Erste Schritte
Jeder Mensch besitzt heilerische Gaben; aber nicht jeder nutzt sie für sich und andere.
Es ging auf das Ende des Jahres 2007 zu, und ich saß vor etwas mehr als fünfzig Menschen in Frankfurt, dazu angehalten, ihnen eine Einführung in das Thema spirituelle Entwicklung zu geben. Ich schien ganz ruhig und ausgeglichen, war jedoch in Wahrheit ziemlich aufgeregt und auch ängstlich. Ich fühlte mich, als ob ich im Teich meines eigenen Nervositätsschweißes zerschmelzen würde. Ich hätte mich allein schon dadurch sicher fühlen können, dass mein Lehrer Gordon Smith, dem ich bei diesem Kurs assistierte, an meiner Seite saß. Aber irgendwie machte mich das eher noch nervöser, weil es so aussah, als ob ich gleich zwei Hürden zu überwinden hätte. Es sollte das erste Mal sein, dass ich Kursteilnehmern frei aus mir heraus meine Sicht der spirituellen Entwicklung erklärte, und das zudem noch in der Gegenwart eines Mediums, dem es völlig leichtfällt, souverän vor bis zu tausend Menschen zu sprechen.
In mir flüsterte eine Stimme: »Wie bin ich eigentlich hierhergekommen?« Meine Kehle war trocken, und mein Mund fühlte sich innen wie Sandpapier an. Ja, wie war es dazu gekommen, dass ich hier quasi ganz allein vor fünfzig Menschen stand und einen kleinen Vortrag halten sollte? Es waren die merkwürdigsten zwei Jahre meines bisherigen Lebens gewesen, die zu diesem Augenblick geführt hatten. Es waren nur noch fünf Minuten, bis ich aufstehen und zu sprechen anfangen sollte – und trotzdem dachte ich nicht etwa darüber nach, was ich sagen sollte, sondern darüber, wie ich an diesen Punkt in meinem Leben gelangt war.
Seit meinem Vorhersagetraum und meinem Versuch, mediale Botschaften für meine Mutter und meine Schwestern zu bekommen, hatte ich Kurse besucht, um das weiterzuentwickeln, was ich als eine natürliche mediale und heilerische Fähigkeit kennengelernt und nun auch angenommen hatte. Auf diesem Weg gab es alles, von der Erhabenheit bis zur Lächerlichkeit.
Kurz nach den intuitiven Readings für meine Familie wurde ich einer Freundin einer meiner Schwestern vorgestellt: Annette. Sie arbeitete als Medium und würde mir vielleicht Hinweise für die Ausbildung meiner Talente geben können. Tatsächlich half sie mir über zwei Readings, die Dinge, die ich erlebt hatte, besser zu verstehen. Annette berichtete über meine Erfahrung mit Nan, ohne dass sie vorher davon wusste, und das beeindruckte mich sehr. Ich konnte ihr daraufhin wirklich vertrauen und auch besser akzeptieren, dass mir etwas ganz Besonderes geschehen war.
Annette gab mir Meditations-CDs und erklärte mir, wie ich sie nutzen und damit Kopf, Verstand und Gemüt so zur Ruhe bringen könnte, dass ich klarere Bilder über das erhalten würde, was auf mich zukam. Sie empfahl mir auch, alle seltsamen Träume oder Vorahnungen aufzuschreiben, damit ich Aufzeichnungen über Zeiten, Orte und Ereignisse hätte und überprüfen könne, was davon tatsächlich stattfinden würde.
Annette war das erste Medium, dem ich begegnete, und sie schien ganz normal zu sein, in keiner Weise ungewöhnlich. Sie war sehr hilfsbereit, aber ich spürte, dass mit mir mehr passierte, als sie erfassen konnte.
Vielleicht ist das eine angeborene Skepsis oder einfach meine Art zu denken, aber nach einer Weile konnte ich mir nicht helfen: Ich stellte alles wieder infrage. Ich überlegte, ob ich mir einfach nur alles zurechtgezimmert hatte und ob mir die Leute sagten, dass meine Bilder und »Botschaften« stimmen würden, weil sie mir etwas Gutes tun wollten. Doch auch mit diesen Gedanken, die in meinem Kopf herumschwirrten, wollte ich mehr wissen, genauer nachforschen und jemanden suchen, der noch mehr wüsste als Annette.
Ich wollte mehr über die Geistige Welt erfahren, warum ich ihre Gegenwart überhaupt fühlen konnte und wie es »funktioniert« hatte, dass ich meiner Mutter etwas sagen konnte, was ich nicht miterlebt hatte, was aber tatsächlich passiert war. War ich telepathisch veranlagt, oder gab mir ein Geistführer diese Informationen, oder war alles reiner Zufall?
»Das ist schon ein komisches altes Leben manchmal«, pflegte ich mir selbst aus Gewohnheit vorzusagen. Umso mehr dachte ich das, als ich bereit war, das Handtuch in den Ring zu werfen und meine Suche nach spirituellen Antworten abzubrechen. Denn einige Monate nach der Begegnung mit Annette fühlte ich mich, als ob ich gegen eine Wand gelaufen wäre. Auf der medialen Ebene rührte sich nicht viel, und ich hatte das Gefühl, als ob mich die Geistige Welt im Stich gelassen hätte.
