2. Arbeit: Leiden oder Leidenschaft?
Wie Sie durch Klarheit zufrieden werden
»Bleibt mutig, bleibt tollkühn!
Findet heraus, was ihr wirklich liebt.«
Steve Jobs,
Gründer und Chef von Apple
Etwa die Hälfte Ihrer wachen Zeit verbringen Sie wahrscheinlich mit der Arbeit, die Ihnen ein Einkommen bringt. Das summiert sich auf einige Jahrzehnte, die Sie Ihrem Beruf widmen. Umso wichtiger ist es, diese viele Lebenszeit mit einer gewissen Grundzufriedenheit zu verbringen. Sicherlich wird es die Ausnahme sein, jeden Tag voller Wohlbefinden am Schreibtisch oder an der Kundentheke zubringen zu können, gleichsam über den Dingen schwebend, aller irdischen Dinge entrückt, in einem himmlischen Zustand des Glücks … Schade eigentlich, doch so ist das Leben nun mal nicht. Aber haben Sie wirklich schon alle beruflichen Zufriedenheitspotenziale entdeckt und ausgeschöpft? Gibt es möglicherweise weitere Spielräume, in denen Sie das leben können, was Sie erfüllt und innerlich reich macht?
Von innen heraus leben
Viele Menschen leben ihr Leben von außen nach innen. Sie nehmen das, was von außen auf sie zukommt, was von Umständen oder anderen Menschen an sie herangetragen wird, als das, was ihr Leben ausmacht und was zählt. Und das ist ja zunächst einmal sehr verständlich: Das Leben stellt uns Aufgaben. Wir werden in bestimmte Familien hineingestellt und die Mutter, der Vater und die Schwester fordern uns heraus. Wir versuchen, eine gute Art zu finden, mit ihren Macken und genauen Vorstellungen vom erforderlichen Ordnungsgrad des Kleiderschrank-Innenlebens zurechtzukommen. Oder mit der gewünschten Häufigkeit des Badputzens. Vielleicht sind die Umstände in der Familie auch noch herausfordernder.
Wir suchen den Weg, uns selbst, unseren Bedürfnissen und Wünschen, gerecht zu werden und gleichzeitig möglichst auf die Anforderungen einzugehen, die andere an uns haben. Das geschieht meist unbewusst und ohne dass wir es in seiner Tiefe merken. Und es bedeutet oft einen Spagat oder sogar eine Zwickmühle für uns, wenn die Vorstellungen beider Seiten unterschiedlich und schwer vereinbar sind. Wir sind hin- und hergerissen und finden dann dummerweise oft eine Lösung, die letzten Endes nicht gesund ist. Viele Menschen, gerade Frauen, sehen das Wohlbefinden und die erfüllten Wünsche anderer als wichtiger an als ihre eigenen. Sie stecken zurück, ergeben sich einer Situation und wollen oft nur, dass kein Stress entsteht und alle glücklich sind. Und dabei verlieren sie manchmal sogar das Gefühl für sich selbst. Eine Klientin um die 50 sagte mir unter Tränen: »Ich war jahrzehntelang nur für meinen Mann und die Kinder da und dabei habe ich mich selbst verloren.«
Zum Glück, und das habe ich dieser Klientin nahebringen können, ist das Gefühl, sich selbst verloren zu haben, nur ein inneres Erleben, keine objektive Tatsache. Man ist, wenn man hirnorganisch gesund ist, immer noch »da«. Das Selbst, der Kern, das wahre Ich eines Menschen kann nicht verschwinden. Aber es kann verschüttet sein, versteckt, der Zugang kann fehlen. Und dann bin ich eingeladen, es wieder frei zu graben, es zu suchen, den Weg dahin wiederzufinden. Nach dem Eigenen, dem für sich selbst Stimmigen zu suchen, das lohnt sich: Es macht den Weg frei für ein gutes, frohes Leben und Berufsleben.
Bedürfnisse wollen gelebt werden – auch im Job
Niemand kann sich als Mensch aufteilen, in einen »eigentlichen« Menschen und einen beruflichen Menschen. Natürlich nehmen wir am Arbeitsplatz eine Rolle ein, die den Interessen des Arbeitgebers entsprechend bestimmte Anforderungen an uns stellt. Darauf lassen wir uns – im Idealfall – ja auch bewusst ein: auf die Regeln des Miteinanders wie etwa Kleiderordnungen und den Umgang mit Hierarchien; was als das Wichtige angesehen wird; wie die Aufgaben erledigt werden sollen und so weiter. Eine Anstellung oder eine freie Beschäftigung bei einem Arbeitgeber sollte als Arbeitsbündnis gesehen werden, als eine Einigung auf Zeit, in der man seine Arbeitskraft gegen ein Entgelt zur Verfügung stellt. Einerseits. Doch andererseits kann man dieses Bündnis nicht getrennt von sich als gesamter Person sehen. Man nimmt sich selbst mit zur Arbeit, mit seinen Sehnsüchten, Empfindlichkeiten, Idealen und Werten. Und so ist immer ein Arrangement gefragt zwischen dem, was die Arbeitstelle fordert, und dem, nach dem die eigenen Bedürfnisse verlangen.
Früher dachte man, der Mensch sei in der Lage, rein rational zu handeln – Für und Wider abwägend, die Gefühle außen vor lassend. Ein nutzengesteuerter sachlicher Homo oeconomicus, wie etwa Mr. Spock, der Mann ohne Emotionen vom Raumschiff Enterprise. Er diente dafür als Leitfigur. Inzwischen weiß man, dass wir Menschen von unseren Gefühlen nicht zu trennen sind, weder im Denken noch im Handeln. Mehr noch, die Emotionen machen ein Vielfaches von dem aus, was unseren Verstand ausmacht. Es ist wie bei einem Eisberg: Das meiste, nämlich etwa sechs Siebtel, ist nicht zu sehen, liegt unter Wasser, nur ein Siebtel ragt über die Wasseroberfläche hinaus.
