3 Das Sprechen, die Stimme, der Körper
Das Wort »Sprachspiel « soll hier hervorheben, daß das Sprechen der Sprache ein Teil ist einer Tätigkeit oder einer Lebensform. (Wittgenstein, PU § 23)
3.1 Was bedeutet »Sprechen« in der psychotherapeutischen Praxis?
In der therapeutischen Sitzung sprechen wir und bedienen uns der Sprache (langue), die in gewisser Weise das Material liefert, aus dem der Sprecher auswählt, etwas ändert, hinzuerfindet, die er in seiner persönlichen Art nutzt (Parole). Unser zentrales Medium ist das Sprechen, die Rede, mit ihren Pausen, dem Schweigen.
Dabei richtet sich die Aufmerksamkeit nicht nur auf das, was gesprochen, gesagt oder nicht gesagt wird, sondern auch darauf, wie gesprochen wird – auf die Stimme – sowie besonders in der Kinderanalyse auch auf die Körpersprache, die Gestik und Mimik. Die Stimme ist einerseits Trägerin von Bedeutung, indem sie das gesprochene Wort transportiert, andererseits hat sie selbst Bedeutung. Was verrät uns ihr Klang, ihr Rhythmus? Sie ist dem Körper in der Entstehung zugehörig. Indem sie gehört wird, gehört sie nicht mehr zum Körper, nicht zum anderen, sondern stellt einen eigenen Raum an der Schnittstelle von biologischem und sozialem Leben her. Sie befindet sich, wie Mladen Dolar schreibt, an einem unmöglichen, ortlosen Ort (vgl. Dolar, 2014).
Für das Sprechen könnte man ein Spannungsfeld zwischen verschiedenen Polen skizzieren:
• Körper: Sprechen verlangt eine körperliche Aktivität – das Atmen, die Stimmbänder etc. – und wenn es einen anderen gibt, das Hören;
• Geist: Denken, die kognitive Komponente;
• Psyche: Als Ausdruck des bewussten und unbewussten seelischen Erlebens, von Affekten oder Triebhaftem mit prosodischen Elementen wie Intonation und Rhythmus sowie Versprecher, Mehrdeutigkeiten;
• Gesellschaft: Soziale Verständigung/Intersubjektivität, Orientierung auf ein gesellschaftliches System, den sozialen Code.
3.2 Stimme und Stimmung
Die Stimme, so (w-)ortlos sie sein mag, stellt sie doch etwas sehr Persönliches dar. Wie sonst könnten so viele Telefongespräche mit »Ich bin’s« beginnen, was sich nicht so sehr durch den auf dem Display erscheinenden Namen erklärt, sondern durch die Stimme, von der der Sprecher annimmt, dass sie als die seine erkannt wird. Sie enthält – so könnte man formulieren – den Klang des Affektiven, des Triebhaften, sie enthält eine Musik, eine jeweils eigene für den jeweiligen Moment und die jeweilige Person abgestimmte Tonart und sinnliche Eigenschaften. Die emotionale »Ge-stimmt-heit« lässt sich an der Stimme erkennen. Aufregung, Unsicherheit, Ärger verraten sich in ihr jenseits des verbalen Inhalts der Rede. Geringe Modulation und stimmliche Verflachung sind z. B. als Hinweis auf mögliche Depression und Entleerung innerhalb von Beziehungen wahrzunehmen.
Die Wahrnehmung des stimmlichen Ausdrucks kann insbesondere in der Arbeit mit Jugendlichen in passenden Momenten zur Verfügung gestellt werden: »Ich höre ein Seufzen, eine belegte Stimme, es könnte um etwas Trauriges gehen.« Oder: »Wenn du von der Person X sprichst, wird deine Stimme schroffer.« Dies ermöglicht häufig einen Zugang zu einem Sinn, der in den verbalen Ausführungen nicht erkennbar wird. Eine solche Bezugnahme auf die Stimme zeigt auch, dass etwas von der emotional an den Analytiker gerichteten Botschaft gehört und anerkannt wird, gerade weil das, was in der Stimme mitschwingt, nicht gesagt werden kann. Sie kann weniger kontrolliert werden als der Inhalt der Rede, (obwohl natürlich auch in dieser das Unbewusste an den Brüchen, den Rändern, in den Versprechern arbeitet, an denen nach Lacan das Subjekt auftaucht) vgl. »Die Stimme ist das Fleisch der Seele, ihre untilgbare Materialität« (Dolar, 2014, S. 97)
Welche Bedeutung die Stimme des Analytikers hat, ist z. B. Äußerungen von Patienten zu entnehmen wie »Ich wollte zu Ihnen kommen wegen Ihrer Stimme auf dem Anrufbeantworter«. Wenn auch medial vermittelt, weckt die Stimme einen Wunsch nach Kontakt mit diesem anderen. So wäre eine weitere Frage: Wie wirkt die Stimme des Therapeuten? Dazu gibt es einige Gedanken z. B. bei Daniel Stern ( Kap. 8).
