Andere überzeugen wollen
Die Dame, die da neben mir im Flugzeug saß, wollte reden. Sie schaute mich aufmunternd an, und ich begrüßte sie höflich. Ich hoffte, dass man mir meine Abneigung einem Gespräch gegenüber nicht ansah. Ich wollte sie schließlich nicht verletzen.
Wenn ich allein fliege, genieße ich die Stille und Ruhe auf so einem Elf-Stunden-Flug von Los Angeles nach Deutschland. Gott sei Dank in der Business Class, freue ich mich an jeder Minute, in der ich mich um nichts kümmern muss. Im Gegenteil, die wunderbaren Flugbegleiter der Lufthansa sorgen dafür, dass ich mit allem versorgt bin.
Ich hatte ein Buch dabei, ebenso meine Musik, und bereitete mich darauf vor, mich durch sämtliche deutschen Magazine durchzuschmökern. Von Spiegel über Stern, von Focus über Bunte, von Gala über Brigitte und sogar Cosmopolitan und GQ – man kann ja stets noch was dazulernen. Dabei stelle ich immer wieder fest, dass ich neunzig Prozent der porträtierten Menschen in Deutschland nicht mehr kenne. Sechzehn Jahre Amerika verwischen Spuren.
Doch an meinem gemütlichen Schmökern wurde ich durch die Sitznachbarin erst mal gehindert. Was ich denn so mache, wollte sie wissen, und ich zögerte mit der Antwort.
Noch vor Jahren wäre ich begeistert gewesen: ein weiteres Opfer! Natürlich hätte ich es nicht so genannt, aber dies wäre für mich wieder mal eine herrliche Gelegenheit gewesen, über mein Lieblingsthema »Gott« zu reden. Natürlich, war ich mir sicher, hatten da meine Engel ihre Hand im Spiel. Wahrscheinlich brauchte diese Frau Hilfe und hatte vielleicht sogar ihren Glauben verloren; und so wurde ich neben sie gesetzt, um ihr zu helfen.
Ich hätte ohne Punkt und Komma über Gott, Engel, spirituelles Wachstum, Visionquests (die Suche nach Visionen durch Naturerlebnisse) und heilige Pfeifen geredet, bis die Frau neben mir entweder begeistert gewesen wäre oder sich schleunigst hinter die Schlafbrille geflüchtet hätte.
Mich hatte damals, von 1993 an, sonst nichts mehr interessiert – meine Tochter mal ausgenommen. Ich kannte kein anderes Gesprächsthema, und ich hatte auch kaum mehr Freunde, deren Lebenszentrum nicht Gott war. Wer mit mir zusammen war – oder sich unglücklicherweise gerade in meiner Nähe befand -, wurde zwangsläufig überrannt. Zumindest bot ich eine Umarmung an, manchmal legte ich die Hand auf, gemeinsam wurde gebetet oder gelegentlich auch mal für zwanzig Minuten meditiert. Natürlich empfand ich mich überhaupt nicht als anstrengend oder stur. Diejenigen, die am anstrengendsten und stursten sind, sehen sich nie so. Selbstschutz, nehme ich an. Oder Blindheit. Ich wollte ja nur helfen! Die anderen werden mir eines Tages schon dankbar sein …
Obwohl ich auf Dankbarkeit nicht mal so aus war. Ich wollte einfach nur möglichst vielen Menschen das geben, was ich für mich gefunden hatte: eine Rückkehr zu Gott und damit einen besseren Weg zum Leben. Irgendwann einmal, so hoffte ich, wird das Samenkorn, das ich jetzt lege, seinen Weg ins Wachstum finden. Darin zumindest hatte ich ein gewisses Gottvertrauen.
Der Weg von der Begeisterung für ein bestimmtes Thema bis hin zur Besessenheit ist nicht sehr weit. Die Geschichte unseres Planeten ist voller Beispiele von Fanatikern. Natürlich war ich keiner! Selbstverständlich nicht! Ich war ja schließlich friedlich. Höflich. Freundlich. Normal.
Nun ja, was ist schon normal?
Natürlich entgingen mir nicht die immer weiter aufgerissenen Augen meiner Gegenüber, wenn ich mal wieder zu lange über mein Thema sprach. Mein damaliger Mann Richard, der mit Gott wenig anfangen konnte und mit meiner Besessenheit schon gleich gar nichts, schüttelte häufig genervt den Kopf.
Niemand, der irgendwie in meine Nähe kam, wurde verschont.
Ich betete mit Menschen, die nicht beten wollten.
Ich erklärte Leuten das Leben von Jesus, wie ich es sah, die es nicht erklärt haben wollten.
Ich erzählte von Channelings, früheren Leben und was diverse Krankheiten spirituell bedeuten, und der andere wollte nur wissen, ob man, wenn man rechts abbiegt, zum Bahnhof kommt.
Die Frau im Flugzeug neben mir fragte mich noch mal, was ich denn beruflich mache, und ich sagte ihr zögernd, dass ich Bücher über Spiritualität schreibe. Neugierig schaute sie mich an, und ich merkte, dass sie sich gedanklich ihren Fragenkatalog zurechtlegte.
