MOON VILLAGE 2069
Hallo beisammen und ein herzliches Dankeschön an unsere Zuschauer auf der Erde, im Weltraum und auf dem Mond dafür, dass Sie heute bei uns zu Gast sind. Ich bin Peter Ryan und werde hernach die Landung kommentieren.
Die Pegasus M-33 mit dem europäischen Präsidenten an Bord fliegt eben über dem lunaren Nordpol und ist – von der Erde aus gesehen – gerade hinter dem Horizont verschwunden. Sie wird jetzt etwa eine Stunde brauchen, um die Mondrückseite für ihre geplante Landung am „Moon Village“ zu umkreisen. Das liegt – wie wir alle wissen – am Südpol des Mondes. Es ist die erste Landung eines Spitzenpolitikers auf dem Mond. Und während wir auf dieses historische Ereignis warten, lassen Sie uns kurz einige der Schritte rekapitulieren, die uns hierher geführt haben.
In diesem Jahr begehen wir den hundertsten Jahrestag der historisch natürlich wesentlich bedeutsameren ersten Mondlandung von Neil Armstrong und Buzz Aldrin in ihrer Landefähre Eagle am 20. Juli 1969. Die Bilder, die Sie gerade sehen, wurden von den Astronauten gemacht, als sie ihren zerbrechlichen Lander nach unten in die Nähe des Mondäquators im Mare Tranquilitatis, dem Meer der Ruhe, steuerten. Das dritte Mannschaftsmitglied, Michael Collins, verblieb damals im Orbit im Kommandomodul, das sie später wieder zur Erde zurückbringen sollte.
Der Navigationscomputer des Lunar Lander löste während des Abstiegs zur Oberfläche zweimal einen Alarm aus, doch ein geistesgegenwärtiger Flugcontroller erkannte, dass das Problem nicht missionsgefährdend war und riet den Astronauten, die Landung fortzusetzen. Als sie sich dem Boden näherten, sah Armstrong, dass der Eagle in einen großen Krater hineinflog, dessen Boden mit zahlreichen Felsen übersät war. Sie hätten den Lander ernsthaft beschädigen können, wäre er darin gelandet und mit einem der Brocken kollidiert. Die unvermeidbare Ungenauigkeit ihrer primitiven Computer hatte sich mit den Unregelmäßigkeiten des lunaren Gravitationsfeldes kombiniert und ihr Raumfahrzeug vom Kurs abgebracht. Armstrong musste deshalb in der letzten Phase des Abstiegs die Handsteuerung übernehmen und flog den Eagle soweit darüber hinweg, bis er einen perfekten Landeplatz erreicht hatte.
Armstrong und Aldrin verbrachten über 21 Stunden auf der Oberfläche. Zweieinhalb Stunden davon außerhalb der Mondfähre. Die Bilder, die Sie hier sehen, wurden während dieser historischen ersten Mondexkursion aufgenommen. Sie sammelten Gesteinsproben für die Analysen daheim, bauten einige wissenschaftliche Experimente auf, erprobten verschiedene Methoden, sich in der lunaren Schwerkraft zu bewegen und beantworteten sogar einen Telefonanruf von US-Präsident Richard Nixon. Sie enthüllten außerdem eine kleine Plakette an der Landestufe ihres Schiffs, die nach ihrem Abflug auf der Oberfläche zurückblieb. Darauf standen die Worte: „Wir kamen in Frieden für die gesamte Menschheit“.
Und tatsächlich war die Menschheit von diesem Ereignis fasziniert. Über eine halbe Milliarde Menschen beobachteten ihre Exkursion an den Fernsehgeräten.
Aber die Pläne, die Mondexpeditionen weiterzuführen und eine permanente Basis zu errichten, blieben auf der Strecke. Nach nur sechs Landungen war das Apollo-Programm beendet. Der dritte Landeversuch mit Apollo 13 musste nach einer Explosion an Bord aufgegeben werden, und die Crew schaffte es nur knapp zur Erde zurück. Das machte jedem klar, wie gefährlich diese Mondflüge doch waren. Diese Lektion wurde noch verstärkt, als es 1972 zu einem heftigen Sonnensturm kam. Wäre zu diesem Zeitpunkt gerade eine Apollo zum Mond unterwegs gewesen, die Astronauten wären vermutlich den Strahlungstod gestorben.
Über ein halbes Jahrhundert unternahm danach niemand mehr eine Reise zum Erdtrabanten. Aber heute nun, einhundert Jahre nach der ersten wagemutigen Landung in diesem Lunar Module mit seinen papierdünnen Wänden, leben fünfzig Menschen gleichzeitig auf dem Mond. Die Geschichte, wie all die Hindernisse überwunden wurden, wie die wirtschaftlichen Probleme, die Fragen der Sicherheit und der Technologie gelöst wurden, damit die langersehnte Mondbasis endlich errichtet werden konnte, ist eine der großen Epen der Menschheitsgeschichte.
Aber jetzt zunächst einmal das Neueste von der Pegasus M-33 und ich sehe auf meinem Bildschirm, dass alle Systeme des Raumfahrzeugs normal funktionieren, während sich das Vehikel über der Mondrückseite von Norden nach Süden bewegt. Präsident Christiansson hat getweetet, dass er tief beeindruckt ist von der zerfurchten Kraterlandschaft, die nur 15 Kilometer unter ihm vorbeizieht. Er sagt wie sehr er sich darauf freut, die Bewohner von „Moon Village“ zu treffen und in weniger als einer Stunde persönlich die Mondoberfläche zu betreten.
