Zweites Kapitel.
Führer auf dem Gebiet der Industrie – Erfinder und Produzenten.
»Le travail et la science sont désormais les maîtres du monde.« – de Salvandy.
»Man nehme alles hinweg, was Männer aus den unteren Ständen nur allein auf dem Gebiet der Erfindungen für England gethan, und man sehe zu, wie es dann dort ausschauen würde!« –
Arthur Helps
Einer der markiertesten Charakterzüge des englischen Volkes ist der gewerbliche Sinn, der sich scharf und deutlich in seiner Vergangenheit ausprägt und noch heute ebenso merkbar hervortritt als zu irgend einer früheren Zeit. Dieser dem englischen Bürgertum innewohnende Geist hat die industrielle Größe des Reiches gegründet und aufgebaut. Der mächtige Aufschwung der Nation ist hauptsächlich das Resultat der freien Kraftbethätigung der Individuen gewesen und hat auf der Anzahl der Hände und Geister beruht, die von Zeit zu Zeit darin beschäftigt gewesen sind – sei es als Bodenbebauer, Produzenten von Nutzartikeln, Erfinder von Gerätschaften und Maschinen – oder auch als Schriftsteller und Künstler.
Und indem dieser Geist des thätigen Gewerbefleißes das Lebensprincip der Nation ausgemacht hat: ist er auch gleichzeitig das Rettungs- und Heilmittel gewesen, welches von Zeit zu Zeit den Wirkungen der Irrtümer unserer Gesetze und der Unvollkommenheit unserer Verfassung entgegengearbeitet hat.
Die industrielle Richtung, in welcher die Nation beharrte, hat sich als ihr bestes Erziehungsmittel erwiesen. Wie für ein jedes Individuum, so ist auch für einen Staat die andauernde Beschäftigung mit der Arbeit die heilsamste Schule. Der ehrenhafte Fleiß ist ein Gefährte der Pflicht; und beide sind durch die Hand der Vorsehung eng mit dem Glück verbunden. Nach dem Wort des Dichters haben die Götter den Weg, der zu den elysäischen Gefilden führt, mit Arbeit und Mühe belegt. Sicherlich ist dem Menschen kein Brot so süß als das, welches er durch seine eigene körperliche oder geistige Arbeit gewinnt. Durch die Arbeit hat der Mensch sich die Erde unterthan gemacht und sich selbst aus den Banden der Barbarei befreit; auch ist kein Schritt in der Civilisation ohne dieselbe gemacht worden. Die Arbeit ist nicht nur eine Notwendigkeit und eine Pflicht, sondern auch ein Segen: nur der Träge empfindet sie als einen Fluch. Von der Pflicht rüstigen Schaffens reden die Sehnen und Muskeln unserer Glieder, der Mechanismus unserer Hand, sowie die Nerven und Zellen unseres Gehirns; und die Summe der gesunden Thätigkeit aller dieser Organe heißt Befriedigung und Freude. In der Schule der Arbeit erlernt man die beste praktische Weisheit; auch ist ein Leben voll körperlicher Beschäftigung durchaus nicht unverträglich mit hoher geistiger Bildung, wie wir später sehen werden.
Hugh Miller, der so gut wie kaum ein anderer die Vorteile und Nachteile des Arbeiterloses kannte, konstatierte als das Resultat seiner Erfahrungen, daß auch die schwerste Arbeit Vergnügen gewährt und ein Mittel der Selbstvervollkommnung ist. Seiner Ansicht nach ist die ehrliche Arbeit der beste Lehrmeister und ihre Schule die beste aller Schulen – mit Ausnahme derer, welche die christliche Religion lehren – denn in der Schule der Arbeit erwirbt man die Fähigkeit, sich nützlich zu machen, gewinnt den Geist der Unabhängigkeit und eignet sich die Gewohnheit ausdauernder Anstrengung an. Er war sogar der Meinung, daß die technische Ausbildung des Arbeiters, welche vermittelst der täglichen Beschäftigung mit wirklichen und praktischen Dingen die Beobachtungsgabe schärft und gründliche Lebenserfahrung verleiht, denselben besser für die Lebensreise ausrüste und seiner männlichen Entwicklung – emphatisch gesprochen – zuträglicher sei als die Erziehung zu irgend einem anderen Stande.
Die stattliche Zahl der von uns schon in der Kürze angeführten großen Männer, welche aus den Reihen der gewerblichen Klassen hervorgingen und doch auf den verschiedenartigsten Gebieten des Lebens – in der Wissenschaft, dem Handel, der Litteratur und Kunst – sich Ruhm erwarben, beweist auf alle Fälle, daß die durch Armut und Arbeit bedingten Schwierigkeiten nicht unüberwindlich sind. Was die großen Entdeckungen und Erfindungen anbetrifft, die der Nation so viel Macht und Wohlstand verschafften, so ist es unzweifelhaft, daß wir den größten Teil derselben Männern aus dem niedrigsten Stande verdanken. Wenn wir alles entfernen wollten, was gerade sie in dieser besonderen Richtung geleistet, so würden wir wenig übrig behalten, was andere gethan.