Menschen, deren wichtigste Emotionen verarbeitende Zentren im Gehirn bei einem Unfall oder durch Krankheit zerstört wurden, können sich nicht mehr in andere Menschen einfühlen und kaum noch »vernünftige« beziehungsweise sinnvolle Entscheidungen treffen. Ihr Leben scheitert regelrecht, weil sie durch das Fehlen von normal verarbeiteten Emotionen ihre innere Weisheit verloren haben. Erst im Abgleich mit den im Laufe des gesamten Lebens erworbenen Erfahrungen kann der Mensch so handeln, dass es angemessen ist. Und im Gehirn – und gleichzeitig übrigens auch im gesamten Körper – Gespeichertes ist immer zusammen mit den entsprechenden Emotionen abgelegt. Wenn diese bei einer Entscheidung nicht abrufbar sind, fehlt der wichtigste Teil.
Zuverlässigkeit, Besonnenheit, die Fähigkeit zu planen und Aufgaben geordnet abzuarbeiten, mit anderen Menschen angemessen umzugehen – all das ist ohne Beteiligung von Emotionen nicht zu machen. Wir Menschen sind alle Gefühlswesen. Das sollten wir uns bewusst machen. Und dass es gut so ist. Es kommt nur darauf an, was man daraus macht.
Viele Menschen, und das hat natürlich Gründe, meinen, sie wären rein rational agierend und ausschließlich vernunftgeleitet. Gefühle hätten bei ihnen nichts zu suchen. Das ist eine Illusion, und es ist nicht nur im tiefsten Sinne unvernünftig und nicht zielführend, sondern sogar schädlich für Persönlichkeit und Gesundheit. Mr. Spock und der rein nutzengeleitete Homo oeconomicus wären im wahren Leben nicht lebenstauglich.
Reflexion »Meine emotionale Kompetenz«
Reflektieren Sie folgende Fragen für sich, um Ihrer emotionalen Kompetenz auf die Spur zu kommen:
- Wie gut kann ich meine Gefühle meistens wahrnehmen – auf einer Skala von 1 (fast nicht) bis 10 (überragend)?
- Wie schnell bemerke ich in der Regel, dass und wie ich emotional bewegt bin? Sofort oder erst lange nach dem eigentlichen auslösenden Ereignis?
- Wie gut kann ich meine Gefühle identifizieren und benennen: Freude, Mitleid, Angst, Ärger, Trauer, Verachtung, Überraschung, Hass, Enttäuschung, Scham, Schuld, Liebe, Vertrauen …?
- Was mache ich, wenn ich einzelne Gefühle oder einen Gefühlscocktail bei mir wahrnehme? Gehe ich darüber hinweg, betrachte ich sie näher? Akzeptiere ich sie oder will ich sie »weg haben«?
Emotionen als Hinweise auf das, was man braucht
Angenehme Gefühle wie Freude und Zuversicht zeigen den Weg zu dem, wodurch Sie sich wohlfühlen und in der Folge kraftvoll und produktiv sind. Wann fühlen Sie sich gut gestimmt, klar, voller Hoffnung und Sicherheit? Was brauchen Sie dazu?
Da Sie als ganze Person bei der Arbeit anwesend sind, mit all Ihren Bedürfnissen, ist es wesentlich, von diesen zu wissen und sie so weit wie möglich zu erfüllen. Nur dann sind Sie auf Dauer leistungsfähig. Wenn Sie zum Beispiel den Kontakt zu anderen Menschen brauchen, wäre es fatal, über lange Zeit isoliert am Ende des Ganges in einem Einzelbüro zu sitzen. Sind Sie geräuschempfindlich, tut Ihnen sicher ein Großraumbüro nicht gut. Vielleicht fühlen Sie sich schwach und unwohl, wenn Sie nicht spätestens nach fünf Stunden etwas essen. So weit, so klar – etliche Ihrer Bedürfnisse werden Sie schon kennen. Und die anderen? Vieles, das wir Menschen zum Leben brauchen, erschließt sich vielleicht nicht gleich und will erforscht und herausgefunden werden. Das betrifft vor allem die Grundbedürfnisse, die wir alle teilen und die bei jedem trotzdem individuell ausgeprägt sind:
Grundbedürfnisse
- Sicherheit, Orientierung, Bekanntes
- Wechsel, Neues
- Freiheit, Gestaltungskraft
- Verbundenheit, Liebe und Anerkennung
- Schutz und Erhöhung des Selbstwerts
- Streben nach positiven Gefühlen, Vermeiden von negativen Gefühlen
Wenn Sie diese Aufzählung lesen, werden sicher Situationen in Ihnen aufsteigen, in denen dem jeweiligen Bedürfnis positiv begegnet wurde und in denen Sie sich dadurch wohlfühlten.
Machen Sie doch gleich eine Übung dazu:
Übung »Grundbedürfnisse kreativ«
Nehmen Sie sich ein paar ungestörte Minuten, die obige Liste mit den Grundbedürfnissen, ein großes Blatt Papier und bunte Stifte. Lassen Sie jetzt den heutigen – oder den jüngsten – Arbeitstag vor Ihrem geistigen Auge Revue passieren. Gehen Sie die einzelnen Szenen von Anfang bis Ende durch: Was haben Sie erlebt?...