Das hatte ich befürchtet. Ich begann mich unwohl zu fühlen. Jahrelang hatte es mir großen Spaß gemacht, über Gott zu reden oder über meine Bücher. Doch das ist nicht mehr so.
Ich erinnerte mich daran, wie ich vor ein paar Jahren beschlossen hatte, meine Belehrungen endlich abzulegen. Ich gewöhnte mir an, nur in kurzen Sätzen zu antworten. Früher benutzte ich jede Gelegenheit, um ohne Pause selbst auf die harmloseste Frage ewig lang und mit prall gefüllten Sätzen einzugehen. In meine Antworten schob ich geschickt weitere spirituelle Informationen hinein – natürlich immer ungefragt. Zum Beispiel erklärte ich auch gleich in diversen angefügten Halbsätzen, was der Sinn der Lebens ist, wie die Welt funktioniert oder warum Reinkarnation so wichtig ist. Wenn der andere nur den »Fehler« machte, sich irgendwie weiter interessiert zu geben (und ich nahm jedes auch noch so kleine Zeichen als höchstes Interesse wahr, selbst ein verzweifelt gemurmeltes »Hm«), fuhr ich mit meinen Ausführungen fort.
Später ermöglichten es meine kurzen Antworten dem Gesprächspartner hingegen, sich darüber klar zu werden, ob er denn wirklich mehr von mir hören wollte. Manche mochten es, manche mochten es nicht. Irgendwann gelang es mir, das einfach so hinzunehmen. Ohne Beurteilung, wie »weit« der andere denn spirituell sei.
So erwiderte ich auch die erste Frage meiner Nachbarin im Flugzeug (»Wie sind Sie denn dazu gekommen, Bücher über Spiritualität zu schreiben?«) mit einem kurzen »Durch Schmerzen«.
Ich konnte sofort sehen, dass sie mehr wissen wollte, deshalb gab ich auch zögernd die Antworten auf ihre nächsten Fragen.
Ich hatte sechs Monate zuvor endlich beschlossen, mir zum ersten Mal in meinem Erwachsenenleben eine zweijährige Arbeitspause zu gönnen, und wollte nicht über meine spirituelle Arbeit reden. Ich hatte es schon Tausende Male getan. Ich war in meinem Sabbatjahr und wollte über andere Dinge reden. So sagte ich es ihr einfach.
Sie war überrascht.
Ich war erleichtert.
»Das ist aber ungewöhnlich«, meinte sie nach einer kurzen Pause, »die meisten Leute, die sich mit Gott beschäftigen, sind immer ein bisschen – na, wie soll ich sagen? – belehrend«, fügte sie fast entschuldigend hinzu.
»Ja«, seufzte ich, »schrecklich. Da kannte ich auch mal eine …«
ERLEBNISSE
Meine Schwester Susanne Adlmüller gibt Energie-Ganzkörpermassagen, ist Dozentin an der Paracelsusschule, leitet Visionquests und Seminare, organisiert Touren für spirituelle Lehrer wie Samantha Khury (die mit Tieren kommuniziert) und Sharon Walker (Energiearbeiterin), weiterhin kümmert sie sich auch um unser Büro in München und arbeitet als Supervisorin im Castingbereich. Susanne ist vier Jahre jünger als ich, hat eine erwachsene, verheiratete Tochter, Beatrice, und wird jetzt bald Oma, worauf sie unsagbar stolz ist. Sie schreibt:
»Am Anfang war das Missionieren.
In der Zeit konnte man Sabrina nichts erzählen, ohne sofort den ultimativen Ratschlag zur Veränderung seines Lebens zu erhalten. Nicht, dass ich keine Ratschläge mag, aber immer, bei jeder Gelegenheit, hm … Das hielt sich am längsten.
›Der heilige Blick‹ oder ›Das selige Lächeln‹.
Das gehört auch zur Anfangsphase. Ein sanftes Lächeln im Gesicht mit einem Blick, dass man meinen konnte, die Heiligsprechung durch den Papst sei schon vollzogen worden.
Wenn Sabrina in München ist, wohnt sie bei mir; sie hat dort ein eigenes Zimmer, das sie auch selbst eingerichtet hat. Ich wohne in einem alten Bauernhof, den ich sehr liebe, der aber auch sehr hellhörig ist.
Ich bin bekennender Fernsehschauer. Mit Sabrina war es schwierig, fernzusehen.
Sobald etwas ansatzweise brutal war oder Action hatte, floh sie regelrecht aus dem Zimmer, und es hallte Meditationsmusik, bevorzugt von Enya, durchs Haus. Ich hab mir dann angewöhnt, mit Kopfhörern fernzusehen, denn jedes noch so kleine Geräusch von Action hatte die Folge, dass Sabrinas Stimme von oben den ultimativen Satz ›Kannst du leiser machen?‹ sprach. Andere Musik gab es bei ihr auch kaum mehr. Die Phase ist Gott sei Dank vorbei.
Essen und Trinken.
Sabrina in München bedeutete immer Coca-Cola und Spezi, Semmeln mit warmem Leberkäs, Hofpfisterei-Brot und Bierschinken. Das war immer so, bis die...