Die Erfinder haben einige der größten Industrien der Welt ins Leben gerufen. Ihnen verdankt die Gesellschaft viele ihrer hauptsächlichsten Nutzgegenstände, Annehmlichkeiten und Luxusartikel; durch ihr Genie und ihre Arbeit ist das tägliche Leben in jeder Beziehung leichter und erfreulicher geworden. Unsere Nahrung und Kleidung; die Einrichtung unserer Häuser; das Glas, welches das Licht in unsere Wohnräume einläßt und gleichzeitig die Kälte ausschließt; das Gas, welches unsere Straßen erleuchtet; unsere Verkehrsmittel zu Wasser und zu Lande; die Werkzeuge, vermittelst deren unsere verschiedenen Bedarfs- und Luxusartikel verfertigt werden: sie alle sind das Resultat der Arbeit und Erfindungsgabe vieler Männer und Geister. Die Menschheit, als ein Ganzes betrachtet, wird durch solche Erfindungen glücklicher gemacht und erntet täglich die Früchte derselben in einer Zunahme des individuellen wie auch allgemeinen Wohlbehagens.
Obwohl die Erfindung der Dampfmaschine – der Königin aller Maschinen – im relativen Sinne unserer gegenwärtigen Zeit angehört, so entstand der Gedanke derselben doch schon vor vielen Jahrhunderten. Gleich anderen Erfindungen und Entdeckungen kam sie stufenweise zustande, indem immer der eine die Resultate seiner damals nutzlos erscheinenden Arbeit dem anderen als seinem Nachfolger überlieferte, der sie aufnahm und bis zu einer höheren Stufe weiterführte – sodaß die Reihenfolge der Versuche sich über viele Generationen erstreckte. So ging der von Hero aus Alexandria ausgesprochene Gedanke nie ganz verloren; sondern gleich dem Weizenkorn in der Hand einer ägyptischen Mumie blieb er keimfähig und sproßte kräftig empor, sobald er in das volle Licht der modernen Wissenschaft gerückt wurde. Die Dampfmaschine blieb aber unbrauchbar, bis sie aus dem Bereich der Theorie in die Hände Praktischer Mechaniker überging; und jene wunderbare Maschine erzählt uns eine glorreiche Geschichte von geduldigen, mühevollen Untersuchungen; von sich auftürmenden? durch heroischen Fleiß überwundenen Schwierigkeiten. Wahrhaftig! sie stellt an sich ein Denkmal der Kraft männlicher Selbsthilfe dar. Um sie gruppieren sich Gestalten der Militäringenieur; Newcomen, der Grobschmied aus Dartmouth; der Glaser Cawley; Potter, der Heizerjunge; Smeaton, der Civilingenieur; und – alle überragend – der arbeitsame, geduldige, unermüdliche James Watt, der Verfertiger mathematischer Instrumente.
Watt war einer der fleißigsten Menschen. Die Geschichte seines Lebens beweist den durch alle Erfahrungen bestätigten Satz, daß nicht derjenige die größten Resultate erzielt, welcher das höchste Maß natürlicher Kraft und Begabung besitzt, sondern der, welcher seine Fähigkeiten mit dem größten Fleiß und der sorgfältigst geschulten Geschicklichkeit gebraucht – mit jener Geschicklichkeit, die man durch Arbeit, Übung und Erfahrung erwirbt. Viele Männer seiner Zeit wußten viel mehr als Watt, aber keiner war so emsig wie er beflissen, seine Kenntnisse praktisch nutzbar zu machen. Vor allem war er überaus beharrlich in der Feststellung von Thatsachen. Er übte sich eifrig in der Gewohnheit fleißigen Aufmerkens, auf welcher in der Hauptsache alle höhere Geistesthätigkeit beruht. Herr Edgeworth war sogar der Ansicht, daß die verschiedenartige geistige Begabung der Menschen mehr von einer rechtzeitigen oder versäumten Pflege dieser Gewohnheit des Aufmerkens, als von irgend einem Unterschied zwischen den Geisteskräften des einen und denen des anderen abhänge.
Schon als Knabe suchte Watt in seinem kindlichen Spiel Belehrung. Die Quadranten, welche in der Tischlerwerkstatt seines Vaters umherlagen, führten ihn zum Studium der Optik und der Astronomie; seine Kränklichkeit veranlaßte ihn, den Geheimnissen der Physiologie nachzuspüren, und seine einsamen Spaziergange durch die Felder zogen ihn zu dem Studium der Botanik und Geschichte hin. Während er sich mit der Verfertigung mathematischer Instrumente beschäftigte, erhielt er den Auftrag, eine Orgel zu bauen; und ohne musikalisches Gehör begann er die Gesetze der Harmonie zu studieren, und konstruierte das Instrument ohne Fehler. Und ebenso unternahm er es – als man ihm das kleine, der Universität Glasgow gehörige Modell der Newcomenschen Dampfmaschine zur Reparatur übergab – sich mit allem vertraut zu machen, was man damals über die Hitze, die Expansion und Kondensation des Dampfes wußte; dabei setzte er gleichzeitig seine Forschungen auf dem Gebiet der Mechanik und des Maschinenbaues fort und legte deren Resultate endlich in dem von ihm erfundenen Kondensator nieder.
Zehn Jahre lang war er unausgesetzt damit beschäftigt, zu grübeln und zu erfinden – mit geringer Hoffnung auf beglückenden Erfolg und wenigen Freunden, die ihn in seinem Streben bestärkten. Mittlerweile fuhr er, um den Unterhalt für seine Familie zu erwerben, damit fort, Quadranten anzufertigen und zu verkaufen: Geigen, Flöten und andere Musikinstrumente herzustellen und zu reparieren; Häuser zu taxieren; Straßen zu vermessen; den Bau von Kanälen zu leiten – kurz, alles zu thun, was Vorteil brachte oder...