Resilienz – Das macht Ihr Kind sicher, stark und mutig!
Jedes menschliche Wesen hat Anspruch auf eine Erziehung, die es fähig macht, in sich selbst zu ruhen.
Memoiren einer Idealistin, Malwida von Meysenbug (1816 – 1903)
Es gibt Kinder und Jugendliche, die unter außerordentlich schlechten Bedingungen, wie zum Beispiel Armut, Arbeitslosigkeit der Eltern oder Gewalterfahrungen, aufwachsen und sich entgegen aller Erwartung erstaunlich positiv und kompetent entwickeln. Was macht diese Kinder so stark? Was hält sie gesund? Was gibt ihnen die Kraft, nicht nur zu überleben, sondern sogar gestärkt aus solch schwierigen Lebensbedingungen hervorzugehen?
Mit diesen Fragen beschäftigt sich in jüngerer Zeit die sogenannte Resilienzforschung. Der Begriff »Resilienz« leitet sich vom englischen Wort »resilience« (Spannkraft, Elastizität) ab und bezeichnet die Fähigkeit, selbst in schwierigen Lebenskrisen und nach schweren Schicksalsschlägen wie ein Stehaufmännchen wieder auf die Beine zu kommen.
Resiliente Kinder und Jugendliche besitzen also eine Art »Schutzschirm der Seele« gegenüber biologischen, psychologischen und psychosozialen Entwicklungsrisiken. Die Herausforderungen des Lebens können ihnen einfach nicht so viel anhaben. Sie können mit belastenden Situationen wie zum Beispiel Misserfolgen, Unglücksfällen, Risikobedingungen oder auch traumatischen Erfahrungen auf eine Weise umgehen, dass sie an ihrer Person keinen Schaden nehmen und sich trotzdem gut entwickeln: Sie sind in der Lage, in schwierigen Zeiten auf persönliche Ressourcen und sozial vermittelte Kompetenzen zurückzugreifen.
Die Resilienzforschung hat dazu beigetragen, dass man die seelischen Schutzfaktoren heute besser kennt. Man weiß, was Kinder stark macht und wie man Kinder unterstützen kann, mit schwierigen Lebenssituationen besser fertigzuwerden. Das Konzept der Resilienz legt den Fokus erstmals auf die Bewältigung von Risikosituationen sowie auf die Fähigkeiten, die Ressourcen und die Stärken jedes einzelnen Kindes, ohne dabei Probleme zu ignorieren oder zu unterschätzen.
Wissenswertes zur Resilienzforschung
Die Widerstandsfähigkeit der Seele ist ein relativ neues Forschungsgebiet. Begonnen hat die Resilienzforschung auf der hawaiianischen Insel Kauai. Die amerikanische Entwicklungspsychologin Emmy E. Werner und ihre Kollegin Ruth Smith wollten untersuchen, wie sich schwierige Startbedingungen in der Kindheit auf das spätere Leben von Menschen auswirken. Im Rahmen der als »Kauai-Studie« bekannt gewordenen Untersuchung wurden 698 Kinder aus schwierigen Verhältnissen, die 1955 geboren wurden, von ihrer Geburt an über 40 Jahre hinweg wissenschaftlich begleitet und getestet. Die Untersuchung zeigte, dass ein Drittel der Kinder trotz erschwerter Bedingungen zu lebenstüchtigen Erwachsenen heranwuchs. Aus den Ergebnissen schloss man, dass seelische Schutzfaktoren existieren müssen.
Mittlerweile wurden zahlreiche weitere Studien ausgewertet, und im Vergleich zu früheren Ansätzen weiß man heute, dass:
Resilienz kein angeborenes Persönlichkeitsmerkmal ist, sondern im Verlauf der Entwicklung durch fördernde Kind-Umwelt-Interaktionen erlernt wird;
Resilienz mit der Zeit und unter verschiedenen Umständen variieren kann; kein Mensch ist immer gleich widerstandsfähig;
die Wurzeln für die Entwicklung von Resilienz einerseits in der Persönlichkeit des Menschen, andererseits in seiner Lebensumwelt liegen.
Kinder können also zu einem bestimmten Zeitpunkt resilient, zu einem späteren Zeitpunkt allerdings auch verletzbar sein. Ausschlaggebend dafür dürften die Entwicklungsübergänge sein. Das sind Phasen im Leben von Kindern, die sie bewältigen müssen, wenn sie vom Kind zum Erwachsenen reifen. In diesen Übergängen sind Kinder besonders verletzbar, weil sie mit völlig neuen Entwicklungsaufgaben konfrontiert werden. Beispiele für solche sensiblen Abschnitte sind der Übergang vom Kindergarten in die Grundschule oder auch die Zeit der Pubertät. Während dieser Phasen können Risikobedingungen stärker auf das psychosoziale Funktionsniveau des einzelnen Kindes einwirken.
Die folgende Tabelle bietet eine kurze Orientierung über Entwicklungsübergänge und Entwicklungsaufgaben von Kindern. In der dritten Spalte werden Auffälligkeiten oder Schwierigkeiten angeführt, die auftreten können.
