später realisiert man, dass nicht alles abhebt.
Doch jene Prototypen, die mit einer stimmigen Leichtigkeit fliegen, empfiehlt es sich auf dem Weg in die Primärschichtung (5) zu skalieren, in...