1. SITUATION – Heben Sie Ihre verborgenen Schätze
Sammeln Sie Offizielles und Offensichtliches
»Wenn dir der Weg, auf dem du gehst, nicht gefällt, beginne einen neuen zu pflastern.«
Dolly Parton
Beginnen wir mit einer Bestandsaufnahme. Wenn Ihnen das zu bieder klingt, können wir auch sagen: Inventur. Das ist dieser Tag, an dem früher die Kaufhäuser nur halbtags offen waren, weil gezählt wurde, was auf den Regalen, an den Kleiderstangen und im Lager lag. Aber was können Sie zählen – außer Geld, Kindern und Erbsen? Sie können Ihre bisherigen Geschichten erzählen: die ganz offiziellen, die Sie zum Teil ja sogar dokumentarisch belegen können. Und die anderen, Ihre inoffiziellen Geschichten, die Sie am liebsten verschweigen würden. Aber genau diese Geschichten sind interessant. Auch und gerade wenn Sie nicht – oder noch nicht – prominent sind. Ihren Geschichten, die Sie in sich tragen, Aufmerksamkeit zu schenken, kann ungeahnte Kräfte freisetzen und Sie weiter voranbringen als eine Summa-cum-laude-Promotionsurkunde.
Eine seriöse Unternehmensberatung beginnt mit einer Soll-und-Haben-Bestandsaufnahme, ein Arztbesuch mit einer Aufnahme der Beschwerden und der Krankengeschichte. Doch: Wenn Bestandsaufnahmen so sinnvoll sind, warum machen wir sie dann nicht regelmäßig? Tatsächlich sind wir unterwegs wie das ohne Navigationsgerät fahrende Pärchen, das sich im Großstadtverkehr verirrt. Er fragt nicht nach dem Weg, und sie will die Straßenkarte nicht lesen. Wir scheuen uns davor, genau festzustellen, wo wir uns tatsächlich befinden. Warum die Vermeidung? Weil Menschen sich selbst über neutrale Fakten Geschichten erzählen, mit denen sie sich auf dramatische Weise selbst quälen. Denn unser Gehirn ist so konstruiert, dass es sachliche und emotionale Informationen zusammen als Datenpakete in Form von Bildern und Geschichten ablegt. Dort lagern dann über Jahre angesammelte Storys, die nur auf das kleinste zusätzliche Byte warten, um hochzugehen. In den meisten Fällen fühlt sich das nicht gut an. Denn unsere Wahrnehmung und die blitzschnell aufgerufenen Assoziationen sind seit der Steinzeit für negative Ereignisse, mögliche Gefahren, sensibilisiert. Damit wir uns erschrecken und uns vor dem Säbelzahntiger ducken, selbst wenn es sich nur um unseren eigenen Schatten an der Wand handelt. Unsere Angstzentren haben noch nicht gelernt, dass der Adrenalin-und-Cortisol-Cocktail, mit dem sie uns so oft unnötigerweise versorgen, keine Hilfe, sondern laut Weltgesundheitsorganisation (WHO) sogar Risikofaktor Nummer eins für unsere Gesundheit ist: Stress. Es wäre Zeit für eine Evolution. Bis unser Gehirn sich einsichtig umgebaut hat und automatisch entspannter reagiert, müssten wir allerdings noch ein paar Jahrhunderte warten. Deshalb entscheiden wir uns lieber heute schon, selber mehr Verantwortung für unsere Geschichten und deren Verarbeitung zu übernehmen.
Abb. 1: Dreieck: Geschichte, Körper, Erfahrungen – Ihre Einzigartigkeit
Ausgangspunkt: Ihre mobile Immobilie
Welche stichhaltigen Argumente gibt es für die Einzigartigkeit eines jeden Menschen? Fingerabdruck, die unverwechselbare DNA und die individuelle Stimme sind Merkmale. Diese selbst kriminalwissenschaftlich relevanten Details sind alle körperlich.
Wo bleibt denn da die entzückend individuelle Seele, der hochoriginelle Geist? Können Sie die oder den – unabhängig von Glaubensfragen – beweisen? Schwierig, was? Émile Durkheim, ein französischer Soziologe und Ethnologe aus der Zeit der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert, hatte einen interessanten Gedanken4: Es sei der Körper – dazu zählte er neben den Sinnen auch die Bedürfnisse –, der den Menschen individualisiere. Die Seele hingegen sei der Vernunft zugeordnet. Die Vernunft an sich sei etwas Unpersönliches, denn es gebe nur eine allgemeine menschliche Vernunft. Hiermit begründet Durkheim den Verdacht der Kriminaltechniker: Wir kommen der Einzigartigkeit über den Körper näher. Seele und Vernunft sind auf Anpassung, wenn nicht sogar auf Verschleierung dieser Individualität bedacht. Wenn Sie in den Spiegel schauen, sehen Sie dieses Einzigartige.
Beginnen wir also bei unserer Bestandsaufnahme mit unserem Körper. Was wissen wir über ihn? Er hat sich aus zwei Keimzellen entwickelt. Ihre Mutter hatte, als sie auf die Welt kam, ca. 40 000 Stück,5 die sich schon mit Beginn der Pubertät drastisch auf 20 000 Stück reduziert hatten. Von diesen konnten sich letztlich nicht einmal 500 zur »Sprungreife« qualifizieren. Nämlich nur die 12 x 36, die innerhalb der fruchtbaren Jahre von etwa 14 bis 50 überhaupt auf die Reise vom Eierstock zur Gebärmutter geschickt wurden. Sie, liebe Leserin, lieber Leser, hatten, evolutionstechnisch gesehen, das Riesenglück, dass genau diese Keimzelle die Hälfte Ihres Ursprungsmaterials ausmacht. Dann traf dieses spezielle Ei auf einen weiteren Gewinner: die männliche Samenzelle, der es gelang, sich unter etwa 250 000 anderen durchzusetzen, die gleichzeitig auf dieses eine Ei angesetzt waren, die es schaffte, sich mit seinem Kopf in die Eizelle zu bohren und damit Ihr einzigartiges Leben zu beginnen. Hinter Ihnen liegt also von Anfang an eine Riesenleistung. Sie haben sich im schwierigsten Assessment-Center der Welt durchgesetzt.