Ein Teil von mir wollte gern glauben, dass es ein Leben nach dem Leben gibt, sodass Menschen wie Nan herkommen und sich mit uns austauschen könnten. In diesem Gedanken steckte für mich eine Menge Trost. Andererseits fand ich: Wenn eine Geistige Welt schon existierte und etwas in mir geöffnet hatte, dann sollte sie doch bitte auch weiter mit mir kommunizieren – was sie aber augenscheinlich nicht tat. Ich entschied daher: Wenn kein Hinweis darauf auftauchen würde, was ich als Nächstes tun sollte, dann würde ich die ganze Sache abschreiben und wieder normal weiterleben.
Dann kam eines Tages meine Mutter in mein Zimmer, und wie aus heiterem Himmel präsentierte sie mir eine Ausgabe der Psychic News, die sie in dem Fach gefunden hatte, in das eigentlich ihre Wochenzeitungen gesteckt wurden. »Die Psychic was?«, fragte ich. Ich war ziemlich erstaunt festzustellen, dass es offensichtlich eine Zeitschrift gab, die sich nur mit Berichten über die mediale Welt, Medien, besondere Phänomene, Botschaften aus der Geistigen Welt und so fort befasste.
Das war nun das Zeichen, auf das ich immer ungeduldiger und ungläubiger gewartet hatte. Es war wie eine Antwort auf mein stilles inneres »Ultimatum«, das ich in die unsichtbare Welt hinausgesandt hatte. Dieses kleine Magazin berichtete von Terminen und Ereignissen Spiritualistischer Kirchen überall im Vereinigten Königreich, gab persönliche Informationen von Medien bekannt und listete auf, wo sie welche Veranstaltungen anboten. Ich fühlte mich wie Harry Potter, der zum ersten Mal in die Welt der Magie eingeführt wurde. Noch merkwürdiger und »magischer« war allerdings, dass Psychic News in den Zeitungskasten meiner Mutter gesteckt worden war, wo sonst nur ihre abonnierten Wochenzeitungen lagen.
Aus dieser unerwarteten Begebenheit folgten zwei Dinge. Ich sah eine Anzeige für ein Medium, das zugleich als spiritueller Lehrer auftrat und nicht weit entfernt von mir wohnte, zudem bot es Privatunterricht für Anfängermedien an. Ich dachte, das sei gerade richtig für mich. Nach ein paar Besuchen dort merkte ich allerdings, dass mein Weg bei diesem Medium doch nicht weiterführte. Der zweite Hinweis war viel folgenreicher: Ich erfuhr zum ersten Mal davon, dass es in Stansted, Essex, das Arthur Findlay College mit Kursen und Ausbildungen für Sensitivität, Medialität und Geistheilung gab.
Das ist ein reguläres College, wo Teilnehmer ganz grundlegend und systematisch etwas über die Geistige Welt lernen und ihre Medialität sowie andere geistige Gaben weiterentwickeln können. »Das ist meins«, sagte ich zu mir selbst.
Ich meldete mich telefonisch an, fuhr dorthin, nicht mehr als eine Stunde von meinem Zuhause entfernt, und sah ein eindrucksvolles Herrenhaus. Hogwarts gerade vor meiner Haustür, sozusagen. Ich hatte einen Wochenkurs gebucht mit dem Titel »Medialität entwickeln«.
Mein Verstand war auf dem Weg zum Arthur Findlay College die ganze Zeit damit beschäftigt gewesen, wie es wohl sein würde, einer Menge von Lehrern zu begegnen, die tatsächlich Medien und Heiler waren, und ich versuchte mir vorzustellen, wie sie wohl aussehen würden. Gar nicht dran zu denken, wie wohl die vielen anderen Studenten sein würden, die auch darauf aus waren, mehr über ihre medialen Fähigkeiten zu entdecken.
Von dem großen herrlichen Gebäude, das sich vor mir aufbaute, war ich erst einmal schwer beeindruckt, als mein Taxi vor dem Eingang hielt. Das riesige lang gestreckte Haus erfüllte mich mit Ehrfurcht – und dann meldeten sich doch meine Nerven, und ich wollte schon dem Taxifahrer sagen, er solle mich zurück zum Bahnhof bringen. Denn mir fiel siedend heiß ein, dass ich dort mit den anderen Leuten tatsächlich sprechen und mich vorstellen müsste, dass ich vielleicht von einigen Erlebnissen würde erzählen müssen, die mich hierhergeführt hatten, und so weiter.
Aber es führte kein Weg mehr zurück. Ich war nun einmal da, und irgendeine Kraft in mir zwang mich, auch dort zu bleiben. Ich durchlief die Einschreibeprozedur, und obwohl alle anderen um mich herum doch ganz normal aussahen, hatte ich dennoch Befürchtungen und große Zweifel in mir, genauer gesagt in meiner Magengrube. Ich glaube, dass ich am ersten Tag gar nicht viel mehr als Ja und Nein gesagt habe, wenn mich Menschen ansprachen oder etwas fragten. Einerseits, weil ich noch nie vorher in einem solch großartigen Gebäude gewesen war und mit meinen Augen ständig die Umwelt »abscannte«, und andererseits, weil ich mich wie ein Fisch fühlte, der nicht mehr in seinem Wasser war.
An meinen ersten Tag am College erinnere ich mich nicht mehr sehr gut, aber während der folgenden Tage wurde ich doch gelassener. Ich ging...