Benedikt von Kettler
Es ist kein Geheimnis, dass die (Unternehmens-)Welt sich in immer schnellerem Wandel befindet. Viele vorhandene Instrumente greifen nicht mehr, bewährte und neue Methoden stoßen immer schneller an ihre Grenzen. Das gilt für alle Unternehmensbereiche, ganz besonders aber für den Personalbereich.
Angesichts der vielfältigen Veränderungen und Herausforderungen, die die Wirtschaftswelt heute prägen, zeichnet sich eine Erkenntnis immer deutlicher ab: Menschen treten in einer wissens- und innovationsbasierten Wirtschaft in den Mittelpunkt der Wertschöpfung. Und damit wird es eine der wichtigsten Aufgabe von Unternehmen, diese Ressource vorausschauend, effektiv und effizient zu planen.
Die Folge ist, dass die Abteilung, die sich im Unternehmen mit den Menschen und ihrer Arbeitskraft, den Human Resources, befasst, eine immer wichtigere Rolle spielt: Sie ist zuständig für den Aspekt, der in Zukunft der entscheidende Faktor für den Erfolg einer Organisation sein wird.
Diese Tatsache ist Unternehmen auch durchaus bewusst. Der aktuelle Report des World Economic Forum (WEF) „The Future of Jobs Report“ weist aus, dass 56 % der Unternehmen weltweit bereits aufgrund der Digitalisierung planen, in die Requalifizierung ihrer Mitarbeiter zu investieren (Quelle: http://reports.weforum.org/future-of-jobs-2016/germany-2/; Zugriff: 22.8.2016).
Den Firmen ist gleichzeitig bewusst, dass das proaktive Management von personellem Auf-, Um- und Abbau nicht im Vorbeiflug zu leisten ist. Der gleiche Report zeigt, dass 74 % der Unternehmen glauben, dass Strategische Personalplanung zu einer der Hauptführungsaufgaben werden wird.
1.1 Drei Gründe, warum Unternehmen Strategische Personalplanung nicht (zufriedenstellend) angehen
Der Blick auf die Bedeutung des Faktors Mensch hat sich also in den letzten Jahren gewandelt. Und doch gibt es eine erhebliche Zahl an Firmen, die Strategische Personalplanung noch nicht eingeführt haben oder mit der Umsetzung und den Ergebnissen nicht zufrieden sind.
Wir haben uns die Gründe dafür genauer angesehen und sind dabei auf drei typische Muster gestoßen. Eines ist vorrangig auf oberster Führungsebene beheimatet, die beiden anderen stammen eher aus den Geschäftsbereichen.
1. „Die Planung kommt der Veränderungsgeschwindigkeit doch nicht hinterher.“
Das häufigste Argument, das vonseiten des Vorstands oder der Geschäftsführung zu hören ist, lautet: „Wir leben in einer Welt, die sich so schnell verändert, dass wir gar nicht über zwei Jahre hinaus planen können.“ Die typische Mittelfristplanung sei eh schon von drei auf zwei Jahre gesenkt worden, weil die Spannen immer kürzer würden.
Die Vorstände sagen: „Wir wissen gar nicht, ob wir nicht in zwei Jahren eine völlig andere Produktionswelt haben, ob wir völlig andere Produkte herstellen müssen, ob es nicht irgendwelche technologischen Durchbrüche gibt. Außerdem unterliegen wir als Unternehmen permanent so vielen Organisationsveränderungen, dass wir gar nicht wissen, wer dann wo sitzt und wer welche Verantwortlichkeiten innehaben wird.“
Diese Überzeugungen bündeln sich in der Aussage: „Der strategische Blick, der für solch eine Planung nötig wäre, den können wir gar nicht zuverlässig leisten.“
2. „Das ist uns viel zu aufwendig.“
Aus den Geschäfts- oder Fachbereichen kommt typischerweise folgende Klage: „HR versteht unser Geschäft zu wenig. Deshalb müssen wir so wahnsinnig viel erklären. Und der Prozess ist insgesamt für uns zu aufwendig. Er ist nicht nachvollziehbar und kostet zu viele Ressourcen.“ Und: „Ich kann doch nicht Zahlen für die nächsten fünf Jahre produzieren, an die ich nicht mal selbst glaube.“
Es gibt also massive Vorbehalte gegenüber dem Aufwand, der mit der Strategischen Personalplanung verbunden zu sein scheint. Diese schlagen dem Vorgehen – wenn auch in anderer Form – auch aus der Geschäftsführung und der Personalabteilung entgegen, z. B. wenn es um Konsistenz der bestehenden Personaldatenbasis oder der Integration vermeintlich notwendiger IT-Tools geht.
3. „Worin liegt eigentlich unser Nutzen? Wir machen die Übung ja nur für HR.“
Auch diese Aussage stammt in der Regel aus den Leitungsebenen der Geschäftsbereiche. Der Eindruck herrscht vor, dass die Geschäftsbereiche den Aufwand nur aus einem Grund leisten sollen: Damit die Personalabteilung mehr Zeit gewinnt, um neue Mitarbeiter zu rekrutieren. Sie sollen also daran mitarbeiten, dass HR nicht so unter Druck steht.
Hier bildet sich die Haltung ab, die in vielen Unternehmen immer noch vorherrschend ist: HR agiert reaktiv als Dienstleister für die anderen Abteilungen. Es findet kein Dialog auf Augenhöhe statt, weil die Personalabteilung nicht als Dialogpartner wahrgenommen wird.
