Einführung
Über mich und über den Tanz der Liebe
Liebe Leserinnen und Leser,
mein Interesse an der Liebe erwachte bereits in der sechsten Klasse, als der intensive Blickwechsel mit meinem damaligen Schwarm mich so beschäftigte, dass ich nicht ein einziges Wort vom Unterricht mitbekam. Diese schöne Erfahrung war nur die erste, es folgten in meinem Leben viele weitere, sowohl glückliche als auch sehr schmerzhafte. Auch wenn es nicht immer leicht war, übte die Liebe immer eine große Faszination auf mich aus, sowohl privat als auch beruflich.
Deshalb sagte ich auch ohne einen Moment zu zögern zu, als mir im Jahre 2005 der Persönlichkeitsforscher Prof. Burghard Andresen anbot, mich wissenschaftlich mit der Beziehungspersönlichkeit zu beschäftigen. Ich forschte drei Jahre lang an der Frage, wie sich Menschen in ihrer Beziehungspersönlichkeit, also in ihren Sehnsüchten, Verhaltensweisen und Vorlieben in Bezug auf eine Partnerschaft unterscheiden und wie diese Unterschiede mit dem Glück in ihrer Partnerschaft zusammenhängen. Meine Ergebnisse waren spannend: Unter anderem errechnete ich eine »Glücksformel«, die fast die Hälfte des Glücks in einer Beziehung durch drei Eigenschaften erklären kann. Die Erkenntnisse meiner Doktorarbeit veröffentlichte ich in meinem Buch »Der Geheime Code der Liebe«, das seit seinem Erscheinen im Jahre 2011 viele Tausende Menschen erreicht hat. Damit kam ein Stein ins Rollen: In meiner verhaltenstherapeutischen Praxis meldeten sich immer mehr Menschen zu meinem speziellen Liebescoaching an, einige reisten dafür extra aus anderen Städten oder gar aus dem Ausland an. Ihr Leidensdruck war groß und sie wollten Antworten auf ihre Fragen finden: Warum suche ich mir immer die falschen Partner aus? Weshalb halten meine Beziehungen nicht? Wieso hat mein Partner sich von mir getrennt? Hat meine Beziehung noch Bestand – oder soll ich mich trennen? Oder: Wie gehe ich mit den Problemen in meiner Beziehung um?
Natürlich kamen zu mir als Therapeutin vor allem Menschen, die gerade an der Liebe litten oder die sich in unmögliche oder schädliche Beziehungen geflüchtet hatten, um nicht alleine zu sein. Die Gespräche mit ihnen zeigten mir die Schattenseiten der Liebe deutlich auf. Ich bekam vor Augen geführt, dass die Liebe manchmal wie ein heftiges Unwetter ist, das einen in Seenot bringt, und dass eine Trennung oft so erschütternd ist wie ein tragischer Unfall. Diese dunklen Seiten der Liebe sind mit dem Titel »SOS in der Liebe« gemeint. Ich habe mit meinen Patienten in Einzelgesprächen daran gearbeitet, dass sie stabiler wurden und klarer auf sich, ihre Beziehungspersönlichkeit und ihr Problem mit der Liebe oder ihrem Partner schauen konnten. Und vor allem ging es darum, dass sie einen Weg erarbeiten konnten, um sich aus ihrer Not zu befreien. Ich möchte die Erfahrungen, die ich bei der »Bergung« von Menschen gemacht habe, die an der Liebe litten, mit Ihnen als Leser teilen.
Warum ist die Liebe grundsätzlich ein so schwieriges Unterfangen? Diese Frage ist zentral in diesem Buch, und auf einem Spaziergang durch die Urgeschichte der Menschen, durch einen soziologischen Blick auf die Rahmenbedingungen der Ehe und Partnerschaft heute und einen Blick in das verliebte Gehirn sowie auf dessen Zustand kurz nach einer Trennung bekommen Sie Antworten darauf.
Anschließend gehen wir weiter zu den Fragen, mit denen Sie sich womöglich gerade aus aktuellem Anlass befassen: Hat das Leiden einen Sinn? Soll ich gehen oder bleiben? Und wenn ja, wie kann ich meine Beziehung verbessern, wenn ich bleibe? Oder: Wie trenne ich mich von meinem Partner, ohne unnötig Porzellan zu zerschlagen? Ich nenne Ihnen dann konkrete Maßnahmen, die Sie nach einer Trennung wieder auf die Beine bringen können, wie Sie mit Ihrem Expartner umgehen, und mache auch Vorschläge, wie Sie nach einer Trennung aufräumen oder was Sie zum Beispiel mit Ihrem Ehering anstellen können.
Es geht aber nicht nur um Notfälle, Trennungen und Katastrophen in der Liebe. Ich habe viel darüber nachgedacht, wie man trotz aller Widrigkeiten eine stabile Haltung der Liebe gegenüber einnehmen kann und sich mit Mut und Verstand auf sie einlassen kann. Diese Antwort gebe ich Ihnen im Kapitel »Wie der Tanz der Liebe doch noch gelingt« im Bild des leidenschaftlichen argentinischen Tangos: Lassen Sie sich überraschen – Sie sind herzlich eingeladen mitzutanzen.
Einleitung
Steffi feiert ihren 43. Geburtstag, ihre Familie ist versammelt. Auf dem festlich gedeckten Tisch stehen die Reste der Torte und kuchenverschmierte Teller. Ihr Vater, ihr Bruder und ihr 14-jähriger Sohn sind in den Garten verschwunden, die Frauen sind ganz unter sich. Es sind vier Generationen: Steffi, dazu ihre 88-jährige Großmutter Margarethe, die geistig nichts von ihrer Klarheit eingebüßt hat, und Ulla, Steffis 68jährige Mutter. Steffis Tochter Lene, 16, ist in ihrem Zimmer und hält auf Facebook Kontakt zu ihren Freunden.
