Hinter den Kulissen – wie die Darmflora unsere Gesundheit beeinflusst
Die Verdauung wird wie ein meisterhaftes Opernstück in mehrere Akte gegliedert, an denen verschiedene Stars, egal ob in Neben-oder Hauptrolle, beteiligt sind. Diese Stars rotieren täglich auf Hochleistung, um das Bestmögliche für unseren Körper zu extrahieren. Daher ist es so wichtig, ihnen das richtige Futter zu geben, sie gesund zu erhalten und sie zu fördern. Die Aufführung beginnt mit einer Ouvertüre unserer Backenzähne und endet mit einem dramatischen Epilog.
Wie das alles im Detail funktioniert, kannst du nach und nach in den folgenden Kapiteln nachlesen. Ich wünsche dir von Herzen viele neue Erkenntnisse und Spaß beim Ausprobieren!
HOCH LEBE DER DARM! WAS DIE VERDAUUNG TÄGLICH FÜR UNS LEISTET
Egal, was wir essen oder trinken, die Nahrung passiert mehrere Etappen unseres Verdauungstraktes. Währenddessen werden daraus die wichtigsten Grundbausteine für unseren Organismus extrahiert und für lebenswichtige Funktionen bereitgestellt. Wie Puzzleteile können sie zusammengefügt werden: Zuckermoleküle, Aminosäuren und Fette.
Die Verdauung beginnt, sobald die Nahrung mit unserem Speichel in Kontakt tritt, danach geht die Fahrt wie auf einer Achterbahn durch die Windungen unseres Verdauungstraktes links und rechts abenteuerlich weiter.
GUT GEKAUT IST HALB VERDAUT!
Durch das Kauen nehmen wir den Geschmack des Essens wahr, dabei wird gleichzeitig die Speichelbildung angeregt. Schon hier beginnt die Verdauung, denn der Speichel enthält Enzyme, die bereits komplexe Kohlenhydrate spalten. Nachdem die Nahrung mit dem Speichel gründlich vermischt wurde, kann der Brei durch die Speiseröhre weitertransportiert werden. Der Transport ist allerdings keine Wasserrutschen-Fahrt, denn die Nahrung wird durch wellenartige Impulse portionsweise in den Magen gedrückt.
DER MAGEN, EIN ROTIERENDER MUSKEL
Die Verdauung der Kohlenhydrate, die bereits im Mund angefangen hat, ruht zunächst im Magen. Doch die Proteine werden hier aufgespalten. Die Konsistenz und die Zusammensetzung des Speisebreis entscheiden zudem über die Verweildauer im Magen, bevor es weiter in den Dünndarm geht. So bleiben zum Beispiel kohlenhydratreiche Mahlzeiten kürzer im Magen als eiweiß- und fettreiche. Bis zu drei Liter Magensaft werden hier täglich gebildet und sorgen für das Abtöten der Bakterien, um unseren Körper und Darm zu schützen.
NÄHRSTOFFPARTY IM DÜNNDARM
Die wichtigste Phase unserer Verdauung findet im Dünndarm statt, denn hier werden die Nährstoffe aufgenommen. Hier entscheidet sich, ob wir das, was wir essen, vertragen oder ob Intoleranzen und Allergien hervorgerufen werden. Auch hier zerlegen die Verdauungsenzyme sowie Verdauungssäfte der Galle und der Bauchspeicheldrüse die Bestandteile bis in die kleinsten Einzelteilchen, die von unseren Körperzellen aufgenommen und verwendet werden.
Die Verdauung läuft nicht bei allen Lebensmitteln gleich schnell. Haushaltszucker wird vergleichsweise viel schneller verdaut und ins Blut transportiert als komplexe Kohlenhydrate aus Vollkorn. Zucker ist ein wichtiger Rohstoff und Energielieferant, der bei übermäßigem Konsum als Glykogen in der Leber oder als Fett im Fettdepot gespeichert werden kann.