Vom Zeitpunkt Ihrer Geburt an bewohnen Sie für maximal 110 Jahre Ihren Körper. Danach ist Feierabend, den Sie ganz nach Ihren religiösen oder spirituellen Vorstellungen gestalten dürfen. Sie können Ihren Körper also als Ihr Kapital sehen oder als Tempel oder als prächtigen Mietwagen. Seine Einzigartigkeit ist auch mit Ihrem Geist verbunden. Schließlich ist das Gehirn ein Teil des Körpers. Die Beschaffenheit Ihrer Nerven, Ihres Nervenkostüms, ist individuell. Die Nervenbahnen formen sich, wie Hirnforscher seit den 1990er-Jahren definitiv wissen, plastisch bis ins hohe Alter.6 Sie können also noch dazulernen! Gucken wir uns Ihren Körper deshalb genauer an.
Ihre äußere Haltung ist Ihre innere Haltung
»Anatomie ist Schicksal.«
Sigmund Freud
Wie bewegen Sie sich beim Gehen? Den Kopf vor, die Schultern hochgezogen, nach innen gerollt, um das versinkende Brustbein weiter zu schützen? Wie sitzen Sie vor dem Computer? Mit vorgeschobenem Kopf und kurzem Nacken wie eine Schildkröte oder ein Geier?
»Was hat das mit Selbstmarketing zu tun?«, fragen Sie. Ihr Körper ist das, was andere von Ihnen wahrnehmen. Er hält sich mit anderen Körpern in einem Raum auf und spricht dabei von Anfang an Bände. In nonverbaler Sprache, der Körpersprache. Gleich der »erste Eindruck« zählt. Selbst der teuerste Anzug kann am schlecht gehaltenen Körper einen erbärmlichen Eindruck machen. Und das markanteste Profil wirkt wenig markig, wenn der Kopf hängt.
Sind aufrechte Körper extravertierten Personen zuzuordnen? In der Osteopathie wird »introvertiert« und »extravertiert« tatsächlich auch auf Muskelgruppen bezogen. Nach einer Theorie von Godelieve Denys-Struyf 7 ist schon bei einem Baby an den Bewegungen zu erkennen, ob es introvertiert oder extravertiert ist: Bewegt es sich zur Umwelt hin, eher nach außen? Oder ist es auf sich bezogen, eher in Richtung seines Zentrums greifend? Natürlich ist eine Balance das Ideal, sich so flexibel zu bewegen, wie es die Situation erfordert. Doch es gibt, zumindest in dieser Theorie, anatomische Vorgaben, die jedem Menschen angeboren sind und von ihm seit der Kindheit vorgezogen werden.
Kombinieren wir diese Aussage mit den Kategorien »Enge« und »Weite«. Es scheint so, dass ein Mensch, der sich aufrecht und offen »nach außen rotiert« hält und bewegt, mehr Weite spürt. Und ein anderer, der sich tendenziell in sich zusammenkrümmt, mehr Enge empfindet. Der eine wirkt offener für die Beziehung zu anderen Menschen als der andere. Das Wort »Angst« entwickelte sich sprachgeschichtlich aus dem indogermanischen »anghu«, »beengend«. Kann es sein, dass eine Person, die anatomisch so geprägt ist, dass sie ihren Körper enger und nach innen gewendet hält, Angst verkörpert? Inwieweit diese Person selber diese Enge oder Angst spürt, sei dahingestellt. Doch es ist nachvollziehbar, dass jemand, der diese Körperhaltung beobachtet, den Eindruck gewinnen kann, diese Person habe Angst. Wir können, wie Paul Watzlawick sagt, nicht nicht kommunizieren. Unsere Körperhaltung kommuniziert unsere Haltung zur Welt.
Als Ritter von der ängstlichen Gestalt tun wir uns objektiv keinen Gefallen. Und das nicht nur in ästhetischer und gesundheitlicher Hinsicht. Gut, dass wir unsere äußere Haltung durch Übung verändern und die Fortschritte direkt sehen können. Mehr Weite, mehr Größe bedeuten mehr Raum. Nonverbale Kommunikation – und genau das ist Körpersprache – ist auf den Raum bezogen. Wenn ich Raum nun mit »Territorialität« übersetze, wird schon klarer, dass hier mögliches Konfliktpotenzial liegt. Wie viel Raum wollen und können Sie sich zugestehen und nehmen? Machen Sie sich klein oder groß?
Ich werde Sie in den folgenden Übungen gelegentlich auffordern zu visualisieren. Visualisieren bedeutet, dass Sie sich etwas vor Ihrem inneren Auge vorstellen. Lassen Sie die Worte also in sich wirken und zu Bildern werden.
(2) Übung: Erleben Sie Aufrichtung
Setzen Sie sich bitte auf einen Stuhl und machen Sie sich die Haltung bewusst, die Sie üblicherweise einnehmen. Wie fühlen Sie sich dabei? Eng oder weit?
Nun rücken Sie etwas in Richtung vordere Stuhlkante, richten Sie Ihre Wirbelsäule auf und legen Sie Ihre Hände entspannt auf Ihre...