2 Resonanz - Was ziehe ich in mein Leben und was sagt mir das über mich?
Zu Beginn meiner Einführung sprach ich davon, dass die herkömmlichen, klassischen Therapien mich nicht zufriedenstellend gesunden lassen konnten. Sicher haben sie mir geholfen, runterzufahren und die ersten Schritte zu machen, aber nachhaltig helfen konnten die verhaltenstherapeutischen Sitzungen mir nicht. Für mich schien ein anderer Weg vorbestimmt – auch wenn ich heute manchmal denke, dass mir eine „einfach“ systemische Therapie vielleicht hätte helfen können, brauchte ich offensichtlich andere, ganzheitlichere Ansätze, die Körper, Geist und Seele in der Gesamtheit berücksichtigen und behandeln. Das Prinzip der systemischen Betrachtung ist aber tatsächlich eines der Standbeine dieser Behandlung, wenn auch vermutlich anders als in herkömmlichen Sitzungen angewandt. Es geht also immer auch um die Frage, was sich in meinem Familiensystem ereignet hat und was dies mit meinen aktuellen Erkrankungen zu tun hat. Vor diesem Blick in meine früheste Kindheit hatte ich immer Angst. Das war zu Beginn ein ziemliches Problem, denn ich befürchtete die schlimmsten Szenarien aufzudecken … hört und liest man ja immer wieder.
Ein weiteres Problem war, dass ich mich an meine Kindheit nur in minimalen Sequenzen erinnern konnte – woher sollte ich also wissen, was mich krank gemacht hatte?
Nach und nach habe ich verstanden, wie frühkindliche Traumatisierungen entstehen und wie sie sich auf Verhaltensstrategien auswirken. Ich lade dich ein, dir dazu den Ansatz von Andreas Winter3,2 anzusehen, der anschaulich verdeutlicht, wie Ereignisse in Schwangerschaft, Geburt und frühester Kindheit dazu beitragen, Traumata zu entwickeln, daraus Verhaltensmuster zu generieren und im späteren Leben mitunter schwer zu erkranken. Ich habe mich u.a. an diesem Ansatz orientiert. Dementsprechend wirst du einige Passagen in meinen Aufzeichnungen finden, in denen ich mich auf Winter beziehe.
Eine seiner prinzipiellen Aussagen, die ich uneingeschränkt teile und selbst immer wieder erfahre, ist, dass nur über das Verstehen eine Veränderung herbeigeführt werden kann – und damit fangen wir nun an.
Ohne den wissenschaftlichen Anspruch auf Vollständigkeit zu haben, werde ich dir nachfolgend einige Grundlagen vorstellen, die dazu beitragen können zu verstehen, warum dir heute immer wieder Menschen begegnen, die dich nerven oder verletzen oder du immer wieder mit körperlichen Symptomen zu tun hast. Dieses und die nächsten beiden Kapitel beschäftigen sich genau damit. Wie und warum ziehe ich Menschen und Ereignisse in mein Leben, was können diese mir über mich „verraten“ und wie kann ich dieses Wissen zur Gesundung nutzen?
Vorher möchte ich aber, weil mir diese Erkenntnisse beim Verstehen der Abläufe geholfen haben, kurz darauf eingehen, wie wir grundsätzlich ticken, also welche Bedingungen dazu beitragen, dass wir so sind wie wir sind. Die Umstände unserer eigenen Schwangerschaft, der Geburt und der ersten knapp drei Lebensjahre sind dabei prägend für die Entwicklung der Muster und Verhaltensweisen, die uns ausmachen. Aber auch die biologischen Gegebenheiten spielen eine Rolle. Damit meine ich nicht Körpergröße und Umfang, die Haarfarbe oder Nasenlänge, sondern das, was sich unter unserer Schädeldecke verbirgt. Hier also ein kleiner Blick in den Großrechner in unserem Kopf … und seinen Einfluss auf das, was unser Leben zu sein scheint.
Kennst du folgenden Text?
Gedanken, Worte und Werke
Achte auf Deine Gedanken, denn sie werden Worte.
Achte auf Deine Worte, denn sie werden Handlungen.
Achte auf Deine Handlungen, denn sie werden Gewohnheiten.
Achte auf Deine Gewohnheiten, denn sie werden Dein Charakter.
Achte auf Deinen Charakter, denn er wird Dein Schicksal.
(Aus dem Talmud)
Wir sind Schöpfer unserer Gedanken und Einstellungen. Wir schaffen damit unsere Realität mit allem, was sich zeigt.
Der Schlüssel der Veränderungen, die wir anstreben, liegt also nicht in den Handlungen oder Verhaltensmustern, sondern tatsächlich in den Gedanken, die ihnen zugrunde liegen.