Auch Eiweiße und Fette werden im Dünndarm gespalten und resorbiert. Auch wenn Fette lange Zeit verpönt waren, sind sie dennoch wichtige und effiziente Stoffe. Eine Einheit Fett kann pro Gramm doppelt so viel Energie aufnehmen als eine Einheit Zucker oder Protein. Auch sind sie wichtig bei der Bildung von Hormonen. Fette werden über die Lymphe ins Blut transportiert. Die Proteine werden im Dünndarm ähnlich wie Zucker in die kleinsten Teilchen, die Aminosäuren, aufgespalten. Der Körper verwendet dann die für sich nützlichen Bausteine.
DAS GROSSE FINALE IM DICKDARM
Die unverdauten Bestandteile der Nahrung, wie zum Beispiel die löslichen Ballaststoffe, werden hier teilweise durch die Darmbakterien verstoffwechselt und als Nahrung genutzt. Der Dickdarm dickt den übrig gebliebenen Speisebrei ein – das bedeutet, dass ihm das Wasser entzogen wird –, und befördert ihn anschließend zum Ausgang.
DIE GEBURTSSTUNDE DER DARMFLORA
Als Babys wachsen wir wohlbehütet in der Gebärmutter heran, abgeschottet von Viren, Bakterien oder anderen schädlichen Umweltfaktoren. Alles, was zu uns als Nahrung oder Sauerstoff gelangt, wird von unserer Mutter gefiltert.
DAS STARTERSET ERHALTEN BABYS BEREITS VOR DER GEBURT
Noch vor kurzer Zeit galten das ungeborene Baby, die Fruchtblase und die Plazenta als keimfrei, doch neuerdings fanden die Forscher heraus, dass das Kind bereits vor der Geburt mit einem plazentaren Mikrobiom, das der Mundflora ähnelt, in Kontakt kommt und es somit mit einer Erstausstattung an Mikroorganismen versorgt wird.
WICHTIGE GRUNDBAUSTEINE FÜR DIE ZUKUNFT WERDEN WÄHREND DER GEBURT GELEGT
Nichtsdestotrotz ist die Geburt sowie der Erstkontakt mit der Mutter für die Erstbesiedlung entscheidend. Wenn sich das Kind durch den Geburtskanal schiebt, kommt es mit der Vaginal- und Darmflora der Mutter, Hautkeimen und auch Keimen des Krankenhauses in Kontakt und wird so mit nützlichen Bakterienpopulationen ausgestattet: Manche schützen vor Infektionen, manche schulen das Immunsystem und wieder andere dienen der Verdauung von Muttermilch.
DIE ENTWICKLUNG DER DARMFLORA — ABHÄNGIG VON VERSCHIEDENEN FAKTOREN
Es dauert insgesamt drei Jahre, bis sich die Darmflora vollständig entwickelt hat und wir ein Arsenal von Hunderten Bakteriensorten bilden. In dieser Zeit spielen verschiedene Faktoren eine Rolle, darunter zum Beispiel, wie wir auf die Welt gekommen sind (natürliche Geburt oder per Kaiserschnitt), ob und wie lange wir gestillt wurden, mit welchen Menschen wir in Kontakt gekommen sind, die Ernährung, unser Lebensstil, Krankheiten und Hobbys. All diese Faktoren entscheiden letztlich darüber, welche Bakterien sich durchsetzen und welche nicht.
DIE DARMFLORA, DER INDIVIDUELLE FINGERABDRUCK
Natürlich spielen auch Gene eine Rolle bei der Gesundheit und der Konstitution unseres Körpers, jedoch haben sie nach den bisherigen Erkenntnissen nichts mit der Bakterienzusammensetzung in unserem Darm zu tun. Das wird an eineiigen Zwillingen deutlich, die zwar dieselben Gene aufweisen, aber keine identische Mikrobiota. Jeder Mensch hat seinen ganz persönlichen bakteriellen „Fingerabdruck“.