Und was wäre die Stimme ohne das Zuhören?
Es ist möglich, sich selbst zuzuhören, die Stimme kann Gegenstand unserer eigenen Wahrnehmung sein. Das Singen ohne andere Zuhörer oder der Monolog scheinen der Stimme eine Position eines anderen zuzuweisen, mit dem das Ich im Austausch steht. Doch das Zuhören eines realen Anderen ist das eigentliche Pendant des Sprechens in der Kinderanalyse. Bernhard Pörksen und Schulz von Thun (2016a) unterscheiden das »Ich-Ohr« von dem »Du-Ohr«. Das Ich-Ohr höre auf den Grad der Übereinstimmung mit der eigenen Weltwahrnehmung, mit dem Du-Ohr tauche man in die Welt des anderen ein. Pörksen (2016b) schreibt: »Zuhören wird zum Auftakt echter Begegnungen«.
3.3 Sprechen – eine leibliche Geste4
Das, was das Sprechen (Parole) auszeichnet, sind der Klang, das leibliche Element, der biologische Vorgang sowie die Zwischenleiblichkeit nach Merleau-Ponty5 (Merleau-Ponty, 1994, S. 194). Dieser französische Philosoph hat mit seinen phänomenologischen Betrachtungen viele Impulse für die aktuellen Diskussionen in der Psychotherapie gegeben. Z. B. hat er Daniel Stern und die Boston Change Process Study Group beeinflusst ( Kap. 8). Wichtig in diesem Kontext ist seine Auffassung von einer unauflöslichen Verbindung zwischen Sprache und Körper. »Die Sprache ist Geste, ihre Bedeutung eine Welt.« (Merleau-Ponty, 2010. S. 218)
Die Stimme verleiht der Sprache Lebendigkeit, im direkten Kontakt unterstrichen von Mimik und Gestik, körperbezogenen Ausdrucksformen. Diese sind ebenso Ausdruck des Selbst wie Mittel der Gestaltung der Begegnung mit anderen. In der Arbeit mit Kindern nehmen diese nicht-bzw. paraverbalen Sprachen großen Raum ein.
»Der Körper ist insoweit Sprache, wie er Körper-in-Verbindung-mit-anderen ist.« (Küchenhoff, 2013, S. 46).
Das Körperbild entsteht aus den frühen Erfahrungen mit anderen, es wird nicht ohne zwischenmenschliche Erfahrungen, z. B. den frühen Berührungen, konstituiert. Diese soziale Funktion des Körpers lässt sich in der Kinderanalyse als »Sprache im Raum« verstehen: Welchen Abstand sucht das Kind zu mir? Welchen Platz im Raum wählt es? Wie erobert es den Raum? Bewegungen können als Mitteilungen gelesen werden. Im analytischen Raum entsteht eine »Zwischenleiblichkeit« (intercorporéité), wie der Philosoph Maurice Merleau-Ponty schreibt, eine Bezugnahme eines Leibes auf den anderen und die Welt (Merleau-Ponty, 2010, S. 224). Leib ist in der philosophischen Betrachtung der beseelte Körper, unsere Vorstellung vom Körper, begrifflich dem »Körperbild« in der Psychoanalyse nahe stehend. Bleibt das Kind z. B. im Erstkontakt auf der Schwelle zum Spielzimmer stehen? Stürmt es auf die Autos zu? »Es gibt eine präreflexive Intersubjektivität des Körpers.« (a. a. O., S. 48) Noch bevor ein bewusster Gedanke entsteht, gibt es bereits den leiblichen Bezug.
Ein besonderer Unterschied zur Arbeit mit Erwachsenen wird durch den Blick markiert. Tritt der Blick in einem Setting auf der Couch weitgehend in den Hintergrund, so ist er – bzw. dessen Vermeidung –in der Praxis mit Kindern und Jugendlichen selbstverständlicher Teil der Kommunikation.
3.4 Gehört die Stimme zur Sprache?
Wieweit ist die Stimme viel mehr Trägerin früher Einschreibungen als die tatsächlich verwendeten Wörter? Julia Kristeva, einer aus Bulgarien stammenden französischen Linguistin, Psychoanalytikerin und Schriftstellerin, zufolge sind in der Stimme die ganz frühen Beziehungserfahrungen gespeichert, so diejenigen, die der Erinnerung und dem Bewusstsein nicht zugänglich sind. Kristeva nennt dies die semiotische Sprachfunktion ( Kap.4.1). Sebastian Leikert (2007) spricht von der »kinetischen Semantik« (bzw. später der kinästhetischen Semantik), der Bedeutung tragenden Funktion der Stimme, die sich über den Körper als Resonanzboden vermittelt. Er misst der Stimme von der Sprache unterschiedene Bedeutungen bei, die sich in...