Einleitung.
Wünschen Sie gesund zu sein, gut zu schlafen, regelmäßig zu verdauen? Sollen Ihre Unternehmungen erfolgreich sein, Ihre Feinde sich in Freunde verwandeln?
Möchten Sie ab und zu zum Lachen gereizt sein, ohne besonderen Anlass, so einfach schlechthin, weil das Leben Ihnen so schön erscheint?
Möchten Sie Ihre Kinder täglich blühender, heiterer, klüger und gehorsamer sehen?
Nun, dies alles wird Ihnen geboten, gratis und gebrauchsfertig, ohne Medizin, ohne Apparat, ohne Berufsstörung, garantiert und diskret.
Ein Sprüchlein des Morgens und des Abends, ein anderes bei jedesmaliger Wiederkehr von Schmerz, trüber Stimmung oder Verführung zum Laster.
Sie zweifeln? Ja, sehen Sie, gerade das dürfen Sie nicht, gerade das wird man Ihnen abgewöhnen, damit auch Sie aller Verheißungen teilhaftig werden, die oben angeführt sind. Es soll Ihnen sogar erklärt werden, wie die Sache funktioniert.
Der frühere Apotheker aus Nancy, Herr Emil Coué, hat dem Ensemble, das wir früher die „göttliche Kraft“ zu nennen gewöhnt waren, einen kleinen praktischen Trick entdreht, den er anzuwenden und zu lehren versteht. Sein Wirken ist vielen großen Seelenärzten bekannt, seine Schriften sind in allerlei Sprachen übersetzt. Sein Sanatorium in Nancy ist ein Treffpunkt der „verzweifelten Fälle“ aus allen Reichen, seine wunderbaren Kuren haben ihm viele Angriffe eingetragen, viele gläubige Seelen gewonnen. Schriftliche Danksagungen von Tuberkulösen, Gichtischen, Stotterern, Kleptomanen, Geschwürbehafteten und Trinkern bestätigen Heilung. Seine Tätigkeit in Nancy, die Vortragsreisen durch England und Amerika verschlingen seine Zeit. Heute ist er in Paris.
In dem Hörsaal seines Institutes für Seelenerziehung drängen sich die Heilsbedürftigen zu dem Gratisvortrag mit Demonstrationen. In Autos und zu Fuß kamen Reiche und Arme, Eltern, Kinder, Greise. Sie umstanden wartend im Schwarm den engen Eingang des Hauses in der rue Pauquet; Bäcker und Schlächter aus benachbarten Läden staunten sie an. „Ist Ihr Onkel noch in Nancy?“ wird die elegante Dame im Pelz gefragt. „Er ist geflohen,“ antwortet sie lebhaft, „wir brachten ihn gelähmt, im Rollstuhl, nach drei Tagen konnte er gehen — glauben Sie mir, er ist geflohen, er hatte Angst vor dem Leben ohne sein Steckenpferd, seine Krankheit.“
Herr Coué ist ein reizender kleiner Greis, er spricht zierlich und sanft, auswendig und überzeugend. Händereibend steht er auf dem Katheder vor dem Tischchen mit Wasserglas. Ein goldenes Knöpfchen schmückt die blanke Hemdbrust, die ordentlichen Schleifen seiner Schnürstiefel hängen naiv.
„Was ich Ihnen zu sagen habe, ist so einfach, Sie werden enttäuscht sein — ich bin kein Zauberer!“
Und wirklich, es handelt sich um eine Methode, die sich ganz sachlich an Hand von Beispielen „aus dem Leben“ erklären lässt.
Also: Da ist erstens die Phantasie oder Einbildungskraft. Sie ist die Meisterin eurer Fähigkeiten, eurer Schicksale. Sie ist in direkter Beziehung zu eurem Unterbewusstsein, — o ja, seit Freud wissen wir alle, welch ein gefährliches Ding wir da mit uns tragen. Wie denn, gar nicht gefährlich, sondern sanft und gehorsam wie ein Kind, und nur misshandelt?