Margarethe fragt ihre Enkelin Steffi: »Wie läuft es denn mit dir und Martin? Ist es wieder besser?«
Steffi: »Sieht gerade nicht gut aus. Ich weiß ehrlich gesagt nicht, wie lange ich das noch aushalte.«
Margarethe: »Du Arme, das tut mir wirklich leid für dich. Es ist auch ein Kreuz mit der Ehe.« Sie schüttelt den Kopf.
Da schaltet sich Ulla ein: »Das kann man so auch nicht sagen. Ich habe großes Glück gehabt, dass ich zwei Drittel meines Lebens mit Frank verbringen durfte.«
Die Frauen schweigen, denn vor drei Monaten ist Frank nach einem jahrelangen Kampf gegen seine Krebserkrankung gestorben, vier Jahre vor der goldenen Hochzeit. Ulla steht mit 68 Jahren zum ersten Mal in ihrem Leben ohne einen Mann an ihrer Seite da, und das macht ihr schwer zu schaffen.
Steffi: »Aber es ist doch Mist. Wenn man uns mal anschaut: Oma Margarethe stand jahrelang unter Opas Fuchtel, und sie war ständig in Aufregung wegen seiner Frauengeschichten. Ich bin verheiratet, aber Martin und ich leben nebeneinander her und wären wahrscheinlich ohne einander viel besser dran. Und du, Mama, warst immer das leuchtende Beispiel, und dann nimmt dir die Krankheit deinen Mann. Gerade jetzt, wo ihr so viel Zeit füreinander gehabt hättet.«
Margarethe mischt sich ein: »Ich habe es immer gesagt, auf die Liebe kann man nicht bauen.«
Ulla fragt: »Worauf soll man denn sonst bauen? Das frage ich mich gerade jeden Tag.«
Da kommt Lene rein, wirft sich ihre Lederjacke über die Schulter und sagt strahlend in die Runde: »Ciao, ihr Lieben, ich muss noch mal weg, macht es gut.«
Als Lene das Haus verlassen hat, zwinkern sich die Frauen zu, denn draußen hört man den Motor eines Motorrads aufheulen. Steffi sagt: »Ich wette, das ist Moritz, der auf sie wartet. Er ist der Schwarm aller Mädchen. Vor ein paar Wochen war es Frederic, und morgen sicher wieder ein anderer. Was wird die Kleine wohl alles noch erleben?«
Überlassen wir Steffi und ihre Familie ihrem Gespräch, wir werden ihnen im Buch immer wieder begegnen und noch mehr über sie erfahren. Beschäftigen wir uns damit, dass es so oder ähnlich wie in Steffis Familie in vielen Familien aussieht. Vier Generationen SOS in der Liebe! Die Liebe ist wirklich kein einfaches Spiel. Ich verspreche Ihnen jedoch, dass Sie in diesem Buch eine Antwort auf die Frage erhalten, wie man sein Leben glücklich ausrichten kann, gerade wenn es mit der Liebe oft so schwierig ist.
Ein Paradox der heutigen Zeit ist, dass sich mehr als 90 Prozent aller Männer und Frauen eine erfüllte Partnerschaft wünschen, dabei aber die Chancen für eine lebenslange Beziehung schlechter stehen als je zuvor. Schon Mitte der 1950er Jahre konstatierte der Psychoanalytiker Erich Fromm: »Es gibt kaum eine Aktivität, kaum ein Unterfangen, das mit so großen Hoffnungen und Erwartungen begonnen wird und das mit einer solchen Regelmäßigkeit fehlschlägt wie die Liebe.«1 Durchschnittlich gehen vier von zehn Ehen kaputt, und jedes Jahr lassen sich in Deutschland fast 190 000 Paare scheiden. Wie lange sie vorher unglücklich gewesen sind, ist nicht erfasst, ebenso wenig, wie viele Paare ohne Trauschein sich trennen oder wie viele Paare unglücklich zusammenbleiben, obwohl sie sich gerne trennen würden.
Wer sich die eigenen Liebeserfahrungen oder die seines Umfelds einmal unverblümt anschaut, erlebt den ernüchternden Kassensturz. Liebeskummer betrifft uns alle. Fast jeder hat in seinem Leben Phasen von Liebesleid ertragen müssen. Die persönliche Liebesbilanz vieler Menschen verhält sich so wie mein Girokonto zu Studentenzeiten: Es sah meistens schlecht aus und stand oft deutlich im Minus. Auf jede glückliche Liebe kommen einige deprimierende Liebeserfahrungen, die das Selbstwertgefühl des Betroffenen schwer anknacksen können und Narben hinterlassen. Viele Menschen sind deshalb von der Liebe so traumatisiert, dass sie sich kaum noch mit offenem Herzen und Vertrauen auf einen neuen Partner einlassen können.
Das Leid kann die unterschiedlichsten Formen annehmen: Akut ist es, wenn unser Partner uns betrügt, uns verletzt, uns abwertet oder uns sogar misshandelt oder uns nach einer langen Beziehung von einem Tag auf den anderen verlässt. Und es gibt den chronischen Schmerz, der aus einem Mangel entsteht: Mangel an Aufmerksamkeit und Zuwendung, Mangel an Leidenschaft, Mangel an Abwechslung. In solchen lieblosen Beziehungen fühlen wir uns wie lebendig begraben, als wären unsere Liebesgefühle und unsere Lebendigkeit in eine Kiste geräumt, die auf dem Dachboden verstaubt.
Die positiven Seiten und Phasen der Liebe erleben wir...