Klingt jetzt so, als wäre es ein Kinderspiel: Gedanken enttarnen, rausschmeißen und schon kann’s losgehen, das neue Leben. Ganz so simpel ist es dann aber doch nicht … Der Klick im Kopf muss schon eine ordentliche Welle verursachen (nicht außen, sondern innen) …
In einer Dokumentation6 über die Funktionsweisens und Leistungen unseres Gehirns habe ich die nötigen Erklärungen dazu bekommen, warum es eben nicht einfach mal so funktioniert, alte Muster abzulegen und neue Wege zu definieren und sie dann wirklich zu beschreiten, auch wenn man es sich noch so fest vornimmt. Ich will einige der dort gemachten Aussagen hier deshalb in Stichpunkten wiedergeben und lege dir ans Herz, dir bei Interesse die Dokumentation selber anzuschauen. Lohnt sich in jedem Fall, wie ich finde.
Wie unser Gehirn „tickt“:
- 90% von allem, was wir tun, erledigt unser Gehirn, ohne dass wir das mitbekommen.
- Unsere „Realität“ entsteht zu 99% aus Gedächtnis (also aus Vergangenem), zu 1% aus neuen Sinneseindrücken und wird zu dem, was sich unser Gehirn daraus zusammenreimt.
- Unser Gehirn kann bis zu 11 Millionen Informationseinheiten gleichzeitig aufnehmen – nur 40 davon sind uns bewusst!
- Wir können die Bilder der Wirklichkeit so überschreiben, dass sie so aussehen, wie unser Gehirn denkt, dass sie aussehen müssen.
- Bei allem, was uns routinemäßig begegnet, funktionieren wir auf Autopilot – unser Gehirn entscheidet nur in Gefahrensituationen, unser Bewusstsein dazu zuschalten.
- Was von dem, was um uns herum passiert, wichtig und neu genug ist, um es bewusst wahrzunehmen, entscheidet unser Gehirn – ohne uns!
- Jede Erfahrung hinterlässt einen Abdruck und damit eine Erinnerung.
- Jede neue Erfahrung oder Begegnung wird in sekundenbruchteilen mit alten „Abdrücken“ verglichen, verallgemeinert und be- oder verurteilt.
- Was wir erinnern, bestimmt, was wir tun! Dabei haben das Angst- und Panikzentrum und das Glücks- und Belohnungszentrum das erste und letzte Wort, ohne dass unser Bewusstsein zugeschaltet wäre.
- Je stärker das Gefühl zu einer Erfahrung, desto müheloser die Erinnerung.
- Bevor wir auch nur darüber nachdenken, einen Entschluss fassen zu wollen, hat unser Gehirn längst entschieden, was gut und richtig, was schlecht und falsch ist.
- Unser Gehirn ist darauf ausgerichtet, überall Zusammenhänge herzustellen, selbst wenn es diese gar nicht gibt (Reiz-Reaktionsverknüpfung).
- Wir sind Marionetten in den Händen unseres Unbewussten.
- Wenn wir neue Gedanken denken und neue Dinge tun, dann nur, weil unser Unbewusstes die Entscheidung, dass es an der Zeit ist, eben genau das zu tun, schon lange vorher getroffen hat.
- Unser Verstand hat nur minimalen Einfluss auf das, was wir sind und tun – das macht es so schwer, von Routinen abzuweichen.
- Wenn wir in der Routine stecken, also „Experte“ für bestimmte Abläufe geworden sind, versuchen wir unsere Probleme immer nach diesem Muster zu lösen. „Expertentum“ verhindert also Veränderung und kreative Lösungsversuche.
- Unser Bewusstsein kann unbewusste Entscheidungen nicht zurückverfolgen. Es kann nur dagegen andenken.
- Unser Gehirn ändert sich mit jeder neuen Erfahrung (das hat mich echt getröstet).
Unser Gehirn ist also ein unglaublich leistungsfähiges, aber auch oder gerade deshalb ein selektierendes Organ.
Die meisten Prozesse im Gehirn laufen unbewusst ab. Es würde nicht nur zu viel Zeit und Energie verbrauchen, wenn wir Prozesse, die z.B. unser Überleben sichern helfen, bewusst steuern müssten. Es würde auch so viele Informationen beinhalten, dass wir sie gar nicht alle wahrnehmen bzw. lenken könnten, weil diese Menge an Reizen in der oft nötigen Geschwindigkeit gar nicht bewusst verarbeitet werden könnte.
Bewusstes Denken ist dafür zu langsam. Stell dir nur einmal vor, du müsstest deine Atmung bewusst regeln – das würde nicht funktionieren … d.h. vielleicht schon, aber dann würdest du nur atmen … Prozesse wie Herzschlag, Atmung, Regulierung der Körpertemperatur, Verdauung, unsere Reflexe – all das würde zusammenbrechen, müssten wir das bewusst begleiten. Aber auch eine Vielzahl der erlernten Reaktionen – Laufen, Gleichgewicht halten und Bewegungsabläufe, die wir oft wiederholen, (wie z.B. das Schalten beim Autofahren) laufen nicht bewusst ab, wenn sie oft genug wiederholt wurden. Nur so ist es möglich, dass wir beim Autofahren mit dem Beifahrer reden oder beim Treppe steigen gleichzeitig den Haustürschlüssel in der Handtasche suchen können, ohne Unfälle zu bauen oder zu fallen.
Wir lernen unser Leben lang … und die Prozesse, die wir oft wiederholen, werden irgendwann,...