Doch nicht nur auf Leitungsseite gibt es Vorbehalte gegen Strategische Personalplanung: Auch auf Seiten der Arbeitnehmervertreter herrscht hier Misstrauen und teilweise der Verdacht, dass alle Planung nur darauf ausgerichtet ist, mit immer weniger Personal auszukommen. Sätze wie: „Die wollen doch nur Stellen abbauen und/oder die Stellen zu unseren Ungunsten verändern“, prägen die Erwartungen. Auch aus diesem Grund scheuen sich die Unternehmen oft, den Prozess – wenn überhaupt – offen und transparent einzuführen.
Es gibt also verschiedene Gründe, warum Unternehmen Strategische Personalplanung für sich noch nicht oder zumindest noch nicht konsequent integriert haben. Die Notwendigkeit einer solchen weitreichenden Planung dagegen ist den meisten bewusst – auch wenn es durchaus noch Unterschiede in der Einschätzung gibt.
Die wichtigsten ins Feld geführten Argumente, die gerne gegen Strategische Personalplanung vorgebracht werden, sind in Kapitel 1.3 aufgeführt und kommentiert.
Zunächst gehen wir jedoch auf die Gründe ein, warum Strategische Personalplanung in Zukunft trotz aller Vorbehalte unumgänglich wird.
1.2 Kreativität und Innovationskraft statt Kapital
Der Umbruch in weiten Teilen der Wirtschaft ist unübersehbar. Er findet auf vielen verschiedenen Ebenen statt, angestoßen von den unterschiedlichsten Veränderungen.
So stehen zum Beispiel die großen Energiedienstleister in Deutschland aktuell vor diesem Problem: Mit Abstellen der Atomkraftwerke haben sie eine große Anzahl von Mitarbeitern, deren Kernkompetenz so mittel- bis langfristig nicht mehr gebraucht wird. Gleichzeitig stehen diese Unternehmen vor einer großen Veränderung ihrer Geschäftsstrategie: Sollen sie in die erneuerbaren Energien gehen? Oder werden sie zu reinen Netzanbietern? Und welche Qualifikationen brauchen sie dafür? Und was machen sie mit ihren „überschüssigen“ Arbeitskräften? Wann wird was wirksam? Das sind im Grunde ganz einfache Fragestellungen, die aber ungeheure Auswirkungen haben.
Eine andere Front der Veränderung erwächst aus der immer weiter fortschreitenden Automatisierung. Der ehemalige Personalvorstand eines Automobilkonzerns drückte dies sinngemäß so aus: „Wir müssen uns wirklich überlegen: Eine Mitarbeiterstunde in Deutschland kostet uns 40 Euro, eine Roboterstunde kostet uns nicht einmal 6 Euro. Und es ist notwendig, das so stark wie möglich auszuschöpfen.“ Das wird für den Produktionsbereich deutliche Veränderungen bedeuten, die es proaktiv vonseiten des HR-Bereichs zu gestalten gilt.
Die Automobilhersteller beispielsweise werden ihre Firmenstrategie künftig grundlegend wandeln müssen: Immer weniger Menschen legen Wert auf ein eigenes Auto. Ihr Wunsch, bequem von A nach B zu kommen, dagegen bleibt gleich. Die Anforderung an große Firmen wird also darin bestehen, ihr auf der einen Seite schwindendes Geschäft auf einer anderen Seite aufzubauen. Es stellt sich in diesem Zusammenhang zum Beispiel die Frage, warum es nicht die Firmen Audi oder Mercedes-Benz waren, die den Chauffeurdienst „Uber“ erfunden haben – ein ganz logisches Geschäftsmodell, das dem adressierten Bedürfnis der Kunden, nämlich von A nach B zu kommen, perfekt entspricht.
Die deutsche Industrie ist zwar ein Meister der Prozessinnovation – die Anforderung der Zukunft, vor die sich immer mehr Branchen gestellt sehen, ist jedoch die grundlegende Veränderung der Geschäftsmodelle. Basisinnovationen sind gefragt.
So treibt beispielsweise auch die Banken die grundsätzliche Frage um: Brauchen wir überhaupt noch Filialen? Dass sie diese Frage zunehmend mit Nein beantworten, zeigt die Reduzierung der Filialen vieler Banken. Wenn aber das Filialnetz auf einen Bruchteil verkleinert wird, was geschieht dann mit all den Angestellten dort? Und welche Mitarbeiter werden gebraucht, um den digitalen Service aufzubauen und zu verbessern?
Ganz besonders vorangetrieben werden die Veränderungen in den Unternehmen der verschiedensten Sparten durch die Digitalisierung. Durch sie verbreitet sich in großer Geschwindigkeit das Gefühl: „Hilfe, die ganze Welt bricht um. Unser Geschäft muss in irgendeiner Form digitalisiert werden.“ Getrieben von diesem Eindruck wird intensiv geplant und agiert – bis Ernüchterung einsetzt. Das passiert dann, wenn klar wird, dass das Unternehmen a) dafür neue Kompetenzen (und einen anderen Mindset) braucht und b) auf einmal für einen 28-jährigen IT-Spezialisten ein Jahresgehalt von 120.000 Euro und mehr bereitgestellt werden muss. Spätestens zu diesem Zeitpunkt kommen Fragen auf wie: „Ist das denn sinnvoll, müssen wir unsere gesamte Mannschaft umkrempeln?“ und „Geht das...