Und damit zurück zu unserer Story. Wie sah nun der Finanzplan aus, um diesen neuen „Großen Schritt für die Menschheit“ dieses Mal ohne den Ansporn eines globalen kalten Krieges zu initiieren? Wie begegnete man den Gefahren durch technische Probleme und Sonnenstürme? Um diesen Teil der Geschichte aus seiner ganz persönlichen Sicht zu hören haben wir heute Frank Orley hier, den Chefkoordinator der ESA, der die Planungen der Europäischen Weltraumbehörde mit den kommerziellen Partnern abstimmt. Wie war das, Frank?
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Danke Peter und einen guten Tag an alle Zuschauer. Mein Name ist Frank Orley und meine Arbeit führt mich ins Herz der europäischen Raumfahrtindustrie, und hier vor allem in das „Moon Village“-Programm. Als diese Idee erstmals aufkam stand ich noch ganz am Anfang meiner Karriere. Der damalige ESA-Generaldirektor Jan Wörner hatte das Konzept erstmals Ende 2015 ins Gespräch gebracht. Der Gedanke war zwar sehr reizvoll, aber es gab auch eine Menge Skepsis. Sie erinnern sich: Die ESA war zu dieser Zeit noch nicht einmal in der Lage, ihre eigenen Astronauten mit eigenen Raumschiffen in den Orbit zu bringen. Sie musste sich dafür ganz auf die Unterstützung Russlands und der USA verlassen. Wie konnte da jemand daran denken, Astronauten noch über den Orbit hinaus, bis zum Mond, zu entsenden?
Zu diesem Zeitpunkt hatte die Internationale Raumstation noch eine verfügbare Lebensdauer von zehn Jahren und Jan Wörner wollte eine neue globale Vision für ein Nachfolgeprojekt ins Leben rufen. Er wollte die Debatte beleben und die Gedanken der Menschen auf ein inspirierendes neues Ziel fokussieren. Ein Ziel, zu dem verschiedene Länder entsprechend ihren jeweiligen Möglichkeiten beitragen konnten.
Unglücklicherweise kam diese Idee zur Zukunft der bemannten Raumfahrt bei den Europäischen Raumfahrtministern nicht besonders gut an. England hatte eben seinen berüchtigten „Brexit“ beschlossen und wollte die Europäische Union verlassen. Das Ergebnis war politische Instabilität und finanzielle Unsicherheit und es gab wilde Spekulationen über das Auseinanderfallen der gesamten Europäischen Union. Die europäischen Raumfahrtbudgets wurden gekürzt. Die Raumfahrtminister, die sich in diesem Dezember trafen, hatten wenig Interesse am Moon Village, und Europa schien von seiner üblichen Juniorpartnerrolle bei internationalen Programmen in einen noch unbedeutenderen Status abzurutschen.
In der Zwischenzeit machten die Amerikaner und die Russen fortwährend neue Pläne, nur um sie gleich wieder aufzugeben, als sie auf die finanziellen Realitäten trafen. Dasselbe passierte den Chinesen, als ihre Wirtschaft in Schwierigkeiten geriet. Und so sah es ganz danach aus, dass nichts von der Inspiration zu den verantwortlichen Fachministern durchdringen würde, die den Klingelbeutel verwalteten.
Der Schlüsselmoment kam, glaube ich, bei einer Konferenz im Frühjahr nach diesem enttäuschenden Ministerratstreffen. Um die Stimmung ein wenig aufzubessern hielt die ESA dieses Treffen in der Ägäis ab, an Bord des Kreuzfahrtschiffes Gaia. Die Chefin der Kreuzfahrtgesellschaft war interessiert und wurde mit eingeladen. So kam Dr. Leia Harland in das Team von „Moon Village“.
Leia Harland erkannte das Problem sofort: zu viel Vertrauen auf öffentliche Mittel, zu wenig Verlass auf gesunden Geschäftssinn. So begann sie, das Programm auf den richtigen Weg zu bringen. Wie können wir daran denken, Menschen zum Mond zu schicken, so fragte sie, während wir gleichzeitig die Raumstation aufgeben und die Menschheit damit keinen Zugang mehr zur niedrigen Erdumlaufbahn hat? Das wäre gerade so, als wenn Christoph Kolumbus versucht hätte, den Atlantik zu überqueren nachdem man zuvor alle europäischen Schiffe abgewrackt hätte, was ihn dazu gezwungen hätte, für diese eine Forschungsmission Spezialschiffe zu bauen.
Dank Leia Harland richtete die ESA ihre Blickrichtung jetzt neu aus. Eine neue Station für den niedrigen Erdorbit wurde gebaut. Man nutzte dabei die Erfahrungen mit Columbus und den anderen Modulen, die Teil der ISS gewesen waren. Dieses Mal wurden diese Einheiten aber von Anfang an für die schnelle Übergabe an kommerzielle Eigentümer ausgelegt, für wachsende Märkte in der Weltraum-Fertigung und für den Weltraum-Tourismus. Gleichzeitig wurde ein anderes Problem der ISS angegangen. Um eine Raumstation sinnvoll betreiben zu können, braucht man einen regelmäßigen, bezahlbaren Zugang dazu. Zur ISS flogen die Astronauten in Abständen von drei Monaten: Leia Harland zwang uns, in Maßstäben von einem Besuch alle drei Tage zu denken.
Die ESA wollte wie gewohnt die Konstruktion einer neuen Version ihrer Ariane Rakete in Auftrag geben, aber Leia Harland öffnete uns die Augen...