Ein Beispiel: Auf dem Boden liegt ein Brett, zehn Meter lang, fünfundzwanzig Zentimeter breit. Wir gehen darüber, ohne zu wanken, es ist leicht, sagen wir. Jetzt, dasselbe Brett in der Höhe einer Kathedrale. Warum ist nun schwer und fast unausführbar, was eben noch ein Kinderspiel war? Eure Einbildungskraft hat inzwischen dem Unterbewusstsein gesagt: Wir werden fallen. Wahrlich, ich sage Ihnen, nichts ist leicht oder schwer, es sei denn, unsere Einbildungskraft macht es dazu. Zweitens: Man lehrte euch die Macht des Willens. Gewiss, der Wille ist eine Kraft, aber, — und hier passt auf, diese Kraft, wenn sie im Kampf steht mit eurer Phantasie, wenn sie eine unglückliche Vorstellung, die ihr habt, „trotzdem“ überwinden will, so spaltet grade sie um so hoffnungsloser die Kluft zwischen Verlangen und Gelingen, denn die Einbildungskraft ist immer und ohne Ausnahme die stärkere von beiden.
Beispiele: Sie leiden an Schlaflosigkeit; je mehr Sie sich vornehmen einzuschlafen, umso verhängnisvoller wird Ihr Zustand. Sie zünden sich eine Zigarette an, während Sie sich schwören, nie wieder zu rauchen. Sie lernen das Radfahren, — je krampfhafter Sie Ihren Willen einsetzen, das Hindernis zu vermeiden, umso magnetischer zieht es Sie an.
Geben Sie Ihren optimistischen Vorstellungen freien Spielraum, schalten Sie den brutalen Willen aus, der sich als Überwinder gebärdet und auf Zweifel und Furcht aufgebaut ist, reinigen Sie durch einfache Autosuggestion Ihr Unterbewusstsein von den Schlacken einer trüben Weltanschauung.
Die muntere Stimme plätschert sanft, führt aus, erweitert, schränkt ein. Nichts Unmögliches wünschen, mahnt er, denn dann kann die Wirkung „natürlich“ nicht eintreten. Beine und Arme wachsen nicht nach, Nervenstörungen durch Verletzung des Gehirns sind nicht zu heben.
Eine beruhigende, Hoffnung weckende Suggestion geht von ihm aus. greift über auf das Häuflein Mühseliger und Beladener. Kein fanatischer Appell an Größe und Heroismus erschreckt, kein süßes Versprechen auf ein unsichtbares Himmelreich verführt die Sinne, kein genialer Blitz zerreißt die Nüchternheit dieser angewandten Vernunft.
„Heilen,“ fährt er fort, „ich heile nicht, habe weder Fluidum noch magnetische Kräfte — —“
Ein schmeichelhaft protestierendes Murmeln geht durch die Reihen der Hörer, wird von einer bescheidenen kleinen Verbeugung entgegengenommen: Nein, nein, das alles habe ich aufgegeben, nur lehren will ich Sie, sich selbst zu helfen. Meine Augen streifen über die Lauschenden hinweg zu den Zetteln an den Wänden: Das Institut für Seelenerziehung ist ein Werk der Wohltätigkeit, das über eigene Mittel verfügt. Es kann gratis wirken. Und daneben: Unsere Ausführungen entbinden den Kranken nicht von der Pflicht, seinen behandelnden Arzt weiter zu konsultieren.
Wahrlich, um auch die simpelste Wahrheit zu vertreten, muss man klug sein wie die Schlangen und sanftmütig wie eine Taube. Vielleicht, wenn wir erst alle gesund, heiter und erfolgreich geworden sind, wird es auch keinen Konkurrenzkampf mehr geben.