Resilienz umfasst nach heutigen Erkenntnissen ein hoch komplexes Zusammenspiel sowohl aus Merkmalen des Kindes als auch seiner Lebensumwelt. Die Wurzeln für die Entstehung von Resilienz liegen in besonderen schützenden Faktoren innerhalb oder außerhalb des Kindes.
Kompakt zusammengefasst kann man sagen, dass resiliente Kinder folgende Fähigkeiten und Kompetenzen aufweisen:
Sie haben ein sicheres Bindungsverhalten.
Sie rechnen mit dem Erfolg eigener Handlungen.
Sie sind zuversichtlich und optimistisch.
Sie gehen Problemsituationen aktiv an.
Sie nutzen eigene Ressourcen effektiv aus.
Sie glauben an eigene Kontrollmöglichkeiten, erkennen aber auch realistisch, wenn etwas für sie unbeeinflussbar, das heißt außerhalb ihrer Kontrolle, ist.
Sie können sich selbst motivieren.
Sie weisen eine hohe Sozialkompetenz auf (Empathie, Kooperationsfähigkeit).
Sie übernehmen Verantwortung.
Sie bewältigen schwierige Situationen aktiv und flexibel; sie holen sich soziale Unterstützung, wenn sie diese benötigen; sie können sich entspannen.
Sie besitzen Talente, Interessen und Hobbys.
All diese Fähigkeiten und Kompetenzen tragen dazu bei, dass Stressereignisse und Problemsituationen von den betroffenen Menschen weniger als Belastung, sondern vielmehr als Herausforderung wahrgenommen werden. Dadurch werden mehr aktiv-problemorientierte und weniger passiv-vermeidende Bewältigungsstrategien angeregt. Und dies führt wiederum dazu, dass sich diese Kinder ihrem Schicksal nicht hilflos ausgeliefert fühlen und sich dem Gegenwind des Lebens stark und sicher entgegenstellen.
Schutzfaktoren – Was Kinder resilient werden lässt
In der Resilienzforschung werden drei wichtige Kategorien von Schutzfaktoren genannt:
Persönliche Merkmale
Eine freundliche, aufgeschlossene, positive und herzliche Grundstimmung, die bei Bezugspersonen eine ähnlich positive Reaktion auslöst
Ein sicheres Bindungsverhalten zumindest zu einem Familienmitglied
Eine hohe »Effizienzerwartung«, die Menschen mit Behinderung zur Bewältigung von Aufgabenstellungen motiviert
Ein realistischer Umgang mit Situationen und deren Problematik, verbunden mit gut handhabbaren Gefühlen von Verantwortung und Schuld
Durchschnittliche bis überdurchschnittliche Fähigkeiten und hohe soziale Kompetenzen, insbesondere Empathie und Fähigkeiten zum Lösen von Konflikten, aber auch zum Auslösen von sozialer Unterstützung durch die Bereitschaft der »Selbstenthüllung«
Ein hohes Maß an Selbstwertgefühl und Selbstvertrauen
Schützende Faktoren in der Familie
Eine verlässliche primäre Bezugsperson
Ein Erziehungsstil, der Risikoübernahme und Unabhängigkeit möglich macht bzw. zum Ziel hat
Die Ermutigung, Gefühle auszudrücken, verbunden mit einer positiven Identifikationsfigur
Schützende Faktoren außerhalb der Familie
Stabile Freundschaften
Unterstützende Erwachsene, zum Beispiel Erzieherinnen und Erzieher, Lehrerinnen und Lehrer, Betreuerinnen und Betreuer
Eine erfreuliche und unterstützende Situation in Kindertageseinrichtungen und Schulen mit angemessenen Leistungsanforderungen, klaren und gerechten Regeln, der Übernahme von Verantwortung und vielfacher positiver Verstärkung von Leistung und Verhalten
Eine sensible Öffentlichkeit
Was brauchen Kinder von ihren Bezugspersonen?
Neben den Fähigkeiten des einzelnen Kindes tragen auch schützende Bedingungen in der Lebensumwelt des Kindes zur Entwicklung von Resilienz bei. Deshalb brauchen Kinder verlässliche Bezugspersonen, die ihnen auf dem Entwicklungsweg zur Seite stehen sowie Orientierung und Halt bieten. Nur durch äußere Vorbilder können sie innere Leitbilder entwickeln und lernen, dass es sowohl angenehme als auch unangenehme Erfahrungen im Leben gibt; diese Erfahrungen dienen dazu, sich Wissen, Fähigkeiten und Fertigkeiten anzueignen und sich weiterzuentwickeln.
Kinder brauchen im Wesentlichen:
eine stabile, emotional-positive Beziehung zu mindestens einer Bezugsperson, aufgrund derer das Kind ein sicheres Bindungsmuster entwickeln kann;
einen Erziehungsstil, der durch Wertschätzung und Akzeptanz dem Kind gegenüber sowie durch ein unterstützendes und strukturierendes Erziehungsverhalten gekennzeichnet ist;
kompetente und fürsorgliche Erwachsene außerhalb der Familie, die als positive Rollenmodelle dienen, Mut zusprechen und vorleben, wie man Krisensituationen im Alltag bewältigt, dafür bieten sich oft Großeltern, Freundinnen und Freunde sowie Lehrkräfte an;
positive Kontakte zu...