WANN ENTWICKELN WIR UNVERTRÄGLICHKEITEN UND ALLERGIEN? ERSTE BEOBACHTUNGEN
Schon während der Schwangerschaft und im Säuglingsalter werden wir auf Unverträglichkeiten, Allergien, chronische Erkrankungen und auch deren Folgebeschwerden programmiert. Die ersten empirischen Beobachtungen wurden erst in den letzten Jahren wissenschaftlich untermauert, weitere Studien sind jedoch notwendig, um das komplizierte Konstrukt verstehen zu können.
DIE HÜTERIN UNSERER GESUNDHEIT — UNSERE MUTTER
Vieles wird uns von unserer Mutter während und nach der Schwangerschaft mitgegeben, denn so eng sind wir mit keinem anderen Menschen verbunden. Kein anderer Mensch prägt uns so wie unsere Mama. So beeinflussen ihr Gesundheitszustand, Stress oder andere Umwelteinflüsse, denen sie ausgeliefert ist, auch das heranwachsende Kind. Bereits im Mutterleib können die Grundlagen für Erkrankungen wie Adipositas, Herzerkrankungen oder Nahrungsmittelintoleranzen für das spätere Alter gelegt werden. Dabei spielen die Ernährung und Hormone der Mutter eine entscheidende Rolle. Eine Vielzahl von Befunden verdeutlicht beispielsweise, dass eine zu hohe Energiezufuhr der Mutter während der Schwangerschaft einen Einfluss auf das Geburtsgewicht des Kindes hat und in der Folge das Risiko für Übergewicht und Diabetes im späteren Leben erhöht. Daher ist Prävention nicht nur im Kindesalter wichtig, sondern beginnt bereits im Mutterleib und in den ersten Lebenswochen.
BESONDERE OBACHT BEI KAISERSCHNITTBABYS
Aktuell kommen circa 30 Prozent der Kinder in Deutschland per Kaiserschnitt auf die Welt. Das bedeutet: kein direkter Kontakt mit der Vaginal- und der Darmflora der Mutter. Zwar wird zumindest der Kontakt zu Hautkeimen der Mutter hergestellt, indem das Baby in die Arme der Mutter gereicht wird, allerdings haben schon vorher auch Krankenhauskeime und das Krankenhauspersonal Einfluss. Bei Kaiserschnittbabys dauert es gerade deshalb länger, eine normale Darmflora zu bilden. Das Risiko, krankenhausspezifische Keime einzufangen oder Allergien, Unverträglichkeiten, Asthma, Adipositas oder sogar Diabetes und multiple Sklerose zu entwickeln, ist höher als bei natürlich entbundenen Kindern. Natürlich hat man nicht immer die Entscheidung gegen eine Kaiserschnittgeburt in der Hand, und deshalb sollte man im Hinterkopf behalten, das Kind präventiv mikrobiologisch (zum Beispiel mit dem Einnehmen von Probiotika) oder je nach dem Ergebnis einer Stuhlanalyse individuell zu behandeln, um mögliche Risiken für spätere Intoleranzen und Allergien zu minimieren.
AUCH DAS STILLEN BEEINFLUSST DIE AUSBILDUNG UNSERER DARMWELT
Muttermilch kann so viel, sie hat all die wichtigen Nährstoffe und versorgt das Kind mit Bakterien und den ersten Immunzellen, die uns vor den bösen Bakterien und Viren beschützen. Sie kann das Gleichgewicht der Bakterien wiederherstellen und zum Positiven verschieben, sodass das Risiko für beispielsweise Unverträglichkeiten gesenkt werden kann. Ähnlichen Einfluss haben auch die Bifidobakterien der Muttermilch. Sie überleben das saure Milieu des Magens und siedeln sich im Dickdarm an, wo sie sich rasch vermehren. Sie sind insbesondere an der Entwicklung des...