Herrn Coués Ausführungen sind zu Ende, die Demonstrationen beginnen. Ein junges Mädchen, auf einen Herrn gestützt, wankt am Stock. In der Wahl ihres Hutes, des bescheidenen Mäntelchens liegt ein Anflug von Koketterie. Sie ist keine Resignierte.
Gelenkrheumatismus seit acht Jahren. „Sie sollen nicht sagen: ich möchte, sondern ich werde gesund sein.“ Das liebe Mädchen gehorcht musterhaft den Anordnungen, die nun folgen, Hände vorstrecken und falten, vor sich hinsprechen: Ich kann sie nicht öffnen, ich kann nicht, kann nicht. — „Lauter, Mademoiselle, schneller“ und ins Publikum: „Da soll man eine Dame lehren, schnell zu sprechen.” „So, und nun können Sie —“ Knackend lösen sich die Gelenke. Eine nahe Nachbarin wird beauftragt, leicht über das steife Knie zu streichen, die Patientin selbst spricht dazu: Es geht vorüber, geht vorüber, geht vorüber! — Nun hebt sie wechselnd beide Knie, höher, schneller, den Boden stampfend im Takt.
„Mademoiselle, Sie können jetzt gehen, steigen Sie die Stufen hinab, nein, ohne Stock, sehen Sie, es geht.“
Wir sind beiseite gerückt, ein Gang liegt frei, sie geht. Hin und zurück und noch einmal. „So, nun können Sie laufen, laufen Sie, rennen Sie, nein, viel schneller noch, flink wie ein Kind.“ Wahrhaftig, sie rennt. Ein wenig verrostet, ein wenig künstlich. Begeisterter Beifall bricht aus den Reihen, Tränen stehen in trüben Augen, die Geheilte hat die Arme ausgestreckt. — „Nein, wehrt der strahlende Greis, — „man könnte sagen, ich habe Sie berührt. Sie allein haben sich geheilt, von nun an ist alles gut.“
Die Zweite, eine migränebehaftete Fünfzigerin, spürt keine Wirkung. Sie möchte die Einzelheiten ihres Spezialfalles erzählen. „Aber Madame,“ wehrt der erzürnte Heiland, „vertrauen Sie, und vor allem analysieren Sie nicht, sonst sind Sie verloren.“
Eine Frau aus dem Volk führt die Hand über den schmerzenden Magen im Rhythmus ihres Gesanges: Geht vorbei, geht vorbei. Es ist erschütternd, wir alle brechen in Gelächter aus. „Lachen Sie nicht,“ ruft der kleine Eiferer, „es ist viel lächerlicher, krank zu sein, als sich zu heilen.“
Ein Dienstmädchen im schiefen Hut hat einen Hexenschuss in den Schulterblättern, sie kann die Arme nicht heben. Nach einem Weilchen schwingen sie wie Mühlenflügel. Wir lachen wieder, diesmal stimmt der Meister mit ein.
„Wie, Madame, Sie hören nicht gut?“ Die Witwe im Kreppschleier nähert gespannte Augen den Lippen des Seelenarztes. „Ja,“ sagte sie schmerzlich, „ich bin taub.“ Als sie dann aber alles, auch das leise Geflüster aus der Saalecke versteht, überwältigt sie das Wunder, sie kreuzt die blassen Hände über der Brust, schlägt den blauen Blick nach oben: „Und ich, die verzweifelte —“
Wie beschwingt von der freudigen Bewegung der Zuhörer, fasst der kleine Alte noch einmal seine Leitsätze zusammen, schließlich gibt er uns ein Gebot. „Von heute an bis zum letzten Tag eures Lebens, jeden Morgen und Abend, im Einschlafen und Erwachen sagt es laut vor euch hin, zwanzigmal: „Jeden Tag in jedem Sinne geht es mir besser und besser.“
Hochrufe und Beifallsklatschen. Dankende drängen nach vorn. Ein blasses kleines Mädchen wird ihm zugeführt, strahlende Eltern bestätigen anhaltende Fortschritte. Eine alternde Russin...